BT-Drucksache 18/5427

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/4097, 18/4199, 18/5420 - Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung

Vom 1. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5427
18. Wahlperiode 01.07.2015
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Da delen, Jan Korte, Dr. André Hahn,
Petra Pau, Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Frank Tempel,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/4097, 18/4199, 18/5420 –

Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des
Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält sowohl massive Verschärfungen als
auch einige Verbesserungen des Aufenthalts- bzw. Asylrechts. Auf der einen
Seite steht zum Beispiel eine gesetzliche Bleiberechtsregelung, die im Gegen-
satz zu früheren Regelungen keinen Antragsstichtag vorsieht. Hierfür haben
Betroffene, Verbände, Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, Gewerkschaf-
ten und die Opposition seit vielen Jahren gekämpft. Auf der anderen Seite steht
jedoch die Verschärfung des Aufenthaltsrechts zur Abwehr unerwünschter
Migration, etwa durch eine massive Ausweitung der Abschiebungshaft und ver-
stärkte Einreise- und Aufenthaltsverbote. Bundesinnenminister Dr. Thomas de
Maizière hatte nach dem Kabinettsbeschluss am 3.12.2014 erklärt: „Das Gesetz
hat eine einladende und eine abweisende Botschaft. Beide sind Teil einer Ge-
samtstrategie.“ Der Bundestag verurteilt dieses strategische Kalkül einer Mig-
rationspolitik, die Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten in „gute“ und
„schlechte“ einteilt und Rechte entsprechend selektiv vergibt oder aber auf Ab-
schreckung setzt. Die politische Debatte ist zunehmend geprägt von einem
Nützlichkeitsdenken und der Einteilung von Menschen in solche, „die uns nüt-
zen“ bzw. „ausnützen“ (Günther Beckstein, DIE WELT, 11.7.2000), doch die
Rechte von Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten dürfen keinesfalls
unter einen solchen Kostenvorbehalt gestellt werden. Das fördert rassistische
und menschenfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung.

2. Der Bundestag begrüßt die lautstarken öffentlichen Proteste und Initiativen ge-
gen den Gesetzentwurf, die mit dazu beigetragen haben, dass zumindest einige
der vom Bundesinnenministerium geplanten Verschärfungen – „das Schärfste
und das Schäbigste, was einem deutschen Ministerium seit der Änderung des
Asylgrundrechts vor 21 Jahren eingefallen ist“ (Heribert Prantl in der Süddeut-
schen Zeitung vom 9. Mai 2014) – zurückgenommen wurden. Doch auch die
verbliebenen Restriktionen stoßen auf eine starke Ablehnung in der Zivilgesell-
schaft. Dies wurde auch bei der Anhörung des Innenausschusses des Deutschen

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Bundestages vom 23. März 2015 deutlich. Nahezu alle unabhängigen, d. h.
nicht zur Exekutive gehörenden Sachverständigen übten dabei deutliche Kritik
(vgl. Protokoll-Nr. 18/42): Die Zahl der Abschiebeinhaftierungen würde sich
nach Inkrafttreten des Gesetzes vervielfachen, die jetzt schon sehr hohe Fehler-
quote bei richterlichen Haftanordnungen werde sich aufgrund unklarer Geset-
zesformulierungen noch einmal erhöhen. Der neue Ausreisegewahrsam stoße
auf EU- und verfassungsrechtliche Bedenken. Einreise- und Aufenthaltsverbote
würden als Instrumente einer generealpräventiven Abschreckung gegenüber
ungewollten Flüchtlingen genutzt, obwohl sich die Einreise von Menschen in
Not dadurch in der Realität nicht verhindern lasse. Diese Erkenntnisse aus der
Anhörung blieben leider weitgehend unberücksichtigt.

