BT-Drucksache 18/4477

29 Jahre Tschernobyl - Aktuelle Situation in der Ukraine

Vom 25. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4477
18. Wahlperiode 25.03.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Matthias Gastel,
Bärbel Höhn, Oliver Krischer, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Peter
Meiwald, Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

29 Jahre Tschernobyl – Aktuelle Situation in der Ukraine

Am 26. April 2015 jährt sich die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl zum
29. Mal. Hunderttausende verloren damals ihre Heimat und noch immer sind
Regionen in der Ukraine und in Belarus durch die damals freigesetzte Strahlung
verseucht. Das traurige Erbe von Tschernobyl wird auch für kommende Genera-
tionen eine große Herausforderung darstellen. Tschernobyl wird für immer ein
Symbol für die unkalkulierbaren Risiken der Atomenergie bleiben. Auch nach
so vielen Jahren ist die Situation vor Ort nicht wirklich unter Kontrolle. Geplant
ist schon lange die Fertigstellung des neuen sicheren Einschlusses (sogenannter
Sarkophag), der eine weitere Gefährdung der Bevölkerung und der Umwelt
durch radioaktive Strahlung verhindern soll, da der bisherige Betonschutz brü-
chig geworden ist. Mehrmals kam es in der Vergangenheit zu Verzögerungen
und Finanzierungsschwierigkeiten am Bau. Im September 2014 drohte sogar ein
Baustopp für Anfang dieses Jahres. Die Sicherung der Anlage hat bereits jetzt
erhebliche Finanzmittel in Anspruch genommen. Im Jahr 2007 beliefen sich die
geschätzten Kosten des Projekts noch auf 622 Mio. Euro. Doch nun sollen die
gesamten Kosten für den Bau des Sarkophags, die von der internationalen
Gemeinschaft getragen werden, 2,15 Mrd. Euro betragen. Seit Juni 2014 hat die
Bundesrepublik Deutschland den G7-Vorsitz inne. Im Rahmen der Präsident-
schaft kommt ihr bei der Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel eine Schlüs-
selrolle zu.
Darüber hinaus ist die aktuelle Sicherheitslage der Atomkraftwerke in der Ukraine
wegen der anhaltenden Kämpfe in der Region weiterhin unsicher und gibt Grund
zur Beunruhigung. Zahlreiche Expertinnen und Experten haben mehrfach ihre
Sorgen um die Sicherheit der Atomkraftwerke zum Ausdruck gebracht. Ein ab-
sichtlich oder unabsichtlich herbeigeführter Reaktorunfall hätte direkte Folgen
für ganz Europa, wie Tschernobyl in tragischer Weise bewiesen hat. Vor allem
das Atomkraftwerk Saporischschja, mit insgesamt sechs Reaktorblöcken das
leistungsstärkste Atomkraftwerk (AKW) Europas, ist besonders gefährdet. Es
steht nicht nur in unmittelbarer Nähe zu den umkämpften Gebieten in der Ost-
ukraine, sondern es hat besonders im Dezember 2014 für negative Schlagzeilen
gesorgt. Gleich zwei Mal musste ein Reaktor nach einer Panne notabgeschaltet
werden.
Auch der Einsatz von Brennstäben der US-Firma Westinghouse in den Reak-
toren russischer Bauart im AKW Süd-Ukraine stellt ein Problem dar. Es ist
bekannt, dass sich einzelne Brennelemente verbogen haben. Derzeit läuft ein
Genehmigungsverfahren für ein modifiziertes Brennelement (vgl. Antwort der
Bundesregierung zu Frage 11 auf Bundestagsdrucksache 18/3521).

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Es ist besorgniserregend, dass die Ukraine trotz zahlreicher Störfälle in der Ver-
gangenheit und der aktuell unsicheren Lage im Land noch immer an der Atom-
kraft als wichtigstem Energieträger des Strommix festhält.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Gelder wurden der Ukraine nach Kenntnis der Bundesregierung

seit dem Jahr 2013 zur Instandhaltung ihrer Atomanlagen bewilligt und
durch wen (mit der Bitte um detaillierte Auflistung)?

2. Wie weit sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Arbeiten an der Er-
richtung des neuen sicheren Einschlusses vorangeschritten?

