BT-Drucksache 18/5616

Umgang der Bundespolizei mit Rassismus-Vorwürfen

Vom 15. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5616
18. Wahlperiode 15.07.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Herbert Behrens, Sevim Dağdelen, Kersten Steinke,
Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Umgang der Bundespolizei mit Rassismus-Vorwürfen

Beamte der Bundespolizeiinspektion Hannover stehen im Verdacht, Flüchtlinge
in einer Polizeizelle misshandelt zu haben. Betroffen war unter anderem ein
19-jähriger Flüchtling aus Afghanistan, der nach geringfügigen Verstößen von
den Beamten ohne gültigen Pass am Hauptbahnhof angetroffen und in eine Ge-
wahrsamszelle gesperrt wurde. „Hab den weggeschlagen. Nen Afghanen. Mit
Einreiseverbot. Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War
witzig. Und an den Fussfesseln durch die Wache geschliffen. Das war so schön.
Gequickt wie ein Schwein. Das war ein Geschenk von Allah“, beschrieb ein Be-
amter über den Kurzmitteilungsdienst WhatsApp einem Kollegen den Vorfall
vom 19. März 2014. Rund ein halbes Jahr später wurde offenbar ein 19-jähriger
Marokkaner, der ohne gültigen Fahrausweis in einem Regionalexpress festge-
halten worden war, in der Gewahrsamszelle Opfer gezielter Erniedrigungen. Ein
über Mobiltelefon versandtes Foto zeigt den gefesselten Mann, der mit schmerz-
verzerrtem Gesicht von zwei Beamten auf dem Boden gedrückt wird. In einer
Kurzmitteilung heißt es dazu: „Das ist ein Marokkaner. Den habe ich weiß be-
kommen. XY (der unmittelbare Vorgesetzte) hat gesagt, dass er ihn oben gehört
hat, dass er geqikt hat, wie ein Schwein. Dann hat der Bastard erst mal den Rest
gammeligens Schweinefleisch aus dem Kühlschrank gefressen. vom Boden.“
(Rechtschreib- und Grammatikfehler im Original; www.ndr.de/nachrichten/
niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Fluechtlinge-in-Polizeizelle-
erniedrigt,misshandlung136.html). Derselbe Beamte, der im Verdacht steht, den
Marokkaner und Afghanen misshandelt zu haben, soll auch einen am Bahn-
hof in Gewahrsam genommenen Mann in einem Polizeifahrzeug so schwer
verprügelt haben, dass diesem hinterher ein Zahn fehlte und Blut im Wagen
zu sehen war. Zuvor habe der Beamte seinen Kollegen aufgefordert, die
Musik im Wagen lauter zu stellen (www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/
hannover_weser-leinegebiet/Neue-Vorwuerfe-gegen-Bundespolizei-in-
Hannover,bundespolizei362.html).
Einige Beamte der Bundespolizei Hannover fielen zudem durch fremdenfeind-
liche, gewaltverherrlichende und gegenüber der NS-Vergangenheit geschichts-
klittende Sprüche in Facebook-Postings auf, in denen sie oft Bezug auf dienst-
liche Vorgänge nahmen. Das Forum auf Facebook, in dem die von einem frag-
würdigen Menschenbild zeugende Postings etwa über einen angeblichen „kri-
minellen Migrationsmob“ zu finden sind, hat mindestens 150 „Freunde“
einschließlich Vorgesetzte der Beamten. Die vom Norddeutschen Rundfunk
(NDR) dokumentierten Äußerungen aus sozialen Netzwerken werden derzeit in
der neu eingerichteten Vertrauensstelle der Bundespolizei auf straf- und diszi-
plinarrechtliche Relevanz untersucht. Vertreter von Polizeigewerkschaften und
des Hauptpersonalrats der Bundespolizei verwiesen dabei auf eine unzurei-

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chende Fortbildung zur Stärkung der Kompetenzen der Beamten aus Mangel an
Personal und Geld (www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-
leinegebiet/Bundespolizei-Rassismus-und-Gewalt-im-Netz,bundespolizei334.
html). Aus Sicht der Fragesteller erscheinen die getätigten Äußerungen – auch
wenn sie nicht strafrechtlich relevant sein sollten – weiterhin problematisch, vor
allem weil Polizisten aufgrund der sogenannten Wohlverhaltensklausel im
Beamtenrecht verpflichtet sind, die Vorbildfunktion ihres Berufsstandes als Ver-
treter des Staates im Blick zu behalten – auch außerhalb ihres Dienstes etwa
beim Gebrauch sozialer Medien.
Als erste Konsequenz aus den Vorgängen in der Wache der Bundespolizeiinspek-
tion am Hauptbahnhof Hannover wurde eine mit zwei Beamten besetzte und di-
rekt dem Präsidenten der Bundespolizei unterstehende und nur ihm berichts-
pflichtige „Vertrauensstelle“ eingerichtet, an die sich die rund 40 000 Polizeibe-
amten wenden können, wenn sie Informationen über zweifelhafte Vorgänge an
ihren Dienststellen melden wollen. Kritikerinnen und Kritiker wie der frühere
Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe, halten eine sol-
che interne Controlling-Stelle für unzureichend, da sie in die internen Strukturen
des Amtes eingebunden bleibt (www.ndr.de/der_ndr/presse/mitteilungen/Harte-
Kritik-an-Vertrauensstelle-der-Bundespolizei-,pressemeldungndr15942.html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche genaue Kenntnis hat die Bundesregierung über die mögliche Miss-

