BT-Drucksache 18/4936

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Gipfel Östliche Partnerschaft am 21./22. Mai 2015 in Riga, zum G7-Gipfel am 7./8. Juni 2015 in Elmau und zum EU-CELAC-Gipfel am 10./11. Juni 2015 in Brüssel

Vom 19. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4936
18. Wahlperiode 19.05.2015
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, Sevim Da delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Inge Höger, Andrej
Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu,
Azize Tank, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin
zum Gipfel Östliche Partnerschaft am 21./22. Mai 2015
in Riga, zum G7-Gipfel am 7./8. Juni 2015 in Elmau
und zum EU-CELAC-Gipfel am 10./11. Juni 2015 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der 7. Gipfel der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) im April 2015
stellte eine historische Zäsur dar. Erstmals reichten sich die Präsidenten der USA und
Kubas die Hände und trafen sich zum Gespräch. Mit dieser Begegnung zwischen Ba-
rack Obama und Raúl Castro verbindet sich die Hoffnung auf neue, auf gegenseitigem
Respekt basierende Beziehungen zwischen den USA und den Staaten Lateinamerikas.
Diese Entwicklung ist das Ergebnis des erfolgreichen Integrationsprozesses in Latein-
amerika, der in den vergangenen 10 Jahren von linken Regierungen vorangetrieben
worden war. Er hat die hegemoniale Rolle der USA auf dem Kontinent erheblich zu-
rückgedrängt und damit den Staaten Lateinamerikas eine gleichberechtigte Position
gegenüber den USA verschafft.
Auch im Verhältnis der Europäischen Union (EU) zu Kuba stehen Veränderungen an:
Die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, reiste Ende März 2015 nach Kuba,
um die Verhandlungen über ein Abkommen über politischen Dialog und Zusammen-
arbeit weiter voranzubringen. Dieses Abkommen würde den sogenannten „Gemeinsa-
men Standpunkt“ der EU gegenüber Kuba von 1996 ablösen. Dies ist überfällig, denn
im „Gemeinsamen Standpunkt“ werden bilaterale Beziehungen noch unter den Vor-
behalt einseitiger politischer Zugeständnisse Kubas gestellt. In einer vertieften Zusam-
menarbeit mit Kuba lägen nicht nur für die EU, sondern auch für Deutschland viele
entwicklungspolitische Potenziale, etwa in einer möglichen trilateralen Entwicklungs-
zusammenarbeit zugunsten dritter Partner in Lateinamerika.
Diese Entwicklungen spiegeln sich in der Lateinamerika-Politik der Bundesregierung
nicht wider. Am 4. März 2015 stellte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (BMZ) seine neue Lateinamerika-Strategie unter der
Überschrift „Mit gemeinsamen Werten und Interessen Zukunft gestalten“ der Öffent-
lichkeit vor. Zwar spricht die Bundesregierung darin von einer neuen Rolle Latein-

