BT-Drucksache 18/4966

a) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 18/4062 - Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) b) zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 18/4184 - Tarifautonomie stärken - Streikrecht verteidigen c) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 18/2875 - Solidarität im Rahmen der Tarifpluralität ermöglichen - Tarifeinheit nicht gesetzlich regeln

Vom 20. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4966
18. Wahlperiode 20.05.2015

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

a) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
– Drucksache 18/4062 –

Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit
(Tarifeinheitsgesetz)

b) zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst,
Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 18/4184 –

Tarifautonomie stärken – Streikrecht verteidigen

c) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke,
Kerstin Andreae, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 18/2875 –

Solidarität im Rahmen der Tarifpluralität ermöglichen – Tarifeinheit nicht
gesetzlich regeln

A. Problem
Zu Buchstabe a
Nach Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit durch das Urteil des Bundesar-
beitsgerichts im Jahr 2010 können für dieselbe Beschäftigtengruppe unterschied-
liche Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften gleichzeitig zur Anwendung

Drucksache 18/4966 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
gelangen. Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie wird durch Tarifkollisionen
beeinträchtigt. Diese bergen die Gefahr, dass die Koalitionen der ihnen durch Ar-
tikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes überantworteten und im allgemeinen Interesse
liegenden Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens nicht mehr
gerecht werden können.
Zu Buchstabe b
Der Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes ist nach Einschätzung der Fraktion DIE
LINKE. nicht verfassungsgemäß. Gezielt würden darin die Koalitionsfreiheit auf
Arbeitnehmerseite und das durch die Verfassung geschützte Streikrecht in Arti-
kel 9 GG angegriffen.
Zu Buchstabe c
Eine gesetzlich normierte Tarifeinheit würde nach Auffassung der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Konkurrenzsituation zwischen den Gewerk-
schaften weiter verschärfen. Der Kampf um die Mehrheit im Betrieb würde die
innerbetriebliche Solidarität erschweren, denn eine gesetzliche Tarifeinheit stelle
elementar die Existenzberechtigung von Gewerkschaften in Frage.

B. Lösung
Zu Buchstabe a
Durch eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip soll
die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gesichert werden. Der Grundsatz der
Tarifeinheit greife dabei als Kollisionsregel nur subsidiär ein. Der Gesetzgeber
beschränke sich darauf, Tarifkollisionen nach dem Grundsatz der Tarifeinheit auf-
zulösen, wenn die Gewerkschaften die zwischen ihnen bestehenden Interessen-
konflikte autonom nicht zu einem Ausgleich bringen können.
Den Belangen von Minderheitsgewerkschaften werde durch flankierende Verfah-
rensregelungen Rechnung getragen.
Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4062 in unveränderter Fas-
sung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei
einer Stimmenthaltung aus der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Zu Buchstabe b
Die Fraktion DIE LINKE. fordert die Bundesregierung auf, den Entwurf des Ta-
rifeinheitsgesetzes zurückzuziehen und gesetzliche Vorgaben zur Bekämpfung
der Tarifflucht durch die Arbeitgeber und zur Zurückdrängung der Zersplitterung
der Tariflandschaft zu unterbreiten.
Ablehnung des Antrags auf Drucksache 18/4184 mit den Stimmen der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE
LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei einer Stimmenthaltung aus
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Zu Buchstabe c
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert ebenfalls die Bundesregierung
auf, den Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes zurückzuziehen.
Ablehnung des Antrags auf Drucksache 18/2875 mit den Stimmen der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE
LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei einer Stimmenthaltung aus
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4966

C. Alternativen
Gleich geeignete, aber mildere Mittel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der
Tarifautonomie bestehen nach Darlegung der Bundesregierung nicht.
Weitere Alternativen bestehen in der Annahme eines Antrags oder beider An-
träge.

D. Kosten
Geringeren Kosten der Wirtschaft für die Auflösung von Tarifkollisionen durch
das Tarifeinheitsgesetz stehen möglicherweise geringe Kosten für die Bekannt-
gabe der Aufnahme von Tarifverhandlungen, die Durchführung der Anhörung
und die Umsetzung eines Nachzeichnungsanspruchs sowie die Feststellung des
anwendbaren Tarifvertrags gegenüber.
In den beiden Anträgen werden Kostenrechnungen nicht angestellt.

Drucksache 18/4966 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
a) den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/4062 unverändert anzunehmen;
b) den Antrag auf Drucksache 18/4184 abzulehnen;
c) den Antrag auf Drucksache 18/2875 abzulehnen.

Berlin, den 20. Mai 2015

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales

Kerstin Griese
Vorsitzende

Beate Müller-Gemmeke
Berichterstatterin
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4966
Bericht der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke

I. Überweisung

1. Überweisung
Der Gesetzentwurf auf Drucksache 18/4062 ist in der 91. Sitzung des Deutschen Bundestages am 5. März 2015
an den Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Beratung sowie an den Innenausschuss, den Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Wirtschaft und Energie, den Ausschuss für Verkehr
und digitale Infrastruktur sowie an den Ausschuss für Kultur und Medien zur Mitberatung überwiesen worden.
Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung befasst sich gutachtlich mit der Vorlage.
Der Antrag auf Drucksache 18/4184 ist in der 91. Sitzung des Deutschen Bundestages am 5. März 2015 an den
Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Beratung sowie an den Ausschuss für Recht und Verbrau-
cherschutz und den Ausschuss für Wirtschaft und Energie zur Mitberatung überwiesen worden.
Der Antrag auf Drucksache 18/2875 ist in der 60. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Oktober 2014 an
den Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Beratung sowie an den Ausschuss für Recht und Ver-
braucherschutz und den Ausschuss für Wirtschaft und Energie zur Mitberatung überwiesen worden.
2. Voten der mitberatenden Ausschüsse
Der Innenausschuss, der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, der Ausschuss für Wirtschaft und
Energie, der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie der Ausschuss für Kultur und Medien
haben den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/4062 in ihren Sitzungen am 20. Mai 2015 beraten und dem Deut-
schen Bundestag gleichlautend mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der
Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Annahme des Gesetzentwurfs ohne Änderungen
empfohlen. Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat sich gutachtlich mit der Vorlage befasst
und die Nachhaltigkeitsrelevanz festgestellt. Eine Prüfbitte wurde nicht für erforderlich gehalten.
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und der Ausschuss für Wirtschaft und Energie haben den
Antrag auf Drucksache 18/4184 in ihren Sitzungen am 20. Mai 2015 beraten und dem Deutschen Bundestag mit
den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung empfohlen.
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und der Ausschuss für Wirtschaft und Energie haben den
Antrag auf Drucksache 18/2875 in ihren Sitzungen am 20. Mai 2015 beraten und dem Deutschen Bundestag mit
den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung empfohlen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlagen

Zu Buchstabe a
Ziel des Tarifeinheitsgesetzes ist es, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie durch die Auflösung von Tarif-
kollisionen zu sichern, wie im Gesetzentwurf festgehalten.
Die Tarifautonomie sei darauf angelegt, „die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Ab-
schluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichti-
ges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen“ (etwa BVerfG vom 26. Juni 1991 – 1 BvR
779/85, BVerfGE 84, 212). Dabei komme den Koalitionen die im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zu,
innerhalb ihres Bereichs das Arbeitsleben sinnvoll zu ordnen und zu befrieden (etwa BVerfG vom 20. Oktober
1981 – 1 BvR 404/78, BVerfGE 58, 233).
Die Kollision von Tarifverträgen konkurrierender Gewerkschaften beeinträchtige die Funktionsfähigkeit der Ta-
rifautonomie.
Die Anwendbarkeit kollidierender tariflicher Regelungen im Betrieb beeinträchtige die Schaffung einer wider-
spruchsfreien Ordnung der Arbeitsbeziehungen im Betrieb. Insbesondere die Kohärenz des im Betrieb geltenden

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Entgeltsystems könne beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn Tarifverträge konkurrierender Ge-
werkschaften nicht aufeinander abgestimmte Bewertungen der Arbeitsleistungen vornähmen. Die Befriedungs-
funktion des Tarifvertrags werde durch Tarifkollisionen beeinträchtigt, weil innerbetriebliche Verteilungskämpfe
den Betriebsfrieden gefährdeten. Die Akzeptanz einer betrieblichen Lohnpolitik, die vor allem die besonderen
Schlüsselpositionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Betriebsablauf prämiere, sei gering. Tarifkol-
lisionen könnten zudem in Krisenzeiten gesamtwirtschaftlichen Belangen und somit dem öffentlichen Interesse
zuwiderlaufen. Tarifpartnerschaft sei – dies hätten die Erfahrungen der Finanz- und Eurokrise gezeigt – von be-
sonderer Bedeutung in wirtschaftlichen Krisensituationen. Die Tarifpartner müssten in solchen Situationen oft-
mals zur Beschäftigungssicherung Gesamtkompromisse finden, die letztlich im Interesse aller Beschäftigten lä-
gen. Die Konkurrenz unterschiedlicher Tarifwerke könne die Herstellung solcher Gesamtkompromisse gefährden.
Schließlich solle vermieden werden, dass die Entsolidarisierung der Belegschaften für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer ohne hinreichende Schlüsselposition im Betriebsablauf in eine Entwertung der Schutzfunktion des
Tarifvertrags münde. Nähmen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit besonderen Schlüsselpositionen in den
Betrieben ihre Interessen gesondert wahr, führe dies tendenziell zu einer Beeinträchtigung einer wirksamen kol-
lektiven Interessenvertretung durch die übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die keine besonderen
Schlüsselpositionen im Betriebsablauf inne hätten.
Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie solle durch eine gesetzliche Regelung des Grundsatzes der Tarifein-
heit gesichert werden. Der Grundsatz der Tarifeinheit greife als Kollisionsregel nur subsidiär ein, wenn es den
Tarifvertragsparteien im Wege autonomer Entscheidungen nicht gelinge, Tarifkollisionen zu vermeiden. Eine
nach dem Grundsatz der Tarifeinheit auflösungsbedürftige Tarifpluralität sehe der Entwurf deshalb nur vor, so-
weit sich die Geltungsbereiche verschiedener Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschnitten (Tarif-
kollision). Es sei mithin Aufgabe der Tarifvertragsparteien, durch autonome Entscheidungen Tarifkollisionen zu
vermeiden. Dies könne u. a. erfolgen, indem die Gewerkschaften ihre jeweiligen Zuständigkeiten abstimmten und
ihre Tarifverträge somit für verschiedene Arbeitnehmergruppen gälten (sogenannte gewillkürte Tarifpluralität)
oder indem die Gewerkschaften gemeinsam ihre Tarifverträge in einer Tarifgemeinschaft verhandelten.
Die Tarifeinheit werde nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip geregelt. Das Mehrheitsprinzip sei in be-
sonderer Weise geeignet, die Ziele des Gesetzes zu erreichen. Es gelange der Tarifvertrag zur Anwendung, dessen
Interessenausgleich die größte Akzeptanz in der Belegschaft besitze. Das Mehrheitsprinzip gebe dem durch Arti-
kel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) ermöglichten Koalitionswettbewerb Raum.
Das Arbeitsgerichtsgesetz werde begleitend zur Regelung der Tarifeinheit angepasst. Die Gerichte für Arbeitssa-
chen entschieden über den im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag auf Antrag einer Tarifvertragspartei eines kolli-
dierenden Tarifvertrags im Beschlussverfahren mit bindender Wirkung für Dritte.
Gleich geeignete, aber mildere Mittel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie bestehen nach
Darlegung der Bundesregierung nicht. So sei die Regelung des Grundsatzes der Tarifeinheit nach dem Speziali-
tätsprinzip kein gleich geeignetes milderes Mittel. Eine solche Regelung sei nicht grundrechtsschonender, insbe-
sondere würden Tarifverträge von Gewerkschaften, die nur bestimmte Arbeitnehmergruppen verträten, generell
von konkurrierenden Tarifverträgen verdrängt. Denn der Tarifvertrag einer Gewerkschaft, die nur bestimmte Ar-
beitnehmergruppen vertrete, sei nie der speziellere, da er nur einen Ausschnitt der Arbeitsverhältnisse des Betrie-
bes regle. Kein gleich geeignetes, aber milderes Mittel stelle eine Auflösung von Tarifkollision dar, die darauf
abstelle, welche Gewerkschaft die relative Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Überschnei-
dungsbereich der Tarifverträge organisiere. Eine solche Regelung sei zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der
Tarifautonomie nicht geeignet, weil sie gerade einen Anreiz dafür schaffe, dass Gewerkschaften für immer klei-
nere Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Tarifverträge anstrebten. Eine auf bestimmte Bereiche
beschränkte Regelung der Tarifeinheit stelle kein gleich geeignetes Mittel dar. Insbesondere seien auf den Bereich
der Daseinsvorsorge beschränkte Regelungen erörtert worden. Sie könnten von vornherein nicht verhindern, dass
die Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifautonomie außerhalb des Bereichs der Daseinsvorsorge beein-
trächtigt werden könne. Zudem bestünden erhebliche Schwierigkeiten den Bereich der Daseinsvorsorge rechtssi-
cher abzugrenzen.
Zu Buchstabe b
Wenn die Bundesregierung gesetzlich festschreibe, dass in einem Betrieb allein der Tarifvertrag der Mehrheits-
gewerkschaft gelte, finde nach Darlegung der Fraktion DIE LINKE. gemäß der geplanten gesetzlichen Regelung
das Ergebnis des Arbeitskampfes der vermeintlichen Minderheitsgewerkschaft, ihr Tarifvertrag, keine Anwen-
dung mehr. Beschäftigte würden den Aufwand und die Nachteile eines Arbeitskampfes nicht auf sich nehmen,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/4966
wenn von vornherein feststehe, dass dadurch kein Tarifvertrag mehr erkämpft werden könne. So entziehe die
Bundesregierung der Minderheitsgewerkschaft faktisch das Streikrecht und schaffe es ab. Wer den Streik über
gesetzliche Regelungen für bestimmte Gewerkschaften per se ausschließe, bedrohe die existenzielle Grundlage
der betreffenden Gewerkschaft. Das geplante Tarifeinheitsgesetz sei der elegante Versuch, Gewerkschaften aus-
zuschalten, ohne sie explizit zu verbieten. Die Bundesregierung plane einen Frontalangriff auf das System der
Flächentarifverträge.
Zu Buchstabe c
Solidarität lasse sich nicht verordnen und schon gar nicht gesetzlich erzwingen, begründet die Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN ihren Antrag. Solidarität könne aber beschädigt werden. Und dies sei der Fall, denn seitdem
das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Juni 2010 den Grundsatz „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ revidiert und die
Rechtsprechung an die längst existierende Tarifpluralität angepasst habe, befeuere die andauernde Diskussion
über eine gesetzliche Tarifeinheit die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften. Es werde zwar suggeriert, dass
eine gesetzliche Tarifeinheit zu Ruhe in den Betrieben führe, doch das Gegenteil sei der Fall. Eine gesetzlich
normierte Tarifeinheit würde die Konkurrenzsituation während des parlamentarischen Verfahrens und insbeson-
dere nach Inkrafttreten weiter verschärfen. Der Kampf um die Mehrheit im Betrieb würde die innerbetriebliche
Solidarität erschweren; denn eine gesetzliche Tarifeinheit stelle elementar die Existenzberechtigung von Gewerk-
schaften in Frage. Aus diesem Grund warnten namhafte Rechtswissenschaftler vor einer gesetzlichen Tarifeinheit.
Die geplante gesetzliche Tarifeinheit sei ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit und die sei ein verfassungsrechtlich
garantiertes Grundrecht und ein wesentlicher Grundpfeiler des Minderheitenschutzes. Vor allem tangiere eine
gesetzliche Tarifeinheit auch das Streikrecht.

