BT-Drucksache 18/3974

Flächenverbrauch und das 30-Hektar-Ziel der Bundesregierung

Vom 9. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3974
18. Wahlperiode 09.02.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Peter Meiwald, Steffi Lemke,
Annalena Baerbock, Matthias Gastel, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl,
Oliver Krischer, Stephan Kühn (Dresden), Dr. Julia Verlinden und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Flächenverbrauch und das 30-Hektar-Ziel der Bundesregierung

Der Flächenverbrauch, also der tägliche Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrs-
fläche (auf die statistisch ausgewiesenen Siedlungs- und Verkehrsflächen ent-
fallen im Einzelnen folgende Flächennutzungen: Gebäude- und Freifläche,
Betriebsfläche – ohne Abbauland –, Erholungsfläche, Verkehrsfläche und Fried-
höfe; neben den Siedlungs- und Verkehrsflächen gibt es landwirtschaftlich
genutzte Flächen, Waldflächen, Wasserflächen und Flächen sonstiger Nutzung),
ist eines der großen ungelösten Umweltprobleme der heutigen Zeit. Zuneh-
mende Siedlungs- und Verkehrsflächen bedeuten unmittelbaren und dauerhaf-
ten Verlust der ökologischen Funktion von Böden. Ein weiteres, im Rahmen die-
ser Kleinen Anfrage nicht betrachtetes, Problem für die ökologische Funktion
von Böden stellt eine nicht nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung dar. Böden
sichern die Funktion unserer Ökosysteme und stellen unsere zentrale Lebens-
grundlage dar. Sie sollten daher im Zentrum einer vorsorgenden Umweltpolitik
stehen. Obwohl die Bevölkerungszahl in Deutschland in den nächsten Jahrzehn-
ten deutlich zurückgehen wird und das schon heute in fast allen Bundesländern
tut, werden tagtäglich immer noch viel zu viele zusätzliche Freiflächen für
wachsende Siedlungen und neue oder breitere Verkehrswege in Anspruch ge-
nommen, vor allem zulasten landwirtschaftlich genutzter Flächen und Flächen
anderer Nutzungen. Nach Schätzung des Bundesamtes für Bauwesen und
Raumordnung sind rund 50 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsflächen versie-
gelt.
Laut dem Nachhaltigkeitsindikator für die nationale Nachhaltigkeitsstrategie lag
der Flächenverbrauch im Jahr 2013 bei 73 Hektar pro Tag (Statistisches Bundes-
amt, 18. Dezember 2014) – das entspricht etwa der Fläche von 104 Fußballfel-
dern. Es handelt sich dabei um den Vier-Jahres-Mittelwert, bezogen auf die
Jahre 2010 bis 2013. Im Vergleich zum letzten Jahr ist der tägliche Verbrauch im
Vier-Jahres-Mittel um einen Hektar zurückgegangen.
Neue Wohn- und Gewerbegebiete erzeugen mehr Verkehr, verursachen hohe
Infrastrukturkosten und tragen zu einer höheren Umweltbelastung bei. Neben
dem dauerhaften Verlust durch Bebauung mit Siedlungen oder Verkehrsflächen
werden zusammenhängende Ökosysteme durch Verkehrs- und Siedlungspro-
jekte zerschnitten und verlieren ihre Funktionen. Den Wettbewerb der Gemein-
den in schrumpfenden Regionen um Zuzug mit neuen Baugebieten auszutragen,
ergibt ökonomisch und ökologisch keinen Sinn, denn neben dem Flächen-
verbrauch werden teure Bau- und Unterhaltungsgelder in die Erschließung und
Infrastruktur für unterausgelastete Standorte gesteckt.

Drucksache 18/3974 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Zwar nimmt der Flächenverbrauch ab, aber viel zu langsam, um das sogenannte
30-Hektar-Ziel der Bundesregierung im Rahmen der Nationalen Nachhaltig-
keitsstrategie noch zu erreichen. Im Jahr 2020 sollen laut diesem Ziel nur noch
30 Hektar am Tag neue Freiflächen für Siedlungs- und Verkehrsflächen in An-
spruch genommen werden. Sowohl in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
als auch in der Nationalen Biodiversitätsstrategie von 2007 formuliert die Bun-
desregierung allerdings das Ziel, den Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 Hektar
pro Tag zu begrenzen. Dieses Ziel ist laut Modellrechnung mit dem momen-
tanen Flächenverbrauch nicht zu erreichen. Im Rechenschaftsbericht 2013 zur
Nationalen Biodiversitätsstrategie konstatiert das damalige Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der Entwicklung des Flächen-
verbrauchs einen „sehr geringen Zielerreichungsgrad“ von unter 50 Prozent, ge-
messen am 30-Hektar-Ziel. Eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und
Raumforschung geht bei anhaltendem Trend selbst für das Jahr 2030 noch von
einem Flächenverbrauch von 45 ha täglich aus (www.bbsr. bund.de/BBSR/DE/
Veroeffentlichungen/AnalysenKompakt/2014/DL_07_2014.pdf?__blob=
publicationFile&v=2).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hält die Bundesregierung weiterhin am 30-Hektar-Ziel bis zum Jahr 2020

fest, und wenn ja, welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um es
noch zu erreichen?

