BT-Drucksache 18/5376

Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung

Vom 30. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5376
18. Wahlperiode 30.06.2015

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Dr. Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter Beyer,
Hubert Hüppe, Thomas Bareiß, Maik Beermann, Veronika Bellmann, Peter
Bleser, Heike Brehmer, Gitta Connemann, Hermann Färber, Dr. Thomas Feist,
Josef Göppel, Dr. Stephan Harbarth, Frank Heinrich (Chemnitz), Christian Hirte,
Thorsten Hoffmann (Dortmund), Alexander Hoffmann, Bettina Hornhues,
Dr. Egon Jüttner, Kordula Kovac, Philipp Graf Lerchenfeld, Andrea Lindholz,
Matern von Marschall, Marlene Mortler, Wilfried Oellers, Eckhardt Rehberg,
Josef Rief, Johannes Röring, Uwe Schummer, Johannes Selle, Matthäus Strebl,
Dr. Volker Ullrich, Nina Warken, Marian Wendt

Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung

A. Problem
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, mittels eines neuen § 217 des Strafge-
setzbuchs (StGB) Anstiftung und Beihilfe an einer Selbsttötung zu verbieten. Die
bisherigen Regelungen zur sog. passiven Sterbehilfe, also etwa zum Abstellen le-
benserhaltender Maßnahmen, werden durch den neuen Paragraphen nicht verbo-
ten. Die Beendigung einer Behandlung, die medizinisch nicht mehr angezeigt
oder vom Patienten nicht mehr gewünscht ist, bleibt strafrechtlich erlaubt und zi-
vilrechtlich zulässig (vgl. § 223 in Verbindung mit § 228 StGB, ebenso § 1901a
Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB). Die guten Erfolge der Palliativ-
medizin sollen vielmehr gefördert und nicht behindert werden.
Mit dem neuen § 217 StGB sollen Anstiftung und Beihilfe zum Suizid unter Strafe
gestellt und damit verboten werden. Es ist strafrechtlich anerkannt, dass eine An-
stiftungs- oder Beihilfehandlung, auch ohne dass die Haupttat bestraft wird, selbst
strafbar sein kann. Dabei soll es, im Gegensatz zu den anderen Entwürfen, beim
vorliegenden Entwurf keine Ausnahmen für bestimmte Gruppen geben. Der An-
trag geht davon aus, dass sich solche Ausnahmen in einem Gesetz kaum regeln
lassen. Weder Ausnahmen für Berufsgruppen noch Aufzählungen von Krankhei-
ten, bei denen der assistierte Suizid zulässig sein soll, werden der Einzigartigkeit
von Krankheitsbildern gerecht.
In extremen Einzelsituationen, bei denen z. B. keine Schmerztherapie hilft und
großes Leiden besteht, bietet das Strafrecht auch heute schon Möglichkeiten,
mangels Schuld ganz von Strafe abzusehen. Dies erwähnt der vorliegende Ent-
wurf extra noch einmal.
Die Höchststrafe „bis zu fünf Jahren“ wird nur in schlimmen Ausnahmefällen in
Betracht kommen.

