BT-Drucksache 18/503

EU-Afrika-Gipfel - Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten

Vom 12. Februar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/503
18. Wahlperiode 12.02.2014

Antrag
der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke,
an van Aken, hristine Buchhol , evim Da delen, Dr. Diether Dehm,
Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich,
Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Anlässlich des 4. EU-Afrika-Gipfels, der im April 2014 in Brüssel stattfindet,
erinnert der Bundestag an die koloniale Schuld, die die EU-Mitgliedstaaten, da-
runter auch Deutschland, gegenüber Afrika tragen. Diese Schuld wird durch die
anhaltende wirtschaftliche Ausbeutung und die Folgen des Klimawandels ver-
stärkt. Die Menschen Afrikas sind ein weiteres Mal Opfer der kapitalistischen
Industrialisierung des Nordens. Zugleich eröffnen sich mit dem wirtschaftlichen
Aufstieg einiger Länder des Südens, die sich als Partner für eine umfassende Süd-
Süd-Kooperation anbieten, neue Optionen für afrikanische Staaten, der einseiti-
gen Abhängigkeit von den alten Kolonialmächten zu entkommen. In dieser Situa-
tion melden die EU und ihre Mitgliedstaaten verstärkt ihre wirtschaftlichen und
geostrategischen Interessen in Afrika an und versuchen, auch militärisch, ihnen
Geltung zu verschaffen:
1. Der 3. EU-Afrika-Gipfel hatte Ende 2010 in Libyen stattgefunden. Die

Staatschefs der EU hatten damals keine Bedenken, sich von Muammar al-
Gaddafi empfangen zu lassen, an dessen Sturz sich einige von ihnen nur we-
nig später militärisch beteiligten. Die Militärintervention von Frankreich,
Großbritannien und anderen EU-Staaten hatte nicht nur für Libyen, dessen
Bevölkerung seither dem Terror von konkurrierenden Milizen ausgesetzt ist,
dramatische Folgen. Im gesamten Norden Afrikas wurden Staaten destabili-
siert. In Côte d’Ivoire, Mali und in der Zentralafrikanischen Republik inter-
venierte Frankreich abermals militärisch, um dort kriegerische Auseinander-
setzungen im eigenen Interesse zu klären. Militärstrategische Erwägungen
sind aber nicht nur für Frankreich, sondern zunehmend für die gesamte EU
und ihre Mitgliedstaaten leitend, wenn es um ihr Verhältnis zu Afrika geht.
Die Beschlüsse des EU-Gipfels vom Dezember 2013 zeigen, dass sich die
EU zunehmend einen Anspruch auf Gestaltung, zur Not auch mit militäri-
schen Mitteln, der politischen Entwicklungen in Afrika anmaßt. Der Bundes-
tag weist diese Anmaßung zurück und besteht darauf, dass in den Beziehun-
gen der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu Afrika Gewaltfreiheit und Gleichbe-
rechtigung herrschen müssen. Zivile Instrumente der Zusammenarbeit, wie
der Europäische Entwicklungsfonds oder das Instrument für Entwicklungs-

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zusammenarbeit, dürfen nicht für militärstrategische Ziele missbraucht wer-
den, wie dies der zivilmilitärische Ansatz in den Beschlüssen des Europäi-
schen Rates zur Gestaltung der Gemeinsamen Verteidigungs- und Sicher-
heitspolitik (GSVP) vorsieht.

2. Die politischen Umwälzungen in Nordafrika in den letzten Jahren will die
EU dazu nutzen, ihre Handels- und Investitionsbeziehungen in der Region zu
vertiefen. Zu diesem Zweck verhandelt sie mit Ägypten, Tunesien und Ma-
rokko über Freihandelsabkommen. Darin will sie, zusätzlich zur Liberalisie-
rung des Warenverkehrs, Vereinbarungen zum Investitionsschutz und zu
handelsbezogenen Regulierungsbereichen treffen. Die Proteste, die zu den
Veränderungen in Nordafrika geführt haben, waren jedoch auch Ausdruck
sozialer Verwerfungen, die sich bereits in den letzten Jahren mit der Liberali-
sierungs- und Privatisierungspolitik der alten Regierungen zugespitzt hatten.
Angesichts dessen warnt der Bundestag vor einer weiteren Vertiefung dieser
Politik. Sie wäre die falsche Antwort auf die neuen gesellschaftlichen Her-
ausforderungen in den südlichen Mittelmeeranrainern. Die ohnehin schwieri-
ge demokratische Entwicklung darf nicht dadurch belastet werden, dass wirt-
schaftspolitische Spielräume weiter eingeschränkt werden.

