BT-Drucksache 18/4743

Analphabetismus und Grundbildung in Deutschland

Vom 22. April 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4743
18. Wahlperiode 22.04.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer,
Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Ulle Schauws, Doris Wagner, Maria
Klein-Schmeink, Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Analphabetismus und Grundbildung in Deutschland

Neben dem primären Analphabetismus, bei dem Menschen aus verschiedenen
Gründen nicht in der Lage sind, sich die Schriftsprache anzueignen, bilden die
„funktionalen Analphabetinnen und Analphabeten“ eine weitaus größere
Gruppe. Das Ausmaß des funktionalen Analphabetismus ist in Deutschland be-
sonders durch die Veröffentlichung der sogenannten Level-One-Studie 2010 in
das öffentliche Bewusstsein gerückt.
So leben in Deutschland rund 7,5 Millionen funktionale Analphabetinnen und
Analphabeten im arbeitsfähigen Alter, das sind 14,5 Prozent der deutschspre-
chenden erwerbstätigen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren, die die Funk-
tion von Schrift nur sehr eingeschränkt nutzen können. Analphabetismus und
mangelnde Grundbildung sind dabei Formen von Bildungsarmut, die die betrof-
fenen Menschen massiv in ihren sozialen, kulturellen, politischen und ökonomi-
schen Teilhabemöglichkeiten einschränken. Auf der anderen Seite entstehen
durch Analphabetismus und einem damit einhergehenden Fachkräftemangel so-
wie der Abhängigkeit von Transferleistungen massive volkswirtschaftliche
Schäden.
Insbesondere durch die Veröffentlichung der „Level-One-Studie“ wurde deshalb
auch im Deutschen Bundestag verstärkt über das Thema Analphabetismus dis-
kutiert. Dabei wurde deutlich, dass die Politik in der Vergangenheit zu wenig ge-
gen Analphabetismus und zu wenig für die Alphabetisierung im Erwachsenen-
alter unternommen hat.
Die Bundesregierung hat daraufhin einige Maßnahmen eingeleitet und auch im
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Wahlperiode des
Deutschen Bundestages vereinbart, das Thema Analphabetismus in Deutschland
anzugehen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung seit der Veröffentlichung

der „Level-One-Studie 2010“ hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen
Bund, Ländern und Kommunen, vor allem aber auch mit der Zivilgesell-
schaft, den Sozialpartnern, den Wohlfahrtsverbänden, den Kirchen und
Medien eingeleitet, um Analphabetismus und mangelnde Grundbildung als
multikausales, d. h. gesellschaftlich-strukturelles und nicht als individuelles
Phänomen entgegenzuwirken?

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2. Wie gewährleistet die Bundesregierung eine verstärkte und verbesserte
Koordinierung der Maßnahmen aller staatlichen Ebenen und der Zivil-
gesellschaft hinsichtlich der Alphabetisierung und Grundbildung?

3. Welche Bundeshaushaltsmittel sind in den letzten fünf Haushaltsjahren in
die Bekämpfung des Analphabetismus geflossen (bitte nach Maßnahmen
und jeweiliger Höhe der Haushaltsmittel aufschlüsseln)?

4. Welche Maßnahmen zur Alphabetisierung und Grundbildung unterstützt die
Bundesregierung derzeit konkret (bitte jeweils die Form, die Höhe der
finanziellen Unterstützung, die Laufzeit und ggf. Partner der Maßnahmen
auflisten)?

5. Welche konkreten präventiven Maßnahmen ergreift die Bundesregierung
explizit zur Vorbeugung von Analphabetismus, und welche Präventions-
maßnahmen werden konkret angestrebt (bitte jeweils die Form, die Höhe
der finanziellen Unterstützung, die Laufzeit und ggf. Partner der Maßnah-
men auflisten)?

6. Wurden im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung Projektskizzen
eingereicht, die explizit die Prävention von Analphabetismus zum Thema
hatten?
Wenn ja, welche?

7. Inwieweit unterstützt das Programm „BiSS“ die erforderliche Fort- und
Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern, bzw. von Lehrerinnen und
Lehrern, und in welchen Bundesländern hat das Programm schon Einzug in
eine Fort- und Weiterbildung besagter Berufsgruppen erhalten?

8. Wie viele Programme zur Sprachförderung in Kindertagesstätten gab es im
Jahr 2014 in den einzelnen Bundesländern, und wie viele dieser Programme
wurden seit ihrer Initiierung einer Evaluation unterzogen?

9. Liegen seit der „Level-One-Studie 2010“ neue Daten zum Analphabetismus
von Erwachsenen vor?
a) Wenn nein, warum nicht?
b) Ist geplant, eine neue Studie in Auftrag zu geben, die sich mit dem An-

alphabetismus von Erwachsenen befasst?
Wenn ja, wann, und mit welcher Fragestellung?

10. Plant die Bundesregierung, im „Rahmenprogramm zur Förderung der empi-
rischen Bildungsforschung“ funktionalen Analphabetismus genauer zu un-
tersuchen und die Ursachen für funktionalen Analphabetismus näher zu
erforschen?
a) Wenn ja, in welchem Umfang, Zeitrahmen etc.?
b) Wenn nein, warum nicht?

11. Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um Analpha-
betinnen und Analphabeten gezielt auf Förder- und Unterstützungsangebote
aufmerksam zu machen?

12. Welche finanziellen Ressourcen sind bisher in das Programm „Lesestart –
Drei Meilensteine für das Lesen“ geflossen, und welche finanzielle Förde-
rung ist geplant?