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Bei dem sensiblen Thema „Sterbehilfe“ ist die Bedeutung der Begrifflichkeiten
oft unklar, so dass die sog. „passive“ und „aktive“ Sterbehilfe häufig verwechselt
werden. Ein klares Verständnis der Begriffe ist aber gerade aufgrund der Sensibi-
lität des Themas wichtig.
Bei der aktiven Sterbehilfe wird dem Patienten ein unmittelbar tödlich wirkendes
Mittel, z. B. Pentobarbital verabreicht. Der Patient nimmt dieses nicht selber zu
sich, sondern es wird ihm gegeben. Damit wird bewusst und vorsätzlich ein neuer
Kausalverlauf in Gang gesetzt, der unmittelbar und kurzfristig zum Tode führen
soll. Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland gemäß § 216 StGB unter Strafe
verboten.
Beim assistierten Suizid wird dem Patienten das tödliche Mittel zur Selbstein-
nahme zur Verfügung gestellt, weil er es sich nicht selber verschaffen kann oder
will. Er führt es sich aber selber zu. Der Gehilfe billigt damit aber nicht nur die
Wertentscheidung des Suizidenten, sondern er strebt selbst den Tötungserfolg
durch notwendiges Handeln an. In anderen europäischen Ländern ist die Suizidas-
sistenz verboten. So ist beispielsweise in Österreich, Italien, Finnland, Spanien,
Polen und England sowohl der assistierte Suizid wie jede andere organisierte und
gewerbliche oder private Mitwirkung am Suizid untersagt. In Deutschland ist dies
bisher nicht der Fall, obwohl aus Befragungen hervorgeht, dass 93 Prozent der
Bürger der Überzeugung sind, Suizidbeihilfe sei strafbar.
Unter der passiven Sterbehilfe versteht man hingegen den Verzicht auf lebensver-
längernde Maßnahmen bzw. deren Beendigung. Dies kann zum Beispiel gesche-
hen, weil der Patient anhand einer Patientenverfügung derartige Maßnahmen ab-
lehnt. Im Unterschied zur aktiven Sterbehilfe wird hier also kein Kausalverlauf in
Gang gesetzt. Man lässt vielmehr den natürlichen Sterbeprozess geschehen.
Die passive Sterbehilfe bleibt von dem Gesetz unberührt und wird nicht angetas-
tet. Gerade die gute Arbeit in Hospizen soll hier gefördert werden.

B. Lösung
Der Gesetzentwurf will neben der aktiven Sterbehilfe außerdem die assistierte Su-
izidbeihilfe verbieten, alle anderen Formen des Begleitens in den Tod aber stär-
ken. Der vorliegende Gesetzentwurf will damit eine Begleitung bis in den Tod
fördern und nicht die Beförderung in den Tod. Der Gesetzentwurf möchte an dem
festhalten, was der Grundsatz der Unantastbarkeit der Würde des Menschen ge-
bietet und trifft damit eine klare Wertentscheidung: Grundsätzlich ist Suizidassis-
tenz verboten und nur in extremen Ausnahmefällen ist sie entschuldet.
Dies entspricht der bisher gelebten Rechtsüberzeugung und ärztlichen Praxis.
Diejenigen Gesetzentwürfe, die eine Freigabe der Suizidassistenz wollen, werden
letztlich Ärzten die Entscheidung aufbürden, wer ein Sterbemittel bekommt und
wer nicht. Im Ergebnis wollen Angehörige und besonders der Selbstmörder einen
schnellen und schmerzfreien Tod. Diesen werden sie von einem Arzt wünschen.
Palliativärzte belegen aber, dass durch eine gute Betreuung der immer wieder auf-
kommende Sterbewunsch sich regelmäßig in einen Lebenswunsch verkehrt. Oft
will der Mensch in der letzten Lebensphase „nicht mehr so leben“ – leben will er
aber doch. Der assistierte Suizid ist daher keine Sterbebegleitung, sondern das
Beenden des Lebens in Fällen, in denen der Tod noch nicht von alleine kommt.
Dies wollen wir nicht.

C. Alternativen
Keine.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5376

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Keine.

E. Erfüllungsaufwand
Keiner.

F. Kosten
Keine.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/5376

Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Strafgesetzbuchs

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das
zuletzt durch … geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 217 wie folgt gefasst:

„§ 217 Teilnahme an einer Selbsttötung“.
2. § 217 wird wie folgt gefasst:

㤠217
Teilnahme an einer Selbsttötung

(1) Wer einen anderen dazu anstiftet, sich selbst zu töten oder ihm dazu Hilfe leistet, wird mit Frei-
heitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 30. Juni 2015

Dr. Patrick Sensburg
Thomas Dörflinger
Peter Beyer
Hubert Hüppe
Thomas Bareiß
Maik Beermann
Veronika Bellmann
Peter Bleser
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Josef Göppel
Dr. Stephan Harbarth
Frank Heinrich (Chemnitz)
Christian Hirte
Thorsten Hoffmann (Dortmund)
Alexander Hoffmann