handlung eines marokkanischen und eines afghanischen Flüchtlings durch
Beamte der Bundespolizei in Hannover?

2. Welche genaue Kenntnis hat die Bundesregierung über die mögliche Miss-
handlung eines Mannes, dem von einem Beamten in einem Polizeifahrzeug
der Bundespolizei Hannover ein Zahn ausgeschlagen worden sein soll?

3. Gegen wie viele Beamte welcher Dienstgrade an welchen Dienststellen wird
nach Kenntnis der Bundesregierung wegen der in den Fragen 1 und 2 genann-
ten Delikte ermittelt?

4. Inwieweit kann die Bundesregierung in den über Kurznachrichtendiensten
verbreiteten Äußerungen des Beamten, der im Verdacht der Misshandlung
von Flüchtlingen steht, ein fremdenfeindliches Menschenbild erkennen?

5. Wie erklärt sich die Bundesregierung das monatelange Schweigen von Zeu-
gen und Mitwissern aus den Reihen der Bundespolizei zu den Vorfällen?

6. Wie erklärt sich die Bundesregierung die Tatsache, dass die mutmaßlichen
Opfer von Misshandlungen und Erniedrigungen durch Beamte der Bundes-
polizei Hannover die Vorfälle nicht zur Anzeige gebracht haben?

7. Wie viele und welche weiteren Vorfälle von körperlichen Misshandlungen
und Erniedrigungen von Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten
durch Beamte der Bundespolizei während der letzten fünf Jahre an welchen
Dienstorten sind der Bundesregierung bekannt?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die vom „NDR“ dokumentierten fremden-
feindlichen und gewaltverherrlichenden Facebook-Postings von Beamten der
Bundespolizei Hannover jenseits möglicher strafrechtlicher Relevanz im
Hinblick auf die Wohlverhaltensklausel im Beamtenrecht und die Vorbild-
funktion der Beamten?

9. Inwieweit hält die Bundesregierung Beamte mit einem in den vom „NDR“
dokumentierten Postings deutlich gewordenen Menschenbild für geeignet,
als Vertreter des Staates aufzutreten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5616
10. Besteht nach Kenntnis der Bundesregierung innerhalb der Bundespolizei
die Problematik rassistischer, fremdenfeindlicher und gewaltverherrlichen-
der Tendenzen?
Wenn ja, wie äußert sich diese Problematik, und welche Maßnahmen er-
greift die Bundesregierung dagegen?
Wenn nein, wie erklärt sich die Bundesregierung die jüngsten Vorwürfe ge-
gen Beamte der Bundespolizei Hannover wegen Misshandlungen von
Flüchtlingen und fremdenfeindlichen Äußerungen im Internet?

11. Gibt es eine Statistik über fremdenfeindliche, rassistische und rechts-
extreme Vorfälle innerhalb der Bundespolizei – analog zur entsprechenden
Statistik solcher Vorfälle innerhalb der Bundeswehr?
Wenn ja, was beinhaltet diese genau (bitte die vorhandenen Daten nach Jah-
ren aufgeschlüsselt auflisten), seit wann und an welcher Stelle wird diese
Statistik geführt, und wo und von wem kann sie eingesehen werden?
Wenn nein, warum nicht, und inwiefern befürwortet die Bundesregierung
die Einführung einer entsprechenden Statistik?

12. Welche Definition genau legt die Bundespolizei jeweils an, um behörden-
interne oder externe Vorfälle als fremdenfeindlich, rassistisch oder rechts-
extrem einzuordnen (sollte die Bundespolizei anstelle der Begrifflichkeiten
„fremdenfeindlich“, „rassistisch“ und „rechtsextrem“ andere Begrifflich-
keiten verwenden, diese bitte einschließlich der zugehörigen Definition be-
nennen)?

