BT-Drucksache 18/5033

70 Jahre Potsdamer Abkommen

Vom 27. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5033
18. Wahlperiode 27.05.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko,
Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Azize Tank, Dr. Sahra Wagenknecht und
der Fraktion DIE LINKE.

70 Jahre Potsdamer Abkommen

Schon während des Krieges hatten die wichtigsten Anti-Hitler-Koalitionäre, die
UdSSR, Großbritannien und die USA, in Teheran (28. November bis 1. Dezem-
ber 1943) und Jalta (4. bis 11. Februar 1945) über die Zukunft Deutschlands
nach dem Sieg über das nazistische Deutschland beraten.
Dieses Jahr jährt sich das Potsdamer Abkommen zwischen den drei großen
Siegermächten des Zweiten Weltkrieges, Sowjetunion, Großbritannien und USA,
in welchem zwischen dem 17. Juli und 2. August 1945 die Grundlagen für ein
entnazifiziertes Deutschland beschlossen wurden, zum 70. Mal. Frankreich war
an dieser Konferenz nicht beteiligt, stimmte aber am 4. August 1945 unter Vor-
behalten zu.
Alle Bundesregierungen haben bisher das Potsdamer Abkommen nicht an-
erkannt und verwiesen darauf, dass das Abkommen ein unzulässiger Vertrag zu-
lasten Dritter gewesen sei. Aufgrund dieser Nichtanerkennung nutzen viele
deutsche Völkerrechtler die Bezeichnung „Beschlüsse“ anstatt „Abkommen“
(www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58299).
Im Kapitel III (Deutschland) des Potsdamer Abkommens heißt es: „Alliierte
Armeen führen die Besetzung von ganz Deutschland durch, und das deutsche
Volk fängt an, die furchtbaren Verbrechen zu büßen, die unter der Leitung derer,
welche es zur Zeit ihrer Erfolge offen gebilligt hat und denen es blind gehorcht
hat, begangen worden. […] Der deutsche Militarismus und Nazismus werden
ausgerottet, und die Alliierten treffen nach gegenseitiger Vereinbarung in der
Gegenwart und in der Zukunft auch andere Maßnahmen, die notwendig sind, da-
mit Deutschland niemals mehr seine Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens
in der ganzen Welt bedrohen kann. […] Es ist nicht die Absicht der Alliierten,
das deutsche Volk zu vernichten oder zu versklaven. Die Alliierten wollen dem
deutschen Volk die Möglichkeit geben, sich darauf vorzubereiten, sein Leben
auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage von neuem wiederaufzu-
bauen. Wenn die eigene Anstrengungen des deutschen Volkes unablässig auf
die Erreichung dieses Zieles gerichtet sein werden, wird es ihm möglich sein,
zu gegebener Zeit seinen Platz unter den freien und friedlichen Völkern der Welt
einzunehmen.“ In einem entsprechendem Flugblatt vom Sommer 1945 wird als
ein zentrales Ziel des Abkommens propagiert, dass es „der deutschen Industrie
[…] nie erlaubt werden [wird], Waffen für einen deutschen Angriffskrieg zu
erzeugen. […] Nur durch friedliche Arbeit kann Deutschland hoffen, sich als
Nation wieder aufzurichten.“ (www.ag-friedensforschung.de/themen/Befreiung/
potsdam-paech.html).