3. Wie belastbar ist nach Kenntnis der Bundesregierung eine Fertigstellung bis
zum Jahr 2017?

4. Welche Gefahren sieht die Bundesregierung bezüglich der späten Fertigstel-
lung des Sarkophags (unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dem bishe-
rigen Betonschutz lediglich eine Standfestigkeit von maximal 25 Jahren,
also bis zum Jahr 2011, bescheinigt wurde; vgl. www.klimaretter.info vom
6. Januar 2015 „Tschernobyl – Baustopp abgewendet“)?

5. Wie viel Geld fehlt nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit noch, um
den Bau des Sarkophags zu gewährleisten?

6. Welche Optionen hat die Bundesregierung entwickelt, um die Finanzie-
rungslücke für den Sarkophag zu schließen?

7. Wie kann nach Auffassung der Bundesregierung gewährleistet werden, dass
es nicht zu weiteren Ausgaben und möglichen Finanzierungslücken
kommt?

8. Welche Erkenntnisse haben sich für die Bundesregierung aus der Sitzung
der Nuclear Safety and Security Group ergeben, die für den 25. und 26. Fe-
bruar 2015 terminiert war (vgl. Antwort der Bundesregierung zu Frage 19
auf Bundestagsdrucksache 18/3521)?

9. Welche Themen sollen auf der Geberkonferenz am 29. April 2015 in Lon-
don besprochen werden, und wer genau wird daran teilnehmen (bitte mit
Angabe von Tagesordnung und Teilnehmerinnen und Teilnehmern)?

10. Welche weiteren Problemfelder gibt es nach Einschätzung der Bundesregie-
rung bei der Anlage in Tschernobyl?

11. Welche Arbeiten werden nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit zur
Überführung des Unfallstandorts Tschernobyl in ein ökologisch sicheres
Gebiet durchgeführt, und wie weit sind die Maßnahmen fortgeschritten
(bitte mit genauer Angabe, um welche einzelnen Maßnahmen es sich han-
delt und durch wen sie bis wann realisiert werden sollen)?

12. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung bei diesen Maßnahmen eben-
falls bekannte Verzögerungen, und wenn ja, welche Kosten ziehen sie nach
sich?

13. Wie weit sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Planungen für das
Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente in Tschernobyl vorange-
schritten?

14. Unterstützt die Bundesregierung, auch im Rahmen der G7, die Ukraine bei
der Konzeptionierung zur Entnahme der kontaminierten Materialien, und
wenn nein, wieso nicht (bitte mit Erläuterung)?

15. Wann ist nach Kenntnis der Bundesregierung mit einer Entnahme der kon-
taminierten Materialien in Tschernobyl zu rechnen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4477
16. Inwieweit wird bei den Abstimmungen zwischen der Bundesregierung und
ihren Partnern bezüglich der Deeskalation des russisch-ukrainischen Kon-
flikts auch die Sicherheitslage an den Atomanlagen thematisiert?

17. Führt die Bundesregierung eigene Gespräche zur Sicherheitslage an den
Atomkraftwerken, und wenn ja, mit wem und mit welchem Ergebnis?

18. Welche genauen Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Empfeh-
lungen, die von dem NATO-Expertenteam gegenüber der Ukraine aus-
gesprochen worden sind (vgl. Antwort der Bundesregierung zu Frage 3 auf
Bundestagsdrucksache 18/3521)?

19. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Umsetzung der Emp-
fehlungen zur Verbesserung der zivilen Nofallpläne?

20. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über eine bis zu 16fache Er-
höhung der Radioaktivität in unmittelbarer Nähe des Reaktors von Sapo-
rischschja in den letzten Dezembertagen 2014 („Auf dem Pulverfass“ von
Bernhard Clasen in Publik-Forum 1/2015)?

21. Ist der Bundesregierung bekannt, ob neben dem AKW Süd-Ukraine auch
weitere ukrainische Anlagen mit Brennelementen der US-Firma Westing-
house bestückt werden sollen?

22. Wenn ja, sieht die Bundesregierung darin eine Gefahr, dass es gleich in meh-
reren Atomkraftwerken zu Verbiegungseffekten bei den Brennelementen
kommen könnte?

23. Wie belastbar ist nach Einschätzung der Bundesregierung das Genehmi-
gungsverfahren des von der Firma Westinghouse modifizierten Brennele-
mentes, wenn im vorherigen Verfahren Brennelemente genehmigt worden
sind, die sich während des Einsatzes verbogen haben?

Berlin, den 25. März 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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