BT-Drucksache 18/4389

Politische und demokratische Kontrolle der NATO-Kompetenzzentren

Vom 20. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4389
18. Wahlperiode 20.03.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike
Hänsel, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion DIE LINKE.

Politische und demokratische Kontrolle der NATO-Kompetenzzentren

Auf dem NATO-Gipfel im Jahr 2002 in Prag wurde eine neue Struktur der
NATO beschlossen. Das zuvor für NATO-Einsätze im atlantischen Raum zu-
ständige Oberkommando der NATO wurde in das Allied Command Transforma-
tion (ACT) überführt, das nicht mehr für die Führung von Einsätzen, sondern für
die Weiterentwicklung von Strategie, Doktrin und Technologie zuständig ist.
Seit dem Jahr 2005 wird das ACT dabei von sogenannten Exzellenzzentren
(Centres of Excellence – COE) unterstützt, deren Arbeit es koordiniert. Diese
Exzellenzzentren bezeichnen sich selbst als „internationale militärische Organi-
sationen“, die außerhalb der Kommandostruktur der NATO stehen und agieren.
Die Initiative zur Einrichtung eines Exzellenzzentrums geht von einzelnen Mit-
gliedstaaten aus, die damit als Rahmennation(en) des COE fungieren und es im
Regelfall auch beherbergen. Diese Rahmennation handelt dann mit der NATO
und weiteren NATO-Staaten und -Partnern Abkommen über die Zusammenar-
beit, Unterstützung und Finanzierung aus, woraufhin das jeweilige COE von der
NATO zertifiziert wird. Neben den Rahmennationen erhalten die jeweiligen
COE finanzielle Unterstützung und Personal aus verschiedenen Mitgliedstaaten,
die als „Sponsoring Nations“ bzw. „Contributing Nations“ bezeichnet werden
(www.nato.int/cps/en/natolive/topics_68372.htm).
Gegenwärtig existieren 20 akkreditierte COE, die in verschiedenen Feldern Füh-
rungskräfte ausbilden, die Doktrin weiterentwickeln, Erfahrungen und Lehren
aus den bisherigen Einsätzen identifizieren und Konzepte erproben sollen. Als
erstes COE wurde das von Deutschland im Jahr 2004 eingerichtete Exzellenz-
zentrum Luftstreitkräfte (Joint Air Power Competence Centre – JAPCC) in Kal-
kar am Niederrhein im Jahr 2005 vom ACT mit Deutschland als Rahmennation
zertifiziert. Im Jahr 2006 folgten unter türkischer Führung das Exzellenzzentrum
„Verteidigung gegen Terrorismus“ (Defence Against Terrorism – DAT), unter bel-
gisch-niederländischer Führung das Exzellenzzentrum Minenkriegsführung
(Naval Mine Warfare – NMW) in Belgien und unter US-amerikanischer Füh-
rung das Exzellenzzentrum für seegestützte Streitkräfte gemeinsame Opera-
tionen (Combined Joint Operations from the Sea – CJOS). Im Jahr 2007 wurde
unter deutsch-niederländischer Führung das Exzellenzzentrum für Zivil-Militä-
rische Zusammenarbeit (Civil-Military Cooperation – CIMIC) in Enschede, im
Jahr 2009 unter deutscher Führung das Exzellenzzentrum für Operationen in
seichten Gewässern (Operations in Confined and Shallow Waters – CSW) in
Kiel und im Jahr 2010 das Exzellenzzentrum Wehrtechnik (Military Enginee-
ring – MILENG) in Ingolstadt zertifiziert. Zumindest am im Jahr 2008 zer-
tifizierten Exzellenzzentrum zum Cyberspace (Cooperative Cyber Defence –
CCD) und am im Jahr 2014 zertifizierten Exzellenzzentrum Militärpolizei (Mi-
litary Police – MP) ist Deutschland als „Sponsoring Nation“ beteiligt. Weitere

