BT-Drucksache 18/4316

Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen

Vom 17. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4316
18. Wahlperiode 17.03.2015
Antrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena Baerbock,
Bärbel Höhn, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald, Dr. Julia
Verlinden, Harald Ebner, Matthias Gastel, Kai Gehring, Stephan Kühn (Dresden),
Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und
rechtliche Schritte einlegen

Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Noch kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit hat die alte EU-Kommission mit tatkräftiger
Unterstützung des damaligen Energiekommissars Günther Oettinger am 8. Oktober
2014 die staatliche Beihilfe für den britischen AKW-Neubau Hinkley Point C (Sup-
port SA.34947) bewilligt. Damit darf die britische Regierung dem künftigen Betrei-
ber Électricité de France (EDF) einen fixen Strompreis von 92,5 britischen Pfund
(circa 117 Euro) je Megawattstunde über einen Zeitraum von 35 Jahren zusichern.
Hinzu kommen Inflationszuschläge und Kreditgarantien. Zusätzlich sichert der Staat
dem Betreiber Kompensationszahlungen zu, sollte sich die britische Energiepolitik
innerhalb der nächsten Jahrzehnte ändern und beispielsweise ein Atomausstieg an-
gestrebt werden.

Die milliardenschwere Subventionierung von Atomkraftwerken in Europa ange-
sichts der unbeherrschbaren Risiken sowie der ungeklärten Frage der Atommüll-
Endlagerung ist unverantwortlich. Sie widerspricht zudem dem europäischen Wett-
bewerbsrecht. Der jahrzehntelange garantierte Strompreis aus Atomkraftwerken
führt zu einer Wettbewerbsverzerrung auf dem europäischen Strombinnenmarkt. Die
Kommission selbst hatte zu Beginn ihrer Prüfung noch starke Zweifel am britischen
Förderungsmodell geäußert, dann jedoch ein angebliches „Marktversagen“ attestiert,
durch das der AKW-Neubau nicht mit den Gegebenheiten des Marktes allein erreicht
werden könne. Die Entscheidung der Kommission bestätigt jedoch kein Marktver-
sagen, sondern die Unwirtschaftlichkeit von Atomenergie: Auch nach 60 Jahren
kommerzieller Nutzung ist Atomkraft nicht ohne staatliche Hilfe zu finanzieren.
Sollte die Entscheidung der EU-Kommission nicht zurückgenommen werden, wird
damit ein Präjudiz geschaffen, welches die weitere Entscheidungspraxis beeinflus-
sen und den liberalisierten Binnenmarkt einschränken kann. Atomfreundliche EU-
Länder wie Polen oder Tschechien können sich an dem britischen Fördermodell ori-
entieren, um ihre bisher unwirtschaftlichen Neu- und Ausbauprojekte im Atombe-
reich rentabel zu machen.

Drucksache 18/4316 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hat bereits im Oktober
letzten Jahres eine Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof angekün-
digt, um die Aufhebung des Rechtsakts zu veranlassen (nachrichten.at, 09.10.2014).
Die britische Zeitung „The Guardian“ berichtete am 21. Januar 2015, dass Luxem-
burg das österreichische Vorhaben unterstützen wolle. Der Wissenschaftliche Dienst
des Bundestags kommt in einer Ausarbeitung zum Ergebnis, dass auch die Bundes-
regierung im Namen Deutschlands ohne jegliche Einschränkungen eine Nichtig-
keitsklage erheben kann. Mitgliedstaaten gehören nach Art. 263 Abs. 2 AEUV zu
den sog. privilegierten Klägern, die im Verfahren der Nichtigkeitsklage ohne beson-
dere Voraussetzungen an die Klageberechtigung gegen Organhandlungen vorgehen
können. Auch mehrere Energieunternehmen prüfen bereits jetzt ihre Klagemöglich-
keiten oder bereiten konkrete Klageschriften vor. Die Stadtwerke Schwäbisch Hall
GmbH wandten sich am 15. Oktober 2014 in einem Brandbrief an den Bundesmi-
nister für Wirtschaft und Energie Sigmar Gabriel (SPD) und warnten vor einem gra-
vierenden Kartellverstoß sowie einer Verzerrung des Wettbewerbs durch die Kom-
missions-Entscheidung. In dem Schreiben forderten sie die Bundesregierung auf,
sich der Klage Österreichs anzuschließen. Die Elektrizitätswerke Schönau haben
eine Beschwerde an die EU-Kommission gerichtet, der sich bereits rund 63.000 Bür-
gerInnen angeschlossen haben (Stand: 16.03.2015).

Seit dem 20. Januar 2015 liegt der offizielle Entscheidungstext der Europäischen
Kommission auf Englisch vor. Nachdem der Text in alle 24 Amtssprachen der Eu-
ropäischen Union übersetzt worden ist, kann eine Nichtigkeitsklage gegen die Ent-
scheidung eingereicht werden. Die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit Dr. Barbara Hendricks äußerte sich am 8. Oktober 2014 be-
reits unterstützend in diesem Zusammenhang und bestätigte, dass sie sich für eine
Nichtigkeitsklage der Bundesregierung einsetzen werde. Ihre Begründung: „Ich
halte diese Entscheidung der EU-Kommission für grundfalsch und kann sehr gut
verstehen, dass Österreich schon eine Nichtigkeitsklage ins Auge gefasst hat. Ich bin
der gleichen Auffassung wie Sie [Sylvia Kotting-Uhl MdB], dass die EU-Kommis-
sion in diesem Punkt in der Tat eine Kehrtwende vollzogen hat. (…) Aus all diesen
Gründen und auch, weil wir als Bundesregierung insgesamt (…) aus der Atomener-
gie aussteigen wollen, halte ich diese Entscheidung für falsch“(Plenarprotokoll
18/56, 56. Sitzung, 5156). Bis heute hat die Bundesregierung der Aussage der Mi-
nisterin für Reaktorsicherheit leider keine erkennbaren Taten folgen lassen.