Bettina Hornhues
Dr. Egon Jüttner
Kordula Kovac
Philipp Graf Lerchenfeld
Andrea Lindholz
Matern von Marschall
Marlene Mortler
Wilfried Oellers
Eckhardt Rehberg
Josef Rief
Johannes Röring
Uwe Schummer
Johannes Selle
Matthäus Strebl
Dr. Volker Ullrich
Nina Warken
Marian Wendt

Drucksache 18/5376 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeiner Teil

1.
Hinter dem Begriff der Beihilfe zur Selbsttötung verbirgt sich ein gesellschaftsweit wachsendes Unwerturteil
hinsichtlich bestimmter Formen menschlichen Lebens. Unter Beihilfe zur Selbsttötung wird dabei eine Hilfeleis-
tung zur Selbsttötung, auch durch einen nahen Angehörigen oder den Arzt verstanden. Der Gehilfe einer Selbst-
tötung billigt dabei nicht nur die Wertentscheidung des Suizidenten, sondern er strebt selbst den Tötungserfolg
an. Dabei urteilt er aus der Lebenssituation des Gesunden und nicht des Kranken, dessen Äußerung sterben zu
wollen allzu oft nur ein Hilferuf ist. Dabei vergisst der Gehilfe, dass der Leidende ein Ende der Leiden will, nicht
aber ein Ende des Lebens. Es darf aber nicht zugelassen werden, dass das Leben eines Kranken, Schwachen, Alten
oder Behinderten als lebensunwert angesehen wird – von ihm selbst oder von Dritten.

Schon eine Ausnahmeregelung für den durch Angehörige und Ärzte assistierten Suizid würde für das Lebensende
einen völlig neuartigen Erwartungs- und Entscheidungshorizont eröffnen. Wenn lebenserhaltende Therapie und
Tod als gleichwertige Alternativen gesehen werden, wird der Patient, der sich für die Lebenserhaltung entscheidet,
den Angehörigen und der Gesellschaft gegenüber dafür begründungspflichtig. Mit seiner Entscheidung verursacht
er in der Folge nämlich weitere Kosten für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und belastet seine Familie.
Das Leben wird nur noch eine von zwei möglichen Alternativen, zwischen denen er entscheiden soll. Dieser
Erwartungs- und Entscheidungshorizont eröffnet sich für den Betroffenen in einer gesundheitlichen Lage, in der
er schwach und an der Grenze seiner Entscheidungsfähigkeit angelangt ist.

Bei der aktuellen Debatte um die Zulassung der Beihilfe zur Selbsttötung geht es nicht darum, die Beendigung
einer medizinisch nicht mehr angezeigten oder vom Patienten nicht mehr gewünschten Therapie zu verbieten. Die
Beendigung einer solchen Behandlung ist straf- und zivilrechtlich bereits zulässig (vgl. § 223 in Verbindung mit
§ 228 StGB, ebenso § 1901a Absatz 3 BGB). Hieran will dieser Gesetzentwurf nichts ändern.

Anders als bei der Beihilfe zu anderen Delikten wird die Suizidbeihilfe bezeichnenderweise sogar meist als Bei-
trag gedacht, ohne den der Täter den Taterfolg selbst nicht erreichen könnte, was ihn erst der Hilfe bedürftig
macht. Dann aber wäre der Gehilfe in Wirklichkeit Täter, weil der Suizident letztlich nur noch Vollender der
vorbereitenden Handlung(en) des Gehilfen ist, und dies unter fremdem oder selbst auferlegtem (Handlungs-)
Druck.

