BT-Drucksache 18/5407

Versöhnung mit Namibia - Gedenken an und Entschuldigung für den Völkermord in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika

Vom 1. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5407
18. Wahlperiode 01.07.2015
Antrag
der Abgeordneten Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine

Jelpke, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Dr. Alexander S.

in der ehemaligen Kolonie Deutsch-

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag erinnert an die Verbrechen des deutschen Kaiserreichs
in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika und gedenkt der Opfer von
Massakern, Enteignungen, Vertreibung, Zwangsarbeit, Vergewaltigungen, me-
dizinischen Experimenten, Deportationen und menschenunwürdiger Unterbrin-
gung in Konzentrationslagern. Dem Vernichtungskrieg deutscher Kolonialtrup-
pen zwischen 1904 und 1908 fielen bis zu 80 Prozent der Herero und mehr als
die Hälfte der Nama sowie ein großer Teil der Damara und San zum Opfer.

2. Der Deutsche Bundestag erkennt die schwere Schuld an, die die deutschen Ko-
lonialtruppen mit den Verbrechen an den Herero, Nama, Damara und San auf
sich geladen haben. Diese Kriegsverbrechen, Vertreibungen und Massenver-
nichtungen durch das Deutsche Reich waren Völkermord. Die Befehle des Ge-
neralleutnants Lothar von Trotha vom 2. Oktober 1904 gegen die Herero und
vom 22. April 1905 gegen die Nama und die praktische Kriegsführung belegen
eindeutig den Vernichtungsvorsatz gegen diese Bevölkerungsgruppen, dem spä-
ter auch Angehörige der Damara und San zum Opfer fielen. Dies beinhaltete die
Internierung in Konzentrationslagern und Zwangsarbeit unter unmenschlichen
Bedingungen sowie medizinische Experimente.

3. Der Deutsche Bundestag bittet die Nachfahren der Opfer dieses Völkermords
für das ihren Vorfahren zugefügte Leid um Entschuldigung. Er betont erneut die
sich hieraus ergebende besondere historische und moralische Verantwortung
und Verpflichtung Deutschlands gegenüber der Republik Namibia und der na-
mibischen Bevölkerung, zu der sich der Bundestag bereits in seinen Entschlie-
ßungen vom April 1989 und Juni 2004 bekannt hat.

4. Die namibische Nationalversammlung hat bereits am 26. Oktober 2006 einstim-
mig den Vernichtungsfeldzug der deutschen Truppen als Völkermord anerkannt.
Der Bundestag unterstützt den darin angemahnten Prozess eines umfassenden,
zielgerichteten und strukturierten Dialogs ohne Vorbedingungen, das heißt ohne
Auslassung der Wiedergutmachungsfrage als einen wichtigen Bestandteil des
Versöhnungsprozesses. Die verstärkte bilaterale Entwicklungszusammenarbeit

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mit Namibia ist wichtig. Sie unterscheidet sich jedoch prinzipiell von Wieder-
gutmachung und kann diese nicht ersetzen.

5. Der Deutsche Bundestag drückt im Wissen um das Völkermordverbrechen und
die Millionen Opfer des Kolonialismus seine Scham, sein tiefes Bedauern und
seine Trauer aus. Zugleich erkennt und würdigt er den langen, aktiven und mu-
tigen Widerstand der unterworfenen Menschen gegen jede Form der Kolonial-
herrschaft.

6. Der Deutsche Bundestag ist sich bewusst, dass die Auswirkungen des Völker-
mordes und des deutschen Kolonialismus im ehemaligen Deutsch-Südwestaf-
rika in der sozialen und ökonomischen Wirklichkeit Namibias bis heute präsent
sind. Die Vertreibung der Bevölkerung und die Aneignung von Ländereien und
Viehbeständen unter Missachtung traditioneller Landrechte hat bis heute eine
ungerechte Landverteilung zur Folge. Insbesondere den Herero und Nama feh-
len die Mittel, um Land zu erwerben oder in anderer Form die historischen Ver-
luste wettzumachen und sich eine eigenständige wirtschaftliche Grundlage wie-
der aneignen zu können. Versöhnungsinitiativen sollten hier ansetzen und das
Ziel verfolgen, diese historisch aus der Kolonialzeit bis heute wirkenden struk-
turellen Nachteile auszugleichen.