3. Die geplante gesetzliche, sehr weit reichende Umschreibung einer etwaigen
Fluchtgefahr ermöglicht die Inhaftierung von Schutzsuchenden in sehr vielen
Fällen, die auch typische und notgedrungene Verhaltensweisen von Flüchtlin-
gen umfassen (Abbruch eines Asylverfahrens in anderem EU-Land, Vernich-
tung von Reisedokumenten, hohe Geldzahlungen für Schleuser). Der Bundes-
tag ist darüber empört, dass den Freiheitsrechten von Flüchtlingen ein derart
geringer Stellenwert eingeräumt wird, da die Gefahr rechtswidriger Abschie-
beinhaftierungen mit Inkrafttreten des Gesetzes absehbar noch größer wird. Be-
reits jetzt erweisen sich 85 bis 90 Prozent aller vom Bundesgerichtshof über-
prüften richterlichen Haftanordnungen als rechtsfehlerhaft; das ist inakzepta-
bel. Auch der Gedanke des Flüchtlingsschutzes wird verletzt, wenn Flüchtlinge
nach ihrer Ankunft in Europa nur deshalb inhaftiert werden, um sie schneller
abschieben oder nach den Regeln der Dublin III-Verordnung gegen ihren Wil-
len in ein anderes EU-Land schicken zu können. Das aber ist ein Hauptziel des
Gesetzentwurfs: Schutzsuchende sollen nach einer unerlaubten Einreise im
Rahmen des Dublin-Verfahrens (wieder) inhaftiert werden können. Aufgrund
fehlender Rechtsgrundlagen ist dies seit einer Entscheidung des Bundesge-
richtshofs vom 26.6.2014 im Regelfall untersagt – ohne dass sich dadurch et-
was an der realen Überstellungsquote im Dublin-Verfahren geändert hätte. Dies
nährt grundsätzliche Zweifel an der Legitimität der Dublin-Haft. Auch die
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur strikten Trennung von Ab-
schiebungs- und Strafhaft hat dazu geführt, dass sich zuletzt vergleichsweise
wenige Menschen in Abschiebungshaft befanden. Für die Betroffenen bleibt
der Freiheitseingriff dennoch dramatisch. Der Bundestag kritisiert, dass die ge-
ringen Haftzahlen nicht zum Anlass genommen werden, die menschenrechts-
widrige Abschiebungshaft als solche abzuschaffen.

4. Inakzeptabel ist auch, dass die Inanspruchnahme des Menschenrechts auf Asyl-
suche und damit ein völlig legitimes und rechtstreues Verhalten künftig mit ei-
nem Einreise- und Aufenthaltsverbot negativ sanktioniert werden soll, wenn
ein Asylgesuch von Flüchtlingen aus einem angeblich „sicheren Herkunfts-
staat“ als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wird. Diese Maßnahme sug-
geriert der Öffentlichkeit, es gebe einen vermeintlichen „Asylmissbrauch“, den
es mit allen Mitteln zu bekämpfen gelte. Betroffen sind insbesondere Roma-
Flüchtlinge vom Westbalkan, deren massive strukturelle Ausgrenzung und Dis-
kriminierung in Deutschland – im Gegensatz zu manch anderem EU-Land –
nur sehr selten zur Flüchtlingsanerkennung führen. Ein Einreise- und Aufent-
haltsverbot soll künftig bereits dann ausgesprochen werden können, wenn Ge-
duldete zuvor nicht innerhalb einer gesetzten Frist ausgereist sind und ihnen
z. B. eine fehlende Mitwirkung bei der eigenen Abschiebung vorgeworfen wird
(Passbeschaffung).

