BT-Drucksache 18/4153

Gesundheitsversorgung umfassend verbessern - Patienten und Kommunen stärken, Strukturdefizite beheben, Qualitätsanreize ausbauen

Vom 2. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4153
18. Wahlperiode 02.03.2015
Antrag
der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kordula
Schulz-Asche, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Kai
Gehring, Ulle Schauws, Tabea Rößner, Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer,
Renate Künast, Corinna Rüffer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gesundheitsversorgung umfassend verbessern – Patienten und
Kommunen stärken, Strukturdefizite beheben, Qualitätsanreize ausbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Gesundheitsversorgung in Deutschland ist eine der besten weltweit. Gleichwohl
ändern sich die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten: Es gibt zum Beispiel
mehr chronisch und mehrfach erkrankte Menschen und die Bevölkerungszahl in et-
lichen ländlichen Regionen sinkt. Vorhandene Versorgungsangebote müssen daher
weiterentwickelt werden, damit auch in Zukunft noch eine gute Versorgung aller
Menschen gewährleistet ist.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen
(SVR) hat in den letzten Jahren mehrfach auf wesentliche Probleme hingewiesen
und Reformen angemahnt. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf
zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (Bundesratsdrucksache 641/14) greift nur
wenige dieser Vorschläge auf. Vielmehr verharrt die Bundesregierung weitgehend
in einem System, indem die ambulante Versorgung und die Krankenhausversorgung
grundsätzlich getrennt betrachtet werden. Es bleibt bei halbherzigen Versuchen wie
der Schaffung eines zeitlich befristeten und unterfinanzierten Innovationsfonds.
Auch die bisherige Planung der Gesundheitsstrukturen (Bedarfsplanung) beruht wei-
terhin auf dem Fortschreiben alter Zahlen und ist empirisch wenig fundiert.

Wirksame Verbesserungen im Gesundheitssystem können nur dann gelingen, wenn
Barrieren überwunden werden. Das gilt sowohl für die Trennung von ambulanter
Versorgung und Krankenhausversorgung wie auch für die teilweise mangelhafte Ko-
operation und überholte Aufgabenverteilung unter den unterschiedlichen Gesund-
heitsberufen. Eine zentrale Rolle sollten zukünftig die Kommunen und Regionen
spielen, da diese die Versorgungsprobleme vor Ort kennen und in der Lage sind,
passgenaue Lösungen zu entwickeln. Ihre Kompetenzen insbesondere bei der Pla-
nung gilt es zu stärken.

Darüber hinaus müssen Patientinnen und Patienten in die Lage versetzt werden, die
Qualität der Versorgung, sei es im stationären, im niedergelassenen oder im Bereich
der Krankenkassen, besser beurteilen zu können.

Drucksache 18/4153 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den

1. Kommunen und Regionen eine stärkere Rolle bei der Planung, Steuerung und
Gestaltung der gesundheitlichen Versorgung ermöglicht wird und Anreize für
Sektor übergreifende Versorgungsmodelle geschaffen werden;

2. die bisherige Bedarfsplanung reformiert wird hin zu einer sektorübergreifenden
und vorausschauenden Versorgungsplanung, die durch bundesweite, regional
aufbereitete Versorgungsanalysen flankiert wird;

3. die Versorgungsqualität und die Gesundheitsergebnisse von vertragsärztlichen
und vertragszahnärztlichen Leistungserbringern mit geeigneten Indikatoren ge-
messen, transparent gemacht und für Versicherte und Patienten in verständlicher
Form vergleichbar gemacht werden und der Sachverständigenrat für das Ge-
sundheitswesen (SVR) durch die Bundesregierung mit der Prüfung und Ent-
wicklung eines Verfahrens zur Qualitätsmessung und -transparenz für die ge-
setzlichen Krankenversicherungen beauftragt wird;

4. die Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen neu gestaltet wird,
so dass Anreize für mehr teamorientierte Zusammenarbeit auf Augenhöhe ent-
stehen und flexiblere, familienfreundliche Arbeitszeiten und -strukturen für An-
gehörige aller Gesundheitsberufe ermöglicht werden;

5. der Innovationsfonds nach § 92a SGB V n. F. dauerhaft implementiert sowie
finanziell aufgestockt und der Kreis der möglichen Antragsteller deutlich aus-
geweitet wird. Zugleich muss der Innovationsausschuss unabhängiger von den
derzeitigen Trägern des Gemeinsamen Bundesausschusses werden.