7. Der Deutsche Bundestag ist sich bewusst, dass die Auseinandersetzung mit die-
sem Völkermord und seinen Folgen auch unmittelbare Bedeutung für die Ge-
genwart hat. Deshalb muss sich Deutschland seiner kolonialen Vergangenheit
stellen. Eine selbstkritische Reflexion der kolonialen Prägungen der deutschen
Gesellschaft ist auch Voraussetzung, um gegen den insbesondere gegen
schwarze Menschen gerichteten Rassismus vorzugehen.

II. Der Deutsche Bundestag wird eine deutsch-namibische Parlamentariergruppe
bilden, um den Dialogprozess zwischen den beiden Parlamenten auf eine formale,
strukturierte und zielgerichtete Ebene zu heben.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. der sich aus der deutschen Schuld für den Völkermord ergebenden politischen
und moralischen Verantwortung und Verpflichtung vorbehaltlos nachzukom-
men;

2. die Republik Namibia und hierbei insbesondere die betroffenen Bevölkerungs-
gruppen der Herero, Nama, Damara und San um Entschuldigung für diesen Völ-
kermord zu bitten;

3. den zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Republik Namibia im
Juni 2014 begonnenen Dialogprozess offen und vorbehaltlos mit dem Ziel der
Versöhnung fortzuführen, als umfassenden und strukturierten Dialog zu inten-
sivieren und hierbei auch die Vertreterinnen und Vertreter der Nachfahren der
vom Völkermord besonders betroffenen Gruppen mit einzubeziehen (Trialog).
In diesen strukturierten Dialogprozess müssen alle Seiten ihre Themen und
Wünsche, wie auch die Frage der Wiedergutmachung, einbringen können;

4. im Rahmen des Dialogprozesses mit der namibischen Regierung und den Ver-
treterinnen und Vertretern der Nachfahren der vom Völkermord besonders be-
troffenen Gruppen die Einrichtung eines Strukturausgleichsfonds in Namibia
unter Einbeziehung der namibischen Nationalversammlung, der Regierung und
der betroffenen Bevölkerungsgruppen anzubieten,
mittels dessen ein Ausgleich der aus der deutschen Kolonialzeit bis heute

nachwirkenden strukturellen Benachteiligungen – insbesondere hinsichtlich
der Landfrage und der mangelnden Infrastruktur – und der daraus resultie-
renden sozialen Gegensätze hergestellt werden kann,

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und für eine angemessene finanzielle Beteiligung der Unternehmen und ih-
rer Rechtsnachfolger, die von Zwangsarbeit, Enteignungen und Vertreibun-
gen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika profitiert haben, an
der Ausstattung des Strukturausgleichsfonds oder anderer im Dialog ausge-
handelter Wiedergutmachungsmaßnahmen zu sorgen;

5. die Maßnahmen und Ergebnisse der im Jahr 2005 durch die damalige Bundes-
regierung in die Wege geleiteten „Sonderinitiative“ gemeinsam mit der namibi-
schen Seite (Nationalversammlung, Regierung und Vertretungen der Nachfah-
ren der Opfer der deutschen Kolonialverbrechen) einer kritischen Überprüfung
zu unterziehen und daraus gemeinsam geeignete Schlüsse zu ziehen, um Ow-
nership, Einflussmöglichkeiten und Entscheidungshoheit der betroffenen Bevöl-
kerung in künftigen Versöhnungsmaßnahmen und den dann gemeinsam be-
schlossenen Zielen und Wirkungen sowie bei der Festlegung der Ressourcen,
Institutionen und Steuerungsgremien, die diese künftig durchführen sollen, si-
cherzustellen;

6. als Bestandteile künftiger Versöhnungsinitiativen insbesondere folgende Ziele
anzustreben:
besondere Förderung und Intensivierung des Jugend- und Kulturaustauschs

zwischen Deutschland und Namibia,
Dekolonisierung der Erinnerungskulturen in der Öffentlichkeit und in den

Schulen beider Länder sowie Förderung antikolonialer und antirassistischer
Bildungsprojekte,