Das laufende Gesetzgebungsverfahren muss sich vor allem damit auseinandersetzen, ob der Gehilfe nicht die
eigentliche Tatherrschaft über das Geschehen hat. Letztlich, ob es möglich sein darf, dass ein anderer über die
Wertigkeit des Lebens eines Kranken entscheidet. Schon die Diskussion verletzt schwache, behinderte, kranke
und alte Menschen und steigert ihr Empfinden, anderen zur Last zu sein, in entmutigender Weise. Von den Be-
fürwortern einer Straflosigkeit bestimmter Fälle der Beihilfe zur Selbsttötung wird ein gesellschaftlicher Konsens
über lebensunwertes Leben angestrebt. Dies ist gefährlich, weil die Zustimmung des Betroffenen tatsächlich eine
geringe Hürde ist. Steht das Unwerturteil erst einmal fest, wird es auf den eigenen Willen des Betroffenen schon
bald nur noch wenig ankommen. An die Stelle des Willens tritt zunächst der mutmaßliche Wille und schließlich
das Sollen.
Besonders deutlich erweist sich dieser Zusammenhang an der Tatsache, dass die Befürworter der Suizidbeihilfe
behaupten, nur die „Autonomie“ schwer Leidender, Sterbender „schützen“ zu wollen. Die Frage, wann die Sui-
zidbeihilfe zulässig sein soll, wird durch Gesetz kaum regelbar sein, so dass im Ergebnis eine völlige Öffnung
stattfinden würde.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/5376
2.
Der Suizid ist in Deutschland bisher zwar nicht mit Strafe bedroht, ebenso wenig die Beihilfe zum Selbstmord.
Auch wenn das Ergebnis einer nicht veröffentlichten Umfrage von Infratest Dimap aus dem Jahr 2011 ergab, das
93 Prozent der Befragten davon ausgehen, dass Beihilfe zum Suizid strafbar ist. Der Strafverzicht hat nicht zuletzt
pragmatische Gründe, denn im Falle eines gelungenen Suizids lebt der Täter nicht mehr, während im Fall eines
womöglich schwer verletzt überlebenden Suizidenten eine Bestrafung nicht angemessen erscheint. Selbst beim
zum Äußersten entschlossenen, aber gänzlich erfolglosen Täter des Versuchs wird eine Strafandrohung als unge-
eignet angesehen. Der den Selbstmordversuch Überlebende ist ausreichend durch die Folgen seiner Tat und das
Leid, das ihn zum Selbstmordversuch trieb, gestraft. Eine staatliche Strafe wäre hier verfehlt; hier ist vielmehr
Hilfe angezeigt. Anders ist dies natürlich beim Anstifter und Gehilfen.

3.
Dass die Rechtsordnung eine Selbsttötung nicht als Entfaltung rechtlich geschützter Autonomie einstuft, zeigt
aber schon § 216 StGB, in dem die Tötung auf Verlangen unter Strafe gestellt ist. Die Bestimmung setzt der
vielfach fälschlich als „Autonomie“ bezeichneten Willkür des Einzelnen Grenzen, indem sie dem Dritten, dessen
Tat sich gegen fremdes Leben richten würde, untersagt, sich dem Wunsch des zu Tötenden unterzuordnen. Auch
Art. 1 Abs. 1 GG, der die Würde des Menschen als unantastbar bezeichnet, fordert den Gesetzgeber dazu auf, den
Bereich geschützter Autonomie als begrenzt anzusehen. Ein auf lebenslange „Versklavung“ gerichteter Vertrag
würde von der Rechtsordnung nicht als einforderbar angesehen. Gleiches gilt für die Einigung über eine Beihilfe
zur Selbsttötung.
Dahinter mag bei § 216 StGB auch die Überlegung stehen, dass der Töter auf Verlangen durch die Tötungshand-
lung der Autonomie des zu Tötenden gerade nicht dient, weil er sie endgültig und unwiederbringlich beendet.
Diese Überlegung weist auf einen Widerspruch zwischen Selbsttötung und Autonomie hin, der die Vorstellung
von einer autonomen Entscheidung in diesem Zusammenhang generell fragwürdig erscheinen lässt.
Das Verbot der Tötung auf Verlangen findet schließlich eine pragmatische Begründung in der Überlegung, dass
die Behauptung des Täters, auf Verlangen gehandelt zu haben, im Nachhinein zu schwer lösbaren Beweisfragen
führt, wodurch der Schutz des Lebens des Getöteten beschädigt wird. Diese Problematik besteht in gleicher Weise
im Fall der Berufung darin, nur Beihilfe geleistet zu haben. Diese Aussage ist gerichtlicherseits kaum überprüfbar.
Würde man dem Täter zugestehen, dass er sich darauf zurückziehen kann nur „geholfen“ zu haben, würde man
einen tatsächlich rechtlich nicht mehr überprüfbaren Raum schaffen.