Berlin, den 24. Februar 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat in seinem Gutachten
von 2014 wesentliche Probleme der derzeitigen Gesundheitsversorgung benannt. Neben einer unzureichenden
Verzahnung von stationärem und ambulantem Sektor sind dies in erster Linie die regional und fachlich unglei-
che Verteilung von Ärztinnen und Ärzten sowie das Fehlen einer empirisch fundierten Bedarfsplanung. Insbe-
sondere die bislang getroffenen Maßnahmen zur Behebung der Unterversorgung in bestimmten Regionen rei-
chen nicht aus.

Ziel jeder Strukturreform muss daher die Behebung der o. g. Defizite sein. Dafür muss ein bedarfsgerechtes
Versorgungssystem geschaffen werden, das mehr Möglichkeiten für personenzentrierte und populationsbezo-
gene Ansätze bietet, dezentral organisiert ist und den Nutzen für die jeweiligen Patientinnen und Patienten in
den Mittelpunkt stellt. Dafür sind grundlegende Änderungen nötig.

Zu Nummer 1

Zur Verbesserung der Versorgung müssen mehr Spielräume für dezentrale Lösungen insbesondere in ländli-
chen und sozial benachteiligten Regionen geschaffen werden. Von großer Bedeutung ist der Ausbau der inte-
grierten Versorgung hin zu regionalen Gesundheitsverbünden, die den ambulanten und stationären Sektor um-
fassen. Hierzu sind Anreize und Strukturveränderungen nötig, um solche sektorübergreifenden Lösungen vo-
ranzutreiben.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4153
Eine Schlüsselrolle bei der Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung können künftig die Kommunen
einnehmen. Schon heute übernehmen sie Verantwortung in zahlreichen Feldern der sozialen Daseinsversor-
gung wie etwa in der Pflege, der Eingliederungshilfe, bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende sowie als
Träger kommunaler Krankenhäuser und des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Darüber hinaus gestaltet kom-
munale Politik in entscheidendem Maße gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen in den Städten und Ge-
meinden. Die Kommunen und Regionen sollen deswegen künftig auch eine stärkere Rolle bei der Planung,
Steuerung und Gestaltung der Gesundheitsversorgung vor Ort innehaben. Dadurch wird Bürgerinnen und Bür-
gern die Möglichkeit gegeben, auf die Gestaltung der kommunalen Gesundheitslandschaft Einfluss zu nehmen.
Um die oben genannten Ziele zu erreichen, sind u. a. folgende Maßnahmen notwendig:

Kommunen, Rehabilitationsträger, Reha-Einrichtungen, weitere Sozialversicherungsträger sowie geeig-
nete Patientenorganisationen sollen Vertragspartner der Krankenkassen für besondere Versorgungsver-
träge nach § 140a SGB V n. F. werden können. Zugleich müssen die Wirtschaftlichkeitsnachweise für
Verträge nach § 140a SGB V n. F. abgeschafft werden. Die Regelung stellt angesichts der bei den Kassen
durch den Beitragssatzwettbewerb ohnehin vorhandenen Wirtschaftlichkeitszwänge eine überflüssige Bü-
rokratisierung besonderer Versorgungsverträge dar.

Bestehende Gesundheitsverbünde, die einen bestimmten Anteil von Versicherten einer Region versorgen,
sollen den Status von Leistungserbringern erhalten und sich so auch direkt um Arztsitze bewerben können.

Die bestehenden Beschränkungen zur Gründung Medizinischer Versorgungszentren hinsichtlich Träger-
schaft und möglicher Betriebsformen sollen zudem entfallen. So könnten beispielsweise auch Ärztenetze,
Gesundheitsverbünde, Patientenorganisationen, Pflegeeinrichtungen oder Hebammen solche Zentren
gründen. Die Leitung soll auch nichtärztlichen Gesundheitsberufen wie beispielsweise Psychotherapeutin-
nen und -therapeuten oder qualifizierten Pflegekräften ermöglicht werden.

