BT-Drucksache 18/5319

Zur aktuellen Lage in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien

Vom 22. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5319
18. Wahlperiode 22.06.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth,
Heike Hänsel, Andrej Hunko, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu und
der Fraktion DIE LINKE.

Zur aktuellen Lage in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien

Am 22. März 2004 stellte die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien
(EJRM) einen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union (EU), woraufhin ihr
der Europäische Rat vom 15. bzw. 16. Dezember 2005 unter „Anerkennung
der Fortschritte bei der Umsetzung des Ohrid-Abkommens und des Stabili-
sierungs- und Assoziierungsabkommens“ den Status eines EU-Beitrittskandida-
ten verlieh (www.auswaertiges-amt.de/DE/Europa/Erweiterung/Erweiterung_
Mazedonien_node.html). Zwar hatte die EJRM bereits im Jahr 2009 die Bedin-
gungen für den Beginn von Beitrittsverhandlungen erfüllt, allerdings blockiert
das EU-Mitglied Griechenland den Beginn der Verhandlungen, um zu verhin-
dern, dass der Name seiner Nordregion Makedonien zur international aner-
kannten Bezeichnung des Nachbarstaates wird. Griechenland befürchtet künf-
tige Gebietsforderungen und wehrt sich gegen die Vereinnahmung seines his-
torischen Erbes durch den nördlichen Nachbarn. Mit derselben Begründung
wird auch der NATO-Beitritt der EJRM durch Griechenland verhindert
(www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54789/
mazedonien).
Bei den vergangenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der EJRM im
April 2014, konnte die rechtskonservative Partei von Premierminister Nikola
Gruevski, die „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation – Bewegung
für Nationale Einheit Makedoniens“ (VMRO-DPMNE) ihr Wahlergebnis im
Vergleich zu den vorherigen Wahlen im Jahr 2011 um 4 Prozent von 39 Prozent
auf 43 Prozent verbessern und verfehlte mit 61 von 123 Sitzen die absolute
Mehrheit nur knapp. Der Kandidat der Regierungspartei für das Präsidenten-
amt, Gjorge Ivanov, wurde bei den gleichzeitig stattfindenden Präsidentschafts-
wahlen mit 57 Prozent der Stimmen ebenfalls bestätigt. Dagegen musste die
„Sozialdemokratische Union“ (SDSM) mit 25 von einst 34 Prozent erhebliche
Stimmeinbußen hinnehmen. Ihr Kandidat für das Präsidentenamt erhielt ledig-
lich 39 Prozent der Stimmen. Der Koalitionspartner der VMRO-DPMNE, die
Partei DUI der albanischen Minderheit, erhielt 14 Prozent und damit 19 Sitze
im mazedonischen Parlament (www.sueddeutsche.de/politik/mazedonien-
opposition-erkennt-wahlergebnis-nicht-an-1.1945441). Die SDSM verweigert
seit fast einem Jahr die Parlamentsarbeit und wirft der Regierungspartei VMRO-
DPMNE Wahlbetrug vor. Die Organisation für Sicherheit und Zusammen-
arbeit in Europa (OSZE) machte bei den vorgezogenen Wahlen am 13. und
27. April 2014 zwar Mängel, wie die unklare Länge der offiziellen Wahlkampf-
phase sowie die nicht erfolgte Trennung von Amts- und Wahlkampfpolitik, aus,
erklärte aber insgesamt die Wahlen als „effektiv durchgeführt“ und lobte die An-

