BT-Drucksache 18/5303

Lotspflicht und Lotsbefreiung für Schiffe in der Nord- und Ostsee

Vom 17. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5303
18. Wahlperiode 17.06.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden),
Tabea Rößner, Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Lotspflicht und Lotsbefreiung für Schiffe in der Nord- und Ostsee

Seit den schweren Schiffsunglücken der Öltanker Erika im Jahr 2006 und
Prestige im Jahr 2002 ist die Aufmerksamkeit des Schutzes der Meeresumwelt
in Europa stärker in den Fokus gerückt. Zum verbesserten Sammeln von Mee-
res- und Umweltdaten sowie zum verbesserten Informationsaustausch wurde die
Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) gegründet, das
gemeinsame Havariekommando des Bundes und der Küstenländer ins Leben
gerufen und schrittweise weitere gesetzliche Maßnahmen auf internationaler,
europäischer und nationaler Ebene erlassen.
Allerdings wurde seitdem auch häufig eine Lotspflicht in nautisch schwierigen
Seegebieten, wie der Kadetrinne vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns so-
wie im Fehmarnbelt, diskutiert. Nach Auffassung der Fragesteller müssen auf-
grund des zunehmenden Schiffsverkehrs in den vergangenen Jahren und der da-
durch erhöhten Gefahr von Kollisionen oder Havarien Maßnahmen ergriffen
werden, die eine Umweltkatastrophe durch ausgelaufenes Erdöl in der Ostsee
vermindern. Ölkatastrophen können sich in der Ostsee besonders fatal auswir-
ken, da das Meeresgebiet nur geringen Wasseraustausch hat und verhältnismä-
ßig kalt ist. Die Bundesregierung hat nach Auffassung der Fragesteller trotz der
latenten Gefahren in den vergangenen Jahren weitere Aufgabenübertragungen
an die EMSA zu blockieren versucht und den Schutz der Ostsee vor vermeid-
baren Schiffskatastrophen verschleppt.
Zur sicheren Befahrbarkeit und zum Schutz der Menschen und der Meeresum-
welt ist es für Schiffe in Lotsrevieren üblicherweise Pflicht, einen Lotsen anzu-
nehmen. Dieser ist in der Regel besser mit den regionalen Gegebenheiten des
Reviers vertraut als der Kapitän des Schiffes. Von der so genannten Lotsannah-
mepflicht sind allerdings erfahrene Seeleute, die regelmäßig mit denselben
Schiffen dieselben Meeresgebiete und seewärtigen Hafenzufahrten befahren,
nicht ausgenommen. Dies ist in den meisten Fällen nach Auffassung der Frage-
steller nicht nachvollziehbar, da die Verantwortung über das Schiff auch bei
Lotsannahme weiterhin beim Kapitän liegt. In einigen Gebieten und bei man-
chen Schiffstypen kann eine Lotsbefreiung wie dargestellt Sinn machen, wenn
die Revierkenntnis des Schiffsführers nachgewiesen werden kann. Dies wäre in
einigen Fahrtgebieten ohne erkennbare Folgen für Mensch oder Meeresumwelt
ein Beitrag zur Entbürokratisierung. Der Bereich Ems-Dollart ist bereits laut
Mitteilung des Bundesverbands Deutscher Binnenschifffahrt e. V. vom März
2011 für Binnentankschiffe im Fahrtgebiet zwischen Delfzijl und Emden als ein-
ziger lotsbefreit. Freiwillig kann jederzeit ein Lotse an Bord gerufen werden.

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Wir fragen die Bundesregierung:
1. a) Wie viele Schiffe kreuzten insgesamt täglich sowie pro Jahr in den Jahren

2005 bis 2014 die nautisch kritischen Passagen Kadetrinne und Fehmarn-
belt (bitte jeweils für Passage und Jahr ausweisen)?

b) Welchen Anteil hat bei den Passagen aus Frage 1a jeweils die Tankschiff-
fahrt (bitte absolut und prozentual pro Jahr für die Jahre 2005 bis 2014 an-
geben)?

c) Von welchen Prognosen für die Schiffsdurchfahrten aus Frage 1a geht die
Bundesregierung für die Jahre bis 2030 aus (bitte jeweils für Passage und
Jahr ausweisen)?

2. a) An welchen Ostseehäfen Russlands wurde nach Kenntnis der Bundesre-
gierung im Jahr 2014 welche Menge Erdöl und Erdölprodukte (soweit
möglich, bitte getrennt aufführen) umgeschlagen?

b) An welchen Ostseehäfen Russlands wurde nach Kenntnis der Bundesre-
gierung in den Jahren 2005 bis 2013 welche Menge Erdöl und Erdölpro-
dukte (soweit möglich, bitte getrennt aufführen) umgeschlagen?