Krankenkassen sollen die Möglichkeit erhalten, für bestimmte Versichertengruppen wie Patientenorgani-
sationen, Behindertenverbände oder Unternehmensbelegschaften Gruppentarife, die spezielle Versor-
gungsformen vorsehen, anbieten zu können.

Kommunale Spitzenverbände müssen künftig in allen Gemeinsamen Landesgremien nach § 90a SGB V
mit Sitz und Stimme vertreten sein.

Wie das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gutachten „Pay-for-Performance im Gesundheitswe-
sen: Sachstandsbericht zu Evidenz und Realisierung sowie Darlegung der Grundlagen für eine künftige Wei-
terentwicklung“ (BQS-Institut 2012) offenlegt, führt die qualitätsorientierte Vergütung von Gesundheitsleis-
tungen in Deutschland noch ein Nischendasein. Daher sind auch auf der Ebene der kollektiv- und selektivver-
traglichen Vergütungssysteme stärkere Anreize für eine sektorübergreifende Versorgung und mehr Qualität
nötig. Die Bundesregierung soll daher den Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesund-
heitswesen mit einem Sondergutachten beauftragen, das geeignete und im Wege von Modellprojekten auszu-
probierende Instrumente zu einer stärker mit qualitätsanreizen verbundenen ambulanten Vergütung (Pay for
Performance) enthält. Dabei sollten entsprechende Instrumente allerdings statt auf die einzelne Praxis bzw. den
einzelnen Leistungserbringer vor allem auf regionale Zusammenschlüsse wie zum Beispiel Ärztenetze ausge-
richtet werden. Das Gutachten soll überdies als eine Voraussetzung für eine stärker sektorübergreifende Ver-
sorgung Vorschläge zur mittel- bis langfristigen Zusammenführung der fachärztlichen ambulanten und statio-
nären Vergütungssysteme entwickeln.

Zu Nummer 2

Während in manchen vor allem ländlichen und sozial benachteiligten Regionen zunehmend Defizite in der
Versorgung sichtbar werden, sind andere Regionen durch erhebliche Überversorgung gekennzeichnet. Ohne
Steuerung kann ein solidarisch finanziertes Gesundheitswesen nicht funktionieren. Ziel von Planung und Steu-
erung ist ein möglichst gleicher Zugang zum Gesundheitswesen für alle Menschen sowie die Vermeidung von
Über-, Unter- und Fehlversorgung.

Die bestehende Bedarfsplanung ist allerdings stark reformbedürftig. Sie basiert auf einer Fortschreibung eines
bestimmten Status quo und ist weniger an dem realen Bedarf in der Bevölkerung orientiert. Besonders deutlich
wird dies beispielsweise an der aktuellen psychotherapeutischen Bedarfsplanung, nach der behandlungsbedürf-
tige Menschen selbst in rechnerisch überversorgten Regionen regelmäßig drei Monate auf ein psychotherapeu-
tisches Erstgespräch warten müssen. Fragwürdig an der Planung ist außerdem, dass der Versorgungsgrad bei
Städten oder Regionen mit vergleichbarer Anzahl von Psychotherapeuten pro Einwohner teilweise über 100 %

Drucksache 18/4153 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
voneinander abweicht. Zudem werden Versorgungskapazitäten im stationären Bereich bislang unzureichend
einbezogen.

Die Bedarfsplanung muss daher schrittweise zu einer sektorübergreifenden Versorgungsplanung weiterentwi-
ckelt werden, die auf gründlichen Versorgungsanalysen und darauf fußenden Versorgungszielen basiert.