Drucksache 18/5319 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
passung des Wahlrechts an die Empfehlungen der OSZE (www.osce.org/odihr/
elections/fyrom/121306?download=true).
Immer wieder gab es unterschiedlich motivierte Proteste, so von Teilen der
albanischen Minderheit als auch von Studierenden. Über 12 000 Studierende
demonstrierten im Dezember 2014 gegen die Hochschulpolitik der Regierung
Nikola Gruevski (www.balkaninsight.com/en/article/mass-student-protest-
clogs-skopje). Im Frühjahr 2015 besetzten Studierende Fakultäten der Univer-
sität Skopje (www.turkishweekly.net/news/180067/macedonia-protesting-
students-occupy-faculties.html).
Im September 2014 verkündete Nevzat Halili, der frühere Parteichef der
Albanischen Partei für eine Demokratische Aktion in Mazedonien, in Skopje
eine „Republik Ilirida“ der albanischen Minderheit (www.b92.net/eng/news/
region.php?yyyy=2014&mm=09&dd=19&nav_id=91668). Im November 2014
startete eine selbsterklärte „Garde der Republik Ilirida“ mit Patrouillen in den
mehrheitlich albanisch besiedelten Gebieten in der EJRM. Die „Garde der
Republik Ilirida“ strebt an, in allen Gebieten der EJRM von Struga im Süden
bis Kumanovo im Norden Präsenz zeigen zu wollen (www.inserbia.info/
today/2014/11/albanian-guard-of-the-republic-of-ilirida-starts-patrols-in-
macedonia/).
Im EU-Fortschrittsbericht vom 8. Oktober 2014 kritisierte die Europäische
Kommission, dass sich die Regierung der EJRM (wie die Mehrheit der Nicht-
EU- und Nicht-NATO-Staaten auf dem Balkan) nicht an den von den EU-
und NATO-Staaten verhängten Sanktionen gegen die Russische Föderation im
Zuge der Ukraine-Krise beteiligt hat (www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/
contentblob/661176/publicationFile/203101/131016_EJRMazedonien_EU-
Fortschrittsbericht.pdf). Nikola Gruevski hat sich Russland in den vergangenen
Monaten angenähert, lehnt nicht nur die internationalen Sanktionen wegen der
Krim-Krise ab und hofft darauf, dass das Pipeline-Projekt „Turkish Stream“
durch Mazedonien führen wird. Im Juni 2014 hatte das wichtige Transitland
Bulgarien auf Druck der Europäischen Kommission die Arbeiten an der Pipeline
„South Stream“ gestoppt, im Dezember 2014 erklärte Russland das Projekt dann
für gescheitert (www.zeit.de/politik/ausland/2014-12/south-stream-russland-
eu-tuerkei-folgen). „Turkish Stream“ soll eine alternative Route für russisches
Gas an der Krisenregion Ukraine vorbei ermöglichen. Nach Griechenland und
Ungarn könnte die Pipeline durch Serbien und die EJRM führen.
Im Jahr 2001 überfielen Mitglieder der kosovo-albanischen Gruppe UÇK die
Nordregionen der EJRM („Ilirida“) und nahmen die nordmazedonische Stadt
Aračinovo ein. Führende EU – und NATO-Politiker – wie der NATO-General-
sekretär George Robertson – ergriffen dann infolge der bewaffneten Ausein-
andersetzung mit Regierungseinheiten der EJRM gegen die Regierung Partei
(www.news.bbc.co.uk/2/hi/europe/1401919.stm). US-amerikanische Militär-
busse eskortierten die Bewaffneten der UÇK gemeinsam mit 17 Militärberatern
der US-Firma „Military Professional Resources Inc.“ in die durch NATO-Ein-
heiten besetzte serbische Provinz Kosovo (Mark Curtis: Secret Affairs: Britain’s
Collusion with Radical Islam, London 2010, S. 384). Unter denen vom US-Mi-
litär Evakuierten befand sich auch Samedin Xhesairi (Kampfname „Hoxha“),
der zu dieser Zeit als BND-Agent arbeitete (www.jungle-world.com/artikel/
2004/49/14175.html).

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5319
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass bis Ende April 2016 vorge-

zogene Neuwahlen in der EJRM stattfinden sollen – worauf sich Regierungs-
chef Nikola Gruevski und Oppositionschef Zoran Zaev geeinigt hätten –
(www.orf.at/stories/2281884/), und inwieweit hat die Bundesregierung ge-
genüber der Regierung der EJRM entsprechend ebenfalls auf vorgezogene
Neuwahlen gedrängt bzw. diese befürwortet?

2. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass der albanische Premier-
minister Edi Rama im Mai 2015 ankündigte, einen möglichen NATO-Beitritt
der EJRM zu blockieren, wenn das Abkommen von Ohrid aus dem Jahre
2001 nicht vollständig umgesetzt würde (www.english.albeu.com/news/
news/ohrid-agreement-albania-will-blocks-macedonias-nato-membership/
199600/)?

3. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass sich die EJRM mit der
autonomen serbischen Provinz Kosovo zuletzt in einem Handelskonflikt
befand (www.euractiv.com/enlargement/trade-war-kosovo-macedonia-polit-
news-530360), und inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, wie
der Handelskonflikt gelöst wurde?

4. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, ob der jetzige mazedonische Re-
gierungschef Nikola Gruevski die Pipeline „Turkish Stream“ im Gegensatz
zum Oppositionschef Zoran Zaev unterstützt, so dass ein Regimewechsel für
Russland schlecht, aber möglicherweise im Interesse jener wäre, die gegen
die Pipeline „Turkish Stream“ sind (www.derstandard.at/2000015820857/
Russlands-Plan-B-Gaslieferungen-ueber-Mazedonien)?

5. Inwieweit sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen dem
Treffen der Außenminister von Griechenland, Mazedonien, Serbien und
Ungarn am 7. April 2015 in Budapest, um die Pipeline „Turkish Stream“ zu
besprechen, und den einen Monat später begonnen Anti-Regierungsdemons-
trationen in Skopje?

6. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die angebliche Teilnahme
von US- und EU-Diplomaten an den Anti-Regierungsdemonstrationen in
der mazedonischen Hauptstadt Skopje (www.de.sputniknews.com/politik/
20150519/302394834.html)?

7. Welche – auch nachrichtendienstliche – Erkenntnisse hat die Bundesregie-
rung darüber, dass „zwei, drei Tage bevor die Feuergefechte [in der nord-
mazedonischen Stadt Kumanovo am 9. Mai 2015] begannen, […] Leute mit
Waffen aus dem Kosovo gekommen [seien]“ (www.derstandard.at/
2000016810190/Eine-Mauer-des-Schweigens-um-Kumanovo)?
a) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die angeblichen Verbin-

dungen der Rebellen von Kumanovo und der kosovoalbanischen UÇK
(www.derstandard.at/2000016810190/Eine-Mauer-des-Schweigens-um-
Kumanovo)?

b) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Angriff mit rake-
tenangetriebenen Granaten (RPG) auf ein Gebäude der mazedonischen
Regierung in der mazedonischen Hauptstadt Skopje im Oktober 2014
(www.b92.net/eng/news/region.php?yyyy=2014&mm=10&dd=31&nav_
id=92097)?

Drucksache 18/5319 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
c) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das angebliche Beken-
nerschreiben der UÇK wegen eines Terroranschlags auf ein Gebäude der
mazedonischen Regierung im Oktober 2014, in welchem dieser mit den
mangelnden Fortschritten in der euroatlantischen Integration der EJRM
begründet wurde (www.balkaninsight.com/en/article/new-%C3%A
Cliberation-army%C3%AE-claims-attack-on-macedonian-government-
hq)?

d) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Angriff von
40 UÇK-Kämpfern auf den mazedonisch-kosovarischen Grenzort
Gošince im April 2015 (www.nytimes.com/aponline/2015/04/21/world/
europe/ap-eu-macedonia-kosovo-border-incident.html)?

8. Stuft die Bundesregierung die mazedonischen Parlaments- und Präsident-
schaftswahlen im Jahr 2014 als frei und fair ein?

9. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die frühzeitige Zurück-
zahlung eines Kredits des Internationalen Währungsfonds (IWF) durch die
EJRM im März 2015 (www.macedoniaonline.eu/content/view/27046/45/)?
a) Wie entwickelten sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Schulden

der EJRM beim IWF in den Jahren 1999 bis 2014?
b) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den „Entwicklungs-

plan“ des russischen Konzerns Gazprom für Mazedonien (www.
macedoniaonline.eu/content/view/23879/61/)?