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amerikas in der internationalen Politik. Sie erwähnt jedoch weder die regionalen In-
tegrationsprozesse im Rahmen des Handelsabkommens ALBA (Bolivarianische Alli-
anz), des Südamerikanischen Staatenbundes UNASUR oder des kontinentalen Bünd-
nisses CELAC (Staatengemeinschaft Lateinamerikas und der Karibik) noch die Rolle
lateinamerikanischer Staaten bei der Stärkung von überregionalen Süd-Süd-Koopera-
tionen, etwa in der Staatengruppe G77. Diese auffällige Unterlassung legt den Schluss
nahe, dass die Bundesregierung weiterhin nicht bereit ist, die verstärkte Zusammenar-
beit von Ländern des Südens und ihr wachsendes Gewicht gegenüber den Ländern des
Nordens als eine positive Entwicklung in der internationalen Politik wahrzunehmen.
Das BMZ verzichtet ebenso darauf, in seiner Lateinamerika-Strategie die neuen Mög-
lichkeiten in den Beziehungen zu Kuba anzusprechen.
Ebenso wenig scheint die Bundesregierung bereit zu sein, die großen Fortschritte in
der Armutsbekämpfung und bei der Verringerung sozialer Ungleichheit anzuerkennen,
die in einigen lateinamerikanischen Staaten erzielt werden konnten. Diese Fortschritte
wurden vor allem dort erreicht, wo Regierungen die Dogmen neoliberaler Wirtschafts-
politik wie Privatisierung, Liberalisierung und Austerität hinter sich gelassen haben
und stattdessen auf die Stärkung des Staates, auf die Ausweitung sozialer Programme
und auf antizyklische Konjunkturförderung setzen.
Anstatt diese neuen Entwicklungen aufzugreifen und zu diskutieren, geht die Bundes-
regierung auch in ihrer neuen Strategie mit den alten Konzepten auf Lateinamerika zu.
Sie will öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) vorantreiben, auch in Kernbereichen
der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Ernährungssicherung, Gesundheit und Bildung.
Damit setzt sie sich nicht nur über die politischen Realitäten in Lateinamerika hinweg,
wo Privatisierungen großen Schaden angerichtet haben und deshalb schrittweise wie-
der rückgängig gemacht werden, sondern ignoriert auch große zivilgesellschaftliche
Bündnisse in Europa, die bereits erfolgreich gegen ÖPP-Projekte und gegen Privati-
sierung öffentlicher Daseinsvorsorge kämpfen.
Das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union (EU) und von CELAC am 10. und 11. Juni 2015 in Brüssel findet in einer
Situation statt, in der die sozialen Errungenschaften in einigen lateinamerikanischen
Ländern unter Druck geraten. Insbesondere in Venezuela hat sich die Opposition unter
dem Eindruck einer schwierigen wirtschaftlichen Lage radikalisiert und es scheint
denkbar, dass Teile der Opposition nach zahlreichen Niederlagen in demokratischen
Wahlen nun auf Gewalt setzen, um die Macht wiederzuerlangen. Die Gewalt wird zu-
sätzlich dadurch angeheizt, dass die US-Regierung die Situation in Venezuela zu einer
„außerordentlichen und außergewöhnlichen Gefahr für die nationale Sicherheit der
USA“ erklärt und damit der De-Legitimierung der demokratisch gewählten Regierung
Venezuelas Vorschub geleistet hat. Eine positive Bezugnahme der Bundesregierung
auf die sozialen und demokratischen Errungenschaften in Venezuela wäre im Sinne
einer De-Eskalation hilfreich und sollte im Rahmen des EU-CELAC-Gipfels nachge-
holt werden. Die Bundesregierung stünde damit nicht allein. Die Mitgliedstaaten von
UNASUR und CELAC haben sich ebenso wie die Gruppe der Entwicklungsländer,
G77, mit der venezolanischen Regierung solidarisch erklärt.
Dank der diplomatischen Unterstützung durch die Regierungen Kubas und Norwegens
als Garanten sowie Venezuelas und Chiles als Unterstützer stehen die Verhandlungen
zwischen der Regierung Kolumbiens und der Guerilla der FARC in Havanna vor dem
Abschluss. Der EU-CELAC Gipfel sollte dem erfolgreich verlaufenden Friedenspro-
zess in Kolumbien Rechnung tragen und zur Stärkung eines erfolgreichen Abschlusses
den Generalsekretär der Vereinten Nationen bitten, einen Friedensbeauftragten für den
Prozess zu ernennen.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den EU-CELAC-Gipfel für den Austausch über Entwicklungsstrategien und eine
Neuausrichtung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen EU und Lateiname-
rika zu nutzen und in diesem Sinne
anzuregen, dass die 2010 ins Leben gerufene EU-LAC-Stiftung mit Sitz in

