BT-Drucksache 18/5377

Integrationsbetriebe fördern - Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen

Vom 1. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5377
18. Wahlperiode 01.07.2015
Antrag
der Abgeordneten Uwe Schummer, Karl Schiewerling, Jutta Eckenbach,
Dr. Astrid Freudenstein, Mark Helfrich, Michael Grosse-Brömer, Uwe Lagosky,
Antje Lezius, Dr. Carsten Linnemann, Wilfried Oellers, Dr. Martin Pätzold, Jana
Schimke, Gabriele Schmidt (Ühlingen), Albert Stegemann, Stephan Stracke, Max
Straubinger, Matthäus Strebl, Christel Voßbeck-Kayser, Albert Weiler, Peter Weiß
(Emmendingen), Sabine Weiss, Kai Whittaker, Tobias Zech, Dr. Matthias Zimmer,
Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Kerstin Tack, Katja Mast, Dr. Matthias Bartke, Michael
Gerdes, Kerstin Griese, Gabriele Hiller-Ohm, Ralf Kapschack, Daniela Kolbe,
Markus Paschke, Dr. Carola Reimann, Dr. Martin Rosemann, Bernd Rützel,
Dagmar Schmidt (Wetzlar), Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Thomas Oppermann
und der Fraktion der SPD

Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen
auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bundesweit beschäftigen die rund 800 Integrationsbetriebe 22.500 Menschen, davon
etwa 10.500 Menschen mit Behinderung. Seit der Verankerung im Neunten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB IX (§§ 132 ff.) im Jahr 2001 sind sie für ihre Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter mit Behinderungen Arbeitsstellen des ersten Arbeitsmarktes. In
13 Jahren konnten über 8.000 sozialversicherungspflichtige, tariflich bzw. ortsüblich
entlohnte Arbeitsplätze geschaffen werden. Dies liegt vor allem an der erfolgreichen
Kooperation von Integrationsbetrieben mit Unternehmen aus der Region.

Integrationsbetriebe bieten in vielen Branchen wie in der Gastronomie (16 %), im
Garten- und Landschaftsbau (12 %), in der Industrieproduktion, im Facility Manage-
ment, im Handel (jeweils 11 %) sowie im Handwerk (10 %) ihre Dienstleistungen
an. Mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von etwa 23 Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern gehören sie zu den kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sie
bieten sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse, zahlen den Mindestlohn,
werden rechtlich dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugerechnet und beschäftigen dau-
erhaft einen Anteil von 25 bis 50 % von Menschen mit Behinderungen. Dabei han-
delt es sich überwiegend um schwerbehinderte Menschen mit einer geistigen oder
seelischen Behinderung, die eine individuelle arbeitsbegleitende Betreuung benöti-
gen, sowie Menschen mit einer schweren Sinnes-, Körper- oder Mehrfachbehinde-
rung. Aufgabe der Integrationsbetriebe ist es, diese Menschen auszubilden, zu be-
schäftigen, arbeitsbegleitend zu betreuen und/oder sie auf Arbeitsplätze in anderen

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Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes vorzubereiten. Davon profitieren vor al-
lem Beschäftigte aus Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM), die auf den all-
gemeinen Arbeitsmarkt wechseln wollen, sowie Abgänger von Sonder- oder Förder-
schulen.

Das Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), Inklusion im Arbeitsle-
ben voranzutreiben (Artikel 27), wird in den Integrationsbetrieben seit Jahren vor-
bildlich umgesetzt. Hier arbeiten Menschen mit und ohne Behinderungen gemein-
sam unter einem Dach. Darüber hinaus haben Integrationsbetriebe sowohl einen so-
zialen als auch wirtschaftlichen Auftrag: Sie wollen schwerbehinderten Menschen
die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen und müssen gleichzeitig wirtschaftlich
konkurrenzfähig bleiben.

Integrationsbetriebe werden aus Mitteln der Ausgleichsabgabe finanziell gefördert.
2013 haben die Integrationsämter für die Förderung von Integrationsbetrieben bun-
desweit rund 68 Mio. Euro aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe aufgewendet
(15,2 % der Gesamtausgaben). Die Förderung ist aufgrund der besonderen Zusam-
mensetzung in der Belegschaft erforderlich. Auf diese Weise können Integrations-
betriebe finanzielle Leistungen für Investitionskosten, wie Aufbau, Erweiterung,
Modernisierung und Ausstattung, erhalten. Wichtig ist auch die betriebswirtschaft-
liche Beratung, um mit tragfähigen Konzepten wettbewerbsfähig zu bleiben. Dane-
ben erhalten sie Leistungen für außergewöhnliche Belastungen und zur Abdeckung
ihres besonderen Aufwandes. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass
ein Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgrund ihrer Beeinträchtigung
nicht das vollständige Maß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit erbringen kann
oder der regelmäßigen Unterstützung beispielsweise von sozialpädagogisch geschul-
tem Personal bedarf.

Insgesamt ist die Entwicklung der Integrationsbetriebe eine Erfolgsgeschichte. Sie
kann modellhaft für andere Unternehmen als Vorbild dienen. Gleichzeitig können
nicht alle Anträge auf Neugründung oder Erweiterung genehmigt werden, weil die
Mittel aus der Ausgleichsabgabe nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft In-
tegrationsbetriebe (BAG IF) nicht ausreichen.

Vor dem Hintergrund der allgemein sehr positiven Entwicklung auf dem Arbeits-
markt, von der Menschen mit Behinderungen jedoch nach wie vor nicht ausreichend
profitieren, sind neue Investitionen in die Teilhabe von Menschen mit Behinderun-
gen am Arbeitsleben nötig.

Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) sind Menschen mit Behinderung deutlich stär-
ker von Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen ohne Behinderung. Nach wie vor
ist die Arbeitslosenquote von Schwerbehinderten deutlich höher als die von nicht
Schwerbehinderten. Im März 2015 waren rund 183 000 Menschen mit Behinderung
arbeitslos gemeldet. Obwohl der Anteil von Fachkräften unter ihnen etwas höher ist
als bei Arbeitslosen ohne Behinderung, haben sie meist geringere Chancen, eine Ar-
beitsstelle zu finden.

Gleichzeitig steigen die Zahlen derer, die im geförderten Beschäftigungssektor ar-
beiten bzw. in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) angestellt sind. In
den vergangenen 15 Jahren hat sich die Zahl der Werkstattplätze in Deutschland auf
derzeit 300.000 nahezu verdoppelt.

Um mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für Menschen mit Behinde-
rungen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen, müssen die Wettbewerbsfähigkeit
der Integrationsbetriebe gestärkt, die Leistungsfähigkeit der Integrationsämter ver-
bessert und eine effiziente Anschubfinanzierung gewährleistet werden.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf

1. mehr Plätze in Integrationsbetrieben zu schaffen:

Anschubfinanzierung aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe und Evaluierung
gewährleisten: In dem vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales verwal-
teten Ausgleichsfonds sind finanzielle Mittel vorhanden. Hiervon sollen für die
Jahre 2015, 2016 und 2017 jeweils rund 50 Mio. Euro zur Verfügung gestellt
werden, um Arbeitsplätze in Integrationsbetrieben auszubauen sowie diese
Maßnahmen regelmäßig zu evaluieren;

2. schwerbehinderte Menschen wie folgt zu fördern:

Den Personenkreis, der in Integrationsbetrieben Beschäftigten um die Ziel-
gruppe langzeitarbeitslose schwerbehinderte Menschen zu erweitern: Heute set-
zen sich die bis zu 50 % schwerbehinderten Beschäftigten eines Integrationsbe-
triebes im Wesentlichen aus Menschen mit einer geistigen Behinderung sowie
Werkstattbeschäftigten, die auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln wollen
(§ 132 Absatz 1 SGB IX), zusammen. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob und in
welchem Umfang Integrationsbetriebe für langzeitarbeitslose Schwerbehinderte
sowie für Langzeitarbeitslose geöffnet werden könnten, die weiterhin aus dem
Eingliederungstitel des SGB II zu finanzieren sind. Eine Verbesserung des
Übergangsmanagements von der Schule in Integrationsfirmen ist anzustreben.

Neue „Zuverdienstbeschäftigungen“ ermöglichen: Integrationsämter leisten be-
gleitende Hilfe im Arbeitsleben ab einem Beschäftigungsumfang von 15 Stun-
den wöchentlich (§ 102 Absatz 2 Satz 3 SGB IX), weil die Mittel auf Beschäf-
tigungen konzentriert werden sollen, mit denen ein spürbarer Teil des Einkom-
mens erzielt wird; für Integrationsbetriebe soll diese Schwelle auf zwölf Stunden
herabgesetzt werden, um vor allem auch Menschen mit psychischen Behinde-
rungen mit Unterstützung des Integrationsamtes an eine Beschäftigung heran-
zuführen;

3. die Wettbewerbsfähigkeit der Integrationsbetriebe wie folgt zu stärken:

Integrationsbetriebe bei der Vergabe öffentlicher Aufträge besonders berück-
sichtigen: Die bevorzugte Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand ist
heute auf Werkstätten für behinderte Menschen beschränkt (§ 141 SGB IX). Das
Europäische Vergaberecht ermöglicht es jedoch, nicht nur Einrichtungen zu be-
vorzugen, sondern auch Wirtschaftsunternehmen, deren Hauptzweck die soziale
und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen ist; Voraussetzung
ist, dass der Anteil der behinderten Menschen an der Belegschaft des Unterneh-
mens mindestens 30 % beträgt. Diese Voraussetzungen erfüllen die Integrati-
onsbetriebe in der Regel, da für die Erlangung des Gemeinnützigkeitsstatus
(§ 68 der Abgabenordnung) 40 % erforderlich sind.

Integrationsbetriebe in Inklusionsbetriebe umbenennen: Seit der Ratifizierung
der UN-BRK vor sechs Jahren soll sich der Paradigmenwechsel von der Integra-
tion hin zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen auch in den Begriffen
widerspiegeln. Daher ist eine Umbenennung in Inklusionsbetriebe und damit
eine entsprechende Änderung in § 132 SGB IX folgerichtig.

Gesundheitsförderung ausbauen: Schwerbehinderte Menschen sind neben den
beruflichen auch weiteren, zusätzlichen Belastungen aufgrund ihrer Beeinträch-
tigung ausgesetzt. Sie haben damit ein höheres Risiko, krank oder arbeitsunfähig
zu werden. Integrationsbetriebe sind mit dieser Herausforderung besonders kon-
frontiert, weil sie überdurchschnittlich viele schwerbehinderte Menschen be-
schäftigen. Es ist zu prüfen, wie Anreize geschaffen werden können, um mo-
dellhaft die betriebliche Gesundheitsförderung auszubauen.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

Drucksache 18/5377 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Weiterbildung verbessern: Integrationsbetriebe sind auch ein Sprungbrett in an-
dere Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes (§ 133 SGB IX), regelmäßige
Weiterbildung ist dafür eine zentrale Voraussetzung. Es ist zu prüfen, wie An-
reize geschaffen werden können, um modellhaft Weiterbildungsangebote aus-
zubauen.

Berlin, den 1. Juli 2015

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Thomas Oppermann und Fraktion

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