BT-Drucksache 18/4007

Aufrüstung der IT-Analysefähigkeiten bei der EU-Polizeiagentur Europol

Vom 11. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4007
18. Wahlperiode 11.02.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Annette
Groth, Ulla Jelpke, Dr. Alexander S. Neu, Frank Tempel, Halina Wawzyniak,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Aufrüstung der IT-Analysefähigkeiten bei der EU-Polizeiagentur Europol

In seinem kürzlich veröffentlichten Arbeitsprogramm für das Jahr 2015 kündigt
die Polizeiagentur Europol die Einführung eines ganzen Arsenals neuer Analy-
sesoftware an (Ratsdokument 5250/15). Die Rede ist von „fortgeschrittenen
Werkzeugen für Datenverarbeitung, aufklärungsbasierte Analyse, darunter auch
strategische Analyse und Analyse offener Quellen“. Schon vor zwei Jahren hatte
Europol von Anwendungen zu „Data Fusion“ geschrieben (www.europol.
europa.eu/ec3/services). Gemeint ist Data Mining, also die Möglichkeit, die
existierenden Datenbestände in Beziehung zu setzen und grafisch anzuzeigen.
Die Tageszeitung „THE WALL STREET JOURNAL“ (14. Januar 2013) berich-
tete darüber hinaus, dass Europol an der Entwicklung neuer digitaler Analyse-
werkzeuge zur Mustererkennung arbeitet.
Im neuen Arbeitsprogramm werden die Anwendungen als „future-forecasting and
scenario techniques“ beschrieben. Es ist aber unklar, inwiefern ihr Einsatz über-
haupt rechtlich einwandfrei ist. Data Mining wird von Polizeibehörden in
Deutschland beispielsweise nicht vorgenommen (Bundestagsdrucksache 18/707).
Auch die neue „Ma3tch“-Technologie zur Echtzeit-Analyse von Finanzdaten,
auf deren Einführung Europol drängt, darf vom deutschen Bundeskriminalamt
(BKA) nicht angewandt werden (Bundestagsdrucksache 18/2888). Würden aus
Deutschland angelieferte Daten bei Europol mit automatisierten Verfahren ver-
arbeitet, könnte es sich nach Ansicht der Fragesteller um einen Verstoß gegen
Datenschutzbedingungen handeln. Deutschland ist laut eigenen Angaben
„zweitstärkster Nutzer“ von Europols Informationssystemen (Bundestagsdruck-
sache 18/3766).
Laut dem Arbeitsprogramm sollen Verfahren zur Auswertung und zum Ver-
gleich biometrischer Daten eingeführt werden. Europol beabsichtigt, auf das
neue EU-System zur Speicherung von Fingerabdrücken im Schengener Infor-
mationssystem zuzugreifen. Auch die Beschaffung von Software zur Erkennung
von Personen und Sachen in Bild- und Videodaten steht auf der Europol-
Wunschliste. Bald sollen die Arbeiten an einem „European Tracking System“
abgeschlossen sein, mit dem europäische Polizeibehörden ihre GPS-Peilsender
(GPS – Global Positioning System), etwa an Fahrzeugen Verdächtiger, auch
grenzüberschreitend betreiben können. Europol richtet hierzu einen zentralen
Server ein, der außer durch die Mitgliedstaaten auch von „Third Parties“ genutzt
werden kann. Die Ausgabeformate der Peilsender werden hierfür standardisiert.
Das seit zwei Jahren bei Europol angesiedelte „European CyberCrime Center“
(EC3) soll einen eigenen „Malware Scanner“ erhalten. Das könnte bedeuten,
dass Europol selbst das Internet absucht. Geplant ist auch die Verbesserung des

