BT-Drucksache 18/492

Selbstbestimmung bei der Notfallverhütung stärken - Pille danach mit Wirkstoff Levonorgestrel schnell aus der Verschreibungspflicht entlassen

Vom 12. Februar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/492
18. Wahlperiode 12.02.2014

Antrag
der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Ulle Schauws, Dr. Harald
Terpe, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Katja Dörner,
Dr. Franziska Brantner, Kai Gehring, Tabea Rößner, Doris Wagner, Beate
Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Selbstbestimmung bei der Notfallverhütung stärken – Pille danach mit
Wirkstoff Levonorgestrel schnell aus der Verschreibungspflicht entlassen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Selbstbestimmung und der gesicherte Zugang zur Familienplanung sind wesentli-
che Bereiche der sexuellen und reproduktiven Rechte. Dazu gehört auch der
niedrigschwellige Zugang zum Notfallverhütungsmittel „Pille danach“.
Es gibt keine sachlichen Gründe, die rezeptfreie Abgabe der „Pille danach“ mit
dem Wirkstoff Levonorgestrel abzulehnen, wie u. a. die Empfehlungen des Sach-
verständigenausschusses für Verschreibungspflicht beim Bundesinstitut für Arz-
neimittel und Medizinprodukte (BfArM) von 2003 und 2014 zeigen.
Wie in nahezu allen europäischen Ländern ist in Deutschland ein niedrigschwel-
liger, selbstbestimmter und zeitnaher Zugang für Frauen zur Verhinderung einer
ungewollten Schwangerschaft in Notfallsituationen durch die rezeptfreie Abgabe
der „Pille danach“ zu ermöglichen.
Junge Frauen müssen die Wahl haben, die „Pille danach“ entweder selbstbe-
stimmt gegen Übernahme der Kosten oder aufgrund einer ärztlichen Verschrei-
bung kostenfrei/mit der gesetzlichen Zuzahlung zu erhalten.
Die ärztliche Entscheidung, welche der beiden auf dem Markt befindlichen „Pil-
len danach“ verordnet wird, sollte rein auf pharmakologischen und medizinischen
Gründen beruhen. Daher sind für junge Frauen von den gesetzlichen Krankenver-
sicherungen die Kosten sowohl für das verschreibungspflichtige als auch das
nichtverschreibungspflichtige Medikament zu übernehmen.
Um Frauen, die befürchten, nach einem Geschlechtsverkehr ungewollt schwanger
werden zu können, eine informierte Entscheidung für oder gegen die „Pille da-
nach“ zu ermöglichen, sind im Internet und für die Beratung in der Apotheke
Entscheidungshilfen zur Verfügung zu stellen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich der vom Bundesrat geforderten Änderung der Arzneimit-
telverschreibungsverordnung bezüglich des Wirkstoffes Levonorgestrel
zuzustimmen,

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2. einen Gesetzentwurf zur Ergänzung der Regelung des § 34 Absatz 1
Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) vorzulegen, der
zusätzlich zu den Ausnahmeregelungen für schwerwiegende Erkrankun-
gen die Aufnahme von Notfallkontrazeptiva, die als Therapiestandard
gelten, vorsieht,

3. dafür Sorge zu tragen, dass sowohl im Internet als auch für die Beratung
in der Apotheke eine Entscheidungshilfe zur Verfügung gestellt wird, die
es Frauen (mit oder ohne unterstützende Beratung) ermöglicht, eine in-
formierte selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.

Berlin, den 12. Februar 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht (§ 53 Absatz 2 des Arzneimittelgesetzes) hat im
Januar 2014 wie bereits im Jahr 2003 festgestellt, dass es unter Arzneimittelsicherheitsaspekten keinen
Grund gibt, die „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Levonorgestrel in der Verschreibungspflicht zu belassen.
Dies deckt sich mit den Studien der Weltgesundheitsorganisation, Empfehlungen des Europarates sowie
den positiven Erfahrungen aus dem Ausland. In nahezu allen europäischen Ländern ist dieses Arzneimittel
rezeptfrei erhältlich. Dies zeigt, dass es keine sachlichen Gründe gibt, die rezeptfreie Abgabe der „Pille
danach“ abzulehnen.
Diese das Selbstbestimmungsrecht von Frauen achtende Möglichkeit muss endlich auch in Deutschland
ermöglicht werden. Einer Umsetzung durch die Bundesregierung steht nichts im Wege: Mitte 2013 hat sich
die Mehrheit des Bundesrats für die Entlassung der „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Levonorgestrel aus
der Verschreibungspflicht ausgesprochen (Bundesratsdrucksache 555/13 (Beschluss)). Im November 2013
hat der Bundesrat der vom Bundesgesundheitsministerium eingebrachten Änderung der Arzneimittelver-
schreibungsverordnung nur unter der Maßgabe einer Ergänzung beim Wirkstoff Levonorgestrel zugestimmt
(Bundesratsdrucksache 705/13 (Beschluss) und diese Forderung ein zweites Mal bekräftigt (Bundesrats-
drucksache 615/13 (Beschluss)).
Die derzeitige Praxis der Verschreibungspflicht führt dazu, dass mit der Rezeptausstellung durch eine Ärz-
tin/einen Arzt (zu) viel Zeit verstreicht, die im Widerspruch zur pharmakologisch notwendigen möglichst
schnellen Einnahme steht. Eine (sehr) zeitnahe ärztliche Verordnung ist insbesondere in ländlichen Regio-
nen oder am Wochenende schwierig und stellt eine überflüssige und vermeidbare Hürde dar.
Der erleichterte Zugang zur „Pille danach“ hat in Ländern, in denen die „Pille danach“ rezeptfrei abgegeben
wird, keinen Einfluss auf die Verwendung anderer Verhütungsmittel oder die Häufigkeit von ungeschütz-
tem Geschlechtsverkehr (siehe Antwort der Bundesregierung auf Frage 10 auf Bundestagsdrucksache
17/10557).
Laut § 24a SGB V haben Versicherte Anspruch auf eine ärztliche Beratung zur Empfängnisverhütung, Un-
tersuchungen sowie die Verordnung von empfängnisregelnden Mitteln. Für Versicherte bis zum vollendeten
20. Lebensjahr werden die Kosten von ärztlich verordneten empfängnisverhütenden Mitteln von der Kran-
kenkasse übernommen. Nach § 31 Absatz 2 und 3 SGB V fällt für diejenigen, die das 18. Lebensjahr voll-
endet haben, jedoch eine Zuzahlung an. Durch den generellen Ausschluss von nicht verschreibungspflichti-
gen Arzneimitteln (§ 34 Absatz 1 Satz 1 SGB V) gilt diese Regelung nur für verschreibungspflichtige Arz-
neimittel.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/492