Unterstützung von Initiativen, die sich gegen die weitere Ehrung von Kolo-
nialverbrechern durch Denkmäler und Straßennamen richten und stattdes-
sen Persönlichkeiten des antikolonialen Widerstandes öffentlich zu würdi-
gen;

7. eine vollständige Bestandsaufnahme einschließlich der Provenienzfeststellung
der in deutschen Archiven und Sammlungen noch lagernden, geraubten mensch-
lichen Gebeine aus ehemaligen deutschen und anderen Kolonien und Übersee-
gebieten sicherzustellen sowie
den Herkunftsländern und betroffenen Bevölkerungsgruppen das Angebot

zu ihrer Rückführung zu unterbreiten,
einen würdigen Rahmen für die Rückführung in die Herkunftsländer unter

Federführung der Bundesregierung zu gewährleisten und den Rückfüh-
rungsprozess zusammen mit den betroffenen Staaten und den betroffenen
Bevölkerungsgruppen zu organisieren und durchzuführen;

8. sicherzustellen, dass die während der Kolonialzeit in den ehemaligen deutschen
Kolonien geraubten Kulturgüter, die bis heute in deutschen Archiven und
Sammlungen lagern, identifiziert und Angebote zur Rückgabe unterbreitet wer-
den;

9. die Aufarbeitung des Kolonialismus und insbesondere der deutschen Kolonial-
vergangenheit auch durch eine angemessene finanzielle Beteiligung der Orga-
nisationen und Unternehmen beziehungsweise ihrer Rechtsnachfolger, die von
Zwangsarbeit, Enteignungen und Vertreibungen in ehemaligen deutschen Kolo-
nien profitiert haben, zu unterstützen durch:
die Errichtung eines Denkmals zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer

von Versklavung, Kolonialismus und rassistischer Gewalt in zentraler Lage
in Berlin;

die Gründung einer Stiftung auf Bundesebene, deren Zweck es ist, in
Deutschland das Verantwortungsbewusstsein für Kolonialismus und Ras-

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sismus zu stärken, sowie das Wissen über die kulturelle Vielfalt und Ge-
schichte der vom Kolonialsystem unterjochten Länder und Völker und über
deren Widerstands- und Befreiungskampf zu vertiefen,

eine angemessene und kritische Darstellung der deutschen Kolonialvergan-
genheit im entstehenden Humboldt-Forum in Berlins Mitte unter besonde-
rer Beteiligung von Expertinnen und Experten aus den betroffenen Ländern;

10. den von namibischer Seite im Jahr 2012 zum Ausdruck gebrachten Wunsch
nach der Einrichtung einer deutsch-namibischen Schulbuchkommission nach
dem Vorbild der deutsch-polnischen Schulbuchkommission aufzugreifen und in
diesem Rahmen Schulbücher über die gemeinsame Geschichte durch Historike-
rinnen und Historiker beider Länder erarbeiten zu lassen;

11. in der Kultusministerkonferenz darauf hinzuwirken, dass die kritische Ausei-
nandersetzung mit dem Völkermord und der deutschen und europäischen Kolo-
nialvergangenheit zum festen und dauerhaften Bestandteil von Lehrplänen an
deutschen Schulen wird.

Berlin, den 30. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Der erklärte Vernichtungsfeldzug der kaiserlichen „Schutztruppe“ gegen die Herero und Nama in der ehema-
ligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika zwischen 1904 und 1908 war der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts.
Er markierte den Auftakt eines Jahrhunderts, das in Folge auf so schreckliche Weise durch Massenvernichtun-
gen, „ethnische Säuberungen“, Vertreibungen und Völkermorde gezeichnet sein sollte. Vor 100 Jahren fand
das Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte in „Südwestafrika“, der heutigen Republik Namibia, sein Ende
durch die Kapitulation der deutschen „Schutztruppe“ gegenüber der Südafrikanischen Union im Ersten Welt-
krieg am 9. Juli 1915. Für Namibia sollte die seit 1884 andauernde Besatzung durch Kolonialherren noch wei-
tere 75 Jahre andauern. Vor nur 25 Jahren, am 21. März 1990, wurde die Republik Namibia schließlich unab-
hängig.

