BT-Drucksache 18/4284

Anpassung des Katastrophenschutzes für den Berliner Forschungsreaktor BER II entsprechend der Strahlenschutzkommission

Vom 10. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4284
18. Wahlperiode 10.03.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay,
Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Anpassung des Katastrophenschutzes für den Berliner Forschungsreaktor BER II
entsprechend der Strahlenschutzkommission

Nach der Atomkatastrophe von Fukushima hat die Strahlenschutzkommission
(SSK) für die Atomkraftwerke (AKW) eine generelle Ausweitung der Planungs-
gebiete für den Notfallschutz empfohlen (Empfehlung der Strahlenschutzkom-
mission „Planungsgebiete für den Notfallschutz in der Umgebung von Kernkraft-
werken“, 268. Sitzung der Strahlenschutzkommission, 13./14. Februar 2014,
www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse/2014/Planungsgebiete.html).
Ausgangspunkte der Empfehlungen der SSK waren:
– Deutschland geht für AKW auch wie vor Fukushima von einem Reaktorun-

fall der Stufe INES 7 aus,
– Fukushima zeigte, dass der vorgesehene Katastrophenschutz für eine Evaku-

ierung und Verteilung von Jodtabletten nicht ausreicht,
– der Katastrophenschutz soll sich an den Folgen und nicht an der Wahrschein-

lichkeit des Unfalls orientieren,
– internationale Harmonisierung zur Ableitung von Planungsgebieten für den

Katastrophenschutz.
Die SSK hat empfohlen, die äußeren Grenzen der Schutzzonen um folgende
Faktoren zu erweitern:
mal 2,5 – Zentralzone auf 5 km,
mal 2 – Mittelzone auf 10 km,
mal 4 – Außenzone auf 100 km,
mal >5 – Fernzone auf das gesamte Bundesgebiet.
Für Forschungsreaktoren fehlen jedoch solche Empfehlungen. Auch wenn in
den Forschungsreaktoren grundsätzlich andere Kernschmelz- oder Kritikalitäts-
unfälle zu unterstellen sind, ist jedoch anzunehmen, dass im Falle solcher Un-
fälle auch bei den Folgen einer Freisetzung aus Forschungsreaktoren größere
Gebiete als bislang angenommen betroffen sein werden.
Nach Informationen der Fragestellerinnen und Fragesteller ist am Forschungs-
reaktor BER II eine trockene Kernschmelze möglich, die einen schweren Unfall
der Stufe 6 der siebenstufigen internationalen Bewertungsskala für nukleare Er-
eignisse (INES, „Erhebliche Freisetzung (einige 1 000 bis einige 10 000 TBq),
voller Einsatz der Katastrophenschutzmaßnahmen“) zur Folge haben kann