4.
Ein Suizid löst beim Umfeld des Suizidenten regelmäßig Bestürzung und Fassungslosigkeit aus. Bei Angehörigen,
Freunden, Arbeitskollegen, Mitschülern und sogar bei Fernstehenden entstehen oft dauernde Schuldgefühle dar-
über, die Gefährdung des Betroffenen nicht erkannt und seinen Tod nicht verhindert zu haben. Der Suizid wird
als eigenes Versagen aufgefasst. Für die Familien verbinden sich mit dem Suizid eines Familienmitglieds oft
schwere gesundheitliche, gesellschaftliche aber auch finanzielle Folgen. Ein Suizid ermutigt leider auch zur Nach-
ahmung (Werther Effekt). Der Suizid bringt für Freunde und Angehörige zum Teil schwere Folgen mit sich. Der
Suizid ist nicht das normale Lebensende. Er wird stets als ein Geschehen außerhalb der Norm begriffen, weil er
Elemente einer der individuellen Verantwortung nicht gerecht werdenden Tat enthält.

5.
Die Beihilfe zur Selbsttötung ist – wie dargestellt – entgegen dem gesellschaftlichen Rechtsempfinden bisher
nicht strafbar. Da der Suizid zu Recht nicht strafbar ist, ist die Beihilfe bisher nicht geregelt. Dabei blieb bisher
unberücksichtigt, dass anders als bei allen anderen Straftaten der Gehilfe des Suizidenten sich nicht gegen das-
selbe Rechtsgut „eigenes Leben“ wendet, sondern gegen ein anderes Rechtsgut, nämlich „fremdes Leben“. U. a.
in folgenden europäischen Staaten ist deshalb die Mitwirkung Dritter am Suizid strafbewehrt verboten: Österreich,
Italien, England und Wales, Irland, Portugal, Spanien und Polen. In Deutschland wird die Beihilfe zur Selbsttö-
tung bisher von der überwältigenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für verboten gehalten, so dass der
Gesetzgeber nicht tätig werden müsste. Wenn die Beihilfe nun ausdrücklich erlaubt würde, würde das das Rechts-
empfinden aller ins Gegenteil verkehren.

Drucksache 18/5376 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
6.
Der Suizid ist in den allermeisten Fällen Ausdruck der momentanen tiefen Verzweiflung eines Menschen. Die
aktuelle Lebenssituation führt zu einer Handlung, durch die jede zukünftige Handlungsfreiheit irreversibel zerstört
wird. Dadurch wird das in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit
geradezu konterkariert, denn eine zukünftige Entfaltung der betroffenen Person wird durch den Suizid definitiv
unmöglich gemacht. Wer hieran als Dritter mitwirkt, verletzt somit das genannte Grundrecht unumkehrbar.
Beihilfe zur Selbsttötung verbietet sich, weil der leidende Mensch Solidarität und Ermutigung verdient und bean-
spruchen kann. Ein geäußerter Todeswunsch ist vor allem Zeichen der Entmutigung und damit zugleich Auffor-
derung zur Ermutigung. Die Zustimmung zum geäußerten mangelnden Lebenswillen und Unterstützung des To-
deswunsches stößt den Betreffenden dagegen in den Abgrund, lässt ihn fallen. Das ist das Gegenteil von Solida-
rität.

