BT-Drucksache 18/4135

Sechs Jahre nach dem Dresdner Bildungsgipfel - Stand und Perspektive der Zielsetzungen durch die Bundesregierung

Vom 25. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4135
18. Wahlperiode 25.02.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer,
Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Ulle Schauws, Doris Wagner,
Maria Klein-Schmeink, Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Kordula
Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sechs Jahre nach dem Dresdner Bildungsgipfel – Stand und Perspektive der
Zielsetzungen durch die Bundesregierung

Nichts weniger als eine „Bildungsrepublik“ wurde von der Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder auf dem Dresdner
Bildungsgipfel im Oktober 2008 ausgerufen. Auf diesem wurde beschlossen,
dass die Quote an Schulabgängern ohne Schulabschluss bis zum Jahr 2015 von
8 auf 4 Prozent halbiert werden solle, gleiches wurde für die Quote an jungen
Erwachsenen ohne Berufsausbildung vereinbart – auch hier sollte die Quote von
17 auf 8,5 Prozent gesenkt werden. Die Kindertagesbetreuung von unter Drei-
jährigen sollte auf 35 Prozent ausgebaut und auch die Weiterbildungsquote sowie
die Studienanfängerquote sollte erhöht werden – von 40 auf 50 Prozent bzw. auf
40 Prozent eines Altersjahrgangs. Erhöht werden sollten zudem auch die Ausga-
ben für Bildung und Forschung – auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Die im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) erschienene „Bil-
dungsgipfel-Bilanz 2014“ des Essener Bildungsforschers Klaus Klemm stellt
den im Jahr 2008 formulierten Zielen der Bundesregierung nun mittlerweile
zum insgesamt vierten Mal eine Expertise gegenüber. Demnach sind die Ergeb-
nisse der „Bildungsgipfel-Bilanz 2014“ sehr durchwachsen. Zwar wurde die
Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige tatsächlich ausgebaut, die Qualitäts-
frage bleibt aber weiterhin offen. Auch hinsichtlich einer Steigerung der Weiter-
bildungsquote sowie einer Erhöhung der Studienanfängerquote wurden Fort-
schritte erzielt; hier kann der „Bildungsgipfel-Bilanz 2014“ zufolge allerdings
eine soziale Schieflage konstatiert werden. So bleiben diesbezüglich Menschen
mit Migrationshintergrund, Arbeitslose oder Menschen ohne abgeschlossene
Berufsausbildung noch immer abgehängt. Auch die Erhöhung der Studienanfän-
gerquote leidet laut der DGB-Expertise unter einer sozialen Schieflage – 50 Pro-
zent der Studierenden kommen aus Akademikerfamilien, nur 27 Prozent aus
Facharbeiterfamilien.
Sehr ernüchternd sind insbesondere die Ergebnisse hinsichtlich des Ziels der
Halbierung des Anteils der Schulabgänger ohne Abschluss sowie der Halbie-
rung der Quote junger Erwachsener ohne Berufsausbildung. Hier sind die
Quoten laut der DGB-Expertise lediglich von 8 auf 5,7 Prozent bzw. von 17 auf
13,8 Prozent gesunken.
Die DGB-Bilanz wirft berechtigte Fragen auf, ob und wie die Bundesregierung
den politischen Willen aufbringt, gemeinsam mit den Bundesländern möglichst
rasch die Ziele des Bildungsgipfels umzusetzen.

Drucksache 18/4135 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Qualität in der Kinder-

tagesbetreuung und Kindertagespflege nach dem massiven Ausbau an Plät-
zen verbessert wird?
Ist eine finanzielle Beteiligung des Bundes an Maßnahmen zur Verbesserung
der Qualität vorgesehen, und wenn ja, in welchem Umfang?

2. Inwiefern ist der „Diskurs über Interventionsfelder, Beteiligung und Beitrag
der jeweiligen Akteure“ zu einem Bundesgesetz fortgeschritten, und gibt es
neue Erkenntnisse zu „Zeitpunkt und Inhalt eines entsprechenden Gesetzent-
wurfs für ein Qualitätsgesetz“ (vgl. Bundestagsdrucksache 18/2178)?

3. Wie sieht die Arbeitsplanung der von der Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, eingerichteten Bund-Län-
der-Konferenz „Frühe Bildung weiterentwickeln“ aus?
Ist eine Vorstellung der Ergebnisse der Konferenz vorgesehen, und wenn ja,
zu welchem Zeitpunkt und in welchem Rahmen?
Welche Themen sollen bei der von Bundesfamilienministerin Manuela
Schwesig im Ausschuss für Familie, Frauen, Senioren und Jugend des Deut-
schen Bundestages am 14. Januar 2015 angekündigten Konferenz im Herbst
2015 behandelt werden?