Drucksache 18/4007 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Austauschs in Echtzeit. Nun soll ein übergreifendes „Europol Analysis System“
(EAS) aufgebaut werden. Vor zwei Jahren wurden ähnliche Pläne bekannt, wo-
nach Europol eine „Plattform für den Informationsaustausch von Strafverfol-
gungsbehörden“ einrichtet (Bundestagsdrucksache 17/13441).
Die Europäische Kommission hat für die Europol-Pläne zusätzliche Mittel von
12,5 Mio. Euro bereitgestellt. Als Begründung der IT-Aufrüstung dient die neue
Europol-Verordnung, wonach die Agentur in einem „erweiterten Mandat“ ihre
Analysefähigkeiten verbessern und ausweiten soll. Geplant ist etwa, dass Euro-
pol zukünftig selbst Daten von europäischen Polizeibehörden einsammeln darf
und nicht mehr auf entsprechende Lieferungen warten muss.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwiefern kann die Bundesregierung ihre Angaben, wonach Deutschland

„zweitstärkster Nutzer“ von Europols Informationssystemen ist, nach Zulie-
ferungen und Abfragen aufschlüsseln?

2. Inwiefern hält es die Bundesregierung für notwendig, dass die Polizeiagen-
tur Europol „fortgeschrittene Werkzeuge für Datenverarbeitung, aufklä-
rungsbasierte Analyse, darunter auch strategische Analyse und Analyse
offener Quellen“ beschafft, und aus welchem Grund kann dies nicht mit vor-
handener IT-Ausrüstung bewerkstelligt werden?

3. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, welche Anwendungen zur
Vorhersage und Szenario-Modellierung („future-forecasting and scenario
techniques“) beschafft werden sollen, welche Defizite damit behoben wer-
den sollen und im Rahmen welcher Ermittlungen diese eingesetzt würden?

4. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, in welchem Maße und in wel-
chen Fällen die aus Deutschland angelieferten Daten bei Europol mit Ver-
fahren zum Data Mining, zur Mustererkennung, zur Prognose oder zu „Pre-
dictive Analytics“ verarbeitet werden?

5. Inwiefern kann die Bundesregierung um die Bearbeitung der von ihr ange-
lieferten Daten mit solchen Analyseverfahren bitten oder sie ausschließen?

6. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, in welchem Maße und in wel-
chen Fällen aus Deutschland angelieferte Finanzdaten bei Europol mit der
„Ma3tch“-Technologie zur Echtzeit-Analyse analysiert werden, bzw. inwie-
fern ist ein solches Verfahren geplant?

7. Inwiefern bzw. auf welcher rechtlichen Grundlage hält die Bundesregierung
ein solches Verfahren für denkbar, obwohl dies dem deutschen BKA unter-
sagt ist?

8. Welche Verfahren zur Auswertung und zum Vergleich biometrischer Daten
sollen nach Kenntnis der Bundesregierung bei Europol eingeführt werden?

9. Inwiefern beabsichtigt Europol nach Kenntnis der Bundesregierung, auf das
neue EU-System zur Speicherung von Fingerabdrücken im Schengener
Informationssystem zuzugreifen?

10. Was ist der Bundesregierung über Pläne Europols zur Beschaffung von
Software zur Erkennung von Personen und Sachen in Bild- und Videodaten
bekannt, wofür würden diese genutzt, und inwiefern würden auch aus
Deutschland gelieferte Daten damit durchsucht?

11. Was ist der Bundesregierung über den Stand von Arbeiten an einem „Euro-
pean Tracking System“ bekannt, welche Behörden von Mitgliedstaaten der
Europäischen Union oder sonstigen Partner sind daran beteiligt, und inwie-
fern würde das System auch von deutschen Behörden genutzt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4007
12. Inwiefern werden im Zuge der Errichtung eines „European Tracking Sys-
tems“ auch deutsche Ausgabeformate von Peilsendern standardisiert?

13. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, wofür das bei Europol ange-
siedelte „European CyberCrime Center“ einen eigenen „Malware Scanner“
erhalten soll?

14. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, in welchem Rahmen und auf
welcher rechtlichen Grundlage Europol selbst das Internet absucht, etwa zur
Auswertung offener Quellen in Sozialen Medien, wie Facebook oder
Twitter?