3. a) Welche Störungen an Offshore-Windenergieanlagen, verursacht durch die
Küsten- oder Seeschifffahrt, gab es bisher nach Kenntnis der Bundes-
regierung (bitte Vorfall, Windpark und Datum nennen)?

b) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Vorfällen aus
Frage 3a?

4. a) Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung im Rahmen des geplanten
Baus der Festen Fehmarnbeltquerung in Bezug auf die Sicherheit des See-
verkehrs während der Bauphase treffen, welche Maßnahmen wird diesbe-
züglich Dänemark nach Kenntnis der Bundesregierung ergreifen, und wie
erfolgt die Abstimmung?

b) Wird es während der geplanten Bauphase der Festen Fehmarnbeltquerung
eine Schlepperannahmepflicht oder Lotsannahmepflicht für windanfällige
große Schiffe geben (bitte jeweils begründen)?

c) Wird es während der geplanten Bauphase der Festen Fehmarnbeltquerung
Überholverbote für Schiffe geben (bitte jeweils begründen)?
Wenn ja, für welche Schiffe?

5. a) Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung bezüglich einer Lotsan-
nahmepflicht für die Kadetrinne (bitte begründen), und auf welcher Ebene
müsste dies vorgegeben werden?

b) Falls die Bundesregierung sich in der Kadetrinne gegen eine Lotsannah-
mepflicht ausspricht, empfiehlt sie für die Passage der Kadetrinne eine
freiwillige Lotsannahme?

6. Inwieweit unterstützt die Bundesregierung den Vorschlag, den Fehmarnbelt
als Verkehrstrennungsgebiet auszuweisen, und durch welche Maßnahmen
auf welcher politischen Ebene könnte dies vorgeschrieben werden?

7. a) Welche Vorkehrungen trifft die Bundesregierung im Allgemeinen, um die
Sicherheit des Seeverkehrs in der Ostsee, insbesondere in den nautisch
schwierigen Gebieten, zu gewährleisten bzw. noch zu verbessern?

b) Welche Vorkehrungen treffen die anderen Ostseeanrainerstaaten nach
Kenntnis der Bundesregierung, um die Sicherheit des Seeverkehrs in der
Ostsee, insbesondere in den nautisch schwierigen Gebieten, zu gewähr-
leisten bzw. noch zu verbessern (bitte nach Ländern getrennt aufführen)?

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8. Welche Empfehlungen gibt die Helsinki-Kommission (HELCOM), um die
Sicherheit des Seeverkehrs in der Ostsee, insbesondere in den nautisch
schwierigen Gebieten, zu gewährleisten bzw. noch zu verbessern und um
Schifffahrt und Ökologie in der Ostsee zu vereinbaren?

9. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Nautischen Vereine
zwischen Kiel und Stralsund, die aus nautischer Perspektive „mit Sorge“ auf
den zunehmenden Verkehr und die dadurch entstehende zunehmende
Gefahr von Kollisionen oder Havarien blicken („Auf der Ostsee wird es
eng“ von Jörg Rohweder, www.dmkn.de/wp-content/uploads/2015/02/MF-
Ostsee.pdf)?

10. a) Welchen Sachstand hat auf nationaler sowie europäischer Ebene die
Empfehlung der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) nach
dem Unglück des Containerfrachters „MSC Flaminia“, wonach das Not-
hafenkonzept überarbeitet werden soll?

b) Durch welche Maßnahmen hatte die Bundesregierung die Empfehlungen
der BSU („bezogen auf die Notwendigkeit, Schiffen die vor den europä-
ischen Küsten auf Hilfe angewiesen sind, zu helfen, [bleibt die europäi-
sche Richtlinie] auf halber Strecke stehen. […] Die Tatsache, dass das
Fehlen von verbindlichen Regeln für ein geordnetes Zusammenwirken
der involvierten Küstenstaaten im Fall der MSC FLAMINIA – wenn
überhaupt – nur einen sehr geringen Einfluss […] hatte, ändert nichts da-
ran, dass die bestehenden europarechtlichen Rahmenbedingungen nicht
ausreichend sind, um nach der Havarie eines Schiffes die zügige Zuwei-
sung des objektiv am besten geeigneten Notliegeplatzes bzw. Nothafens
zu gewährleisten.“) bisher verfolgt?
Durch welche Maßnahmen wird sie diese Empfehlungen in Zukunft ver-
folgen oder umsetzen?

c) Welche Nothafenregelungen zur Bestimmung eines Notliegeplatzes im
Falle einer Havarie greifen innerhalb der Ostsee, also auch bei Nicht-EU-
Staaten (Europäische Union oder einzelstaatliche Regelungen, insbeson-
dere aus Russland oder Norwegen), und wie wird eine Abstimmung aller
Ostseeanrainer sichergestellt?

