BT-Drucksache 18/4932

Für ein öffentliches sozial-ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm in Europa

Vom 19. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4932
18. Wahlperiode 19.05.2015

Antrag
der Abgeordneten Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko,
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Für ein öffentliches sozial-ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm in Europa

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Union (EU) befindet sich – wirtschaftlich und sozial – sieben Jahre
nach Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 in einer sehr schwierigen Situ-
ation. In den meisten Ländern verläuft die wirtschaftliche Erholung allenfalls schlep-
pend, die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter jungen Menschen, bleibt in vielen Län-
dern sehr hoch, ebenso wie die Quoten der von Armut betroffenen oder bedrohten
Menschen. In ihrer Frühjahrsprognose rechnet die EU-Kommission für 2015 zwar mit
einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,8 Prozent für die gesamte EU und
von 1,5 Prozent für die Länder des Euro-Währungsgebietes. Aber von dieser Entwick-
lung kann die Mehrheit der Bevölkerung nicht profitieren. Das niedrige und fragile
Wachstum ist nicht getragen durch eine hohe Investitionsdynamik, steigende Binnen-
nachfrage und steigende Masseneinkommen, sondern durch Sondereffekte wie einem
niedrigen Ölpreis oder einem relativ schwachen Wechselkurs des Euro. Letzteres be-
wirkt zusammen mit dem Lohn- und Sozialdumping nach dem Vorbild der deutschen
Agenda 2010 lediglich die Steigerung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit zu Lasten
der Handelspartner außerhalb des Euroraums. Eine solche Exportstrategie führt zu
Handelsungleichgewichten und ist nicht nachhaltig.

Die private und öffentliche Investitionstätigkeit in der EU liegt immer noch deutlich
unter dem Niveau von 2008. Die ausgeprägte Investitionsschwäche ist eine Folge der
neoliberalen Politik in der EU, die demokratiefeindlich und autoritär durchgesetzt
wird. Beispiele dafür sind die Regime der Troika, bestehend aus EU-Kommission, Eu-
ropäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), in den
„Krisenländern“ oder auch der für alle Länder geltende Fiskalpakt, der als europäische
„Schuldenbremse“ die Haushaltssouveränität der Länder einschränkt. Durch Lohn-,
Renten- und Sozialkürzungen, sowie die Drosselung öffentlicher Investitionen werden
so die Absatzerwartungen der Unternehmen reduziert, die in der Folge ihre Investiti-
onspläne nach unten korrigieren.

In der Folge dieser neoliberalen Politik ist inzwischen eine gigantische Investitionslü-
cke entstanden, die den Lebensstandard der Menschen in der Eurozone beeinträchtigt.
Bereits zwischen 1999 und 2007 wurden in der Eurozone im Vergleich zum OECD-
Durchschnitt der Länder außerhalb der Eurozone 7,5 Billionen Euro weniger inves-
tiert. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise ist diese Lücke noch größer geworden, denn

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seit 2007 sind die Investitionen in Europa noch einmal Jahr für Jahr gesunken und
liegen um 15 Prozent unter dem Vorkrisenniveau.

Derzeit verhandeln auf europäischer Ebene Rat, Europäisches Parlament (EP) und EU-
Kommission im sogenannten Trilog über die „Investitionsinitiative für Europa“ und
die Ausgestaltung des Europäischen Fonds für Strategische Investitionen (EFSI). Die-
ser geht auf eine Initiative von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aus
dem Sommer 2014 („Juncker-Plan“) zurück. Grundlage der gegenwärtigen Verhand-
lungen im Trilog ist der von der EU-Kommission vorgelegte Verordnungsentwurf für
die Einrichtung des EFSI (KOM(2015) 10 endg.) und der hierüber am 10. März 2015
erzielte Kompromiss im Rat. Damit der EFSI fristgemäß eingerichtet werden kann,
sind eine Einigung im Trilog – das heißt zwischen EP, Rat und Kommission – sowie
die Abstimmung im EP noch vor der Sommerpause notwendig.

Die mit dem EFSI vorgesehene Mobilisierung von privatem Kapital durch eine Risi-
koübernahme der öffentlichen Hand liegt in der Logik der von neoliberaler Ideologie
geprägten Politik. Die „Investitionsoffensive“ ist ausdrücklich in einen „Dreiklang
strategischer Ziele“ eingebettet, der die falsche Krisenpolitik in wesentlichen Elemen-
ten fortschreibt: Die Maßnahmen (primär) privater Investitionsförderung sollen expli-
zit im Rahmen fortgesetzter „Haushaltskonsolidierung“ (das heißt Kürzungspolitik)
und marktradikaler, allein auf Wettbewerbsfähigkeit ausgerichteter Strukturreformen
umgesetzt werden.

Privates Kapital soll nach dem „Juncker-Plan“ gewinnbringend in verschiedenen Be-
reichen wie Infrastruktur, Bildung und Forschung, europäische Strom-, Verkehrs- und
Kommunikationsnetze investiert werden. Die Verbraucherinnen und Verbraucher wer-
den die Profite für das private Kapital über Gebühren bezahlen. Ein ähnliches Modell
hat eine vom Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ins Leben gerufene Kommis-
sion für Deutschland vorgeschlagen.

Bei der Auswahl der Investitionsprojekte des EFSI soll die Rentabilität im Vorder-
grund stehen. Dagegen sollen ausdrücklich keine sektorspezifischen oder regionalen
Argumente berücksichtigt werden. Damit ist keine gezielte und bedarfsorientierte In-
vestitionspolitik zur Stärkung strukturschwacher Regionen oder ein sozial-ökologi-
scher Umbau möglich.

Von diesen strukturellen Fehlern abgesehen ist es vollkommen unglaubwürdig, dass,
wie in der „Investitionsinitiative für Europa“ vorgesehen, mit den geplanten Mitteln
für den EFSI in Höhe von 21 Mrd. Euro das 15-fache Volumen von 315 Mrd. Euro an
Investitionen erreicht werden kann. Und selbst wenn ,wäre dieser Betrag im Verhältnis
zur bestehenden Investitionslücke in der Eurozone von weit über 7.500 Mrd. Euro viel
zu klein.

Aus all diesen Gründen kann der „Juncker-Plan“ an den Ursachen der schwachen In-
vestitionstätigkeit in der EU nichts ändern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich im Europäischen Rat dafür einzusetzen, dass

1. der Vorschlag für einen „Europäischen Fonds für strategische Investitionen“, der
eine konzeptionslose Mobilisierung privaten Kapitals nach dem Vorbild der zu
Recht kritisierten PPP-Modelle vorsieht, zurückgezogen und durch ein öffentli-
ches Zukunftsinvestitionsprogramm in Höhe von jährlich 500 Milliarden Euro er-
setzt wird, das durch Kredite der EZB und höhere Steuern zu Lasten von Konzer-
nen und Superreichen finanziert wird, ohne die Mehrheit der Bevölkerung zu be-
lasten und die Schuldentragfähigkeit der staatlichen Haushalte zu verschlechtern;
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4932
2. die jahrelange Phase der wachstumshemmenden und unsozialen Strangulierung

der Binnennachfrage, die in Europa nach dem Vorbild der deutschen Agenda-
2010-Politik und mit undemokratischen Regelwerken wie dem Fiskalpakt oder
den Troika-Programmen durchgesetzt wurde, beendet wird und durch eine solida-
rische, den Wohlstand der großen Mehrheit steigernde und den sozial-ökologi-
schen Umbau gestaltende Politik abgelöst wird.

Berlin, den 19. Mai 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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