15. Inwiefern sind die Inhalte bzw. der Umfang der Plattform für den Informa-
tionsaustausch bei Strafverfolgungsbehörden (IXP) bei Europol mittler-
weile abschließend festgelegt (Bundestagsdrucksache 17/13441)?

16. Welche Informationen zu Behörden, Institutionen, Expertennetzwerken,
Strafverfolgungsinstrumenten, Übersetzungswerkzeugen, Kommunika-
tionskanälen sowie Fahndungsdaten soll das IXP nach Kenntnis der Bun-
desregierung enthalten, und wo wird es angesiedelt?

17. Welche Endnutzer des IXP sind der Bundesregierung bekannt?
18. Was ist nach Kenntnis der Bundesregierung unter dem „Europol Analysis

System“ zu verstehen, und welche Fähigkeiten bzw. Anwendungen werden
hierunter zusammengefasst?

19. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Möglichkeit,
derartige Analysetätigkeiten in der neuen Europol-Verordnung zu veran-
kern?

20. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Möglichkeit,
die neue Europol-Verordnung so zu gestalten, dass Europol selbst Daten
einsammeln kann und nicht mehr auf Zulieferungen der Mitgliedstaaten
warten muss?

21. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Möglichkeit
direkter Kontakte zwischen Europol und nationalen Behörden unter Um-
gehung des bislang vorgeschriebenen Weges über die jeweilige nationale
Kontaktstelle?

22. Mit welchen „als relevant eingeschätzten Bedrohungslagen und Sachverhal-
ten aus dem Bereich der Cybercrime“ hat sich die „Joint Cybercrime Action
Taskforce“ (J-CAT) nach Kenntnis der Bundesregierung „bedarfs- und an-
lassbezogen“ befasst (Bundestagsdrucksache 18/2674)?

23. Welche Rolle kam dabei jeweils Europol zu?
24. Auf welche Weise haben sich „Cybercrimedienststellen aus den USA, Ka-

nada, Australien und Kolumbien“ in die Arbeit des J-CAT eingebracht?
25. Mit welchen Aufgaben war der vom BKA für die sechsmonatige Pilotphase

von J-CAT entsandte Mitarbeiter bislang befasst?
26. Inwiefern wurden bereits „auf Grundlage von Auswertungen koordinierte

Maßnahmen gegen Hauptakteure und Erscheinungsformen aus dem Phäno-
menbereich Cybercrime“ betrieben, indem Ermittlungsverfahren auf natio-
naler Ebene eingeleitet wurden?

27. Inwiefern wurde bei den Ermittlungen außer auf die Focal Points „Cyborg“,
„Terminal“ und „Twins“ auf weitere „bei Europol vorliegende[n] Informa-
tions- und Auswertemöglichkeiten“ zurückgegriffen?

Drucksache 18/4007 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
28. Was ist der Bundesregierung über Ziele und Beteiligte einer „European Ex-
pert Group on Cybercrime“ bekannt?
a) Wer führt die Gruppe an, und welche Rolle übernehmen die „Leader“

und „Co-Leader“ (bitte für eine etwaige deutsche Beteiligung ausführ-
lich darstellen)?

b) Wann und auf wessen Veranlassung wurde die Gruppe gegründet?
c) Auf welche Art und Weise und mit welcher Zielsetzung werden in der

„European Expert Group on Cybercrime“ auch Anonymisierungsverfah-
ren und Verschlüsselungen behandelt?

d) Welchen ähnlichen EU-Arbeitsgruppen gegen „Cyberkriminalität“ gehö-
ren deutsche Behörden als „Leader“, „Co-Leader“ oder Unterstützer an?

29. Auf welche Weise wurde nach Kenntnis der Bundesregierung das Projekt
„Interpol project on interoperability – A practical development for enhanced
police cooperation within EU Member States“ inzwischen weiterbetrieben
oder umgesetzt (Ratsdokument 10094/14)?
a) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-

rung aus den in dem Dokument genannten Defiziten sowie den dort ge-
machten Vorschlägen für den Ausbau der polizeilichen Zusammen-
arbeit?

b) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung zu der in dem Dokument vorgeschlagenen „One Stop Shopping
Strategy“ hinsichtlich deutscher datenschutzrechtlicher Vorgaben?