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(Rödder, P.: Freisetzung radioaktiver Stoffe aus dem Kern des Forschungsreak-
tors BER II im Unfall, Hahn-Meitner-Institut, März 2001).
Unterstellt man die für AKW empfohlenen Faktoren zur Erweiterung der
Schutzzonen um den BER II, erweitert sich der Radius für die Mittelzone auf
8 km und umfasst damit fast das gesamte Stadtgebiet von Potsdam, aber auch die
Kommunen Stahnsdorf, Kleinmachnow, Teltow und weite Teile von Berlin-Zeh-
lendorf. Die Außenzone erweitert sich von 8 km auf 32 km und geht damit bis
Nauen, Velten, Grünau und Zossen und schließt somit fast das gesamte Stadtge-
biet von Berlin ein. Bei der Ausweitung der Planungsgebiete für den Notfall-
schutz um den BER II um die genannten Faktoren sind weitaus mehr Menschen
betroffen, die zu evakuieren, zu dekontaminieren bzw. mit Jodtabletten zu ver-
sorgen sind.
In der Informationsbroschüre „Information für die Umgebung des Forschungs-
reaktors im Helmholtz-Zentrum Berlin [HZB] für Materialien und Energie;
Information der Bevölkerung nach § 53 der Strahlenschutzverordnung“
(www.helmholtz-berlin.de/media/media/oea/web/news/pdfs/hzb_notfall_
brosch_15_final.pdf) des HZB ist angegeben:
„Für die gesamte Zentral- und Mittelzone kann die Einnahme von Jod-Tabletten
zum Schutz der Schilddrüse für Kinder und Erwachsene bis 45 Jahre erforder-
lich sein. Bis zu 20 Kilometer Entfernung kann darüber hinaus für Kinder, Ju-
gendliche und Schwangere die Einnahme von Jod-Tabletten angeraten werden.“
Die höchste Schutzwirkung hat die Einnahme der Jodtabletten kurz vor Eintref-
fen des freigesetzten radioaktiven Jods. Die Einnahme der Jodtabletten zehn
Stunden nach Eintreffen der radioaktiven Wolke hat praktisch keine schützende
Wirkung mehr (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit: Einnahme von Jodtabletten als Schutzmaßnahme bei einem schweren
Unfall in einem Kernkraftwerk – Informationsbroschüre; www. jodblockade.de/
fileadmin/user_upload/download_pdf/jodtabletten_broschuere_
einnahme_de.pdf).
Laut „taz.die tageszeitung“ vom 24. Oktober 2014 „traten bei einer geheimen
Übung der Krisenstäbe von Bund und Ländern eklatante Mängel zutage“. Dort
heißt es weiter: „Nach einer simulierten Atom-Katastrophe im AKW Emsland
wurde die Bevölkerung erst zu einem Zeitpunkt gewarnt, zu dem die radioaktive
Wolke bereits Millionen Menschen erreicht hätte.“ (www.taz.de/!148295/).
Geplant und umgesetzt werden muss der Katastrophenschutz durch die Kommu-
nen. Für den Katastrophenschutz ist aber auch die Bundesregierung maßgeblich
zuständig. Sie finanziert u. a. das Fahrzeugkonzept. Und diese Fahrzeuge stehen
wiederum bei kommunalen Feuerwehren, die um die notwendige Technik
kämpfen müssen. Die 61. Delegiertenversammlung des Deutschen Feuer-
wehrverbandes (DFV) hatte eine Resolution zum derzeitig schlechten Aus-
rüstungsstand für den Katastrophenschutz verabschiedet (DFV-Pressedienst,
27. September 2014: Zivilschutz: Delegierte fordern sichere Finanzen, Resolu-
tion der 61. Delegiertenversammlung des DFV zum Katastrophenschutz, www.
presseportal.de/pm/50093/2841303/zivilschutz-delegierte-fordern-sichere-
finanzen-resolution-der-61-delegiertenversammlung-des-dfv/rss).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist eine Anpassung des Katastrophenschutzes hinsichtlich der Ausweitung

der Planungsgebiete, wie bei den Atomkraftwerken, auch bei den For-
schungsreaktoren vorgesehen?
Wenn ja, was genau ist geplant, und bis wann soll die Umsetzung durch wen
erfolgen?
Wenn nein, warum nicht?

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2. Werden hinsichtlich der Möglichkeit eines „trockenen Kernschmelz-Un-
falls“ entsprechend der Stufe 6 der siebenstufigen internationalen Bewer-
tungsskala für nukleare Ereignisse (INES) beim Forschungsreaktor BER II
erweiterte Planungsgebiete analog den Empfehlungen bezüglich der Pla-
nungsgebiete für den Notfallschutz entsprechend der SSK-Empfehlungen
für Atomkraftwerke geplant?
Wenn ja, wann ist mit der Veröffentlichung zu rechnen, und was werden die
wesentlichen Anpassungsmaßnahmen sein?
Wenn nein, warum nicht, und in welcher Weise und bis wann wird die Bun-
desregierung dafür Sorge tragen, dass es diese erforderliche Anpassung für
Anlagen mit Forschungsreaktoren geben wird?

