BT-Drucksache 18/4471

Ausweisungen im Jahr 2014 und Entwurf zur Reform des Ausweisungsrechts

Vom 25. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4471
18. Wahlperiode 25.03.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, Kerstin Kassner, Frank
Tempel, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Ausweisungen im Jahr 2014 und Entwurf zur Reform des Ausweisungsrechts

Die Fragen des Ausweisungsrechts sind immer wieder Gegenstand öffentlicher
Debatten und gerichtlicher Entscheidungen. Der Bundesminister des Innern,
Dr. Thomas de Maizière, erklärte in der Debatte des Deutschen Bundestages zu
einem Entwurf der Bundesregierung eines „Gesetzes zur Neubestimmung des
Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“: „Das bisherige System der Aus-
weisungen […] ist nur noch auf dem Papier klar. Unser Ausweisungsrecht ist
durch europäisches Recht und die Rechtsprechung so durchlöchert, dass es prak-
tisch kaum mehr handhabbar ist.“ (Plenarprotokoll 18/92). Das Problem ist
schon lange bekannt, seit dem Jahr 2009 lagen Vorschläge der Länder zu einer
Neuregelung vor, die von der Bundesregierung „geprüft“ wurden (Bundestags-
drucksache 17/10459, Antwort zu Frage 18). Der nun vorliegende Entwurf der
Bundesregierung gibt das alte System von Tatbeständen, die schematisch entwe-
der zwingend, im Regelfall oder nach Ermessen der Ausländerbehörden zu einer
Ausweisung führen sollten, auf. Ersetzt werden soll es durch ein neues System,
in dem einerseits einzelne Tatbestände (Straffälligkeit, Drogendelikte, extremis-
tische Gesinnung etc.) ein „öffentliches Ausweisungsinteresse“, andererseits
Belege für eine Verwurzelung in Deutschland ein „privates Bleibeinteresse“ be-
gründen sollen. Zwischen beiden Interessensphären hat die Ausländerbehörde in
Zukunft eine Abwägung zu treffen. Beibehalten und in der Systematik des Ent-
wurfs verschärft werden sollen insbesondere solche Tatbestände, die bislang
kaum oder gar nicht zu Ausweisungen geführt haben: die bisherigen Regelaus-
weisungstatbestände, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, mögliche Ge-
fährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Nichtteilnahme oder falsche
Angaben bei einer Sicherheitsbefragung und leitende Funktion in einem ver-
botenen Verein (§ 54 Absatz 4, 5, 5a, 6, 7 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG)
sollen zukünftig ein „besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse“ be-
gründen und damit ein höheres Gewicht erhalten, als nach der aktuellen Syste-
matik. Die im Jahr 2008 unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit eingeführten
Ermessenstatbestände der „Integrationshemmung“ und der Nötigung zur Ehe
sollen nun als „schwer wiegende Ausweisungsinteressen“, der die „Hasspredi-
ger“ erfassende Tatbestand als „besonders schwer wiegendes Ausweisungs-
interesse“ gefasst werden (§ 55 Absatz 2 Satz 1 Nummer 9 bis 11 AufenthG).
Für alle diese Tatbestände gilt, dass sie nur selten zur Anwendung gelangt sind
oder die Bundesregierung dazu jedenfalls keine Angaben machen kann (Bundes-
tagsdrucksachen 17/1367, Antwort zu Frage 12; 17/10459, Antwort zu Frage 13;
17/13782, Antwort zu Frage 13; 18/2279, Antwort zu Frage 10).

Drucksache 18/4471 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Ausländerinnen und Ausländer sind (mit Stand 31. Dezember

2014) im Ausländerzentralregister gespeichert, gegen die eine Ausweisungs-
verfügung ergangen ist (bitte Ausweisungen der Jahre 2014, 2013 und 2012
gesondert angeben)?

2. Wie viele Ausländerinnen und Ausländer sind (mit Stand 31. Dezember
2014) im Ausländerzentralregister gespeichert, gegen die eine Ausweisungs-
verfügung ergangen ist, differenziert nach Geschlecht?

3. Wie viele Ausländerinnen und Ausländer sind (mit Stand 31. Dezember
2014) im Ausländerzentralregister gespeichert, gegen die eine Ausweisungs-
verfügung ergangen ist, differenziert nach Alter (in den Schritten 0 bis
13 Jahre, 14 bis 17 Jahre, 18 bis 21 Jahre, 22 bis 26 Jahre, 27 bis 35 Jahre,
36 bis 60 Jahre, 60 Jahre und älter)?

4. Wie viele Ausländerinnen und Ausländer sind (mit Stand 31. Dezember
2014) im Ausländerzentralregister gespeichert, gegen die eine Ausweisungs-
verfügung ergangen ist, differenziert nach Bundesländern (bitte für Aus-
weisungen der Jahre 2013 und 2014 eine gesonderte Auflistung nach Bun-
desländern machen)?

5. Wie viele Ausländerinnen und Ausländer sind (mit Stand 31. Dezember
2014) im Ausländerzentralregister gespeichert, gegen die eine Ausweisungs-
verfügung ergangen ist, differenziert nach den 15 wichtigsten Herkunfts-
staaten (bitte für die Ausweisungen des Jahres 2014 eine gesonderte Auflis-
tung machen)?