III. Öffentliche Anhörung von Sachverständigen

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die Beratung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4062 sowie der
Anträge auf Drucksache 18/4184 und 18/2875 in seiner 38. Sitzung am 18. März 2015 aufgenommen und die
Durchführung einer öffentlichen Anhörung von Sachverständigen beschlossen. Die Anhörung fand in der 41. Sit-
zung am 4. Mai 2015 statt.
Die Teilnehmer der Anhörung haben schriftliche Stellungnahmen abgegeben, die in der Ausschussdrucksache
18(11)357(neu) zusammengefasst sind.
Folgende Verbände, Institutionen und Einzelsachverständige haben an der Anhörung teilgenommen:
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
dbb beamtenbund und tarifunion
Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e. V.
Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit
Deutscher Städte- und Gemeindebund
Prof. Dr. Gregor Thüsing
Prof. Dr. Franz Josef Düwell
Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier
Prof. Dr. Bernd Waas
Prof. Dr. Wolfgang Däubler
Gerhart Baum.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) erkennt an, dass der Gesetzentwurf der
Bundesregierung zum Tarifeinheitsgesetz zentrale Elemente des Vorschlags von BDA und DGB aufgreife, den
diese gemeinsam im Juni 2010 vorgelegt hätten, um durch eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit das Tarif-
vertragssystem in geordneten Bahnen zu halten. Der vorgesehene neue § 4a im Tarifvertragsgesetz (TVG) be-
stimme, dass bei kollidierenden Tarifverträgen in einem Betrieb der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gelte.
Vor allem bestimme die vorgesehene Norm zu Recht, dass Ziel und Zweck der Tarifeinheit die Sicherung der
Ordnungs- und Befriedungsfunktion von Tarifverträgen sei. Der neue § 4a TVG sei die zentrale Vorschrift für die

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Auflösung von Tarifkollisionen. Bei dem Begriff der Tarifkollision handele es sich um den Oberbegriff für Ta-
rifpluralität und Tarifkonkurrenz. Wortlaut und Begründung machten deutlich, Tarifkollisionen könnten für Be-
triebe und Arbeitnehmer gravierende Probleme auslösen. Sie seien geeignet, Funktionsfähigkeit, Belastbarkeit
und Akzeptanz der Tarifautonomie in Deutschland grundsätzlich in Frage zu stellen. Daher sei es richtig, solche
Tarifkollisionen im Rahmen des TVG einer befriedigenden Lösung zuzuführen. Ohne eine solche Lösung könnten
Tarifverträge ihre vom Bundesverfassungsgericht anerkannten und vorausgesetzten wichtigen Funktionen nicht
erfüllen, das Arbeitsleben zu ordnen und zu befrieden.
Weiter heißt es u. a.: Das betriebsbezogene Mehrheitsprinzip sei ein geeignetes Mittel, um den vorrangigen Ta-
rifvertrag zu bestimmen. Damit werde keiner Gewerkschaft die Möglichkeit genommen, sich im Betrieb zu betä-
tigen. Vielmehr erhalte sie die Chance, im Wettbewerb selbst Mehrheitsgewerkschaft zu werden. Erfülle eine
Gewerkschaft, deren Tarifvertrag nicht zur Anwendung gelange, die von der Rechtsprechung bereits seit Jahr-
zehnten aufgestellten Grundsätze der Tariffähigkeit, bleibe sie tariffähig. Die Einführung des Mehrheitsprinzips
in § 4a ändere an der Tariffähigkeit einer Gewerkschaft ebenso wenig wie die Einführung des Mehrheitsprinzips
im AEntG und TVG.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verweist darauf, dass für die DGB-Gewerkschaften das Prinzip „Ein
Betrieb – ein Tarifvertrag“ politische Grundlage ihres Handelns im Betrieb, in der Branche und in der Gesellschaft
sei. Tarifverträge sollten den unterbietenden Konkurrenzkampf um den Arbeitsplatz, dem die einzelnen Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer untereinander dem Arbeitgeber gegenüber unterliegen, auflösen und gute Entgelt-
und Arbeitsbedingungen für alle schaffen. Verteilungsfragen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen unterei-
nander seien von ihnen selbst zu lösen, bevor sie sich gegenüber dem Arbeitgeber gemeinsam auf Forderungen
und eine Durchsetzungsstrategie verständigten. Dann könnten sie vom Arbeitgeber nicht gegeneinander ausge-
spielt werden. Ohne diese interne Klärung und Geschlossenheit sei das nicht möglich. Bestünden mehrere kon-
kurrierende Gewerkschaften, sei es das Ziel der DGB-Gewerkschaften, unter ihnen den höchstmöglichen Grad an
Geschlossenheit anzustreben.
Ausdrückliche Eingriffe in das Streikrecht enthalte der Gesetzestext in der Entwurfsfassung nicht. Im Einzelfall
könne aber ggf. ein Streik unverhältnismäßig sein, wenn der Tarifvertrag nach dem Grundsatz der Tarifeinheit in
den Betrieben offensichtlich nicht zur Anwendung kommen werde. Unabhängig von der unterschiedlichen Hal-
tung zur Frage des Eingriffs ins Streikrecht – mehrere Gewerkschaften lehnten den Gesetzentwurf aus diesem
Grund ab – seien sich die DGB-Gewerkschaften einig, dass das gesetzgeberische Augenmerk künftig auf eine
Stärkung der Bedeutung der Flächentarifverträge in Deutschland gelegt werden müsse.
Durch Tarifflucht der Arbeitgeber wie Austritte aus dem Arbeitgeberverband oder Wechsel in eine OT-Mitglied-
schaft, ständiges Outsourcing und Umstrukturieren – alles mit dem Ziel, Lohn- und Arbeitsbedingungen zu ver-
schlechtern – sei die Situation einer verstärkten Interessenkonkurrenz unter den Arbeitnehmergruppen geschürt
worden.
Der dbb beamtenbund und tarifunion lehnt den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab. Dieser beinhalte eine
schwerwiegende Einschränkung von Grundrechten. Es sei zu erwarten, dass mit dem als Referentenentwurf vor-
gestellten Gesetzesvorhaben nachhaltiger Schaden in der deutschen Gewerkschaftslandschaft angerichtet werde.
Dies werde nicht ohne Folgen für die Gesamtstärke der bundesdeutschen Gewerkschaftsbewegung bleiben und
über eine Zerrüttung des Betriebsfriedens in unzähligen Fällen auch für die Arbeitgeber von nachteiliger Wirkung
sein. Darüber hinaus werfe der konkrete Gesetzentwurf auch handwerklich mehrere unlösbare Probleme auf, etwa
mit dem Zählverfahren und der Betriebsdefinition. Das gesamte Projekt sei nicht geeignet, die Tarifautonomie in
Deutschland zu stärken.
Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) begrüßt die Initiative der Koalition, das
Thema Tarifeinheit anzugehen. Insbesondere im Bereich der kritischen Verkehrsinfrastruktur hätten Tarifkon-
flikte erheblich zugenommen. Diese hätten gezeigt, dass die ursprünglich friedensstiftende Wirkung der Tarifau-
tonomie in Deutschland nicht mehr hinreichend gewährleistet sei. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung habe
zum Ziel, eine friedenstiftende Wirkung dort zu entfalten, wo es zu Tarifkollisionen komme. Demzufolge griffen
die Regelungen des Gesetzentwurfs zur Tarifeinheit auch im Luftverkehr in den Bereichen, wo es zu Tarifkolli-
sionen komme. Dies sei vor allem bei Flughäfen der Fall, bedingt durch ihre im Vergleich zu Luftfahrtunterneh-
men gröbere Unternehmensstruktur mit einer geringeren Anzahl an Betrieben. Allerdings könne in wesentlichen
Bereichen des Luftverkehrs das Ziel des Gesetzentwurfes mit den darin enthaltenen Bestimmungen nicht erreicht
werden; denn der Luftverkehr sei strukturell so geprägt, dass für seine Aufrechterhaltung eine Vielzahl unabhän-