5. Schließlich gehen die geplanten Verbesserungen nicht weit genug: Die Bleibe-
rechtsregelung folgt nicht in erster Linie humanitären Kriterien, sondern steht
unter dem Vorbehalt einer „nachhaltigen Integration“, die insbesondere ausrei-
chende Einkommensnachweise voraussetzt. Dabei wurden die Betroffenen
über Jahre hinweg durch Beschränkungen des Arbeitsmarktzugangs und der
Bewegungsfreiheit sowie durch den Ausschluss von Integrationskursen und

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5427

diskriminierende Sonderregelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes gezielt
an einer Integration gehindert. Weitere zusätzliche Anforderungen werden dazu
führen, dass viele Geduldete, die seit Jahren in Deutschland leben, weiterhin
von einem Bleiberecht ausgeschlossen werden. Unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge werden sich wegen des Antragsstichtags häufig nicht auf die Son-
derregelung für geduldete Jugendliche berufen können. Zwar gibt es Verbesse-
rungen beim Aufenthaltsrecht für Opfer des Menschenhandels, doch unverän-
dert soll ein Aufenthaltstitel zunächst nur dann erteilt werden, wenn ihre Aus-
sage in einem Strafverfahren benötigt wird. Doch aus unterschiedlichen, ernst
zu nehmenden Gründen sind die Betroffenen hierzu oftmals nicht bereit oder in
der Lage. Die gesetzliche Verankerung eines Aufnahmeprogramms (Resettle-
ment) für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus überlasteten Drittstaaten
ist zu begrüßen und seit Jahren überfällig. Die Aufgenommenen sollten aller-
dings in jeglicher Hinsicht den hier anerkannten Flüchtlingen gleichgestellt
werden. Uneingeschränkt richtig und wichtig ist der verbesserte Familiennach-
zug zu Flüchtlingen mit einem subsidiären Schutzstatus. Eine Neustrukturie-
rung des Ausweisungsrechts war zwingend notwendig angesichts der Vorgaben
in der europa- und verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zu umfangreichen
Einzelfallprüfungen und zur stärkeren Berücksichtigung persönlicher Interes-
sen und familiärer Bindungen. Dem widersprechen jedoch schematische Vor-
gaben, Ausweisungen aus generalpräventiven Gründen und die Einschätzung
der Bundesregierung, dass im Ergebnis mit mehr Ausweisungen gerechnet wer-
den muss. Erforderlich wäre vielmehr ein absoluter Ausweisungsschutz für in
Deutschland geborene und aufgewachsene Menschen.

6. Der Bundestag kritisiert scharf, dass die menschenrechtswidrige Schikane beim
Ehegattennachzug durch Sprachtests im Ausland nicht beseitigt werden soll.
Das hatte zuletzt auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzent-
wurf gefordert. Der Deutschtest im Ausland wurde im letzten Jahr in jedem
dritten Fall nicht bestanden. Etwa 12.000 Menschen waren davon betroffen, sie
wurden zwangsweise von ihren Ehegatten getrennt. Dabei könnten die gefor-
derten Deutschkenntnisse in Deutschland viel leichter und schneller erlernt
werden in einem dafür vorgesehenen Integrationskurs, mit der Unterstützung
der Lebenspartnerinnen und -partner und durch die praktische Anwendung des
Gelernten im Lebensalltag. Stattdessen wird lediglich eine allgemeine Härte-
fallregelung vorgeschlagen, die nicht einmal den Vorgaben der Rechtspre-
chung, insbesondere des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), gerecht wird.
Auch das Dogan-Urteil des EuGH wird – anders als behauptet – nicht umge-
setzt, denn demnach dürften zumindest beim Nachzug zu türkischen Staatsan-
gehörigen grundsätzlich keine Sprachnachweise mehr verlangt werden. Der
Bundestag ist empört über diese Brüskierung des EuGH, für die nicht einmal
Gründe in der Auseinandersetzung mit dem Dogan-Urteil angegeben werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die geplanten Gesetzesverschärfungen nicht weiter zu verfolgen und stattdessen
einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem eine grundlegende Öffnung des Auf-
enthalts- und Asylrechts vorgenommen wird und der insbesondere folgende
Punkte beinhaltet: eine umfassende humanitäre Bleiberechtsregelung, ein wirk-
sames Nachzugsrecht für Familienangehörige, das nicht von Sprach- oder Ein-
kommensnachweisen abhängig ist, und eine Beendigung der Abschiebungshaft
statt ihrer Ausweitung.

Berlin, den 30. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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