4. Worauf führt die Bundesregierung zurück, dass die Quote des Anteils der
Schulabgänger ohne Abschluss nicht wie geplant von 8 auf 4 Prozent hal-
biert, sondern laut „DGB-Bildungsgipfel-Bilanz 2014“ lediglich auf 5,7 Pro-
zent gesunken ist, und welche konkreten Schritte leitet die Bundesregierung
ein, um das Ziel „Halbierung der Quote des Anteils der Schulabgänger ohne
Abschluss“ zumindest bis Ende 2015 zu erreichen?

5. Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung ggf. gemeinsam
mit den Ländern, um zu verhindern, dass fast drei Viertel aller Schülerinnen
und Schüler, die eine Förderschule verlassen, keinen regulären Schulab-
schluss (mindestens Hauptschulabschluss) erreichen?

6. Welche Forschungsprojekte mit Schwerpunkt „Jugendliche ohne Schulab-
schluss“, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
seit dem Jahr 2005 in Auftrag gegeben, liegen diesbezüglich Erkenntnisse
vor, und welche Konsequenzen hat die Bundesregierung daraus gezogen?

7. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die „Quote der Jugendlichen ohne
Schulabschluss“ vielfach nicht mit der Quote „Verfehlen des Mindeststan-
dards“ übereinstimmt, also die Quote an Schülerinnen und Schülern, die die
Mindeststandards verfehlen, weitaus geringer ist, als die Quote an Schülerin-
nen und Schülern, die keinen Hauptschulabschluss erreichen (DGB-Exper-
tise, S. 7)?

8. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, warum die Quote an
Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den
neuen Bundesländern weitaus höher ist, als in den alten Bundesländern, und
gibt es dazu konkrete Forschungsbefunde?

9. Welche konkreten Forschungsprojekte mit Schwerpunkt schulische Inklu-
sion wurden von der Bundesregierung seit dem Jahr 2009 in Auftrag gege-
ben, zu welchen dieser Forschungsprojekte liegen schon Ergebnisse vor, wel-
che Forschungsprojekte wird die Bundesregierung – unabhängig von der
„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ – im Jahr 2015 in Auftrag geben, und
sind für die Jahre 2016 und 2017 weitere Projekte geplant. bzw. angedacht?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4135
10. Wie viele und welche Projektskizzen sind bis zum 14. November 2014 zur
„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ beim BMBF eingegangen, bis wann
wird über die Förderung einzelner Projektskizzen entschieden, und wie
viele davon befassen sich konkret mit dem Thema Inklusion?

11. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass der Anteil von Schülerinnen und
Schülern mit Behinderung im gemeinsamen Unterricht mit dem Alter suk-
zessive abnimmt, und liegen der Bundesregierung diesbezüglich Ergebnisse
aus der Bildungsforschung vor?

12. Welche konkreten Schritte leitet die Bundesregierung ggf. gemeinsam mit
den Ländern ein, um zu verhindern, dass sich die Teilhabe von Menschen
mit Behinderung mit jeder weiteren Bildungsstufe verringert?

13. Worauf führt die Bundesregierung zurück, dass die Quote des Anteils an
jungen Erwachsenen ohne Berufsausbildung nicht wie geplant von 17 auf
8,5 Prozent halbiert wurde, sondern laut „DGB-Bildungsgipfel-Bilanz
2014“ lediglich auf 13,8 Prozent gesunken ist, und welche konkreten
Schritte leitet die Bundesregierung ein, um das Ziel „Halbierung der Quote
des Anteils von jungen Erwachsenen ohne Berufsausbildung“ zumindest
bis Ende des Jahres 2015 zu erreichen?

14. Wie werden die sowohl in Berufen mit dualer Ausbildung, als auch in
solchen mit schulischer oder akademischer Ausbildung zunehmende Be-
deutung des lebenslangen Lernens und die Notwendigkeit zu beruflicher
Flexibilität – immer weniger Menschen üben über ihr gesamtes Erwerbs-
leben denselben Beruf aus – bei der Erarbeitung des Bundesteilhabegeset-
zes berücksichtigt?

15. Welche konkreten Unterstützungsleistungen für regionale Netzwerke plant
die Bundesregierung hinsichtlich der Umsetzung von Inklusionskonzepten
in der beruflichen Bildung, und inwieweit unterstützt die Bundesregierung
die Forderung der Regierungsfraktionen in ihrem Antrag zum nationalen
Bildungsbericht 2014, regionale Netzwerke modellhaft dabei zu unterstüt-
zen, Inklusionskonzepte in der beruflichen Bildung zu entwickeln (Bundes-
tagsdrucksache 18/3546; bitte unter detaillierter Aufschlüsselung der jewei-
ligen Modellprojekte und konkret geplanten unterstützenden Maßnahmen)?