30. Was ist der Bundesregierung über die derzeitigen Beteiligten der bei Inter-
pol angesiedelten Projekte VENLIG und HAMAH bekannt, in denen Infor-
mationen des US-Verteidigungsministeriums über „ausländische Terroris-
ten“ ausgewertet werden (Bundestagsdrucksache 17/4407)?
a) Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, in welchem Umfang

VENLIG und HAMAH bzw. ähnliche Projekte für andere Länder über-
haupt genutzt werden bzw. inwiefern eine Nutzung seit dem Jahr 2011
zu- oder abnimmt?

b) Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, ob Europol die dort er-
langten Daten nicht nur in die Analysearbeitsdatei „Hydra“ einstellt, son-
dern auch in anderen Dateien speichert?

c) Inwiefern lässt sich rekonstruieren, ob auch deutsche Behörden die aus
Beständen des US-Verteidigungsministeriums stammenden Daten abru-
fen dürfen, bzw. inwiefern ist das Ministerium als Besitzer der Daten er-
kennbar?

31. Welche Haltung wird die Bundesregierung in den zuständigen Ratsarbeits-
gruppen zur Frage vertreten, ob bzw. mit welchen Einschränkungen Euro-
pol, wie im Arbeitsprogramm für das Jahr 2015 skizziert, ein Zusammen-
arbeitsabkommen mit Israel verhandelt oder abschließt?

32. Inwiefern wäre ein solches Abkommen einer EU-Agentur aus Sicht der
Bundesregierung überhaupt möglich, wenn dabei mit einer Polizei zusam-
mengearbeitet würde, die über ein Hauptquartier in den von Israel besetzten
Gebieten verfügt?
a) Welchen Stand haben nach Kenntnis der Bundesregierung Verhandlun-

gen eines Kooperationsabkommens zwischen Europol und Israel (Bun-
destagsdrucksache 17/3143)?

b) Welche Informationen sollen im Rahmen des Abkommens getauscht
werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4007
c) Auf welche Daten hätten israelische Behörden demnach Zugriff?
d) Wie lange würden die Daten in Israel gespeichert?
e) Dürfte Israel die Daten an Drittstaaten weitergeben?

33. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern die Errichtung und
der Betrieb einer gesicherten privaten Kommunikationsinfrastruktur und
eine Breitbandverbindung im „sTESTA“-Netzwerk zwischen Estland,
Frankreich und Österreich mittlerweile nicht mehr durch ein Konsortium
aus OBS (Orange Business Services) und HP (Hewlett-Packard) bereitge-
stellt wird, sondern auf ein System der Firma T-Systems migriert ist (Bun-
destagsdrucksache 18/1832)?

34. Welche Gründe sind der Bundesregierung für eine Neuausschreibung des
„sTESTA“-Netzwerks bekannt?

35. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, welche technischen Anlagen
des SIS I (SIS – Schengener Informationssystem) nach Umstieg auf das SIS
II veraltet sind und nicht mehr genutzt werden, wer für dessen Abbau bzw.
Entsorgung zuständig ist und welche Kosten hierfür anfallen?

36. Inwiefern hat die Bundesregierung mittlerweile weiter geprüft, auf welche
Weise ein Europäischer Kriminalaktennachweis (European Police Records
Index – EPRIS) etwaige Defizite des grenzüberschreitenden polizeilichen
Informationsaustauschs schließen kann (Bundestagsdrucksache 18/1832)?

37. Welche weiteren Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus einer
hierzu erstellten Studie?

38. Inwiefern und mit welchem (vorläufigen) Ergebnis wurde nach Kenntnis
der Bundesregierung in den zuständigen Ratsarbeitsgruppen erörtert, wie et-
waige Lücken in den bestehenden polizeilichen Systemen geschlossen wer-
den könnten?

Berlin, den 6. Februar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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