Mit dem Versorgungsgesetz von 2011 wurden in den Ländern durch § 90a SGB V Gemeinsame Landesgremien
geschaffen, die zu Sektor übergreifenden Versorgungsfragen Stellung nehmen und Empfehlungen zur Bedarfs-
planung abgeben können. Die Empfehlungen haben jedoch keine Verbindlichkeit. In einem ersten Schritt sollte
das Gemeinsame Gremium in unterversorgten Regionen verbindliche Entscheidungen treffen und sektorüber-
greifende Versorgungsverträge initiieren bzw. ausschreiben dürfen. Mittelfristig ist dieses Gremium zu einem
sektorübergreifenden Versorgungsausschuss auszubauen, der neben Vertretern der Leistungserbringer auch
Land, Kommunen und Patientenverbände einbezieht.

Auf der Grundlage der im Gesundheitssystem bereits vielfach vorhandenen Versorgungsdaten (u. a. nach den
§§ 303a bis 303f SGB V) sollen zudem durch ein vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragtes
unabhängiges Institut regelmäßig sektorübergreifende Versorgungsanalysen unter Einbezug von demographi-
schen und epidemiologischen Daten zur physischen und psychischen Gesundheit in den verschiedenen Regio-
nen vorgenommen werden. Der G-BA beschließt unter Beteiligung der Länder Vorgaben für eine sektorüber-
greifende Versorgungsplanung auf Landesebene. Dieser Beschluss enthält Mindestvorgaben zur Erreichbar-
keit, zur Qualität sowie zum Umfang des vorzuhaltenden Leistungsangebots.

Der vorgeschlagene Versorgungsausschuss auf Landesebene soll durch eine unabhängige Stelle unterstützt
werden, die die auf Bundesebene vorgenommenen Versorgungsanalysen aufbereitet. Der Versorgungsaus-
schuss definiert auf der Basis der regionalen Versorgungsanalyse prioritäre Versorgungsziele und vereinbart
den Landesversorgungsplan, der Art, Umfang, regionale Verteilung und Anforderungen an die Strukturqualität
der vorzuhaltenden Versorgungsleistungen bestimmt. Diese Planung ist innovationsoffen und lässt notwendige
regionale Freiräume für die Entwicklung neuer Versorgungsformen und eine geänderte Arbeitsteilung zwi-
schen den Gesundheitsberufen.

Bei der Aufstellung der Versorgungspläne sind die Empfehlungen der in den Kommunen zu bildenden Ge-
sundheitskonferenzen zu berücksichtigen. Die Gesundheitskonferenzen, denen neben den Kommunen, lokale
Leistungserbringer, Vertreter der Gesundheitsberufe und sachkundige Bürgerinnen und Bürger angehören, er-
heben auf der Basis von Befragungen lokale Bedürfnisse und Erfahrungen, entwickeln vor Ort umsetzbare
Konzepte und beraten den Versorgungsausschuss auf Landesebene bei der Erstellung und Fortschreibung des
Versorgungsplans. Bund und Länder sind in der Pflicht, die Kommunen bei der Gründung von Gesundheits-
konferenzen insbesondere beim Wissenstransfer in geeigneter Weise zu unterstützen.

Zu Nummer 3

Die Patientinnen und Patienten sowie die Versicherten sollen auch in ihren Möglichkeiten gestärkt werden,
gute Versorgungsqualität einzufordern. Dazu ist die Transparenz vor allem über die von den Leistungserbrin-
gern erzielten Gesundheitsergebnisse weiter auszubauen. Solche Qualitätsdaten müssen verständlich aufberei-
tet sein und einen Vergleich zwischen den einzelnen Einrichtungen ermöglichen.

Mit der Gründung des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen und den damit
verbundenen Regelungen für den stationären Sektor wurde zwar ein erster Schritt in diese Richtung getan,
allerdings hat es die Große Koalition versäumt, die nötige Qualitätstransparenz auch auf vertragsärztliche und
vertragszahnärztliche Einrichtungen auszuweiten. Daher ist es mittelfristig nötig, durch das inzwischen ge-
gründete Institut auch für den ambulanten Sektor geeignete Indikatoren zur Messung insbesondere der Ergeb-
nisqualität zu entwickeln und den Patientinnen und Patienten einen verständlichen Vergleich zwischen ambu-
lanten Leistungserbringern zu ermöglichen.