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COE betreffen die Analyse und Simulation bei der Planung von Luftoperationen
(Analysis and Simulation for the Preparation of Air Operations – CASPOA),
Operationen in extremer Kälte (Cold Weather Operations – CWO), Führung
multinationaler Einsätze (Command and Control – C2), die Bekämpfung impro-
visierter Sprengsätze (Counter Improvised Explosive Devices – C-IED), Ener-
giesicherheit (Energy Security – ENSEC), Kampfmittelräumung (Explosive
Ordnance Disposal – EOD), Aufklärung mit menschlichen Quellen (Human
Intelligence – HUMINT), Verteidigung gegen Angriffe mit chemischen, biolo-
gischen, radiologischen und nuklearen Waffen (Joint Chemical, Biological,
Radiation and Nuclear Defence – JCBRN Defence), Wehrmedizin (Military Me-
dicine – MILMED), Modellierung und Simulation – M&S) und Strategische
Kommunikation (StratCom) (www.nato.int/cps/en/natolive/topics_68372.htm).
Die Fragesteller befürchten, dass mit den Exzellenzzentren gezielt und mit Steu-
ergeldern finanziert Foren für Militärs und angehende Führungskräfte geschaf-
fen werden, um außerhalb der militärischen Befehlskette, politischen Kontrolle
und kritischen Öffentlichkeit auch in Spezialfeldern, wie der Cyberkriegsfüh-
rung und der strategischen Kommunikation, eine offensivere Doktrin der NATO
zu entwickeln und dass dabei das Völkerrecht kaum Beachtung findet.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. An welchen NATO-Exzellenzzentren ist oder war die Bundesrepublik

Deutschland als „Framework Nation“, „Sponsoring Nation“ oder „Contribu-
ting Nation“ beteiligt (bitte unter Angabe des jeweiligen Zeitraums)?

2. Welche Kosten aus welchen Haushaltstiteln fielen seit dem Jahr 2004 für den
Unterhalt und die Unterstützung dieser Exzellenzzentren an (bitte nach Jah-
ren, COE und Haushaltstitel aufschlüsseln)?

3. Welche weitere Unterstützung leistet die Bundesregierung den NATO-Kom-
petenzzentren?

4. Auf welchen Liegenschaften befinden sich die in Deutschland angesiedelten
COE, und welche Miet- oder Pachtverhältnisse liegen diesen zugrunde?

5. Auf wessen Initiative und mit welcher Zielsetzung hat die Bundesregierung
ab dem Jahr 2004 das Exzellenzzentrum Luftstreitkräfte (Joint Air Power
Competence Centre – JAPCC) eingerichtet, was ist dessen Aufgabenstellung,
und welche Arbeitsergebnisse werden angestrebt?

6. Auf wessen Initiative und mit welcher Zielsetzung wurde im Jahr 2008 das
Exzellenzzentrum „Operations in Confined and Shallow Waters“ (CSW) ein-
gerichtet, was ist dessen Aufgabenstellung, und welche Arbeitsergebnisse
werden angestrebt?

7. Auf wessen Initiative und mit welcher Zielsetzung wurde wann das Exzel-
lenzzentrum für Zivil-Militärische Zusammenarbeit (CIMIC) eingerichtet,
was ist dessen Aufgabenstellung, und welche Arbeitsergebnisse werden an-
gestrebt?

8. Auf wessen Initiative und mit welcher Zielsetzung wurde wann das Exzel-
lenzzentrum für Military Engineering (MILENG) eingerichtet, was ist dessen
Aufgabenstellung, und welche Arbeitsergebnisse werden angestrebt?

9. Auf wessen Initiative und mit welcher Zielsetzung beteiligt sich Deutschland
als „Sponsoring Nation“ am Exzellenzzentrum Cooperative Cyber Defence
(CCD), was ist dessen Aufgabenstellung, und welche Arbeitsergebnisse wer-
den angestrebt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4389
10. Auf wessen Initiative und mit welcher Zielsetzung beteiligt sich Deutsch-
land als „Sponsoring Nation“ am Exzellenzzentrum Military Police (MP),
was ist dessen Aufgabenstellung, und welche Arbeitsergebnisse werden an-
gestrebt?

