BT-Drucksache 18/4799

EU-Lateinamerika-Gipfel - Beziehungen auf gegenseitigem Respekt begründen

Vom 5. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4799
18. Wahlperiode 05.05.2015
Antrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, Sevim Da delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Inge Höger, Andrej
Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu,
Azize Tank, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

EU-Lateinamerika-Gipfel Beziehungen auf gegenseitigem Respekt begründen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der 7. Gipfel der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) im April 2015
stellt eine historische Zäsur dar. Erstmals reichten sich die Präsidenten der USA und
Kubas die Hände und trafen sich zum Gespräch. Mit dieser Begegnung zwischen
Barack Obama und Raúl Castro verbindet sich die Hoffnung auf neue, auf gegensei-
tigem Respekt basierende Beziehungen zwischen den USA und den Staaten Latein-
amerikas. Diese Entwicklung ist das Ergebnis des erfolgreichen Integrationsprozes-
ses in Lateinamerika, der in den vergangenen 10 Jahren von linken Regierungen vo-
rangetrieben worden war. Er hat die hegemoniale Rolle der USA auf dem Kontinent
erheblich zurückgedrängt und damit den Staaten Lateinamerikas eine gleichberech-
tigte Position gegenüber den USA verschafft.

Auch im Verhältnis der Europäischen Union (EU) zu Kuba stehen Veränderungen
an: Die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, reiste Ende März 2015 nach
Kuba, um die Verhandlungen über ein Abkommen über politischen Dialog und Zu-
sammenarbeit weiter voranzubringen. Dieses Abkommen würde den sogenannten
„Gemeinsamen Standpunkt“ der EU gegenüber Kuba von 1996 ablösen. Dies ist
überfällig, denn im „Gemeinsamen Standpunkt“ werden bilaterale Beziehungen
noch unter den Vorbehalt einseitiger politischer Zugeständnisse Kubas gestellt. In
einer vertieften Zusammenarbeit mit Kuba lägen nicht nur für die EU, sondern auch
für Deutschland viele entwicklungspolitische Potenziale, etwa in einer möglichen
trilateralen Entwicklungszusammenarbeit zugunsten dritter Partner in Lateiname-
rika.

Diese Entwicklungen spiegeln sich in der Lateinamerika-Politik der Bundesregie-
rung nicht wider. Am 4. März 2015 stellte das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) seine neue Lateinamerika-Strategie unter
der Überschrift „Mit gemeinsamen Werten und Interessen Zukunft gestalten“ der
Öffentlichkeit vor. Zwar spricht die Bundesregierung darin von einer neuen Rolle
Lateinamerikas in der internationalen Politik. Sie erwähnt jedoch weder die regiona-
len Integrationsprozesse im Rahmen des Handelsabkommens ALBA (Bolivariani-
sche Allianz), des Südamerikanischen Staatenbundes UNASUR oder des kontinen-
talen Bündnisses CELAC (Staatengemeinschaft Lateinamerikas und der Karibik)
noch die Rolle lateinamerikanischer Staaten bei der Stärkung von überregionalen

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Süd-Süd-Kooperationen, etwa in der Staatengruppe G77. Diese auffällige Unterlas-
sung legt den Schluss nahe, dass die Bundesregierung weiterhin nicht bereit ist, die
verstärkte Zusammenarbeit von Ländern des Südens und ihr wachsendes Gewicht
gegenüber den Ländern des Nordens als eine positive Entwicklung in der internati-
onalen Politik wahrzunehmen. Das BMZ verzichtet ebenso darauf, in seiner Latein-
amerika-Strategie die neuen Möglichkeiten in den Beziehungen zu Kuba anzuspre-
chen.