Junge Frauen müssen die Wahlmöglichkeit erhalten, die „Pille danach“ auch kostenfrei (bis zum vollende-
ten 18. Lebensjahr) oder mit Übernahme der Zuzahlung (bis zum vollendeten 20. Lebensjahr) weiterhin zu
erhalten. Daher wird eine Regelung analog der sogenannten OTC-Regelung (§ 34 Absatz 1 Satz 2 SGB V)
vorgeschlagen, die für ausgewählte nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel ausnahmsweise die Erstat-
tung durch die Krankenversicherung ermöglicht.
Die Entlassung der „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Levonorgestrel aus der Verschreibungspflicht darf
nicht dazu führen, dass zukünftig ein (indirekter finanzieller) Anreiz besteht, bei einer ärztlichen Verschrei-
bung die verschreibungspflichtige statt der nicht verschreibungspflichtigen „Pille danach“ zu verordnen.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) kommt (laut Medizinischem Arbeits-
kreis pro familia NRW und arznei-telegramm 2013, Jg. 44, Nr. 2) in einer Übersichtsarbeit (2013) zu dem
Schluss, dass eine höhere Wirksamkeit von Ellaone (Wirkstoff Ulipristalazetat) gegenüber PiDaNa (Wirk-
stoff Levonorgestrel) nicht belegt ist. Im Gegensatz zu Levonorgestrel gebe es für Ulipristalazetat kaum
Sicherheitsdaten aus der Anwendung in der Praxis. Zudem sei dieser Wirkstoff bei unter 18-Jährigen kaum
geprüft. Ulipristalazetat kommt aus Sicht des BfArM daher erst an Tag 4 oder 5 nach einem ungeschützten
Geschlechtsverkehr in Betracht. Aus diesen Gründen ist für Notfallkontrazeptiva schnellstmöglich eine
gesetzliche Regelung in Anlehnung an die sogenannte OTC-Liste (§ 34 Absatz 1 Satz 2 SGB V) zu verab-
schieden.
Laut Apothekenbetriebsordnung sind Apothekerinnen und Apotheker zur Beratung verpflichtet. Diese muss
von Kundinnen und Kunden jedoch nicht angenommen werden bzw. kann von diesen abgelehnt werden.
Für öffentliche Apotheken besteht mit einer Ausnahme (§ 17 Absatz 8 ApBetrO einem erkennbaren Arz-
neimittelmissbrauch entgegenzutreten) eine Abgabepflicht von Medikamenten. Unter anderem um eine im
konkreten Fall nicht notwendige Einnahme der „Pille danach“ möglichst zu vermeiden, ist eine Entschei-
dungshilfe zu erstellen, die einerseits Apothekerinnen und Apotheker bei der Beratung unterstützt und ande-
rerseits, wenn die betroffene Frau eine Beratung ablehnt, dieser zur informierten Entscheidungsfindung
ausgehändigt werden kann.
Ziel der Beratung in der Apotheke sollte zum einen sein, einen nicht erforderlichen Einsatz der „Pille da-
nach“, z. B. aus Unsicherheit, zu vermeiden. Zum zweiten sind Informationen und Hinweise auf die Mög-
lichkeiten der Beratung zum Thema Verhütung (durch Institutionen wie z. B. pro familia bzw. durch Gynä-
kologinnen und Gynäkologen) zu geben. Zum dritten sind für Fälle von Gewalt Hinweise auf Anlaufstellen
zur medizinischen Versorgung, die (anonyme) Beweissicherung und zu den rechtlichen Regelungen einer
Anzeige bei der Polizei sowie Angebote der psychosozialen Beratung (durch Institutionen wie z. B. Notruf
für Frauen, Frauenberatungsstellen) zu geben. Diese Hinweise sind in die auszuhändigende Entscheidungs-
hilfe aufzunehmen, damit sie den Frauen in jedem Fall als Information zur Verfügung stehen.

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