3. Ist es aus Sicht der Bundesregierung zutreffend, dass die entsprechende An-
passung der nach dem Fukushima-Unfall für den Katastrophenschutz bei
den Atomkraftwerken nunmehr angewandte Faktor (mal 4) dazu führt, dass
das gesamte Stadtgebiet von Berlin jetzt in die Außenzone des BER II fällt?
Wenn nein, warum nicht?

4. Wie viele Menschen wohnen nach Kenntnis der Bundesregierung
a) in den bisher definierten Schutzzonen um den BER II (je Zone und ins-

gesamt) und
b) in diesen Zonen und insgesamt, wenn für den BER II von Schutzzonen

analog zu den dargelegten Erweiterungsfaktoren für Atomkraftwerke
ausgegangen wird?

5. Wie viele Menschen müssten nach Einschätzung der Bundesregierung im
ungünstigsten Fall
a) nach den bisher definierten Schutzzonen um den BER II (je Zone und

insgesamt) mit Jodtabletten versorgt werden und
b) versorgt werden, wenn für den BER II von Schutzzonen analog zu den

dargelegten Erweiterungsfaktoren für Atomkraftwerke ausgegangen
wird (je Zone und insgesamt)?

6. Wann bzw. in welchem Zeitraum sind nach Einschätzung der Bundesregie-
rung 33 Prozent, 50 Prozent, 75 Prozent bzw. 95 Prozent der Bevölkerung
a) nach den bisher definierten Schutzzonen um den BER II, und
b) wenn für den BER II von Schutzzonen analog zu den dargelegten Erwei-

terungsfaktoren für Atomkraftwerke ausgegangen wird,
mit den Jodtabletten versorgt?

7. Gibt es eine vom Bund koordinierte Überarbeitung der Katastrophenschutz-
pläne?
Wie ist die Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern?

8. Welche Rolle spielt dabei das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Ka-
tastrophenhilfe?

9. Gibt es Richtlinien bzw. Empfehlungen, und bis wann werden die Katastro-
phenschutzpläne für die jeweiligen AKW entsprechend den Empfehlungen
der SSK überarbeitet?
Wenn ja, wie sehen diese im Einzelnen aus?

10. Mit welchen Gesamtkosten müssen Bund und nach Einschätzung der Bun-
desregierung die Länder bei der Umsetzung der Empfehlungen rechnen?

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11. Was waren aus Sicht der Bundesregierung die wesentlichen Mängel der
Bund-Länder-Kommunikationsübung zur Super-GAU-Simulation vom
17. September 2013, und welche Schlussfolgerungen werden daraus ge-
zogen (bitte detailliert und umfassend darstellen)?
Wann ist eine Wiederholung dieser Bund-Länder-Kommunikationsübung
für einen atomaren Unfall geplant?

12. Welches Fahrzeugkonzept und welche technische Ausrüstung stehen der be-
troffenen Wannsee-Feuerwehr nach Kenntnis der Bundesregierung zur Ver-
fügung, die im Ernstfall als erste Rettungskraft nach einem schweren Unfall
im BER II vor Ort wäre?

13. In welchem Zeitraum ist nach Kenntnis der Bundesregierung in einem sol-
chen Fall die volle geplante technische Einsatzbereitschaft vor Ort herge-
stellt?

14. Ist die für den BER II zuständige Polizei nach Kenntnis der Bundesregie-
rung mit Strahlenmessgeräten ausgerüstet?

15. Wie viele Rettungskräfte sind nach Kenntnis der Bundesregierung für einen
solchen Katastrophenfall im BER II eingeplant,
a) davon Berufsfeuerwehrkräfte bzw. Rettungskräfte und
b) ehrenamtliche Rettungskräfte?

16. Welche Katastrophenschutzübungen im Zusammenhang mit dem BER II
wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten zehn Jahren mit
wem und in welcher Größenordnung durchgeführt?

17. Wird im Falle eines „worst case“-Szenario am BER II die für Rettungskräfte
geltende Obergrenze von 250 mSv pro Einsatz und Person überschritten?

Berlin, den 10. März 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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