16. Auf welcher Grundlage hält die Bundesregierung die in der Allianz für Aus-
und Weiterbildung angekündigte freiwillige Selbstverpflichtung der Unter-
nehmen, 20 000 zusätzliche betriebliche Berufsausbildungsstellen für das
Jahr 2015 anzubieten, für ausreichend, obwohl für das Jahr 2014 insgesamt
559 431 Bewerbungen 511 613 gemeldeten Berufsausbildungsstellen (Bun-
desagentur für Arbeit, 2014) gegenüberstanden, und damit im Jahr 2014 be-
reits eine rechnerische Lücke von 47 818 unversorgten Bewerberinnen und
Bewerbern bestand?

17. Wie viel Prozent aller Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Klasse allge-
meinbildender Schulen erwartet die Bundesregierung durch die neuen
Richtlinien für die Förderung der Berufsorientierung in überbetrieblichen
und vergleichbaren Berufsbildungsstätten (BOP) in den Jahren 2015, 2016
und 2017 zu erreichen (bitte unter Nennung konkreter Prozentwerte und
unter Aufschlüsselung der jahresspezifischen Prognosen)?

18. Welchen Effekt erhofft sich die Bundesregierung von der Förderung der
Berufsorientierung auf die Zahl der Jugendlichen, die die Schule ohne Ab-
schluss verlassen, und auf die Zahl der Jugendlichen, die nach der Schule
keinen Ausbildungsplatz finden?

Drucksache 18/4135 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
19. Gibt es aus der Evaluation der bisherigen Berufsorientierungsangebote Er-
kenntnisse, die einen direkten Effekt zeigen, und wenn ja, wie sieht der aus?
Wenn nein, welche Reform der Richtlinie zur Förderung der Berufsorientie-
rung, die zum 1. Januar 2015 geändert wurde, soll nun einen messbaren
Effekt bewirken?

20. Wie will die Bundesregierung die Weiterbildungsbeteiligung von bisher
unterrepräsentierten Gruppen (Arbeitslose, gering Qualifizierte, Menschen
ohne abgeschlossene Berufsausbildung und Menschen mit Migrationshin-
tergrund) auf 50 Prozent erhöhen, welches auf dem Bildungsgipfel 2008 als
Gesamtziel der Weiterbildungsbeteiligung festgelegt worden ist?

21. Welche konkreten Reformziele will die Bundesregierung bei der für das
Jahr 2015 angekündigten Reform der Aufstiegsfortbildungsförderung
(„Meister-BAföG“) anstreben, und welche gesetzgeberischen Schritte plant
sie konkret im Beratungsverfahren im Bundeskabinett, im Deutschen Bun-
destag und im Bundesrat (bitte mit Zeitplan)?

22. Welche Lücke sieht die Bundesregierung bei den Finanzierungsmöglichkei-
ten von Weiterbildung, und wie steht sie zur Einführung eines Erwachse-
nenbildungsförderungsgesetzes, wie es die „Expertenkommission Finan-
zierung Lebenslangen Lernens“ vorgeschlagen hat?

23. Wie gewährleistet die Bundesregierung über die Förderung der Informa-
tions- und Beratungsstelle „Studium und Behinderung“ des Deutschen Stu-
dentenwerks hinaus, dass auch Studierende mit einer Behinderung die glei-
chen Chancen haben wie Studierende ohne Behinderung?

24. Warum kommt die Erhöhung des BAföG, die mit der 25. Novelle auf den
Weg gebracht wurde, erst zum Wintersemester 2016/2017 bei den Studie-
renden an, obwohl es eine soziale Schieflage beim Hochschulzugang gibt
– unter den Studierenden kommen nur 27 Prozent aus Familien, in denen die
Eltern höchstens einen Facharbeiterabschluss haben, während 50 Prozent
aus Akademikerfamilien kommen (siehe 20. Sozialerhebung des Deutschen
Studentenwerks)?

25. Inwiefern wird die Bundesregierung Unterstützung für die zehntausenden
Schülerinnen, Schüler und Studierenden – es dürften in den Jahren 2015
und 2016 insgesamt bis zu 60 000 sein –, leisten, die aufgrund der erst zum
Wintersemester 2016/2017 erfolgende Erhöhung aus dem BAföG heraus-
fallen (siehe DIE ZEIT vom 8. Oktober 2014 „60.000 Studenten könnte
Bafög gestrichen werden“)?

Berlin, den 24. Februar 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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