10. Welche – auch nachrichtendienstliche – Kenntnisse hat die Bundesregie-
rung über die im September 2014 vom ethnisch-albanischen Politiker
Nevzat Halili erklärte „Republik Ilirida“ (www.b92.net/eng/news/
region.php?yyyy=2014&mm=09&dd=19&nav_id=91668)?
a) Welche – auch nachrichtendienstliche – Kenntnisse hat die Bundesregie-

rung über die „Garde der Republik Ilirida“ (www.inserbia.info/today/
2014/11/albanian-guard-of-the-republic-of-ilirida-starts-patrols-in-
macedonia/)?

b) Welche persönlichen Kontinuitäten zwischen dem Aufstand im Jahr
2001 und den Aktivitäten der „Republik Ilirida“ sowie der „Garde der
Republik Ilirida“ seit vergangenem Herbst sind der Bundesregierung be-
kannt?

c) Welche persönlichen, finanziellen, militärischen, politischen und ge-
heimdienstlichen Verbindungen zwischen der „Republik Ilirida“ sowie
der „Garde der Republik Ilirida“ und der von der Bundesrepublik
Deutschland anerkannten „Republik Kosovo“ sind der Bundesregierung
bekannt?

11. Wie viele Bürger der EJRM haben nach Kenntnis der Bundesregierung in
den Jahren von 2009 bis 2014 die bulgarische Staatsbürgerschaft angenom-
men (www.novinite.com/view_news.php?id=135109)?

12. In welcher Form und Art hat laut Kenntnis der Bundesregierung die Regie-
rung der USA der griechischen Regierung empfohlen, von der Pipeline
„Turkish Stream“ Abstand zu nehmen (www.macedoniaonline.eu/content/
view/27397/46/)?
a) Erfolgten laut Kenntnis der Bundesregierung ähnliche Warnungen der

US-Regierungen gegenüber den Regierungen Ungarns, Serbiens und
Mazedoniens?

b) Hat die Bundesregierung nach Kenntnis der Bundesregierung ebenso der
griechischen Regierung empfohlen, sich nicht an der Pipeline „Turkish
Stream“ zu beteiligen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/5319
13. Wie beurteilt die Bundesregierung den gegenwärtigen Stand der bilateralen
Beziehungen Deutschlands zur EJRM?

14. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Entwicklung der außenpolitischen Beziehungen der EJRM zu
a) Albanien,
b) der selbsterklärten „Republik Kosovo“ und
c) Bulgarien?

15. Welchen Beitrag hat die Bundesregierung seit dem Jahr 2008 zur Ausstat-
tung und Ausbildung der mazedonischen Streitkräfte geleistet (bitte nach
Jahren und Maßnahmen aufgeschlüsselt)?

16. In welchem Umfang hat die Bundesregierung seit dem Jahr 2008 den Export
von Rüstungsgütern der Ausfuhrliste Teil 1 A an die EJRM genehmigt, und
welche Kriegswaffen der Kriegswaffenliste B wurden tatsächlich in diesem
Zeitraum an diesen Staat geliefert (bitte nach Jahren aufgeschlüsselt)?

17. Wann und wo haben Ausbilder der Bundespolizei, des Bundeskriminal-
amtes sowie nach Kenntnis der Bundesregierung der Polizeien der Länder
Angehörige der mazedonischen Strafverfolgungsbehörden ausgebildet?

18. Wie viele Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hielten sich nach
Kenntnis der Bundesregierung seit dem Jahr 2001 ohne ein Mandat des
Deutschen Bundestages in der EJRM auf?

19. Wie viele Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr waren und sind derzeit
als Militärattachés oder in vergleichbaren Positionen in der deutschen Aus-
landsvertretung in Skopje eingesetzt?

20. Hielten sich nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem Jahr 2001 – ab-
seits von EU- und NATO-Militärmissionen im Land – militärische Berater
der Bundeswehr in der EJRM auf?
Wenn ja, von wann bis wann, mit welchen Aufgabenbereichen, und bei wel-
chen Dienststellen (bitte entsprechend der Jahre auflisten)?

21. Welche – auch nachrichtendienstliche – Erkenntnisse hat die Bundesregie-
rung über die Schlacht und die Krise in der und um die nordmazedonische
Stadt Aračinovo im Juni 2001?

22. In wessen Auftrag und mit welcher Mission waren laut Kenntnis der Bun-
desregierung die Militärberater der US-Firma „Military Professional
Resources Inc.“ in Aračinovo im Juni 2001 (Mark Curtis: Secret Affairs:
Britain’s Collusion with Radical Islam, London 2010, S. 384)?

Berlin, den 19. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.