BT-Drucksache 18/4205

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/3785, 18/3993, 18/4189 - Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes

Vom 4. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4205
18. Wahlperiode 04.03.2015

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Matthias Gastel, Oliver Krischer,
Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms, Tabea Rößner, Annalena Baerbock,
Harald Ebner, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen),
Steffi Lemke, Nicole Maisch, Peter Meiwald, Friedrich Ostendorff, Dr. Julia
Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/3785, 18/3993, 18/4189 –

Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) 1996 hat
sich dieser dynamisch entwickelt: Allein zwischen 2002 und 2012 wuchs seine
Verkehrsleistung um 34 Prozent. Damit hat das Wachstum im Schienenpersonen-
nahverkehr maßgeblich dazu beigetragen, dass die Schiene im Wettbewerb der
Verkehrsträger etwas Boden gutmachen konnte. Auch künftig wird geschätzt,
dass die Nachfrage im SPNV jährlich um 2 bis 3 Prozent steigen wird. Unter dem
Strich war die Regionalisierung des SPNV daher bislang eine Erfolgsgeschichte.
Immer mehr Menschen haben die attraktiven Angebote, die von den SPNV-Auf-
gabenträgern und Verkehrsunternehmen gestaltet werden, angenommen. Der
Nahverkehr auf der Schiene hat seine Auslastung seit der Bahnreform stetig ver-
bessern können. Durch wettbewerbliche Vergaben der Leistungen im SPNV
konnte in der Vergangenheit Spielraum für Ausweitungen des Fahrplanangebots
gewonnen werden.
Im Verhältnis zu den Betriebsleistungen und den Fahrgastzahlen im Nahverkehr
auf der Schiene ist die Höhe der Regionalisierungsmittel seit 1996 mit nur 13
Prozent jedoch unterdurchschnittlich gewachsen. Vor allem die Kürzungen durch
„Koch-Steinbrück“ haben Spuren hinterlassen. Seit der letzten Revision der Re-
gionalisierungsmittel im Jahr 2007 ist eine jährliche Dynamisierung von 1,5 Pro-
zent vereinbart.
Dieser jährliche Aufwuchs der Nahverkehrsmittel liegt jedoch weit unter den spe-
zifischen Kostensteigerungen des Bahnsektors, was zu einer fortwährenden finan-
ziellen Schwächung der Aufgabenträger führt. Schlussendlich können diese im-
mer weniger SPNV-Leistungen auf der Schiene bestellen.

Drucksache 18/4205 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Kostentreiber sind vor allem die überdurchschnittlich gestiegenen Kosten für die
Nutzung der Eisenbahninfrastruktur (Trassen- und Stationsentgelte) sowie die
Energiekosten. Insgesamt fließen von den Regionalisierungsmitteln in Höhe von
derzeit rund 7,3 Milliarden Euro 3,6 Milliarden Euro – also fast die Hälfte der
Mittel – als Infrastrukturentgelte (Trassen- und Stationspreise) in die Kassen der
Infrastrukturtöchter des DB-Konzerns. Damit stammen rund 60 Prozent der Tras-
senentgelte und 85 Prozent der Stationsentgelte der DB AG vom SPNV.
Ein weiteres Abpuffern der Kostensteigerungen über wettbewerbliche Vergaben
scheidet für die Mehrheit der SPNV-Aufgabenträger aus, da bereits alle Verkehrs-
leistungen bundesweit mindestens einmal ausgeschrieben wurden. Mit den lang-
laufenden Verkehrsverträgen sind gleichfalls Mittel über einen Zeitraum von 10
bis 15 Jahren gebunden. Nur wenn die Aufgabenträger hier längerfristige Pla-
nungssicherheit bekommen, lassen sich künftig noch Investitionen in neue Fahr-
zeuge überhaupt abbilden.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung schafft keinerlei Planungssicherheit für
die Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs; er ist noch nicht einmal
als Brückenlösung zu bezeichnen, da er lediglich die Regionalisierungsmittel ein-
schließlich einer Dynamisierung von nur 1,5 Prozent für ein Jahr fortführt. Die
Zahlungen des Bundes an die Länder erfolgen derzeit nur unter Vorbehalt. Die
Revision der Regionalisierungsmittel, die eigentlich zum 1. Januar 2015 wirksam
werden sollte, wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nur um ein Jahr vertagt.
Darauf hat der hessische Ministerpräsident, Volker Bouffier (CDU), in der Sit-
zung des Bundesrates am 6.2.2015 deutlich hingewiesen: „Die Bundesregierung
hat ein Änderungsgesetz vorgelegt, das aus der Sicht der Länder nicht akzeptiert
werden kann. Ich will ausdrücklich anerkennen: Auch 100 Millionen Euro sind
Geld; dafür sind wir dankbar. Aber sie sind völlig unzureichend für das, was an
Aufgaben zu erfüllen ist.“
Der Nahverkehr auf der Schiene braucht verlässliche Rahmenbedingungen bis
2030 und keine andauernde Hängepartie. Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt hat die Dinge bewusst treiben lassen und trägt die Hauptverantwortung
für die jetzt entstandene Situation. Der Deutsche Bundestag stimmt der Erklärung
der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin, Malu Dreyer (SPD), vom
10.12.2014 zu, wonach die Bundesmittel die Länder in die Lage versetzen müs-
sen, ihrer Aufgabe der Daseinsvorsorge im Schienenpersonennahverkehr nachzu-
kommen.
Dabei liegen mit den Gutachten des Bundes (IGES) und der Länder (KCW) fun-
dierte Grundlagen für eine zukunftsweisende Entscheidung auf dem Tisch. Beide
Gutachter sind sich einig, dass der Mittelbedarf 2015 deutlich oberhalb jener
7,408 Mrd. Euro liegt, die der Bund im besagten Gesetzentwurf veranschlagt.
Selbst die im Auftrag des Bundes tätigen Gutachter kommen auf einen Mittelbe-
darf von 7,658 Mrd. Euro, was immerhin auch noch 250 Mio. Euro über dem
Ansatz des Regierungsentwurfs liegt. Damit ignoriert die Bundesregierung die
Ergebnisse ihres selbst beauftragten Gutachtens.
Auch bei der jährlichen Dynamisierungsrate für den Revisionszeitraum kommen
sowohl KCW als auch IGES für den Bund auf Werte, die oberhalb der 1,5 Prozent
liegen, die der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht. Die Gutachter des
Bundes ermitteln eine Steigerung von 2,7 Prozent jährlich, während KCW in Ab-
hängigkeit vom unterstellten Szenario (insbesondere Kostenentwicklung bei den
Infrastrukturentgelten) eine Spanne von 2 bis 4,4 Prozent kommt vorsieht.
Durch die von der Bundesregierung verschleppte Revision der Regionalisierungs-
mittel geraten die Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs bereits im
Frühjahr 2015 in eine prekäre Situation: Bis April müssen bei DB Netze verbind-
lich die Trassenbestellungen für das Fahrplanjahr 2016 ausgelöst werden. Bleibt