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gig voneinander bestehender Unternehmen reibungslos zusammenwirke. Jede Gruppe in dieser Dienstleistungs-
kette sei in der Lage, den gesamten Flugverkehr lahmzulegen, ohne dass die betroffenen Unternehmen Beteiligte
an der jeweiligen Tarifauseinandersetzung seien. Darüber hinaus würde der Gesetzentwurf auch in den Unterneh-
men seine friedensstiftende Wirkung nicht erreichen, wo Gewerkschaften ihre Zuständigkeiten abgestimmt hätten
und die Tarifverträge jeweils für verschiedene Arbeitnehmergruppen gelten – dies sei z. B. bei Piloten und Flug-
begleitern der Fall.
Um das Ziel des Gesetzes zur Tarifeinheit auch im Luftverkehr zu erreichen, sollten Ergänzungen für den Bereich
der kritischen Infrastruktur erfolgen. So solle das Tarifeinheitsgesetz durch die Aufstellung von Verfahrensregeln
ergänzt werden. Ferner solle u. a. der im Gesetzentwurf zur Tarifeinheit vorgesehene Betriebsbegriff auf einen
allgemeineren Unternehmensbegriff geändert werden, um Rechtssicherheit insbesondere in größeren Unterneh-
men mit zahlreichen Betrieben zu schaffen.
Der Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit (BRA) begrüßt, dass der Gesetzgeber die
Aufgabe angehe, Fragen der Tarifgeltung normativ zu regeln. Besonders dringlich erschienen gesetzliche Rege-
lungen zum Arbeitskampfrecht. Die Arbeitsgerichte fühlten sich wegen des Fehlens gesetzlicher Regelungen au-
ßerhalb des Artikel 9 Absatz 3 GG und wegen der hieraus folgenden Notwendigkeit, sämtliche Arbeitskampf-
maßnahmen allein am weiten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit prüfen zu müssen, allein gelassen. Dies gelte
umso mehr, als diese Prüfung häufig im Rahmen von einstweiligen Verfügungen in kürzester Zeit geschehen
müsse. Die durch die Verfassung den Gerichten zugewiesene Aufgabe bestehe in der Anwendung gesetzlicher
Bestimmungen und der Entscheidung der hieraus entstehenden Streitfragen, nicht aber in der Schaffung von Re-
gelungen zum Arbeitskampf mit derart weitreichenden Auswirkungen. Der Gesetzgeber sollte die Verantwortung
zur Regelung derart grundlegender und weitreichender Problembereiche selbst übernehmen.
Mit Blick auf diese Grundsätze sei der Entwurf aus Sicht der Gerichtsbarkeit enttäuschend. Regelungen zum
Arbeitskampfrecht – und sei es die Festlegung von Verfahrensregeln, Friedensmoratorien oder Schlichtungsver-
fahren – enthalte der Entwurf des Gesetzes nicht. Gerade an solche Regelungen sollte jedoch für den Fall gedacht
werden, dass Gewerkschaftskonkurrenzen zur umfassenden Blockade betrieblicher Tätigkeiten werden sollten. In
diesem Zusammenhang erschienen Schlichtungsregelungen bis hin zur Einführung einer gesetzlich vorgeschrie-
benen Zwangsschlichtung für den Ausgleich verschiedener Forderungen konkurrierender Gewerkschaften vor-
zugswürdig.
Zu weiteren Streitfragen könnte ohne weitere gesetzliche Definition die Auslegung des Begriffs „Betrieb“ im
Sinne von § 4a Absatz 2 TVG (neu) Anlass geben. Weiter werde befürwortet, dass die Entscheidung über den
nach § 4a Absatz 2 Seite 2 TVG (neu) geltenden Tarifvertrag im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren erfolgen
solle.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßt grundsätzlich die Intension des Gesetzentwurfs, dem Grund-
satz der Tarifeinheit wieder Geltung zu verschaffen. Auslöser des Gesetzentwurfs sei das Urteil des Bundesar-
beitsgerichts vom 7. Juli 2010, mit dem nach Jahrzehnten seiner Geltung der Grundsatz der Tarifeinheit aufgege-
ben worden sei. Es sei unstreitig, dass sich die Problemlagen durch die Rechtssprechungsänderung des Bundes-
arbeitsgerichts bis heute fortsetzten. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, Tarifkollisionen künftig gesetzgeberisch
zu verhindern. Man begrüße, dass das Ziel des Gesetzes ausdrücklich in die Begründung aufgenommen worden
sei.
Aber weder der Gesetzestext in § 4a TVG (neu) noch die Gesetzesbegründung (S. 14) erwähnten ausdrücklich,
dass auch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts mit ihren Verwaltungen vom Be-
triebsbegriff erfasst seien. Anders als im Kündigungsschutzgesetz würden Verwaltungen nicht ausdrücklich er-
wähnt. Es bestehe daher die Sorge, dass die Anwendung der zur Wiederherstellung der Tarifeinheit vorgesehenen
Regelungen auf die öffentliche Hand in Zweifel gezogen werden könnten. Daher sei es geboten, an geeigneter
Stelle klarzustellen, dass die neuen Regelungen auch für die Verwaltungen von Körperschaften, Anstalten und
Stiftungen des öffentlichen Rechts Anwendung fänden.
Mit Blick auf die Auswirkungen von Streiks im Dienstleistungsbereich reiche der Gesetzentwurf noch nicht aus.
Es bedürfe präziser Regelungen, ob und unter welchen Voraussetzungen vom Streikrecht Gebrauch gemacht wer-
den dürfe. Das o. g. BAG-Urteil habe auch dazu geführt, dass es zunehmend Streiks von Berufsgruppen-Gewerk-
schaften gebe, die für einen geringen Anteil der Beschäftigten aufträten. Die weit überwiegenden Streiks fänden
dabei im Dienstleistungsbereich statt und träfen mit ihren Auswirkungen unmittelbar Bürgerinnen und Bürger.
Der Gesetzentwurf sehe vor, dass die Entscheidung über die Zulässigkeit von Streiks allein der Rechtsprechung