11. a) Welche Verordnungen, Gesetze oder Erlasse zum Lotswesen hat die
Bundesregierung seit dem Jahr 2005 beschlossen oder geändert, und mit
welchem jeweiligen Inhalt bzw. welcher jeweiligen inhaltlichen Ände-
rung?

b) Welche gesetzlichen Vorhaben zum Lotswesen plant die Bundesregie-
rung bis zum Jahr 2017 auf den Weg zu bringen, und mit welcher jewei-
ligen Begründung?

12. a) Inwieweit sieht die Bundesregierung die zwingende Lotsannahmepflicht
für alle Schifffahrtsreviere (mit teilweiser Ausnahme des Ems-Dollart-
Gebiets) noch für zeitgemäß (bitte begründen)?

b) Hält die Bundesregierung die Lotsannahmepflicht für regelmäßig das-
selbe Gebiet befahrende Seeschiffe, besetzt mit nachgewiesen ortskun-
digen Schiffsführern, weiterhin für erforderlich?

c) In welchen Ausnahmefällen sieht die Bundesregierung derzeit Möglich-
keiten, die generelle Lotsannahmepflicht bei seewärtigen Hafenzufahr-
ten bei welchen Auflagen, etwa einer Mindestanzahl von Erfahrungs-
reisen mit Lotsen sowie anschließender Bewährungsfahrt und Revier-
prüfung, zu lockern?

13. a) Aus welchen Gründen wurde die allgemeine Lotsannahmepflicht im
Schifffahrts- bzw. Lotsrevier Ems-Dollart bereits seit 1. April 2011 ge-

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lockert bzw. aufgehoben, für welche Schiffe gilt diese, und in welchem
Rhythmus müssen die Schiffsführer welche Nachweise erbringen?

b) Welche Erfahrungen wurden von allen Beteiligten nach Kenntnis der
Bundesregierung mit der Ausnahmeregelung gemacht, und gab es auf-
grund dessen seitdem in diesem Schifffahrts- bzw. Lotsrevier Schiff-
fahrtsunfälle oder durch die Schifffahrt verursachte Schäden an der Um-
welt?

14. Aus welchen Gründen besteht die Lotsannahmepflicht für Behördenschiffe
in den Schifffahrtsrevieren an der Nord- und Ostsee sowie seewärtigen Zu-
fahrten bisher nicht?

15. a) Ist die Lotsannahmepflicht in niederländischen Gewässern nach Kennt-
nis der Bundesregierung bereits gelockert oder aufgehoben, und wenn ja,
für welche Schiffe welcher Flagge mit welcher Reviererfahrung?

b) Welche Ungleichbehandlung zur Lotsannahmepflicht besteht in sämt-
lichen deutschen Lotsgebieten in Nord- und Ostsee sowie den seewärti-
gen Zufahrten zwischen Schiffen deutscher Flagge und Schiffen anderer
Flaggenstaaten (bitte tabellarisch aufführen)?

c) Welche Mehrkosten (etwa für die Bestellung von Lotsdiensten) entste-
hen durch die Lotsannahmepflicht deutschen Schiffen bzw. Reedern, die
im Kurzstreckenseeverkehr tätig sind, pro Durchfahrt gegenüber Wett-
bewerbern anderer Flaggenstaaten?

16. Welche Navigations- und Kommunikationssysteme müssen an Bord eines
Schiffes vorhanden sein, bzw. welche Systeme werden durch die Bundes-
regierung empfohlen, um eine Revierfahrt ohne Lotsbegleitung sicher
durchzuführen?

17. Welche Mindestbesetzung in Abhängigkeit von der Schiffsgröße muss auf
der Brücke zur sicheren Durchfahrt vorhanden sein bzw. werden empfohlen,
um eine Revierfahrt ohne Lotsbegleitung sicher durchzuführen?

18. a) Über welche Sprachkenntnis muss die Besatzung auf der Brücke zur
sicheren Durchfahrt mindestens verfügen, um eine Revierfahrt ohne
Lotsbegleitung sicher durchzuführen?

b) Über welche Sprachkenntnis müssen Lotsen auf der Brücke zur sicheren
Durchfahrt mindestens verfügen, um eine Revierfahrt ohne Lotsbeglei-
tung sicher durchzuführen?

c) Welche Reviersprache gilt in den Lotsrevieren in der deutschen Nord-
und Ostsee und den seewärtigen Zufahrten (bitte begründen)?

d) Falls die Reviersprache noch deutsch ist, wie wird die Verständigung mit
international erfahrenen Seeleuten sichergestellt, und welche Erfahrun-
gen wurden damit bisher nach Kenntnis der Bundesregierung gemacht?

19. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen der
Arbeitsgruppe „Küstenwache des Bundes“ aus dem Jahr 2013 über die für
das Jahr 2016 vorgesehene Bewertung beim Rechnungsprüfungsausschuss
des Deutschen Bundestages hinaus, und mit welchen Folgen ist dadurch für
die Beteiligten im Maritimen Sicherheitszentrum zu rechnen?

Berlin, den 17. Juni 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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