7.
Die Situation der Begleitung eines Sterbenden ist in sich problematisch. Das Ziel, Rechtssicherheit für Teilnehmer
an einer Suizidhandlung zu schaffen, verkehrt den Sinn des Rechts als Schutz des Schwachen ins Gegenteil. Wenn
die Mitwirkung am Suizid eines Dritten für Teilnehmer risikolos gesetzlich geregelt ist, steigt die Lebensbedro-
hung für alle schwachen Menschen signifikant an.

8.
Natürlich müssen wir Sorge dafür tragen, dass Menschen nicht unnötig leiden müssen. Denn darum geht es im
Kern. Menschen, die sich mit dem Gedanken an Suizid tragen, wollen ihr Leid nicht länger ertragen oder meinen,
es schlicht nicht länger ertragen zu können. Eigentlich wollen diese Menschen also diesem Leid ein Ende bereiten
und nicht ihrem Leben. Mit den Forstschritten in der heutigen Medizin muss aber niemand mehr an unerträglichen
Schmerzen leiden. Eine umfassende palliative Versorgung ermöglicht ein schmerzfreies Leben bis zu dessen na-
türlichem Ende.

Hier müssen wir aber noch weitere Verbesserungen erreichen. Zwingend notwendig ist, dass wir für einen besse-
ren Ausbau der Palliativmedizin sorgen. Auch die Hospize in Deutschland bedürfen noch des Ausbaus und der
Verbesserung. Weitere Maßnahmen müssen sich an dem seit dem 14. November 2014 im Gesundheitsministerium
vorgelegten Eckpunktepapier „Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland“ orientieren.

9.
Aus der ursprünglichen Absicht, ein Verbot der organisierten Hilfe zum Suizid gesetzlich zu regeln, ist im Lauf
des Jahres 2014 das Vorhaben einer gesetzlich geregelten Organisation der Beihilfe zur Selbsttötung geworden.
Es geht nicht mehr um die Einschränkung, sondern um die straffreie Ermöglichung dieser Tat, insbesondere für
Angehörige und Ärzte. Dem tritt der vorliegende Gesetzentwurf entgegen.

10.
Im deutschen Strafrecht ist die Mitwirkung am Suizid bislang nicht geregelt, während die entsprechenden stan-
desrechtlichen Vorschriften, die jeweils in § 16 der ärztlichen Berufsordnungen der 17 Landesärztekammern ge-
regelt sind, nicht einheitlich sind. Einige Landesärztekammern, z. B. Bayern und Baden-Württemberg, erwähnen
das von der Bundesärztekammer 2011 geforderte Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung ausdrücklich nicht und dies
unter Verweis auf das Strafrecht. Somit hat sich in diesem Bereich eine nicht akzeptable Regelungslücke entwi-
ckelt, indem Strafrechtler auf das ärztliche Standesrecht und ärztliche Standesvertreter auf das Strafrecht verwei-
sen. Da auch für Ärzte in letzter Instanz nur das allgemeine Strafrecht gilt, muss folglich die Suizidmitwirkung
im Strafrecht und nicht im Standesrecht abschließend geregelt werden.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/5376
11.
Eine mit Ausnahmen für Angehörige und Ärzte ausgestattete gesetzliche Regelung der Mitwirkung am Suizid
würde eine Gefahr für das Leben schwer kranker und suizidgefährdeter Menschen darstellen. Die suggestive An-
stiftung zur Annahme von Suizidbeihilfe fiele in diesen Fällen leichter als bei Gesunden. Deshalb darf der rechts-
widrige und strafbare Tatbestand nicht erst bei der Beihilfe zur Ausführung der Selbsttötung ansetzen. Er beginnt
bereits beim Versuch der Anstiftung, der darauf abzielt, den Entschluss zur Selbsttötung zu wecken oder zu ver-
stärken.