13. Wurde das Projekt „Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen“ schon
einer Evaluation unterzogen?
a) Wenn ja, wie lauten die konkreten Ergebnisse dieser Evaluation?
b) Wenn nein, wann ist mit einer Evaluation dieses Programms zu rechnen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4743
14. Wie wirkt die Bundesregierung auf eine Enttabuisierung des Themas An-
alphabetismus vor allem in der Wirtschaft hin?
Welche konkreten Aufklärungskampagnen zum Thema Analphabetismus
gibt es, die sich gezielt an Unternehmen richten?

15. Wie fördert die Bundesregierung den Gebrauch von leichter und einfacher
Sprache im öffentlichen Dienst?

16. Wie viele Angebote zur Alphabetisierung und Grundbildung wurden hin-
sichtlich der Branchen und Zielgruppen im Förderschwerpunkt „alpha-
bund“ seit dem Jahr 2007 jährlich in den einzelnen Projekten der Träger
angeboten, und wie viele Einzelpersonen nahmen insgesamt daran teil?

17. Wie wird die Zusammenarbeit zwischen den Partnern in der „Nationalen
Strategie für Alphabetisierung“ fortgesetzt?

18. Wie und durch wen sollen die v. a. in zwei Förderschwerpunkten des Bun-
desministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gewonnenen For-
schungsergebnisse in die Bildungspraxis transferiert werden?

19. Mit welchen Maßnahmen soll das Alphabetisierungs- und Grundbildungs-
angebot qualitativ und quantitativ weiterentwickelt werden?

20. Welche Maßnahmen sind geplant, um den Bedarf an qualifizierten Lehr-
kräften in der Alphabetisierung und Grundbildung zu decken, und wie lange
wird das nach Auffassung der Bundesregierung dauern?

21. Welche Maßnahmen sind geplant, um die Alphabetisierung hin zur Grund-
bildung auszubauen und neben dem Nachholen von Lesen und Schreiben
auch das Nachholen weiterer Grundkompetenzen zu fördern?

22. Welche strukturfördernden Maßnahmen und Programme sind zur Reduk-
tion von funktionalem Analphabetismus geplant?

23. Welche Maßnahmen sind geplant, um Alphabetisierung als ressortübergrei-
fendes Thema zu verankern?

24. Wie berücksichtigt die Bundesregierung eine möglichst zielgruppenge-
rechte Grundbildung, besonders in Verbindung mit Integrationskursen?

25. Welche Maßnahmen sind geplant, um Zugewanderten über den Integra-
tionskurs hinaus Grundkompetenzen zu vermitteln (ökonomische, gesund-
heitliche, politische und kulturelle Grundbildung)?

26. Welche Maßnahmen sind geplant, um Jugendlichen und jungen Erwachse-
nen das Nachholen von Grundkompetenzen – insbesondere im Lesen,
Schreiben und Rechnen – im Rahmen des Übergangsystems, des Nachho-
lens von Schulabschlüssen und der ausbildungsbegleitenden Hilfen zu er-
möglichen?

27. In welcher Weise wird die Bundesagentur für Arbeit ihre Fördermöglichkei-
ten und Sonderprogramme ausweiten, um einen effektiven Beitrag zur Re-
duktion von funktionalem Analphabetismus in Deutschland zu leisten?

28. Plant die Bundesregierung, die Aktivitäten im Bereich der arbeitsplatz-
orientierten Alphabetisierung und Grundbildung weiterzuführen, und wenn
ja, welche Aktivitäten plant sie weiterzuführen, und mit welchen Partnern?

29. Welche Perspektive entwickelt die Bundesregierung über die 18. Wahl-
periode hinaus, anlässlich der Tatsache, dass Grundbildung auch in den
nächsten Jahren eine der zentralen gesellschaftlichen Fragen sein wird, und
wie werden in diese Perspektive zivilgesellschaftliche Akteure und Akteu-
rinnen sowie Träger der Weiterbildung einbezogen?

Drucksache 18/4743 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
30. Wann wird die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag angekündigte
„Nationale Dekade für Alphabetisierung“ ausrufen?

31. Welche konkreten Ziele und Maßnahmen verbindet die Bundesregierung
mit der „Nationalen Dekade für Alphabetisierung“?

32. Welche Haushaltsmittel sind für die „Nationale Dekade für Alphabetisie-
rung“ vorgesehen?

33. Mit welchen Dekade-Maßnahmen soll die Zusammenarbeit von und die
Kommunikation zwischen dem Bund, den Ländern und den Kommunen in
der Alphabetisierung und Grundbildung verbessert werden?

34. Welche Maßnahmen und Vorhaben sind vonseiten des BMBF als Eckpfeiler
der Dekade vorgesehen?

35. Wie und von wem sollen die Maßnahmen innerhalb der Dekade koordiniert
werden?

36. Welche Maßnahmen plant das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
im Rahmen der „Nationalen Dekade für Alphabetisierung“, um die Zahl der
erwerbstätigen funktionalen Analphabetinnen und Analphabeten (57 Pro-
zent) und der erwerbslosen funktionalen Analphabetinnen und Analphabe-
ten (36 Prozent) in Deutschland zu reduzieren?

37. Welchen Beitrag wird die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen der „Na-
tionalen Dekade für Alphabetisierung“ leisten, um Menschen mit mangeln-
den Grundkompetenzen in den Arbeitsmarkt zu intergieren?

38. Wofür sollen die im Haushaltsplan zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel
im Rahmen der Dekade für Grundbildung und Alphabetisierung verwendet
werden?

39. Plant die Bundesregierung im Rahmen der Dekade auch Vorhaben zur poli-
tischen Grundbildung sowie anderen Feldern der Grundbildung?
a) Wenn ja, welche?
b) Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 22. April 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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