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Immer wieder gab und gibt es Diskussionen über die Festlegung der West-
grenze Polens in Abschnitt IX und die damit verbundenen Gebietsabtretungen
sowie die „Ordnungsgemäße Überführung deutscher Bevölkerungsteile“ in
Abschnitt XIII.
Neonazis in Deutschland, darunter insbesondere die so genannte Reichs-
bürgerbewegung, stützen sich dabei zur Begründung ihres Gebietsrevisionismus
und volksverhetzender Propaganda gegenüber den EU-Nachbarn Polen und
Tschechen auf die auch von der Bundesregierung bis heute aufrechterhaltene
These von der angeblichen Fortexistenz des Deutschen Reiches (vgl. Amadeu
Antonio Stiftung „Die »Reichsbürger«: Überzeugungen, Gefahren und Hand-
lungsstrategien“, Berlin 2014).
In den 90er-Jahren führte letztere zu diplomatischen Verwicklungen zwischen
den damaligen Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechi-
schen Republik zwischen beiden Ländern (Bundestagsdrucksache 13/4439).
Denn: „In Übereinstimmung mit der deutschen Völkerrechtswissenschaft haben
alle früheren Bundesregierungen und auch die jetzige Regierung die Vertreibung
der Deutschen nach Kriegsende immer als rechtswidrig verurteilt und die Be-
schlüsse der Potsdamer Konferenz vom 2. August 1945 nicht als Rechtfertigung
der Vertreibung angesehen.“ Kritisiert wird also nicht, dass die „Überführung“
nicht „in ordnungsmäßiger und humaner Weise“ durchgeführt wurde, sondern
generell die in Abschnitt XIII festgelegte Umsiedlung.
Im Jahr 2005 forderte der ehemalige bayerische Landtagspräsident Johann
Böhm, dass die Garantiemächte des Potsdamer Abkommens die Bestimmun-
gen des Vertrages zum „großen Irrtum“ erklären und die Umsiedlung der Deut-
schen aus der Tschechoslowakei als „fortwirkendes Unrecht“ einstufen sollen
(www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/53252).
Im Jahr 2011 erklärte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer über die
tschechischen Beneš-Gesetze, die im Jahr 1945 die Umsiedlung der Sudeten-
deutschen gemäß dem Potsdamer Abkommen regelten, dass ihnen „Rechtsauf-
fassungen“ zugrunde lägen, „die nicht in die europäische Werteordnung hinein-
passen“ würden (www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58087).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das Potsdamer Abkommen

auch für die „Entwicklung des Völkerrechts“ eine maßgebliche Rolle ein-
nahm und dadurch, dass „es von der Zusammenarbeit der Alliierten ausging
und die Grundzüge einer europäischen Friedensordnung fixierte“, eine
besondere Bedeutung hatte (http://archiv.jura.uni-saarland.de/projekte/
Bibliothek/text.php?id=74#fnB3)?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das Potsdamer Abkommen
als solches in die Geschichte des Völkerrechts einging, obwohl es an einem
eindeutigen Vertragstext fehlte und eine Fülle von Zweifeln an dem Vertrags-
charakter besteht (http://archiv.jura.uni-saarland.de/projekte/Bibliothek/
text.php?id=74#fnB3)?

3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die beteiligten Siegermächte
von Anfang an von dem Bestehen eines völkerrechtlichen Vertrages aus-
gegangen sind, weil Wert auf die inhaltliche Übereinstimmung und nicht auf
die einheitliche äußere Form gelegt wurde (http://archiv.jura.uni-saarland.de/
projekte/Bibliothek/text.php?id=74#fnB3)?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die von der Bundesrepublik
Deutschland geäußerten Zweifel an der Rechtsnatur des Potsdamer Abkom-
mens als völkerrechtlicher Vertrag zwar nicht ausgeräumt worden seien,
doch sich das Institut des völkerrechtlichen Vertrages als dehnbar genug er-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5033
wiesen habe, auch schwerwiegende Zweifel aufzufangen, wie sich gerade
auch in der späteren großzügigeren Vertragspraxis bestätigt, wie etwa in der
Wiener Vertragsrechtskonvention aus dem Jahr 1969 (http://archiv.jura.uni-
saarland.de/projekte/Bibliothek/text.php?id=74#fnB3)?

5. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die Sieger- bzw. Be-
satzungsmächte USA, Großbritannien und die UdSSR von der völkerrecht-
lichen Vertragsbindung des Potsdamer Abkommens ausgingen, wobei vor
allem die UdSSR bis zuletzt auch eine Bindung Deutschlands vertrat, diese
völkerrechtliche Vertragsbindung auf deutscher Seite aber lediglich von der
DDR akzeptiert wurde, während die Bundesregierung das Potsdamer Ab-
kommen von Anfang an jede rechtliche Bindung ablehnte (http://archiv.
jura.uni-saarland.de/projekte/Bibliothek/text.php?id=74#fnB16)?