11. Was ist der Inhalt und die Laufzeit der jeweils zugrundeliegenden Abkom-
men (Memorandum of Understanding – MoU), und wie wurden diese dem
Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht?

12. Welche Ergebnisse (Studien etc.) haben diejenigen Exzellenzzentren unter
deutscher (Mit-)Führung oder an denen Deutschland als „Sponsoring Na-
tion“ oder „Contributing Nation“ beteiligt ist, bislang erbracht, und wie
werden diese durch die Bundesregierung beurteilt?

13. Welche nichtmilitärischen Organisationen und Körperschaften (z. B. privat-
wirtschaftliche Unternehmen, zivile Polizeibehörden und Nichtregierungs-
organisationen) sind in die Tätigkeiten der Exzellenzzentren mit deutscher
Beteiligung, insbesondere den COE für Zivil-Militärische Zusammenarbeit,
Military Police und Cooperative Cyber Defence, mit welchen Aufgaben
einbezogen?

14. Welche Kriterien liegen der Zertifizierung als NATO-COE durch das ACT
zugrunde?

15. Gelten für eine Zertifizierung durch das ACT in allen Fällen dieselben Kri-
terien, und enthalten diese eine Bindung an den Nordatlantikvertrag und das
Völkerrecht?
Inwieweit ist sichergestellt, dass die Vorgaben des deutschen Verfassungs-
rechts eingehalten werden?

16. Ist oder war an der Zertifizierung einzelner Kompetenzzentren durch das
ACT auch dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) unterstehen-
des Personal beteiligt?
Wenn ja, wann und in welcher Funktion?

17. Welches militärische Personal in welchem Rang wurde in welchem Umfang
über welchen Zeitraum seit dem Jahr 2005 für Aktivitäten der COE diesem
unterstellt oder freigestellt, und in welcher Funktion war es dort tätig?

18. Untersteht das militärische Personal bei seiner Tätigkeit den Weisungen des
BMVg oder einer Befehlskette?

19. Vertreten die aus dem Bundeshaushalt finanzierten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der COE bei ihren Aktivitäten für die NATO-Kompetenzzentren
die Auffassung der Bundesregierung, etwa in völkerrechtlichen und verfas-
sungsrechtlichen Fragen?

20. Wird auch ziviles Personal in den NATO-Kompetenzzentren aus dem Bun-
deshaushalt finanziert, und wenn ja, in welchem Umfang, und mit welchen
Aufgaben?

21. Wie nimmt die Bundesregierung die an den NATO-Kompetenzzentren erar-
beiteten Konzepte, Strategien und Publikationen zur Kenntnis, und inwie-
weit sind Arbeitsergebnisse der COE bislang in strategische, taktische oder
operative Konzepte, Vorhaben bzw. Aktivitäten eingeflossen?

22. Wurde die Arbeit der NATO-Kompetenzzentren, an denen Deutschland als
„Framework Nation“, „Sponsoring Nation“ oder „Contributing Nation“ be-
teiligt ist, bislang durch die Bundesregierung evaluiert und eine Beteiligung
infrage gestellt?

23. Wie wird die Arbeit der NATO-Kompetenzzentren in welchem Turnus
durch die Bundesregierung und die NATO überwacht?

Drucksache 18/4389 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
24. Wodurch sieht die Bundesregierung
a) die politische und
b) die demokratische Kontrolle
der NATO-Kompetenzzentren gewährleistet?

25. Was kennzeichnet nach Auffassung der Bundesregierung die NATO-Kom-
petenzzentren als „internationale militärische Organisation“, und welche
Rechte und Privilegien erwachsen für diese hieraus?

26. Sind strategische Kommunikation und Cyber Operations entsprechend dem
am COE Cooperative Cyber Defence mit deutscher Beteiligung entwickel-
ten „Tallinn Manual“ nach Auffassung der Bundesregierung Aufgaben der
NATO und der Bundeswehr (bitte begründen)?

Berlin, den 19. März 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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