Während sich Leistungserbringer in zunehmenden Maße Qualitätsvergleichen stellen müssen, sind die gesetz-
lichen Krankenkassen selbst davon bislang nicht erfasst. Dabei haben Krankenkassen durch die Gestaltung der
Versorgung, durch eigene Anstrengungen zur Erhöhung der Gesundheitskompetenz ihrer Versicherten sowie
zur Unterstützung von Gesundheitsförderung einen enormen Einfluss darauf, ob die Gesundheit ihrer Versi-
cherten erhalten oder verbessert wird bzw. ob Versicherte ihren jeweiligen Bedürfnissen entsprechend versorgt
werden und Hilfe finden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4153
Vor diesem Hintergrund soll der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen
durch die Bundesregierung damit beauftragt werden zu prüfen, wie ein System zur Messung und Bewertung
der Versorgungsleistung und -qualität von Krankenkassen etabliert werden kann und wie es ausgestaltet sein
muss. Die Bewertung kann zum Beispiel auf Versichertenbefragungen, den Gesundheitsergebnissen der jewei-
ligen Krankenkasse unter Einbeziehung soziodemografischer Kriterien, der Erfassung von Strukturqualitäts-
merkmalen wie etwa dem Engagement für bestimmte Versichertengruppen wie etwa sozial Benachteiligte oder
Menschen mit Behinderungen, für regional vernetzte patientengerechte Versorgungskonzepte, den Umgang
mit sozialen Bürgerrechten ihrer Versicherten sowie der Zugangsgerechtigkeit der jeweiligen Krankenkasse
beruhen.

Die Versicherten erhielten ein Instrument an die Hand, um Krankenkassen auf der Grundlage sinnvoller und
verständlicher Qualitätskriterien miteinander zu vergleichen, die Krankenkassen einen größeren Anreiz, sich
um eine bessere Versorgung ihrer Versicherten zu bemühen. Auf diese Weise würde die Bedeutung der Ver-
sorgungsqualität im bisher vor allem auf Preis- bzw. Beitragsunterschiede setzenden Wettbewerb zwischen den
Krankenkassen im Sinne der Versicherten ausgebaut.

Zu Nummer 4

Chronisch und mehrfach sowie psychisch erkrankte Patientinnen und Patienten benötigen weit mehr als nur
eine medizinische bzw. therapeutische Versorgung. Sie brauchen neben der Behandlung ihrer akuten Be-
schwerden auch Hilfen zum Leben mit der Krankheit genauso wie Präventionsmaßnahmen, die die Verschlim-
merung ihrer Krankheit verhindern oder verzögern. Für die künftige Versorgung heißt das: Ärztliche und nicht-
ärztliche Gesundheitsberufe werden weitaus stärker kooperieren müssen. Die nichtärztlichen Gesundheitsbe-
rufe, insbesondere qualifizierte Pflegekräfte, werden eine erweiterte Rolle erhalten. Sie werden Aufgaben ei-
genverantwortlich übernehmen, die bisher unzureichend abgedeckt sind, und sie werden pflegerische Bedarfe
eigenständig einschätzen und medizinisch-pflegerische Interventionen selbst durchführen müssen.

Dabei ist statt einer bloßen Delegation ärztlicher Aufgaben eine grundsätzliche Neuformulierung heilkundli-
cher Aufgaben innerhalb der ärztlichen und nichtärztlichen Gesundheitsberufe anzustreben. Dies umfasst kon-
kret Rechtssicherheit für die Delegation und dauerhafte Übertragung ärztlicher Aufgaben an nichtärztliche Ge-
sundheitsberufe sowie die Aufhebung des Arztvorbehaltes für bestimmte Tätigkeiten.

Dazu ist mittelfristig eine konsistente berufsrechtliche Neuordnung der Gesundheitsberufe insbesondere durch
neue gesetzliche Vorschriften zu Aufgaben und Tätigkeiten der Heilberufe sowie zur Anpassung des Haftungs-
rechts an die Erfordernisse einer kooperativen Berufsausübung zu entwickeln.