Ebenso wenig scheint die Bundesregierung bereit, die großen Fortschritte in der Ar-
mutsbekämpfung und bei der Verringerung sozialer Ungleichheit anzuerkennen, die
in einigen lateinamerikanischen Staaten erzielt werden konnten. Diese Fortschritte
wurden vor allem dort erreicht, wo Regierungen die Dogmen neoliberaler Wirt-
schaftspolitik wie Privatisierung, Liberalisierung und Austerität hinter sich gelassen
haben und stattdessen auf die Stärkung des Staates, auf die Ausweitung sozialer Pro-
gramme und auf antizyklische Konjunkturförderung setzen.

Anstatt diese neuen Entwicklungen aufzugreifen und zu diskutieren, geht die Bun-
desregierung auch in ihrer neuen Strategie mit den alten Konzepten auf Lateiname-
rika zu. Sie will Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) vorantreiben, auch in
Kernbereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Ernährungssicherung, Gesund-
heit und Bildung. Damit setzt sie sich nicht nur über die politischen Realitäten in
Lateinamerika hinweg, wo Privatisierungen großen Schaden angerichtet haben und
deshalb schrittweise wieder rückgängig gemacht werden, sondern ignoriert auch
große zivilgesellschaftliche Bündnisse in Europa, die bereits erfolgreich gegen ÖPP-
Projekte und gegen die Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge kämpfen.

Das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union (EU) und von CELAC am 10. und 11. Juni 2015 in Brüssel findet in
einer Situation statt, in der die sozialen Errungenschaften in einigen lateinamerika-
nischen Ländern unter Druck geraten. Insbesondere in Venezuela hat sich die Oppo-
sition unter dem Eindruck einer schwierigen wirtschaftlichen Lage radikalisiert und
es scheint denkbar, dass Teile der Opposition nach zahlreichen Niederlagen in de-
mokratischen Wahlen nun auf Gewalt setzen, um die Macht wiederzuerlangen. Die
Gewalt wird zusätzlich dadurch angeheizt, dass die US-Regierung die Situation in
Venezuela zu einer „außerordentlichen und außergewöhnlichen Gefahr für die nati-
onale Sicherheit der USA“ erklärt und damit der Delegitimierung der demokratisch
gewählten Regierung Venezuelas Vorschub geleistet hat. Eine positive Bezugnahme
der Bundesregierung auf die sozialen und demokratischen Errungenschaften in Ve-
nezuela wäre im Sinne einer Deeskalation hilfreich und sollte im Rahmen des EU-
CELAC-Gipfels nachgeholt werden. Die Bundesregierung stünde damit nicht allein.
Die Mitgliedstaaten von UNASUR und CELAC haben sich ebenso wie die Gruppe
der Entwicklungsländer, G77, mit der venezolanischen Regierung solidarisch er-
klärt.

Dank der diplomatischen Unterstützung durch die Regierungen Kubas und Norwe-
gens als Garanten sowie Venezuelas und Chiles als Unterstützer stehen die Verhand-
lungen zwischen der Regierung Kolumbiens und der Guerilla der FARC in Havanna
vor dem Abschluss. Der EU-CELAC-Gipfel sollte dem erfolgreich verlaufenden
Friedensprozess in Kolumbien Rechnung tragen und zur Stärkung eines erfolgrei-
chen Abschlusses den Generalsekretär der Vereinten Nationen bitten, einen Frie-
densbeauftragten für den Prozess zu ernennen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den EU-CELAC-Gipfel für den Austausch über Entwicklungsstrategien und
eine Neuausrichtung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen EU und La-
teinamerika zu nutzen und in diesem Sinne

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anzuregen, dass die 2010 ins Leben gerufene EU-LAC-Stiftung mit Sitz in
Hamburg beauftragt wird, die Potenziale und Anknüpfungspunkte alterna-
tiver Handelsabkommen wie ALBA für die Wirtschaftsbeziehungen zwi-
schen der EU und den lateinamerikanischen und karibischen Staaten zu un-
tersuchen,