2. Wie hoch ist der tägliche Flächenverbrauch für das Jahr 2013 im Vier-Jah-
res-Mittel, und mit welcher Flächenneuinanspruchnahme rechnet die Bun-
desregierung in jedem einzelnen Jahr bis 2020, insgesamt in Deutschland
und nach Bundesländern aufgeschlüsselt?

3. Welche Folgen sieht die Bundesregierung durch den Flächenverbrauch für
die Artenvielfalt (Biodiversität) in Deutschland?
Welche Studien wurden dazu in Auftrag gegeben, und welche Ergebnisse
liegen vor?

4. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um die Zer-
schneidungswirkung von Infrastrukturmaßnahmen zu vermeiden?

5. Welche Folgen sieht die Bundesregierung bei zusätzlichem Flächenver-
brauch für die Kommunen und ihre Infrastrukturfolgekosten?

6. Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung die Kommunen
derzeit dabei, vorausschauend Folgekosten für Flächenverbrauch zu ermit-
teln und in Planungen einzubeziehen?

7. Welche weiteren Maßnahmen sind dazu geplant?
8. Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung flächensparen-

des Bauen von Siedlungen (z. B. Modellvorhaben, Forschungsvorhaben,
Förderung)?

9. Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung flächensparen-
des Bauen von Verkehrswegen (z. B. Modellvorhaben, Forschungsvor-
haben, Förderung)?

10. Wie verteilt sich der Flächenverbrauch derzeit auf die verbrauchten Flächen-
typen Wald, landwirtschaftliche Nutzflächen, sonstige Flächen (bitte auf-
schlüsseln), und wie viel entfallen davon auf Siedlungs-, und wie viel auf
Verkehrsflächen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3974
11. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Entwicklung des
Flächenverbrauchs angesichts der anziehenden Bautätigkeit in Deutsch-
land?

12. Welche zusätzlichen Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Innen-
entwicklungspotenziale in Städten zu fördern (z. B. Forschungsvorhaben,
Modellprojekte, Förderung), und das Wachstum der Siedlungsflächen über
den jetzigen Trend hinaus zu begrenzen?

13. Welche zusätzlichen Maßnahmen plant die Bundesregierung, um Kommu-
nen bei der Nutzung ihrer Brachflächen, Baulücken und Leerstände zu un-
terstützen?

14. Welche zusätzlichen Maßnahmen plant die Bundesregierung, um Kommu-
nen bei der Ermittlung ihrer Flächenpotenziale sowie flächensparendem
Bauen zu unterstützen?

15. Mit welchen zusätzlichen Maßnahmen wird die Bundesregierung die Innen-
entwicklung fördern und gleichzeitig die Ausstattung mit Grün- und Frei-
flächen, etwa für Erholung, Klimaanpassung und Naturschutz, sichern und
wo nötig noch verbessern?

16. Welche Fördermittel und Maßnahmen setzt die Bundesregierung ein, um
Flächenrecycling zu unterstützen?

17. Inwiefern findet das 30-Hektar-Ziel bei der Planung von Verkehrsprojekten,
z. B. im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans, Berücksichtigung?

18. Welche Position vertritt die Bundesregierung zum Thema Flächenzertifi-
katehandel?

19. Hat die Bundesregierung verschiedene Modelle zum Flächenzertifikatehan-
del geprüft, und wenn ja, was sind die Ergebnisse, bzw. wann ist mit weite-
ren Ergebnissen zu rechnen?

20. Plant die Bundesregierung, die Indikatoren für Siedlungsflächenwachstum
zu verändern, und wenn ja, wie?

21. Wie hoch ist der Flächenverbrauch für Bundesverkehrsprojekte im Jahr
2014, und mit welchem Verbrauch rechnet die Bundesregierung in jedem
einzelnen Jahr bis zum Jahr 2020?

22. In welchem Umfang wurden Flächen für Vorhaben des Bedarfsplans Straße
und Schiene zwischen den Jahren 2005 und 2015 verbraucht bzw. ver-
siegelt?

23. Welche Flächeninanspruchnahme wäre bei Realisierung aller zum Stichtag
1. Januar 2015 planfestgestellten Vorhaben (ohne Baufreigabe) des Be-
darfsplans Straße und Schiene notwendig?

24. Welche Anreize, Instrumente, Modell- und Forschungsvorhaben plant oder
unternimmt die Bundesregierung zum Thema Entsiegelung sowie zum
Thema Umwidmung von nicht benötigten Siedlungs- und Verkehrsflächen?

25. Inwiefern wird das 30-Hektar-Ziel nach Kenntnis der Bundesregierung in
Modellprojekten oder sonstigen Aktivitäten auf Länder- und/oder regionale
und/oder Gemeindeebene heruntergebrochen und in Planungen einbezo-
gen?

26. Mit welchen Maßnahmen wird die Bundesregierung ihre bisherigen Maß-
nahmen so verstärken, dass das 30-Hektar-Ziel bis zum Jahr 2020 erreicht
werden kann?

27. Welche Bundesministerien beschäftigen sich aktuell anhand welcher Frage-
stellungen mit der Reduzierung bzw. Entwicklung der Flächeninanspruch-
nahme, und wo liegt die Federführung?

Drucksache 18/3974 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
28. Welche Entwicklungen nimmt die Bundesregierung auf globaler Ebene
beim Thema Flächeninanspruchnahme zur Kenntnis, auch vor dem Hinter-
grund des demografischen Wandels, der Industrialisierung der Landwirt-
schaft und Verstädterung?

Berlin, den 3. Februar 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.