Drucksache 18/4966 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
überlassen werden solle. Die Gesetzesbegründung bringe lediglich zum Ausdruck, dass im Falle eines Arbeits-
kampfes über dessen Verhältnismäßigkeit im Sinne des Prinzips der Tarifeinheit zu entscheiden sein werde. Eine
Gesetzesbegründung sei für die Arbeitsgerichte aber nicht bindend. Es müssten gesetzlich konkrete Regelungen
für Arbeitskämpfe im Dienstleistungsbereich formuliert werden.
Der Sachverständige Prof. Dr. Gregor Thüsing begrüßt die Initiative der Bundesregierung zur Stärkung der
Tarifautonomie. Der Wert des Gesetzes liege dabei in der Verhinderung der Herausbildung von Kleinstgewerk-
schaften und der Zersplitterung der Tariflandschaft. Dieser Weg könne aber im Einzelfall zu sinnwidrigen Ergeb-
nissen führen. So könnte eine Berufsgruppe damit von einer Gewerkschaft vertreten werden, in der sie kein ein-
ziges Mitglied habe, obwohl die konkurrierende Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt werde, einen sehr
hohen Organisationsgrad habe. Auch löse der Entwurf das Problem der Häufung von Arbeitskämpfen bei kon-
kurrierenden Gewerkschaften nicht. Es werde so keinen Streik weniger geben. Denn der Gesetzentwurf sage in
seiner Begründung deutlich: „Die Regelungen zur Tarifeinheit ändern nicht das Arbeitskampfrecht“. Bislang habe
jeder Arbeitnehmer eines Unternehmens für einen Tarifvertrag streiken dürfen, auch wenn er nicht von ihm erfasst
worden sei.
Nicht alles, was zu zuweilen sinnwidrigen Ergebnissen führe oder wichtige Probleme ungelöst lasse, sei verfas-
sungswidrig. Hier liege jedoch eine strukturelle Benachteiligung von Spartengewerkschaften, die rechtfertigungs-
bedürftig sei, unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit handele oder um
einen Eingriff in diese. Beides dürfte kaum abgrenzbar sein. Denn jede Ausgestaltung sei auch eine Begrenzung,
dass andere Varianten der Ausgestaltung nicht gewählt würden. Denn auch bei der Ausgestaltung seien die grund-
rechtlich geschützten Interessen der Betroffenen in einen verhältnismäßigen verfassungsrechtlichen Ausgleich zu
setzen. Eine Ausgestaltung, die den Spartengewerkschaften die Luft zum Atmen nehme, wäre ohne hinreichende
Rechtfertigung auch als Ausgestaltung verfassungswidrig. Viele sähen diese Rechtfertigung als nicht gegeben an.
Die verfassungsrechtlichen Probleme ließen sich deutlich entschärfen, wenn man einen Weg finde, die Konkur-
renzen anders aufzulösen, ohne die Spartengewerkschaften strukturell zu benachteiligen. Ein möglicher Weg wäre
es, das Mehrheitssystem nicht am Betrieb ansetzen zu lassen, sondern am sich überschneidenden Bereich: Es
würde sich im Bereich der Überschneidung der Tarifvertrag der Gewerkschaft durchsetzen, die in der Personen-
gruppe, für die beide Gewerkschaften tätig geworden seien, die meisten Mitglieder habe. Weil hierin aber eine
strukturelle Bevorzugung von Spartengewerkschaften liegen würde, sollte im Gegenzug diese Konkurrenzrege-
lung davon abhängig gemacht werden, dass dieser Überschneidungsbereich eine Mindestgröße der Belegschaft
ausmache.
Der Sachverständige Prof. Dr. Franz Josef Düwell verweist mit Blick auf das BAG-Urteil von 2010, dass der
Gesetzgeber bisher die mit der Tarifpluralität verbundenen Rechtsfragen nicht geregelt habe. Den Gerichten für
Arbeitssachen komme weder die Kompetenz zur Schließung einer unbewussten Regelungslücke noch zur geset-
zesübersteigenden Rechtsfortbildung zu. Im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bedürfe es einer
gesetzlichen Regelung, die für die Normunterworfenen so klar sei, dass sie disponieren könnten. Deshalb sei auch
nach förmlicher Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit, der von Anfang an die Kompetenz der Gerichte für
Arbeitssachen überschritten habe, der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen zum Tätigwerden aufge-
rufen.
Das Tarifvertragsrecht sei im TVG so auszugestalten, dass es für die Fälle der Pluralität von Tarifverträgen hin-
reichend klare Regeln aufstelle. Deshalb sei den Vorlagen auf Bundestags-Drucksache 18/4184 und 18/2875 zu
widersprechen; denn sie beließen es bei der gegenwärtigen Rechtslage, die als Flucht des Gesetzgebers vor der
Verantwortung zu beschreiben sei. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setze demgegenüber hinreichend
klare Regeln. Das sei im Grundsatz zu begrüßen.
Die Einführung eines besonderen Verfahrens zur Feststellung der gewerkschaftlichen Vertretungsverhältnisse in
den Betrieben sei notwendig: Diese müsse dem Schutz der Koalitionsfreiheit Rechnung tragen. Dazu gehöre es,
den sozialen Gegenspieler sowohl über die Namen der zur Gewerkschaft gehörenden Mitglieder als auch über
deren Anzahl im Ungewissen zu lassen. Ohne dieses besonders ausgestaltete Nachweisverfahren müsste sich die
den Nachweis führende Gewerkschaft gegenüber dem Arbeitgeber als sozialem Gegenspieler schwächen, weil er
Informationen über die tatsächliche Durchsetzungskraft der Arbeitnehmerkoalition in einer konkreten Verhand-
lungssituation erhielte und bei Kenntnis der Namen auch gezielte Maßregelungen vornehmen könnte, die zwar
rechtlich unzulässig wären, aber sich dennoch tatsächlich auswirkten.
Aus diesen Gründen sei es erforderlich, den Nachweis über die Anzahl der im Betrieb beschäftigten Gewerk-
schaftsmitglieder durch die Vorlage öffentlicher Urkunden führen zu können. Das gelte nicht nur für den Fall des