sich für eine grundsätzliche Neuausrichtung der Handelspolitik der EU ge-
genüber Lateinamerika einzusetzen, die komplementären Austausch an die
Stelle von Verdrängungswettbewerb setzt, auf Liberalisierungs- und Priva-
tisierungsforderungen verzichtet, den öffentlichen Beschaffungsmarkt als
entwicklungspolitisches Steuerungsinstrument erhält und die die Regulie-
rung statt Liberalisierung von Finanzmärkten vorantreibt,

sich in der EU dafür einzusetzen, dass die Handelsabkommen, die derzeit
verhandelt werden oder bereits abgeschlossen wurden, in einem demokrati-
schen Prozess auf ihre Entwicklungsförderlichkeit hin überprüft und bei Be-
darf modifiziert werden,

sich gegen den Abschluss des Transatlantischen Handels- und Investitions-
abkommens (TTIP) zwischen der EU und den USA auszusprechen,

sich dafür einzusetzen, dass auf dem EU-CELAC-Gipfel die Erfahrungen
lateinamerikanischer Länder bei der Armutsbekämpfung und bei der Ver-
ringerung der sozialen Ungleichheit an zentraler Stelle diskutiert und
Schlussfolgerungen sowohl für die Neubestimmung der interkontinentalen
Beziehungen als auch für den weiteren Umgang mit der Krise in der EU
gezogen werden;

2. die am 4.3.2015 vorgestellte Lateinamerika-Strategie grundlegend zu überarbei-
ten und dabei
die positive Rolle lateinamerikanischer Staaten bei der Stärkung globaler

Süd-Süd-Kooperationen hervorzuheben und Anknüpfungspunkte für die
deutsche Außenpolitik zu formulieren,

die Erfahrungen lateinamerikanischer Regierungen bei der Armutsbekämp-
fung und bei der Verringerung sozialer Ungleichheit genauer in den Blick
zu nehmen,

ihre Unterstützung für eine soziale, auf Ausgleich und nachhaltiges Wachs-
tum ausgerichtete Politik in Lateinamerika zu formulieren und konkret zu
untersetzen,

die Rolle deutscher Unternehmen bei der Missachtung von Menschenrech-
ten in Lateinamerika zu thematisieren und konkrete Vorstellungen zu for-
mulieren, wie bei Unternehmen die Bewahrung von Menschenrechten
durchgesetzt werden kann,

auf den Export von veralteten Konzepten wie ÖPP zu verzichten und sich
nicht an der Privatisierung oder Teilprivatisierung von Leistungen der öf-
fentlichen Daseinsvorsorge zu beteiligen,

stattdessen die Stärkung der Kapazitäten staatlicher Träger der Daseinsvor-
sorge zu einem zentralen Inhalt der deutschen Entwicklungszusammenar-
beit mit Lateinamerika zu machen,

den Transfer von Know-how und Technologie im Bereich des Klima- und
Umweltschutzes zu verstärken;

3. sich gegenüber den USA deutlich für die Rücknahme von Sanktionen gegen Ve-
nezuela und die Einstufung Venezuelas als Gefahr für die nationale Sicherheit
auszusprechen;
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Drucksache 18/4799 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
4. sich dafür einzusetzen, dass sich die EU der CELAC-Resolution anschließt, die

Venezuela und die USA zum Dialog „basierend auf der Achtung der Souverä-
nität und der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staa-
ten“ aufruft;

5. die Annäherung zwischen der EU und Kuba aktiv zu unterstützen und Vorstel-
lungen für eine entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Kuba sowohl bila-
teral als auch trilateral zu formulieren;

6. durch den Sonderbeauftragten des Außenministers für den kolumbianischen
Friedensprozess die Forderung der kolumbianischen Zivilgesellschaft nach Ein-
richtung einer Wahrheitskommission zu unterstützen und sich auch im Falle ei-
ner Ablehnung in der EU dafür einzusetzen, dass dann die kolumbianischen
Guerilla-Organisationen FARC und ELN von der Terrorliste gestrichen werden;

7. für einen tragfähigen beidseitigen Waffenstillstand in Kolumbien einzutreten.

Berlin, den 5. Mai 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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