Die Erinnerung an den Völkermord ist bis heute im Bewusstsein der Menschen in Namibia sehr präsent, seine
Spuren und Narben bis heute sichtbar. Das Gedenken an die deutschen Verbrechen gehört dort wie selbstver-
ständlich zur eigenen Geschichte, vielmehr als dies in Deutschland heute der Fall ist.

Anfang 1904 organisierten die Herero unter Samuel Maharero gegen die Unterdrückung und den zunehmenden
Land- und Viehraub des deutschen Kolonialsystems einen Aufstand, der in einen offenen Krieg mündete. Nach
dem Sieg der deutschen „Schutztruppe“ in der Schlacht am Waterberg am 11./12. August 1904 flohen zehn-
tausende Männer, Frauen und Kinder der Herero vor den deutschen Truppen in die Omaheke-Wüste, die Ge-
neral Lothar von Trotha militärisch abriegeln ließ, um sie darin verdursten zu lassen. Am 2. Oktober 1904 gab
er schließlich den Vernichtungsbefehl: „Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero mit und ohne Ge-
wehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke
zurück oder lasse auf sie schießen.“ Von Trotha handelte im Auftrag des Deutschen Kaisers und Generalstabs-
chef Alfred Graf von Schlieffen, sprach von einem „Rassenkampf“ und billigte ausdrücklich die „Vernichtung
oder vollständige Knechtung“ der Herero.

Gegen die sich in Folge erhebenden Nama folgte am 22. April 1905 ein zweiter Vernichtungsbefehl. Die Volks-
gruppen der Damara und San waren im Kriegsverlauf von der deutschen Kriegsführung ähnlich hart betroffen.

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Die San fielen systematisch betriebenen sogenannten „Buschmannjagden“ zum Opfer. Neben den unmittelba-
ren Massakern im Rahmen der militärischen Kriegsführung starben in einem qualvollen Leidensweg bis 1908
etwa 80 Prozent der Herero und die Hälfte der Nama durch Hinrichtungen und an den Folgen von Enteignun-
gen, schwerster körperlicher Zwangsarbeit sowie durch Seuchen aufgrund der unhygienischen Zustände, Un-
terversorgung und der Verweigerung von medizinischer Behandlung in den errichteten Konzentrationslagern.
Vergewaltigungen von Frauen durch deutsche Soldaten wurden von der Militärführung geduldet oder sogar
gefördert. Menschliche Gebeine wurden in größerer Anzahl geraubt und zu „rassekundlichen“ Forschungszwe-
cken nach Deutschland verbracht.

Das Land der aufständischen Bevölkerungsgruppen wurde zum Staatseigentum erklärt. Den traditionell von
der Viehzucht lebenden Herero und den Nama wurde der Besitz von Pferden und Rindern verboten. Zehntau-
sende Tiere wurden ohne Zahlung von Kompensationsleistungen geraubt. Damit wurden die ökonomischen
Existenzgrundlagen der Überlebenden zerstört. Die bis in die Gegenwart nachwirkende extrem ungleiche Land-
verteilung im heutigen Ost-, Zentral- und Südnamibia hat ihren historischen Ursprung in diesen in der deut-
schen Kolonialzeit durchgeführten Landenteignungen.

Bei den Gedenkfeierlichkeiten in Namibia zum 100. Jahrestag der Niederschlagung des Herero-Aufstands bat
Bundesministerin a. D. Heidemarie Wieczorek-Zeul 2004 erstmals die Nachkommen der Opfer offiziell als
Vertreterin der Bundesregierung um Vergebung und stellte fest: ,Die damaligen Gräueltaten waren das, was
heute als Völkermord bezeichnet würde – für den ein General von Trotha heutzutage vor Gericht gebracht und
verurteilt würde. Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verant-
wortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben. Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsa-
men „Vater unser“ um Vergebung unserer Schuld.“ Allerdings hat sich die damalige Bundesregierung und
auch danach keine Bundesregierung diese Worte zu eigen gemacht. Vielmehr wurde die Äußerung der dama-
ligen Entwicklungsministerin als „Privatmeinung“ qualifiziert.