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/4966
§ 4a Absatz 2 Satz 2 TVG n.F. sondern auch für den Nachweis des Vertretenseins im Betrieb, um die Berechtigung
zum Zugang zum Betrieb nach § 2 Absatz 2 BetrVG zu erlangen. Das notarielle Beurkundungsverfahren entspre-
che in der betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsfrage dem Stand der Rechtsprechung. Im Ausschuss sollte des-
halb klargestellt werden, dass die Neuregelung nicht allein auf den Fall des § 4a Absatz 2 Satz 2 TVG n.F. bezogen
sei. Das notarielle Beurkundungsverfahren sei gut geeignet. Der Notar sei beruflich zur Verschwiegenheit ver-
pflichtet. Das Verfahren sei erforderlich, um zu vermeiden, dass die sensiblen Mitgliederdaten über die zugäng-
liche Gerichtsakte öffentlich würden.
Der Sachverständige Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier führt aus, dass das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus
Artikel 9 Absatz 3 GG – insbesondere die darin gewährleistete Tarifautonomie – ein normgeprägtes und zweck-
gebundenes Grundrecht sei. Es bedürfe daher der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber, die sich am objektiv-
rechtlichen Gehalt des Artikel 9 Absatz 3 GG zu orientieren habe. Im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit müssten
mithin zwei Formen gesetzlicher Regelungen unterschieden werden, die Ausgestaltungsregelungen einerseits und
die Grundrechtseingriffsregelungen andererseits. Im Rahmen seiner Ausgestaltungs- und Ausgleichskompetenz
sei der Gesetzgeber zwar nicht frei von verfassungsrechtlichen Bindungen. Er unterliege hier aber nicht den glei-
chen engen Vorgaben des Übermaßverbotes wie im Falle des Eingriffs in einen vorgegebenen grundrechtlichen
Rechtsbestand.
Der objektiv-rechtliche Gewährleistungsgehalt des Artikel 9 Absatz 3 GG umfasse nicht die bloße Bereitstellung
kollektiver Vertragsmechanismen und die Herstellung einer staatsfreien Privatautonomie im Bereich der Arbeits-
und Wirtschaftsbedingungen. Er übertrage vielmehr dem Staat die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Ko-
alitionsbetätigungsfreiheit ihrer dienenden Funktion zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbe-
dingungen gerecht werden könne. Der Gesetzgeber habe koordinierende Regelungen zu treffen, die einen Aus-
gleich der konkurrierenden, verfassungsrechtlich ebenfalls geschützten Interessen herstellten, namentlich der wi-
derstreitenden Interessen aller Parteien des Tarifvertragssystems. Der Gesetzgeber habe vor allem dem überra-
genden Gemeinwohlziel Rechnung zu tragen, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie und ihre gemeinwohl-
verträgliche Ausübung zu sichern.
Gesetzliche Regelungen, die der Vermeidung von Tarifkollisionen dienten, hätten ihrem Regelungsgegenstand
nach die Beziehungen der Tarifvertragsparteien untereinander zum Gegenstand und zielten ihrem Regelungs-
zweck nach auf die durch Artikel 9 Absatz 3 GG gebotene Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie
ab. Solche Regelungen zur Auflösung von Tarifkollisionen und zur Tarifeinheit stellten demgemäß eine Ausge-
staltung des Tarifvertragssystems und keinen Eingriff in die Koalitionsfreiheit im engeren verfassungsrechtlichen
Sinne dar.
Die vorgesehenen gesetzlichen Regelungen, die dem Ausschluss von Tarifkollisionen in ein und demselben Be-
trieb dienten, verfolgten das Ziel der Wahrung eines funktionsfähigen Tarifvertragssystems, des angemessenen
Ausgleichs mit den konkurrierenden Belangen anderer Parteien des Tarifvertragssystems und des schonenden
Ausgleichs mit den Gemeinwohlbelangen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.
Dafür, dass der Gesetzgeber die Grenzen seines Gestaltungsspielraums bei einer Regelung der Tarifeinheit nicht
einhielte, seien keine überzeugenden Gründe vorgetragen worden. Mangels milderer, gleich effektiver Mittel zum
Schutz vor den mit der Tarifpluralität vernünftigerweise in Verbindung gebrachten Gefährdungen und aufgrund
des Gewichts der mit dem Regelungsvorschlag verfolgten Zwecke könne der Gesetzgeber daher grundsätzlich
eine Regelung der Tarifeinheit nach Maßgabe des Mehrheitsprinzip beziehungsweise der Repräsentativität in ver-
fassungsrechtlich zulässiger Weise treffen.
Der Sachverständige Prof. Dr. Bernd Waas führt aus, dass eine auf Tarifeinheit zielende Regelung verfassungs-
rechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn der Gesetzgeber zulässigerweise zu der Einschätzung gelange, dass Be-
einträchtigungen der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie bestünden oder zumindest ernsthaft drohten. Die Be-
sonderheiten von Verhandlungen in tarifpluralen Strukturen ließen eine derartige Einschätzung als grundsätzlich
gerechtfertigt erscheinen. Gesetzgeberische Maßnahmen seien dann als Ausgestaltung des Grundrechts aus Arti-
kel 9 Absatz 3 GG und nicht als Eingriff in dieses zu bewerten. Sofern man auch den „ausgestaltenden“ Gesetz-
geber – jedenfalls in gewissem Umfang – an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden sehe, rückten die Maß-
stäbe der Geeignetheit und Erforderlichkeit in den Vordergrund. Zwar blieben auf der Grundlage der Begründung
des Regierungsentwurfs gewisse Zweifel, da die Verdrängung des Minderheitstarifvertrags unabhängig von sei-
nem Regelungsbereich eintreten solle. Im Kern dürfte die vorgeschlagene Regelung diesen Maßstäben aber ge-
nügen.