3. Seit 2002 verhandelt die Europäische Union mit den AKP-Staaten (Staaten
Afrikas, der Karibik und des Pazifik) über Wirtschaftspartnerschaftsabkom-
men (WPA). Lediglich mit den Staaten der Karibik gelang der Abschluss ei-
nes vollständigen WPA. In diesem Jahr möchte die EU auch mit den afrika-
nischen Staaten solche Abkommen abschließen, die dies bislang abgelehnt
hatten. Die WPA sollen den Unternehmen aus der EU den Marktzugang, In-
vestitionsmöglichkeiten und den Zugriff auf Rohstoffe in Afrika erleichtern.
Dazu sollen wirtschaftspolitische Regulierungsmöglichkeiten, souveräne Ho-
heitsrechte der Staaten, abgebaut werden. Es ist höchst bedenklich, dass die
EU sich in den Verhandlungen nicht auf die Überzeugungskraft ihrer Argu-
mente verlässt, sondern verstärkt auf ökonomischen Druck setzt. Durch den
Entzug bisheriger Zugangserleichterungen zum EU-Markt sollen Staaten ge-
nötigt werden, in die WPA einzuwilligen. Der Bundestag verweist darauf,
dass viele entwicklungspolitische Organisationen warnen, die WPA würden
einer selbständigen Entwicklung der afrikanischen Staaten entgegenwirken
und die Abhängigkeit vom Norden verstärken.

4. Die ungleichen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen der
EU und Afrika sind die Hauptursache für die unfreiwillige Migration von
Hunderttausenden von Menschen auf der Suche nach Arbeit, einem Aus-
kommen oder einfach dem nackten Überleben. Viele Menschen machen sich
auf den gefährlichen Weg nach Europa, weil sie in ihrer Heimat keine Per-
spektive sehen. Ihr Weg in die EU wird durch die Seekontrollen der europäi-
schen Grenzschutzagentur Frontex immer gefährlicher. Die Einführung des
europäischen Grenzüberwachungssystems EUROSUR verschärft die Be-
kämpfung von Migration, denn es verbessert nicht die Seenotrettung von
Flüchtlingen. Vielmehr steht zu befürchten, dass sich im Gegenteil die Ge-
fahr für Flüchtlinge weiter erhöht, wenn sie durch die zunehmende Überwa-
chung dazu gezwungen werden, längere und gefährlichere Routen einzu-
schlagen oder kleinere Boote zu verwenden, um nicht entdeckt zu werden.
Tausende sind bereits an den Südgrenzen Europas gestorben. Die EU schließt
Rückführungs- und Mobilitätsabkommen mit afrikanischen Staaten ab und
knüpft ihre Entwicklungshilfe direkt an deren Kooperation bei der polizei-
lich-militärischen Grenzkontrolle, an die Einführung restriktiver Gesetze und
praktischer Maßnahmen gegen durchwandernde Migration sowie an die
Rückübernahme eigener Staatsangehöriger und von Drittstaatsangehörigen
und Staatenlosen.

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5. Die wirtschaftliche Durchdringung Afrikas mittels Freihandelsverträgen und
die militärische, oft zivil flankierte, Einflussnahme haben ein gemeinsames
Ziel: Die EU will im Wettlauf um die Rohstoffe, die in großen Mengen in
Afrika lagern, gegenüber konkurrierenden Mächten wie der VR China, Indi-
en, Brasilien oder USA verlorenen Boden gut machen. Der Bundestag be-
steht darauf, dass solcherlei Erwägungen keine Rolle bei der Gestaltung un-
seres Verhältnisses zu unseren afrikanischen Nachbarn spielen dürfen. Viel-
mehr muss der Anspruch der EU sein, gemeinsam mit den Partnern in Afrika
Armut und Hunger wirksam zu bekämpfen und in beiden Regionen eine so-
zial gerechte und ökologisch nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in
Gang zu setzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Herstellung von Er-
nährungssouveränität der Grundpfeiler der Entwicklung eines jeden Staates
ist. Die Entwicklungs- und Handelspolitik der EU müssen auf die Erweite-
rung der Spielräume für Ernährungssouveränität in den Ländern Afrikas aus-
gerichtet werden. Auf die Länder Afrikas darf kein Druck ausgeübt werden,
ihre Agrarmärkte zu öffnen oder Fischfangquoten für europäische Länder
freizugeben, die die Ernährungssouveränität, den Lebensunterhalt der lokalen
Fischer und die Nachhaltigkeit der lokalen Fischgründe gefährden. Besten-
falls muss die Wertschöpfung im Fischereisektor in den Ländern Afrikas ge-
fördert werden.