6. Über welchen Aufenthaltsstatus verfügten Ausländerinnen und Ausländer
laut Ausländerzentralregister (zum Stand 31. Dezember 2014), gegen die
eine noch nicht wirksame Ausweisungsverfügung ergangen ist?

7. Wie viele Ausländerinnen und Ausländer sind (mit Stand 31. Dezember
2014) im Ausländerzentralregister gespeichert, gegen die eine Ausweisungs-
verfügung ergangen ist, differenziert nach befristet und unbefristet, und wie
viele dieser Ausweisungen erfolgten in den Jahren 2012, 2013 und 2014?

8. Wie viele Ausländerinnen und Ausländer, gegen die eine Ausweisungsver-
fügung ergangen ist, sind (mit Stand 31. Dezember 2014) im Ausländerzen-
tralregister als „aufhältig“ bzw. „nicht aufhältig“ gespeichert (bitte bei den
noch aufhältigen Personen nach Bundesländern, den 15 häufigsten Her-
kunftsstaaten und dem Jahr der Ausweisung differenzieren)?
Wie viele Ausländerinnen und Ausländer sind (mit Stand 31. Dezember
2014) im Ausländerzentralregister gespeichert, gegen die eine Ausweisungs-
verfügung ergangen ist, differenziert nach „noch nicht vollziehbar“, „sofort
vollziehbar“ und „unanfechtbar“, und wie viele dieser Ausweisungen erfolg-
ten in den Jahren 2012, 2013 und 2014?

9. Wie viele der Ausländerinnen und Ausländer, gegen die eine Ausweisungs-
verfügung erging,
a) reisten freiwillig aus,
b) wurden abgeschoben, und
c) konnten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben

werden (bitte Gründe benennen und bitte zum Stand 31. Dezember 2014
für Ausweisungen im Jahr 2013 und 2014 angeben)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4471
10. Welche Erkenntnisse oder Einschätzungen liegen der Bundesregierung zu
der Frage vor, gegen wie viele Ausländerinnen und Ausländer auf der
Grundlage von § 54 Absatz 5, 5a, 6 und 7 AufenthG und § 55 Absatz 2
Satz 1 Nummer 9 bis 11 AufenthG seit Geltung der Regelungen eine Aus-
weisungsverfügung ergangen ist, und wie viele hiervon rechtskräftig wur-
den?

11. In wie vielen Fällen hat die Arbeitsgruppe „Statusrechtliche Begleitmaß-
nahmen“ (AG Status) im vergangenen Jahr eine Überwachungsanordnung
nach § 54a AufenthG empfohlen, in wie vielen Fällen wurde dieser Empfeh-
lung nach Kenntnis der Bundesregierung Folge geleistet, und wie viele
Überwachungsanordnungen gab es insgesamt (bitte nach Jahren und Her-
kunftsstaat der Betroffenen aufschlüsseln)?

12. In wie vielen Fällen hat die AG Status im vergangenen Jahr eine Abschie-
bungsanordnung ohne vorherige Ausweisung nach § 58a AufenthG emp-
fohlen, in wie vielen Fällen wurde dieser Empfehlung nach Kenntnis der
Bundesregierung Folge geleistet, und wie viele Abschiebungsanordnungen
gab es insgesamt (bitte nach Jahren und Herkunftsstaat der Betroffenen auf-
schlüsseln)?

13. In wie vielen Fällen hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) im vergangenen Jahr auf Empfehlung der AG Status ein Wider-
rufs- bzw. Rücknahmeverfahren gegen eine Asyl- oder Flüchtlingsanerken-
nung eingeleitet (bitte nach Jahren, Staatsangehörigkeit der Betroffenen und
Ausgang des Verfahrens aufschlüsseln)?

14. Wie weit sind Bemühungen von Bund und Ländern mittlerweile gediehen,
für die knapp eine halbe Million als unbefristet erlassenen Einreiseverbote
ein „Bereinigungsverfahren“ (s. Bundestagsdrucksache 18/249, Frage 10)
durchzuführen?

15. Aus welchen Gründen hat sich die Bundesregierung dazu entschieden, die
aktuell noch in § 54 Absatz 4, 5, 5a, 6 und 7 sowie in § 55 Absatz 1 Satz 2
Nummer 9 bis 11 AufenthG enthaltenen Ausweisungsgründe als Tat-
bestände eines „besonders schwerwiegenden“ oder „schwerwiegenden“
„öffentlichen Ausweisungsinteresses“ so auszugestalten, dass sie bei Aus-
weisungsentscheidungen künftig stärker ins Gewicht fallen könnten als
bislang?

16. Wie wird im Rahmen des neuen Ausweisungsrechts sichergestellt, dass die
vom Europäischen Gerichtshof verlangte Prognose über die zukünftige Ver-
übung von Straftaten in die Abwägung der Ausländerbehörde einfließt?

17. Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung dagegen, die Neu-
regelung des Ausweisungsrechts zum Anlass zu nehmen, Ausweisungen auf
Fälle einer gegenwärtigen schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung zu begrenzen, statt nun erneut eine Regelung zu
schaffen, die nach Auffassung der Fragesteller in ihren praktischen Folgen
weder für die Rechtsanwender noch die Betroffenen kalkulierbar und vor-
hersehbar sind, also die bestehende Unsicherheit in diesem Regelungsbe-
reich aufrechterhalten?

Berlin, den 24. März 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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