Der notwendige offene Dialog über konkrete Schritte der Versöhnung zwischen den Regierungen Deutschlands
und Namibias sowie den Opferverbänden fand nie statt. Stattdessen beschloss die Bundesregierung im Nach-
gang dieser Reise, die Leistungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit an Namibia innerhalb von fünf
Jahren zu verdoppeln. Außerdem rief sie eine mit ursprünglich 20 Mio. Euro ausgestattete „Sonderinitiative“
bzw. „Versöhnungsinitiative“ einseitig und ohne Konsultationen mit der namibischen Seite über deren Ausge-
staltung, Verwaltung und Abwicklung ins Leben. Ziel der über die deutsche finanzielle Entwicklungszusam-
menarbeit abgewickelten Initiative war es, vor allem Projekte auf kommunaler Ebene in den Gebieten der
Nachfahren der vom Völkermord besonders betroffenen Volksgruppen zu fördern. Leider wurden diese Men-
schen nicht oder nur kaum in die Umsetzung der Sonderinitiative einbezogen und diesbezügliche Beschwerden
seitens der Opfergruppen wurden ignoriert. Die erhofften v. a. wirtschaftlichen Wirkungen sind nie eingetreten.
Inzwischen gibt es in Namibia eine rege Diskussion darüber, ob die Entwicklungszusammenarbeit, die immer
den Charakter einer einseitigen Hilfsleistung seitens des Gebers trägt, in diesem Fall der richtige Kanal sein
kann. Entwicklungszusammenarbeit unterscheidet sich prinzipiell von Wiedergutmachung, die sich aus der
Anerkennung eines Anspruchs von Geschädigten für erlittenes Unrecht ergibt. Künftige Maßnahmen müssen
zu einem weit höheren Grad in den Händen der namibischen Akteure liegen. Ziel sollte es sein, den Nachfahren
der Opfer über Strukturmaßnahmen in ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten eine tragfähige wirtschaftliche
Grundlage, die vor über 100 Jahren ihren Vorfahren geraubt wurde, zurückzugeben. Davon würden alle dort
heute ansässigen Bewohnerinnen und Bewohner Namibias profitieren.

Am 26. Oktober 2006 erkannte die namibische Nationalversammlung einstimmig die deutschen Gräueltaten
und Massaker zwischen 1904 und 1908 als Völkermord an und forderte ihre Regierung auf, mit der Bundesre-
gierung in einen umfassenden und strukturierten Dialogprozess über alle in diesem Zusammenhang offenen
Fragen, wie auch über geeignete Entschädigungsleistungen, einzutreten. Letztere reagierte jedoch lange nicht
auf die offizielle Übermittlung dieses Beschlusses am 15. November 2007. Erst Ende September 2011 wurde
mit der Rückführung nach Namibia von in Deutschland lagernden menschlichen Gebeinen von Opfern des
deutschen Vernichtungsfeldzugs begonnen. Da die Bundesregierung jegliche Achtung, jeglichen Respekt und
jegliche Anerkennung gegenüber der vom namibischen Minister für Jugend, Nationale Dienste, Sport und Kul-
tur geleiteten Delegation vermissen ließ, kam es bei der Übergabe in der Berliner Charité zum Eklat. Das Ver-
halten der Bundesregierung wurde seinerzeit sowohl in Deutschland als auch in Namibia kritisiert und die
bilateralen Beziehungen beider Länder kühlten zunehmend ab. 2014 erfolgte eine weitere Übergabe von Ge-
beinen aus der Universitätsklinik Freiburg und der Charité Berlin. Es werden noch viele weitere solcher Ge-
beine in deutschen öffentlichen und privaten Archiven und Sammlungen vermutet.

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Es muss die Aufgabe von Bundestag und Bundesregierung sein, geeignete Mittel und Wege gemeinsam mit
den namibischen Partnern zu finden, um einerseits der historischen Verantwortung, die Deutschland gegenüber
Namibia hat, gerecht zu werden und andererseits sicherzustellen, dass beide Länder an einer gemeinsamen
Zukunft arbeiten. Dazu gehören neben einem eng abgestimmten Dialog zwischen den Regierungen auch der
Ausbau und eine Institutionalisierung der Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Parlamente beider Län-
der. Auch muss die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte in Deutschland vorangetrieben werden.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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