Drucksache 18/4966 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Der Sachverständige Prof. Dr. Wolfgang Däubler kritisiert, dass „Tarifeinheit“ im Gesetzentwurf der Bundes-
regierung so zu verstehen sei, dass nur der Tarifvertrag gelten solle, der von der Gewerkschaft mit der relativ
größten Mitgliederzahl im Betrieb abgeschlossen worden sei. Ein von einer Minderheitsgewerkschaft abgeschlos-
sener Tarifvertrag komme nicht zur Wirkung. Das Abstellen auf die größere Mitgliederzahl führe entgegen dem
ersten Eindruck zu einer schwer erträglichen Rechtsunsicherheit. Bislang existiere kein wirklich verlässliches
Verfahren, wie in überschaubarer Zeit die Mitgliederzahl von zwei Gewerkschaften festgestellt werden solle.
Auch gebe es keine einsichtigen Regeln für die Zeit bis zu einer denkbaren gerichtlichen Klärung.
Eine grundsätzliche Gefahr, dass kleine Gruppen von Beschäftigten durch Streiks Sondervorteile für sich heraus-
holen wollten, bestehe nach den bisherigen Erfahrungen nicht. Allenfalls würden bestehende Verteilungsspiel-
räume konsequenter ausgeschöpft.
Eine gesetzlich verordnete Tarifeinheit würde keineswegs zur Stabilisierung der industriellen Beziehungen bei-
tragen. Die Mehrheitsposition müsse keineswegs immer von einer DGB-Gewerkschaft errungen werden. Zudem
bestehe schon nach heutigem Recht die Gefahr nicht, dass sich in relevantem Umfang neue gewerkschaftliche
Organisationen bildeten. Die öffentliche Aufmerksamkeit sollte vielmehr darauf gelenkt werden, dass Umstruk-
turierungen auf Arbeitgeberseite und die Beschäftigung atypischer Arbeitskräfte zu einem Abbau und einer „Zer-
gliederung“ des Tarifsystems geführt hätten.
Bestünden in einzelnen Betrieben unterschiedliche Mehrheiten, werde der Flächentarif durchlöchert; an seine
Stelle trete noch mehr als bisher ein Flickenteppich vielfältiger Regelungen. Bestünden Kooperationsbeziehungen
und Tarifgemeinschaften zwischen verschiedenen Gewerkschaften, würden diese zumindest mittelfristig zerstört,
wenn eine Mehrheitsorganisation keinem Zwang zum Kompromiss mehr unterliege.
Der Schutzbereich des Grundrechts aus Artikel 9 Absatz 3 GG umfasse die freie Entscheidung über die Organi-
sationsform sowie den Abschluss von Tarifverträgen und die Vornahme von Maßnahmen des Arbeitskampfes.
Werde das Recht zum Abschluss von Tarifverträgen und zum darauf bezogenen Arbeitskampf entzogen, liege ein
Grundrechtseingriff vor; der Spielraum für eine bloße „Ausgestaltung“ sei bei weitem überschritten.
Der Regierungsentwurf wolle Minderheitengewerkschaften das Recht zum Abschluss von Tarifverträgen entzie-
hen. Nach seiner Begründung müsse damit gerechnet werden, dass auch ein Streik jedenfalls dann ausgeschlossen
sei, wenn die Minderheitenposition der fraglichen Gewerkschaft offensichtlich oder in einem arbeitsgerichtlichen
Beschlussverfahren rechtskräftig festgestellt worden sei.
Die Koalitionsfreiheit des Artikel 9 Absatz 3 GG stehe nicht unter einem allgemeinen Funktionsvorbehalt; Ein-
griffe seien nur zugunsten anderer verfassungsrechtlich geschützter Güter möglich. Die bloße „Praktikabilität“
genüge hierfür nicht – ganz abgesehen davon, dass die vom BAG zugelassene Tarifpluralität weniger Friktionen
als der vorliegende Gesetzentwurf hervorrufe. Dies werde nicht zuletzt daran deutlich, dass schon in der Vergan-
genheit in zahlreichen Konstellationen nicht nach dem Prinzip der Tarifeinheit verfahren, sondern mehrere Tarif-
verträge im selben Betrieb angewandt worden seien; Schwierigkeiten hätten sich daraus nicht ergeben. Auch sei
es keineswegs häufiger zu Arbeitskämpfen gekommen. Mit der freien Gewerkschaftsbildung sei notwendiger-
weise auch die Konsequenz verbunden, dass bestimmte Organisationen bessere Erfolge als andere erzielen könn-
ten. Ein vorgegebenes Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit gebe es entgegen den Annahmen des Regierungsent-
wurfs nicht. Weitere auch nur ansatzweise überzeugende Argumente zugunsten der Tarifeinheit seien nicht er-
sichtlich. Die Realisierung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung würde einen unverhältnismäßigen Eingriff
in die Koalitionsfreiheit darstellen.
Der Sachverständige Gerhart Baum sieht keinen Regelungsbedarf. Tarifpluralität sei keine Folge der Änderung
der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Jahre 2010 – de facto sei sie seit Jahrzehnten angewandte und
gelebte Praxis in Deutschland. Die befriedende Wirkung der Flächentarifverträge habe arbeitgeberseitig bereits
lange zuvor zunehmender Kritik unterlegen, weil gleiche Arbeitsbedingungen den bestehenden Besonderheiten
in unterschiedlichen Branchen und Unternehmen nicht gerecht würden. Es sei zur Bildung einer Vielzahl neuer
Arbeitgeberverbände gekommen – umgekehrt aber nur zur Gründung einiger weniger Fachgewerkschaften.
Verlässliche Friedensphasen in den Unternehmen würden weiterhin die Regel sein. Deutschland sei in der west-
lichen Welt eines der Länder mit den geringsten arbeitskampfbedingten Ausfallzeiten, trotz weitgehend fehlender
gesetzlicher Regulierung des Tarif- und Arbeitskampfrechts. Gerade die Fachgewerkschaften brächten es auf be-
sonders wenig Streiktage pro Kopf.
Größtmögliche Verteilungsgerechtigkeit innerhalb eines Unternehmens lasse sich nicht durch gesetzliche Veran-
kerung der Tarifeinheit oder eine Einschränkung des Arbeitskampfrechts herstellen. Die Tarifautonomie sei auf