Der Bundestag nimmt das Gedenken an den früheren südafrikanischen Präsiden-
ten, Nelson Mandela, zum Anlass, an die Verdienste der afrikanischen Be-
freiungsbewegungen und den solidarischen Beitrag vieler Staaten, Parteien und
Bewegungen in anderen Teilen der Welt zu erinnern, die die Überwindung von
Kolonialismus und Apartheid bewirkt haben. Die Geschichte des solidarischen
globalen Eintretens für Gleichheit und Gerechtigkeit, für Souveränität und Frie-
den verpflichtet dazu, diesen Anliegen auch in der Gestaltung der europäisch-
afrikanischen Beziehungen zur Durchsetzung zu verhelfen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf dem 4. EU-Afrika-Gipfel im April 2014 in Brüssel für eine gewalt-
freie Partnerschaft zwischen der EU und Afrika einzusetzen und in diesem
Sinne
– sich insbesondere gegenüber Frankreich, aber auch gegenüber Großbri-

tannien, dafür einzusetzen, dass es seine gegenwärtigen militärischen
Interventionen und seine militärische Präsenz in Afrika beendet,

– für die Zukunft darauf hinzuwirken, dass die EU und ihre Mitgliedstaa-
ten darauf verzichten, militärisch und insbesondere parteiisch in die
Klärung von Konflikten in afrikanischen Ländern einzugreifen,

– stattdessen für den Aufbau eines europäischen und eines afrikanischen
zivilen Friedensdienstes zu werben und einen angemessenen Beitrag
zur Anschubfinanzierung anzubieten,

– das Hauptquartier des Afrika-Kommandos der USA in Stuttgart zu
schließen und darauf hinzuwirken, dass es auch nicht nach Afrika ver-
legt wird,

– Rüstungsexporte aus Deutschland zu verbieten und EU-weit für ein
solches Verbot zu werben,

– sich für den Stopp finanzieller Unterstützung von militärischen und po-
lizeilichen Missionen der GSVP aus Mitteln der Entwicklungszusam-
menarbeit einzusetzen,

– die deutschen Beiträge zum Europäischen Entwicklungsfonds mit einer
Zivilklausel zu versehen, die die ausschließliche Verwendung der fi-
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nanziellen Mittel für zivile Ziele vorschreibt und jegliche Vermischung
mit militärischen oder polizeilichen Missionen untersagt, und sich da-
für einzusetzen, dass auch die Mittelvergabe aus dem Instrument der
Entwicklungszusammenarbeit mit einer entsprechenden Zivilklausel
versehen wird;

2. auf solidarische Beziehungen zwischen der EU und Afrika hinzuwirken, die
nicht auf die Interessen der europäischen Konzerne, sondern auf die sozialen
Interessen der Menschen ausgerichtet sind, und in diesem Sinne
– die Bekämpfung von Armut und Hunger zum zentralen Anliegen der Zu-

sammenarbeit mit Afrika zu machen und ihre Finanzierungsversprechen
für die Entwicklungszusammenarbeit einzuhalten,

– wirksame Maßnahmen gegen Landgrabbing, Nahrungsmittelspekulation
sowie Raubfischerei und unfaire Fischereiabkommen zu ergreifen,

– sich innerhalb der EU dafür einzusetzen, dass die Verhandlungen über
Freihandels- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen beendet und in ei-
nem demokratischen Prozess neue, entwicklungsförderliche Verhand-
lungsmandate formuliert werden,

– sich dafür einzusetzen, dass die EU in Verhandlungen über Handelsab-
kommen mit afrikanischen Staaten auf Liberalisierungs- und Privatisie-
rungsforderungen ebenso verzichtet wie auf die Forderung nach dem
Abbau von Exportbeschränkungen für Rohstoffe sowie von Investitions-
auflagen,

– eine Neuausrichtung der Rohstoff- und Energiepolitik auf regenerative,
umweltverträgliche, gerechte und Konflikte vermeidende Strategien der
Energieversorgung vorzunehmen und die Militarisierung der deutschen
und europäischen Rohstoffpolitik zu beenden,

– sich innerhalb der EU für die Abschaffung der Grenzschutzagentur Fron-
tex und des Grenzüberwachungssystems EUROSUR sowie dafür einzu-
setzen, dass alle Flüchtlinge Zugang zu einem fairen Asylverfahren und
zum jeweils geltenden Arbeitsrecht in der EU haben,

– sicherzustellen, dass die Abwehr von Flüchtlingen künftig kein Bestand-
teil der Entwicklungszusammenarbeit mehr sein darf.

Berlin, den 12. Februar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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