BT-Drucksache 18/4692

Deutschlandstipendium abschaffen, Stipendienförderung und Studienfinanzierung stärken

Vom 22. April 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4692
18. Wahlperiode 22.04.2015
Antrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Luise Amtsberg, Özcan
Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Ulle
Schauws, Doris Wagner, Maria Klein-Schmeink, Tabea Rößner, Elisabeth
Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Deutschlandstipendium abschaffen – Stipendienförderung und
Studienfinanzierung stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Deutschlandstipendium sollte der „Einstieg in eine neue Stipendienkultur“ wer-
den. Das hat die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan 2010 verkün-
det. Ein halbes Jahrzehnt später ist klar: Die Bundesregierung hat ihre hehren Ziele
nicht erreicht. Das Deutschlandstipendium ist ein Ladenhüter geblieben.

2013 haben 19.740 der rund 2,7 Millionen Studierenden ein Deutschlandstipendium
erhalten. Mit einer Förderquote von 0,76 % ist das Programm meilenweit entfernt
von der ursprünglichen Zielstellung, 8 Prozent eines Studierendenjahrganges zu er-
reichen. Schon in der vergangenen Wahlperiode haben die Fraktionen BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN, SPD und DIE LINKE. den Ausstieg gefordert. Anstatt das um-
zusetzen, haben Union und SPD nur die Höchstförderquote heruntergeschraubt:
Künftig sollen maximal 2 Prozent der Studierenden ein Deutschlandstipendium er-
halten können. Dabei bleibt schleierhaft, wie eine Verdreifachung der Stipendien-
zahl innerhalb von zwei Jahren erreicht werden soll. Denn das Deutschlandstipen-
dium bleibt bürokratisch, ungerecht und untauglich.

Eine umfassende und regelmäßige Wirkungsanalyse, die von Anfang an notwendig
gewesen wäre, hat die Bundesregierung blockiert. Erst nach großem Druck aus der
Opposition wurden eine einmalige Evaluation und Begleitforschung auf den Weg
gebracht. Allerdings soll es noch mindestens eineinhalb Jahre dauern, bis erste Er-
gebnisse vorliegen. Statt einer einmaligen Erhebung hätte es eines jährlichen Moni-
torings zur Wirkung des Stipendienprogramms bedurft.

Die Schwächen des Deutschlandstipendiums liegen auf der Hand: Es leistet keinen
Beitrag, um Jugendliche für ein Studium zu motivieren. Denn 93 % der Geförderten
des Jahres 2013 studierten bereits länger als ein Semester. Zur sozialen Öffnung der
Hochschulen hat das Deutschlandstipendium messbar nichts beigetragen. Denn es
fehlen aussagekräftige statistische Angaben zur sozialen Herkunft, Art der Studien-
berechtigung oder auch zum Migrationshintergrund.

Die wenigen Stipendien verteilen sich extrem unterschiedlich auf die Studienfächer:
Unter den knapp 45.000 Studierenden der Geschichtswissenschaft gab es nur 169
Geförderte. In der Germanistik waren es nur 252 bei über 85.000 Studierenden. Mehr
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

Drucksache 18/4692 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
als 10.300 Deutschlandstipendien – also über 50 Prozent – gingen an angehende In-
genieure, Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker. Eine solch einseitige Förder-
praxis steht einer gerechten Teilhabe entgegen und ist nicht leistungsgerecht.

Für die Hochschulen bringt die Stipendienakquise einen hohen Aufwand mit sich,
den der Bund nur zum Teil ersetzt (siehe Die Welt vom 17. Februar 2015, „Deutsche
Bürokratie macht Eliteförderung zunichte“). Auch beim Bund sind die Verwaltungs-
kosten für das Deutschlandstipendium hoch, was bereits den Bundesrechnungshof
auf den Plan gerufen hat. 2011 gingen nur etwas mehr als die Hälfte der Mittel für
das Deutschlandstipendium tatsächlich an die Studierenden. Die Verwaltung
(„Durchführungskosten“) verschlang 47 %. 2012 waren es 29 % und 2013 immer
noch 21 %. Der Bundesrechnungshof verlangt infolgedessen, die Durchführungs-
kosten auf 10 % zu reduzieren – und zwar ohne eingeworbene private Mittel. Dem
darf sich die Bundesregierung nicht länger verweigern.

Nachgehen muss die Bundesregierung Hinweisen über versuchte Einflussnahmen
von Unternehmen. Im Stipendienprogramm-Gesetz (StipG) heißt es zwar: „Das Sti-
pendium darf weder von einer Gegenleistung für den privaten Mittelgeber noch von
einer Arbeitnehmertätigkeit oder einer Absichtserklärung hinsichtlich einer späteren
Arbeitnehmertätigkeit abhängig gemacht werden.“ In der Praxis scheint das jedoch
anders zu sein, zeigen Berichte. Mancherorts muss ein Stifter nur den Namen des
Wunschkandidaten übermitteln und der Weg zur staatlichen Kofinanzierung ist frei
(siehe taz vom 21. Februar 2013 „Die da bitte!“). Die kurze Förderdauer des
Deutschlandstipendiums von maximal zwei Semestern dürfte bei geförderten Stu-
dierenden einen Druck nach Wohlverhalten gegenüber dem Stifter auslösen, um eine
Weiterförderung nicht zu gefährden.

Aufgrund der zahlreichen Schwächen des Deutschlandstipendiums soll die staatliche
Förderung für den Ladenhüter entfallen. Den Stiftern ist freigestellt, das Angebot in
Eigenregie weiterzuführen. Insbesondere Wirtschaftsverbände haben im letzten
Jahrzehnt mehrfach die Bereitschaft signalisiert, Stipendienprogramme in Eigenre-
gie aufzulegen. Die staatlichen Mittel für das Deutschlandstipendium sollen statt-
dessen für das BAföG und eine bessere Stipendienförderung für Flüchtlinge aus
Kriegs- und Krisenregionen genutzt werden

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die staatliche Förderung für das Deutschlandstipendium zum nächstmögli-
chen Semester einzustellen. Den Stiftern ist freigestellt, das Angebot in Ei-
genregie weiterzuführen;

2. die Bundesmittel aus dem Deutschlandstipendium zu nutzen, um einen Teil
der unverzüglich notwendigen BAföG-Erhöhung zu finanzieren;

3. die Studienpauschale („Büchergeld“) für die bundesfinanzierten Aufstiegs-
stipendien von 80 auf 300 Euro anzuheben und so für Gleichwertigkeit von
akademischer und beruflicher Bildung in der Begabtenförderung zu sorgen;

4. die Stipendienförderung für geflüchtete Studierende und Studieninteres-
sierte aus Kriegs- und Krisengebieten stärker auf die tatsächliche Nachfrage
auszurichten und die Vergabe dabei nicht allein an den Studienleistungen
zu orientieren, sondern auch die soziale Situation der Flüchtlinge zu berück-
sichtigen.

Berlin, den 21. April 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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