Eine deutliche Haltung Deutschlands gegenüber dieser Entscheidung der EU-Kom-
mission ist notwendig. Zum einen darf an der Ernsthaftigkeit des deutschen Atom-
ausstiegs kein Zweifel aufkommen. Zum anderen muss Deutschland, soweit das
möglich ist, der Energiewende auch in der EU auf den Weg helfen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. gegen die Entscheidung der EU-Kommission vom 8.10.2014 zur Beihilfe für
das geplante Atomkraftwerk Hinkley Point C in Großbritannien fristgerecht eine
Nichtigkeitsklage beim Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 263
laut EU-Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) einzu-
reichen oder sich der Klage eines anderen europäischen Staates anzuschließen;

2. andere EU-Staaten zu eigenständigen oder gemeinsamen Klagen zu ermuntern
und sie bei den Klagemöglichkeiten zu unterstützen;

3. deutsche Energieversorgungsunternehmen zu ermuntern, ebenfalls Klage beim
Gerichtshof der Europäischen Union einzureichen und sie bei Klagen gegen die
Entscheidung der EU-Kommission zu unterstützen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4316
Berlin, den 3. März 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Die EU-Kommission selbst hatte im März dieses Jahres noch starke Zweifel am britischen Förderungsmodell
geäußert: „Nach Auffassung der Kommission handelt es sich bei der Maßnahme um eine staatliche Beihilfe im
Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV, da es nicht um die Erbringung einer echten Dienstleistung von allge-
meinem wirtschaftlichem Interesse geht und ein Unternehmen selektiv begünstigt wird, so dass die Maßnahme
den Wettbewerb zu verfälschen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen droht.

Die Kommission hat ernste Zweifel daran, dass die mutmaßliche Beihilfe als Maßnahme erachtet werden kann,
die dem öffentlichen Zweck der Versorgungssicherheit dient, und dass sie zur Verringerung der CO2-Emissi-
onen beitragen kann. Ferner zweifelt die Kommission ernstlich daran, dass im Zusammenhang mit der Kern-
energie staatliche Beihilfen erforderlich sind und dass eine Kombination aus Kreditgarantie und CfD [Contract
for Difference] ein geeignetes Instrument darstellt.

Auf der der Grundlage der vorgenommenen Prüfung ist nach Auffassung der Kommission zudem sehr fraglich,
ob die Kombination von Beihilfemaßnahmen – und besonders eines CfD mit einer Verbraucherpreisindexie-
rung und einer Kreditgarantie – zu den potenziellen positiven Auswirkungen der Beihilfe im Verhältnis stehen.
Schließlich ist die Kommission der Auffassung, dass die Maßnahme geeignet ist, den Wettbewerb erheblich
zu verfälschen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten erheblich zu beeinträchtigen.”*

Die britische Regierung begründet den Bau des Atomkraftwerks auch mit Klimaschutzgründen und dem ge-
meinsamen EU-Ziel der Dekarbonisation. Bei diesem Argument werden die CO2-Emissionen, die sich während
des gesamten Brennstoffkreislaufs bilden, also z. B. beim Abbau von Uran, dem Bau des Kraftwerks oder auch
den Transporten von Brennstäben, komplett außen vorgelassen. Bereits 2007 veröffentlichte das Ökoinstitut
Darmstadt das Papier „Treibhausgasemissionen und Vermeidungskosten der nuklearen, fossilen und erneuer-
baren Strombereitstellung“ und kommt zu dem Schluss, dass Erneuerbare im Hinblick auf Treibhausgas-Ver-
meidungskosten wettbewerbsfähiger sind als Atomstrom – und dies selbst dann, wenn keine externen Kosten
für nukleare Risiken veranschlagt werden (Fritsche 2007, 15). Nicht ohne Grund wurde Atomkraft auch bei
der Aktualisierung der Energie- und Umwelt-Beihilfeleitlinien der EU 2014 ausgeschlossen.

Großbritannien beruft sich zudem auf eine Versorgungslücke ab dem Jahr 2020, die sie mit dem Bau von
Hinkley Point C schließen möchte. Es ist völlig unklar, wie sich ein AKW, das frühestens 2023 fertig gestellt
wird, dafür eignen soll. Wesentlich kostengünstiger und klimafreundlicher könnte die erwartete Lücke mit er-
neuerbaren Energien geschlossen werden, so wie u. a. in der EU-Erneuerbaren-Richtlinie vorgesehen.

* Verfahren bezüglich der Durchführung der Wettbewerbspolitik. Staatliche Beihilfe SA.34947 (2013/C) (ex 2013/N) – Investitionsvertrag (Vor-
form des „Contract for Difference“) für das neue Kernkraftwerk Hinkley Point C Aufforderung zur Stellungnahme nach Artikel 108 Absatz 2
AEUV (2014/C 69/06).
Online abrufbar unter URL: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52014XC0307(07)&from=DE
(März 2014, C 69/61).
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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