13. Wie viele Polizeibeamte haben die Vertrauensstelle seit ihrer Einrichtung
genutzt (bitte angeben, wann sich die Beamten an die Stelle wandten)?
a) Auf welche Weise erfolgte jeweils die Kontaktaufnahme (persönliches

Erscheinen, E-Mail, telefonisch etc.)?
b) In wie vielen Fällen erfolgte die Kontaktaufnahme anonym?
c) Aus welchen Polizeiinspektionen kamen die Meldungen?
d) Welcher Art waren die Vorwürfe im Einzelnen, und welchen Zeitraum

betrafen die Meldungen?
e) Kann die Bundesregierung anhand der bisherigen Meldungen bereits

jetzt besondere Problembereiche – etwa eine Ballung von Vorwürfen
bezüglich bestimmter Dienststellen oder bestimmter Art von Fehlverhal-
ten – erkennen, und wenn ja, welche?

f) Wie wurde jeweils mit den Meldungen umgegangen?
g) Inwieweit bekommen die Meldungsmachenden Rückmeldung bei Nach-

verfolgung ihres Anliegens?
14. Hält die Bundesregierung eine in die internen Strukturen des Amtes einge-

bundene Vertrauensstelle für ausreichend, um mögliches Fehlverhalten ein-
zelner Beamter der Bundespolizei und zweifelhafte Vorgänge an den
Dienstorten aufzudecken, vor dem Hintergrund, dass Beamtinnen und Be-
amte nach Auffassung der Fragesteller bei entsprechenden Meldungen
fürchten müssen, dass gegen sie ein Strafverfahren eingeleitet wird, weil sie
sich strafbar gemacht haben könnten (unterlassene Hilfeleistung usw.),
während die Opfer der Übergriffe sich aus Angst wohl nicht an eine Stelle
innerhalb der Bundespolizei wenden werden?
Ist es überhaupt vorgesehen, dass sich auch Opfer an die Vertrauensstelle
wenden können?

Drucksache 18/5616 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
15. Nachdem die Bundesregierung in ihrer Antwort zu Frage 12 auf Bundes-
tagsdrucksache 18/5435 eingeräumt hat, dass eine unabhängige Polizei-
beschwerdestelle gegenüber bisherigen Beschwerdemöglichkeiten eine zu-
sätzliche Anlaufstelle darstellen könne, wenn „zu erwarten“ sei, dass „die
Petenten die verschiedenen Beschwerdemöglichkeiten aus unterschiedli-
chen Gründen nicht nutzen würden“, wird die Bundesregierung Initiativen
zur Schaffung solcher unabhängiger Polizeibeschwerdestellen unterstützen,
nachdem doch nicht zuletzt die Vorfälle in Hannover nach Auffassung der
Fragesteller zeigen, dass die Opfer der Polizeigewalt die bestehenden Be-
schwerdemöglichkeiten aus unterschiedlichen Gründen nicht genutzt haben
(bitte ausführen)?

16. In welcher Weise macht die Bundespolizei, aber auch das Bundeskriminal-
amt (bitte differenziert darstellen), die Definition von „racial discrimina-
tion“ in Artikel 1 Nummer 1 des UN-Übereinkommens zur Beseitigung je-
der Form der rassistischen Diskriminierung (ICERD) in ihrem Zuständig-
keitsbereich bekannt und sorgen dafür, dass diese in der Rechtsanwendung
zugrunde gelegt wird (bitte genau auflisten; vgl. Antwort zu den Fragen
2 bis 5 auf Bundestagsdrucksache 18/5435), und wie wird den Bediensteten
insbesondere verdeutlicht, dass eine rassistische Diskriminierung auch dann
vorliegen kann, wenn einer Handlung keine rassistischen Motive zugrunde
liegen, weil es auch auf die Auswirkungen einer Ungleichbehandlung, die
an die in Artikel 1 Nummer 1 ICERD genannten Merkmale anknüpft, an-
kommen kann (bitte ausführen)?

17. Welche Weiterbildungs- und Schulungsmaßnahmen und -angebote für
Beamte der Bundespolizei zur Sensibilisierung für das Erkennen und die
Prävention von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bestehen derzeit (bitte
insbesondere quantitativ aufschlüsseln und einzeln auflisten, d. h. wie viele
und welche Maßnahmen bzw. Angebote gab es in den letzten fünf Jahren zu
welchen Themen an welchen Orten für welche Gruppen)?
a) Wie viele dieser Fortbildungsmaßnahmen sind für welche Beamten der

Bundespolizei verpflichtend?
b) Wie viele Beamte der Bundespolizei haben in den letzten fünf Jahren ent-

sprechende Fortbildungsmaßnahmen erhalten?
c) Ist der Bundesregierung die Kritik aus den Polizeigewerkschaften und

aus dem Hauptpersonalrat der Bundespolizei über unzureichende Fort-
bildungsmaßnahmen zur Stärkung der Kompetenzen der Beamtinnen
und Beamten bekannt, und wenn ja, was entgegnet sie dem, und welche
Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

Berlin, den 15. Juli 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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