Die Erprobung der größeren Eigenständigkeit nichtärztlicher Gesundheitsberufe in Modellprojekten wurde im
Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachten der Entwicklung im Gesundheitswesen von 2007 („Ko-
operation und Verantwortung – Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung“) empfohlen.
Die von der Bundesregierung 2009 geschaffene Möglichkeit für Modellprojekte zur selbstständigen Ausübung
von Heilkunde durch Pflegekräfte (§ 63 Abs. 3c SGB V) hat sich allerdings als unwirksam erwiesen. Bislang
ist nach Angaben der Bundesregierung kein einziges derartiges Modellvorhaben nach dieser Vorschrift initiiert
worden. Als Grund wird häufig die diese Modellvorhaben eher ausbremsende Richtlinie des Gemeinsamen
Bundesausschusses genannt.

Ausgehend von diesen Erfahrungen ist es nicht zweckmäßig, den Gemeinsamen Bundessausschusses – wie
von der Bundesregierung beabsichtigt – mit der Entwicklung von standardisierten Ausbildungsmodulen für die
Kranken- und Altenpflege zu beauftragen (§ 4 Absatz 7 Krankenpflegegesetz n. F. und § 4 Abs. 7 Altenpfle-
gegesetz n. F.) – noch dazu durch eine unverbindliche Kann-Regelung und ohne Fristsetzung. Außerdem stellt
sich die Frage, warum ausschließlich die gesetzlich Versicherten für eine solche Aufgabe aufkommen sollen,
die im gesamtgesellschaftlichen Interesse liegt. Vor diesem Hintergrund muss mittelfristig sichergestellt wer-
den, dass in der geplanten Neuordnung der Pflegeausbildungen eine adäquate Qualifizierung für die Über-
nahme von ärztlichen Tätigkeiten als Regelausbildung verankert wird. Für eine Übergangsphase muss die Bun-
desregierung dafür Sorge tragen, dass ausreichend standardisierte Qualifizierungsangebote geschaffen werden,
die examinierten Pflegekräften ermöglichen, ärztliche Aufgaben zu übernehmen.

Die Bundesregierung muss darüber hinaus einen erneuten Anlauf nehmen, damit eine Übertragung ärztlicher
Aufgaben im Sinne des § 63 Abs. 3c SGB V in der Praxis erprobt werden kann. Hierzu sollten die bestehenden
G-BA Richtlinien praxistauglich überarbeitet werden und die nötigen Anforderungen für die Entwicklung von

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Modellprojekten durch ein Zusammenwirken von maßgeblichen Verbänden der Pflegeberufe sowie der Bun-
desärztekammer unter Hinzuziehen pflegewissenschaftlichen und pflegepädagogischen Sachverstands voran-
getrieben werden. In diesem Sinne verpflichtet sich die Bundesregierung, bis Ende 2015, mindestens drei Mo-
dellprojekte in der Förderung nach § 63 Abs. 3c SGB V auf den Weg zu bringen.

Die bessere Kooperation der Gesundheitsberufe vor allem in der Primärversorgung sowie die Erprobung fle-
xiblerer und familienfreundlicher Arbeitszeiten sollten zudem Schwerpunkte der durch den geplanten Innova-
tionsfonds geförderten Projekte bilden.

Zu Nummer 5

Der von der Bundesregierung geplante Innovationsfonds ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, allerdings sind
stabile und nachhaltige Verbesserungen der Versorgungsqualität durch ihn angesichts der verglichen etwa mit
der bis 2009 praktizierten Anschubfinanzierung für Verträge der integrierten Versorgung niedrigen Investiti-
onssumme, der zeitlichen Begrenzung sowie der Konstruktion des über die Förderanträge entscheidenden In-
novationsausschusses, kaum zu erwarten. Der Innovationsfonds sollte stattdessen langfristig angelegt sein und
über eine größere Fördersumme verfügen. Die Finanzierung sollte auch die Private Krankenversicherung ein-
beziehen. Der Innovationsausschuss sollte überdies eine größere Unabhängigkeit von den Trägern des Gemein-
samen Bundesausschusses aufweisen. Auch der Kreis der möglichen Antragsteller sollte um die Vertrags-
partner der besonderen Versorgungsverträge nach § 140a SGB V n. F., Kommunen, die Landesgremien nach
§ 90a SGB V sowie Ärztenetzwerke erweitert werden.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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