6. Teilt die Bundesregierung die Ansicht des ehemalige bayerischen Land-
tagspräsidenten Johann Böhm, dass die Garantiemächte des Potsdamer Ab-
kommens die Bestimmungen des Vertrages zum „großen Irrtum“ erklären
und die Umsiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei als „fort-
wirkendes Unrecht“ einstufen sollen (www.german-foreign-policy.com/de/
fulltext/53252)?

7. Gedenkt die Bundesregierung für Klarheit zu sorgen und die These von der
Fortexistenz des Deutschen Reiches öffentlich als unhaltbar zurückzu-
weisen, damit diese Behauptung nicht von Neonazis und der so genannten
Reichsbürgerbewegung für ihren Gebietsrevisionismus gegenüber den EU-
Nachbarländern instrumentalisiert werden kann?

8. Gedenkt die Bundesregierung, anlässlich des 70. Jahrestages des Kriegs-
endes auch ein Friedensabkommen mit der Republik Polen abzuschließen?

9. Wird die Bundesregierung Veranstaltungen zum 70. Jahrestag des Pots-
damer Abkommens im Inland im Jahr 2015 in Eigenregie durchführen, und
wenn ja, welche (bitte entsprechend der Jahre nach Ressort, Veranstaltung,
Ort und finanziellen Kosten einschließlich der Haushaltstitel, aus denen die
Kosten gedeckt werden, auflisten)?

10. Welche Organisationen (Nichtregierungsorganisationen, staatliche Institu-
tionen, Museen etc.) fördert die Bundesregierung bezüglich welcher Veran-
staltungen mit finanziellen Mitteln für das Erinnern an das Potsdamer Ab-
kommen im Jahr 2015 (bitte nach Datum, Organisation und finanziellen
Mitteln auflisten)?

11. Wie viele Mittel stellen nach Kenntnis der Bundesregierung die Bundeslän-
der im Jahr 2015 anlässlich des Erinnerns an 70 Jahre Potsdamer Abkom-
men zur Verfügung (bitte entsprechend der Bundesländer auflisten)?

12. Inwiefern ist das Auswärtige Amt in die Erinnerungsarbeit zu 70 Jahre Pots-
damer Abkommen eingebunden?

13. Welche Publikationen planen Dienststellen des Auswärtigen Amts anläss-
lich des Erinnerns an 70 Jahre Potsdamer Abkommen?

14. Welche Forschungsvorhaben werden am Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaft der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam in Bezug auf die
Erforschung der Ursprünge des Potsdamer Abkommens in der Folge der
deutschen Verbrechen des Kolonialismus und der Shoah sowie zum bundes-
republikanischen Umgang mit der deutschen Vergangenheit befördert?

15. Trifft es nach Ansicht der Bundesregierung zu, dass die Nürnberger Kriegs-
verbrecherprozesse sowie die Nürnberger Nachfolgeprozesse keine Rechts-
wirkung für die bundesdeutsche Justiz sowie Behörden entwickeln, da nach
Auffassung der Bundesregierung (vgl. Bundestagsdrucksache 18/4076) und
der so genannten Reichsbürgerbewegung (vgl. Amadeu Antonio Stiftung

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„Die »Reichsbürger«: Überzeugungen, Gefahren und Handlungsstrate-
gien“, Berlin 2014) das Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich fortbesteht?

16. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass das Alliierte
Kontrollratsgesetz Nr. 2 vom 12. Oktober 1945 („Es sind Sicherheiten dafür
zu schaffen, dass sie [die NSDAP und ihre Gliederungen] in keiner Form
wieder aufstehen können; jeder nazistischen und militaristischen Betätigung
und Propaganda ist vorzubeugen“) sowie das Gesetz Nr. 8 des Alliierten
Kontrollrates vom 30. November 1945 (Verbot jeglicher Propaganda „die
darauf abzielt, militaristischen und nationalsozialistischen Geist oder der-
artige Einrichtungen zu unterhalten, wieder ins Leben zu rufen oder zu
fördern“) eine Umsetzung des Potsdamer Abkommens waren, das u. a. die
Vernichtung der NSDAP und ihrer angeschlossenen Gliederungen vorsah?

Berlin, den 27. Mai 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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