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/4966
Veränderung in einer dynamischen Arbeits- und Wirtschaftswelt angelegt. Hierzu gehöre auch das Recht von
Mitgliedern einzelner Berufsgruppen, die sich von anderen (Mehrheits-) Gewerkschaften nicht ausreichend ver-
treten fühlten, sich von ihrer ursprünglichen Gewerkschaft abzuspalten und durch ihre Berufsgewerkschaft eigen-
ständig Tarifverhandlungen zu führen. Gesetzliche Eingriffe in diesen von autonomen Kräften des Wettbewerbs
bestimmten Prozess seien zu vermeiden. Selbst unbedeutend erscheinende Eingriffe könnten ein gewachsenes
freiheitliches System des Interessensausgleichs zwischen den Koalitionen stark beeinträchtigen und böten ein
Einfallstor für jede weitere Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit. Die Tarifparteien selbst, nicht der Gesetzge-
ber seien zu eventuell erforderlichen Lösungen aufgerufen und in der Lage. Die Durchsetzung der Mehrheitsge-
werkschaft sei also kein Garant für Verteilungsgerechtigkeit.
Gewerkschaftspluralismus sei die notwendige Folge eines demokratischen Gemeinwesens. Die Vorgabe eines
Mehrheitsprinzips könne nur innerhalb einer Gewerkschaft gelten, nicht aber auf Betriebsebene gewerkschafts-
übergreifend angeordnet werden, ohne in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit einzugreifen. Eine mögliche Kol-
lision der Koalitionsrechte von Mehrheitsgewerkschaften einerseits und Minderheitsgewerkschaften andererseits
sei Ausdruck des Kollektivwettbewerbs der Gewerkschaften um Mitglieder oder Tarifbedingungen und könne
deshalb keinen Sachgrund für eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit (Recht zum Abschluss wirksamer Tarif-
verträge) darstellen. Gesetzliche Eingriffe in diesen Wettbewerb seien eine Diskriminierung der jeweiligen Min-
derheiten und beträfen den Kernbereich ihrer Koalitionsfreiheit. Dieser Eingriff wäre nur bei schweren und kon-
kreten Gefahren für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter gerechtfertigt, die aber nicht bestünden. Die Bun-
desregierung könne sich allenfalls auf Risiken für wichtige Gemeinschaftsgüter oder abstrakte Gefahren berufen.
Die volkswirtschaftlichen Schäden einzelner Arbeitskämpfe überschritten aber nicht das Maß, das Artikel 9 Ab-
satz 3 GG für Arbeitskämpfe als Preis der Koalitionsfreiheit und der Gestaltungsmacht der Tarifautonomie vo-
raussetze. Damit sei ein Eingriff in den Kernbereich der Koalitionsfreiheit nicht gerechtfertigt und letztlich ver-
fassungswidrig.
Der Arbeitskampf sei ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Instrument zur Wahrnehmung der Koalitionsfrei-
heit, um eine wirksame Tarifregelung zu vereinbaren. Um als Gewerkschaft einen abgrenzbaren Tarifvertrag
schließen zu können (auch als „Minderheitsgewerkschaft“ für bestimmte Berufsgruppen), müsse auch das Ar-
beitskampfrecht wahrgenommen werden können. Die angedachte Ausdehnung der Friedenspflicht auf die Min-
derheitsgewerkschaft komme einem Gewerkschaftsverbot gleich.
Weitere Einzelheiten der Stellungnahmen sind der Materialzusammenstellung auf Drucksache 18(11)357(neu)
sowie dem Protokoll der Anhörung zu entnehmen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/4062 sowie die Anträge auf
den Drucksachen 18/4184 und 18/2875 in seiner 44. Sitzung am 20. Mai 2015 abschließend beraten. Der Aus-
schuss hat dem Deutschen Bundestag dabei mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei einer Stimmenthaltung aus der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4062 in unveränderter
Fassung empfohlen. Beim dem Antrag auf Drucksache 18/4184 wurde mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei einer
Stimmenthaltung aus der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung empfohlen. Auch beim dem An-
trag auf Drucksache 18/2875 wurde mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei einer Stimmenthaltung aus der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung empfohlen.
Die Fraktion der CDU/CSU betonte, dass das Tarifeinheitsgesetz das Streikrecht nicht einschränke. Es leiste
einen Beitrag zur Lösung von Konfliktsituationen. Der Solidaritätsgedanke der Mitarbeiter untereinander in einem
Betrieb müsse gestärkt werden. Auch das geschehe mit diesem Gesetz. Zudem sei nicht absehbar, dass die Zu-
sammenarbeit der Gewerkschaften innerhalb der Branchen zusammenbrechen werde, anders als von der Opposi-
tion behauptet. Zudem werde die Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit eines Streiks weiterhin von Gerich-
ten gefällt werden. Auch daran ändere sich nichts. Das Argument, kleine Gewerkschaften hätten mit der neuen
Gesetzeslage keine Chance auf legale Streiks, treffe ebenfalls nicht zu.

Drucksache 18/4966 – 14 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Fraktion der SPD betonte ebenfalls, dass das Tarifeinheitsgesetz nicht ins Streikrecht eingreife. Die Koali-
tionsfreiheit werde weiterhin gewahrt. Nur wenn mehrere unterschiedliche Tarifverträge für dieselbe Beschäftig-
tengruppe gälten, werde per Mehrheit der Mitglieder im Betrieb entschieden, welcher Tarifvertrag gelte. Der Ge-
setzentwurf sei ein weiterer Baustein zur Sicherung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Der
Grundsatz der Tarifeinheit habe in Deutschland seit rund 60 Jahren gegolten. Die Geschlossenheit der gewerk-
schaftlichen Interessenvertretungen habe das Land nach Kriegsende stark gemacht. Das führe der Gesetzentwurf
weiter. Eine Zersplitterung der Arbeitnehmerschaft brauche man nicht. Sie stelle die Solidarität in Frage. Alle
Arbeitnehmergruppen hätten ihre Bedeutung. Ein Zug beispielsweise fahre nicht nur, weil ein Lokführer arbeite.
Der Gesetzentwurf trage zur Befriedung auch deshalb bei, weil ein Streik breite Unterstützung und Akzeptanz
benötige.
Die Fraktion DIE LINKE. verwies auf Bedenken gegen das Gesetz von allen Seiten. Es bedeute in seiner Wir-
kung eine Einschränkung des Streikrechts und führe dazu, dass von einer kleinen Gewerkschaft abgeschlossene
Tarifverträge keine Geltung mehr erlangten. Streiks dieser Gewerkschaft wären in der Folge rechtswidrig. Es
würde in unzulässiger Weise in die Koalitionsfreiheit eingegriffen und damit ein verfassungswidriges Gesetz be-
schlossen. Dem könne man nicht zustimmen. Die Tarifeinheit an sich sei zwar wünschenswert, werde aber mit
diesem Gesetz gar nicht erreicht. Es werde vielmehr die Gewerkschaften spalten.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kritisierte das Gesetz ebenfalls als klaren Eingriff in das Streikrecht.
Es gehe keineswegs nur um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Spätestens in der zweiten Runde von
Tarifverhandlungen könnten Gerichte voraussichtlich künftig nicht anders entscheiden, als einen Streik der klei-
neren Gewerkschaft nicht mehr als legal einzustufen. Bisher habe es viele Kooperationen großer und kleinerer
Gewerkschaften gegeben. Dies werde absehbar mit der starken Konkurrenz um die entscheidende größere Mit-
gliederzahl in Zukunft gefährdet. Der Betriebsfrieden werde geschwächt. Darüber hinaus enthalte das Tarifein-
heitsgesetz handwerkliche Fehler etwa bei der Regelung zur Zählung der Gewerkschaftsmitglieder. Insgesamt
drohe das Gesetz zu einem Beschäftigungsprogramm für Juristen zu werden.

Berlin, den 20. Mai 2015

Beate Müller-Gemmeke
Berichterstatterin
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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