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4205
es bei dem im Regierungsentwurf genannten Umfang der Mittel, dann werden
einige Aufgabenträger gezwungen sein, zum Fahrplanwechsel im Dezember 2015
Züge abzubestellen. Der Finanzpoker um die Nahverkehrsmittel wird von der
Bundesregierung auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen. Die Erfolgsge-
schichte im Nahverkehr auf der Schiene würde so jäh beendet.
Die Länder fordern in ihrem Gesetzentwurf eine Erhöhung der Regionalisierungs-
mittel zum 1. Januar 2015 auf 8,5 Mrd. Euro sowie eine Anhebung der jährlichen
Dynamisierung auf 2 Prozent. In dem von den Ländern beauftragten Gutachten
wird der Mittelbedarf durch Berechnung des bundesweiten Gesamtmittelbedarfs
und eine länderspezifische Bedarfsermittlung für das Jahr 2015 hergeleitet. Dabei
wird ein Revisionszeitraum von 15 Jahren betrachtet. Neben der Ermittlung des
Bedarfs für die „Bestandsaktivitäten“ wurden ausdrücklich auch Mehrbestellun-
gen im Umfang von jährlich 72,7 Millionen Zugkilometer berücksichtigt, was ins-
besondere eine Ausweitung des Fahrplanangebots in den Metropolregionen
Deutschlands ermöglicht, wo die Nachfrage schon jetzt jedes Jahr überdurch-
schnittlich wächst. Wer die Erfolgsgeschichte des SPNV der letzten Jahre fort-
schreiben will, muss seine auskömmliche und zukunftsfähige finanzielle Ausstat-
tung gewährleisten. Nur so wird das bestehende Angebot gesichert, entsteht in
Ballungsräumen Spielraum, um Mehrleistungen für die stark wachsende Nach-
frage zu bestellen, nur so werden bereits getätigte Investitionen in einen attrakti-
veren Nahverkehr mit neuen Fahrzeugen und fahrgastfreundlichen Stationen dau-
erhaft rentabel.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Gesetzentwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes (BT-Drs.
18/3785) zurückzuziehen und den Ländern für 2015 mindestens den im Gut-
achten des Bundes genannten Betrag in Höhe von 7,658 Milliarden Euro zur
Verfügung zu stellen;

2. mit den Ländern unverzüglich in direkte Verhandlungen zur Revision der
Regionalisierungsmittel einzutreten, mit dem Ziel, auf Basis der vorliegen-
den Gutachten schnellstmöglich zu einer auskömmlichen Lösung zu kom-
men, die bis in das Jahr 2030 reicht;

3. die Grundlage der Regionalisierungsmittel in Artikel 106a des Grundgeset-
zes zu achten und die Regionalisierungsmittel aus der Neuregelung der
Bund-Länder-Finanzbeziehungen herauszuhalten;

4. die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel so auszugestalten, dass die
spezifischen Kostensteigerungen im Eisenbahnsektor tatsächlich abgebildet
und notwendige Angebotsausweitungen ermöglicht werden;

5. darüber hinaus eine wirksame Eisenbahnregulierung zu schaffen, um die der-
zeit überproportional steigenden Infrastrukturentgelte zu dämpfen;

6. die Investitionspolitik für den Ausbau der Bundesschienenwege im Zuge des
Bundesverkehrswegeplans 2015 neu auszurichten und der Engpassbeseiti-
gung und dem Kapazitätsausbau in den Knoten höchste Priorität beizumes-
sen, um künftig weiteres Wachstum im SPNV und eine optimale Vertaktung
zu ermöglichen;

7. die Transparenzkriterien für die Mittelverwendung durch Länder bzw. Auf-
gabenträger weiter zu verbessern.

Berlin, den 3. März 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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