Hamburg beauftragt wird, die Potenziale und Anknüpfungspunkte alternati-
ver Handelsabkommen wie ALBA für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen
der EU und den lateinamerikanischen und karibischen Staaten zu untersu-
chen,

sich für eine grundsätzliche Neuausrichtung der Handelspolitik der EU ge-
genüber Lateinamerika einzusetzen, die komplementären Austausch an die
Stelle von Verdrängungswettbewerb setzt, auf Liberalisierungs- und Privati-
sierungsforderungen verzichtet, den öffentlichen Beschaffungsmarkt als ent-
wicklungspolitisches Steuerungsinstrument erhält und die die Regulierung
statt Liberalisierung von Finanzmärkten vorantreibt,

sich in der EU dafür einzusetzen, dass die Handelsabkommen, die derzeit
verhandelt werden oder bereits abgeschlossen wurden, in einem demokrati-
schen Prozess auf ihre Entwicklungsförderlichkeit hin überprüft und bei Be-
darf modifiziert werden,

sich gegen den Abschluss des Transatlantischen Handels- und Investitions-
abkommens (TTIP) zwischen der EU und den USA auszusprechen,

sich dafür einzusetzen, dass auf dem EU-CELAC-Gipfel die Erfahrungen la-
teinamerikanischer Länder bei der Armutsbekämpfung und bei der Verringe-
rung der sozialen Ungleichheit an zentraler Stelle diskutiert und Schlussfol-
gerungen sowohl für die Neubestimmung der interkontinentalen Beziehun-
gen als auch für den weiteren Umgang mit der Krise in der EU gezogen wer-
den;

2. die am 4.3.2015 vorgestellte Lateinamerika-Strategie grundlegend zu überarbei-
ten und dabei
die positive Rolle lateinamerikanischer Staaten bei der Stärkung globaler

Süd-Süd-Kooperationen hervorzuheben und Anknüpfungspunkte für die
deutsche Außenpolitik zu formulieren,

die Erfahrungen lateinamerikanischer Regierungen bei der Armutsbekämp-
fung und bei der Verringerung sozialer Ungleichheit genauer in den Blick zu
nehmen,

ihre Unterstützung für eine soziale, auf Ausgleich und nachhaltiges Wachs-
tum ausgerichtete Politik in Lateinamerika zu formulieren und konkret zu
untersetzen,

die Rolle deutscher Unternehmen bei der Missachtung von Menschenrechten
in Lateinamerika zu thematisieren und konkrete Vorstellungen zu formulie-
ren, wie bei Unternehmen die Bewahrung von Menschenrechten durchge-
setzt werden kann,

auf den Export von veralteten Konzepten wie ÖPP zu verzichten und sich
nicht an der Privatisierung oder Teil-Privatisierung von Leistungen der öf-
fentlichen Daseinsvorsorge zu beteiligen,

stattdessen die Stärkung der Kapazitäten staatlicher Träger der Daseinsvor-
sorge zu einem zentralen Inhalt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
mit Lateinamerika zu machen,

den Transfer von Know-how und Technologie im Bereich des Klima- und
Umweltschutzes zu verstärken;
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

Drucksache 18/4936 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
3. sich gegenüber den USA deutlich für die Rücknahme von Sanktionen gegen Ve-

nezuela und der Einstufung Venezuelas als Gefahr für die nationale Sicherheit
auszusprechen;

4. sich dafür einzusetzen, dass sich die EU der CELAC-Resolution anschließt, die
Venezuela und die USA zum Dialog „basierend auf der Achtung der Souveränität
und der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten“ auf-
ruft;

5. die Annäherung zwischen der EU und Kuba aktiv zu unterstützen und Vorstel-
lungen für eine entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Kuba sowohl bilate-
ral als auch trilateral zu formulieren;

6. durch den Sonderbeauftragten des Außenministers für den kolumbianischen Frie-
densprozess die Forderung der kolumbianischen Zivilgesellschaft nach Einrich-
tung einer Wahrheitskommission zu unterstützen und sich auch im Falle einer
Ablehnung in der EU dafür einzusetzen, dass dann die kolumbianischen Guerilla-
Organisationen FARC und ELN von der Terrorliste gestrichen werden;

7. für einen tragfähigen beidseitigen Waffenstillstand in Kolumbien einzutreten.

Berlin, den 19. Mai 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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