12.
Die ausnahmsweise erlaubte Mitwirkung am Suizid durch Ärzte würde zudem zwangsläufig zu Änderungen in
der Approbationsordnung sowie in den ärztlichen Ausbildungsordnungen führen. Vor allem aber würde dies zu
einer Änderung der Vorstellung über den Arztberuf als solchem führen. Der Arzt übt seinen Beruf aus, um zu
helfen. Bei der Approbation legt der Arzt das Genfer Ärztegelöbnis ab. Hier heißt es unter anderem: „Die Ge-
sundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns seins.“ Wenn der Arzt nun den assistierten Suizid
durchführen soll, so ist die Gesundheit seines Patienten eben gerade nicht mehr oberstes Gebot seines Handelns.
Außerdem wird die Beihilfe zum Suizid vollständig auf die Ärzte abgewälzt werden. Die Angehörigen und
Freunde werden sicher nicht selbst in der Apotheke das Gift kaufen, sondern den Arzt auffordern, dem Suizidenten
zu „helfen“.
Dies umso mehr, wenn das bisher in der Regel zur Selbsttötung verwendete Gift Natriumpentobarbital zur Ver-
wendung am Menschen freigegeben würde. Natriumpentobarbital darf nach § 13 BtMG lediglich in der Veteri-
närmedizin zum Einschläfern von Tieren verordnet werden. Wenn man die ärztliche Beihilfe zum Suizid erlauben
würde, würde man auch im Betäubungsmittelrecht insofern Änderungen vornehmen müssen. Damit würde man
im wörtlichen Sinn den Giftschrank öffnen, und das im bevölkerungsreichsten Land Europas, das zugleich über
die höchste Zahl an Ärzten verfügt. Der oft beklagte „Sterbehilfe-Tourismus“ würde dann Deutschland als Ziel
wählen.

13.
Der vorgesehene Strafrahmen ist angemessen. Neben dem vorrangigen Motiv des Schutzes des Lebens folgt das
Gesetzgebungsverfahren über die Beihilfe zur Selbsttötung dem Beweggrund, extreme Leidenssituationen und
eine sich in diesem Zusammenhang ergebende möglicherweise geringe Schuld des Gehilfen adäquat zu berück-
sichtigen. Es kann die Besorgnis auftreten, dass eine Bestrafung des Gehilfen in Einzelfällen unangemessen wäre,
wenn er mit geringer Schuld oder ohne Schuld gehandelt hat.
Diese Problematik hat der Gesetzgeber im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs bereits berücksichtigt. In den
Bestimmungen über die Grundlagen der Strafbarkeit (§§ 13 ff. StGB) und in weiteren Bestimmungen, wie etwa
den §§ 46 und 60 StGB, gibt das Strafgesetzbuch vor, dass eine Bestrafung nur schuldangemessen erfolgen darf.
Darüber hinaus ergeben sich aus der Strafprozessordnung eine ganze Reihe von Verfahrenseinstellungsmöglich-
keiten in Hinblick auf eine geringe Schuld (§§ 153 ff. StPO). Die Rechtspraxis wendet diese Bestimmungen ganz
allgemein in befriedigender und im Ergebnis deutlich strafrechtsbegrenzender Weise an.
Die beantragte Regelung führt vor diesem Hintergrund auch in den angesprochenen Einzelfällen nicht zu unan-
gemessenen Bestrafungs- oder Strafverfahrensfolgen. Es ist angestrebt und notwendig, die Prüfung der Schuld
der Einzelfallprüfung im Nachhinein zu überlassen.
Eine im Tatbestand selbst beschriebene Privilegierung bestimmter Täterkreise oder Tatsituationen ist mit dem
gebotenen Lebensschutz nicht vereinbar. Die dahinter stehende Fokussierung wird der Realität nicht gerecht, da
ihr das notwendige Maß an Abstraktion fehlt. Sie führt zur Verengung des Blicks auf eine vorgestellte Situation
und ist der Systematik des Strafgesetzbuchs fremd, das im Bereich der Bestimmungen, die das Leben, die körper-
liche Unversehrtheit und sogar das Eigentum und Vermögen betreffen, derartige Regelungen im Tatbestand nicht
kennt.
Die Vermeidung von Einzelfallfokussierungen kommt der Gesetzesqualität unmittelbar zugute. Sie weist die Fra-
gen der Gesetzesanwendung entsprechend dem Grundsatz der Gewaltenteilung der Judikative zu.

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