BT-Drucksache 18/3970

Die deutsch-armenischen Beziehungen heute und die Erinnerung an den Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern

Vom 5. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3970
18. Wahlperiode 05.02.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel,
Andrej Hunko, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion DIE LINKE.

Die deutsch-armenischen Beziehungen heute und die Erinnerung an den
Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern

Die seit 1991 unabhängige Republik Armenien gilt seit vielen Jahren als das
ärmste Land Europas. Ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze
(www.theguardian.com/world/2014/jun/09/-sp-post-soviet-world-need-to-know-
armenia). Durch den bereits Ende der 1980er-Jahre noch innerhalb der Sowjet-
union entfachten Bergkarabach-Konflikt sind die Beziehungen Armeniens zur
Türkei und zu Aserbaidschan bis heute schwer belastet. Diplomatische Be-
ziehungen zwischen den beiden Ländern und Armenien bestehen gar nicht. Bis
heute wird Armenien aufgrund des Konfliktes um Bergkarabach in Ost und West
durch Aserbaidschan sowie dessen türkischen Verbündeten blockiert.
Im Jahr 1992 trat Armenien dem NATO-Kooperationsrat bei, aus welchem 1997
der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat hervorging. Seit 1994 nimmt Armenien
an der „Partnerschaft für den Frieden“ mit der NATO teil. Ein Partnerschafts-
und Assoziierungsabkommen zwischen Armenien und der Europäischen Union
(EU) folgte 1996 (in Kraft seit 1999). Seit 2004 nimmt Armenien an der
„Europäischen Nachbarschaftspolitik“ der EU teil sowie seit 2009 an der Öst-
lichen Partnerschaft der EU.
Nach Jahren der politischen Annäherung an die EU und die NATO kam es im
Herbst 2013 zu einer grundsätzlichen Neuorientierung in der armenischen Au-
ßenpolitik. Nachdem der armenische Präsident Sersch Sargsjan am 3. September
2013 ankündigte, dass Armenien der Zollunion/Eurasischen Union (ZU/EaU)
beitreten werde (www.euobserver.com/foreign/121304), erklärten hochrangige
Vertreter der EU und der Bundesregierung, dass eine Assoziierung mit der EU
und ein Beitritt zur ZU/EaU nicht möglich ist. Am 2. Januar 2015 trat Armenien
dann der Eurasischen Union bei.
Ein großes Thema in der Innenpolitik Armeniens sowie den internationalen Be-
ziehungen der Republik spielt der Völkermord an den Armeniern von vor 100 Jah-
ren. Dieses Jahr jährt sich zum 100. Mal der Beginn des Völkermordes an den
Armenierinnen und Armeniern. Nach wissenschaftlichen Schätzungen fielen
dem Genozid in den Jahren 1915 und 1916 circa 1,5 Millionen Menschen zum
Opfer. Eine überwältigende Mehrheit der Historiker weltweit bewertet die De-
portationen und Massaker als einen Genozid im Sinne der UN-Konvention von
1948 zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes.
Der Völkermord an den armenischen Bürgerinnen und Bürgern des Osmani-
schen Reichs war der Höhepunkt des Vernichtungs- und Vertreibungspro-
gramms der im Ersten Weltkrieg regierenden nationalistischen „Partei für Ein-
heit und Fortschritt“ („Jungtürken“). Ihre Politik der ethnischen Homogenisie-

Drucksache 18/3970 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
rung richtete sich in der Tendenz gegen alle nichttürkischen Ethnien, wie bei-
spielweise auch die assyrische, die aramäische und die griechische Minderheit.
Das Deutsche Reich trägt nach Auffassung der Fragesteller als politischer und
militärischer Patron des Jungtürkenregimes eine Mitverantwortung für die Ver-
brechen an den armenischen, assyrischen, aramäischen und griechischen Min-
derheiten des Osmanischen Reiches.
Viele im Osmanischen Reich tätige deutsche Konsuln und Botschafter des Deut-
schen Kaiserreichs wussten von dem Völkermord an den Armeniern (Vahakn N.
Dadrian: The Armenian Question and the Wartime Fate of the Armenians as
Documented by the Officials of the Ottoman Empire’s World War I Allies:
Germany and Austria-Hungary, in: International Journal of Middle East Studies,
Jg. 34 [2002], Nummer 1, S. 59–85), taten jedoch nichts, was das deutsch-osma-
nische Bündnis im Ersten Weltkrieg gefährdet hätte.
Erschwerend für die Rolle des Deutschen Reiches kommt hinzu, dass insgesamt
800 deutsche Offiziere und 25 000 Soldaten im Osmanischen Reich dienten und
sich dabei zum Teil auch aktiv am Völkermord an den Armenierinnen und Ar-
meniern beteiligten. Der Deutsche Bundestag hat in dem verabschiedeten An-
trag „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Ar-
meniern 1915 – Deutschland muss zur Versöhnung zwischen Türken und Arme-
niern beitragen“ lediglich von einer „unrühmlichen Rolle“ Deutschlands (Bun-
destagsdrucksache 15/5689) gesprochen.
Von allen türkischen Regierungen seit der Gründung der Türkischen Republik
wurde die systematische Ermordung der Armenierinnen und Armenier nicht als
Völkermord anerkannt. Türkische Diplomaten versuchen bis in die Gegenwart,
Konferenzen über den Völkermord an den Armeniern in anderen Ländern zu
verhindern (www.asbarez.com/127432/genocide-conference-in-romania-held-
despite-turkish-protests/).
Im März 2010 erkannte der schwedische Reichstag den Völkermord an den ar-
menischen, aramäischen und pontisch-griechischen Minderheiten des Osma-
nischen Reiches als Genozid im Sinne der UN-Konvention von 1948 an
(www.aina.org/news/20100311192620.htm). Schweden ging damit inhaltlich
weiter als Deutschland, Österreich, Ungarn und Bulgarien – die damaligen Ver-
bündeten des Osmanischen Reiches.
In bisher zwei Staaten der Europäischen Union (Griechenland und die Slowakei)
sowie in der Schweiz ist die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern
strafbar. So verabschiedete das griechische Parlament am 9. September 2009 ein
Gesetz, welches im Falle einer Leugnung des Genozids eine Haftstrafe von bis
zu drei Jahren sowie Geldstrafen bis zu 30 000 Euro vorsieht (www.jurist.org/
paperchase/2014/09/greece-parliament-ratifies-bill-criminalizing-armenian-
genocide-denial.php).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie beurteilt die Bundesregierung den gegenwärtigen Stand der bilateralen

Beziehungen Deutschlands zur Republik Armenien?
2. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen hat die Bundesregierung aus

der Anerkennung des Referendums auf der Krim am 16. März 2014 durch
den Präsidenten Armeniens gezogen bzw. wird sie ziehen (www.asbarez.com/
120847/sarkisian-backs-crimean-referendum-in-phone-call-with-putin/)?

3. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der gegenwärtigen politischen Lage in der südkaukasischen Region?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3970
4. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Entwicklung der außenpolitischen Beziehungen der Republik Arme-
nien zu
a) Aserbaidschan,
b) Georgien,
c) der Türkei,
d) Iran,
e) Russland,
f) den USA und
g) Belarus?

5. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der innenpolitischen Entwicklung der Republik Armenien seit 2008?

6. Welche strategische Bedeutung misst die Bundesregierung der Region Süd-
kaukasus zu, und welche Aufgaben ergeben sich daraus für das Handeln der
Bundesregierung?

7. Auf welcher Grundlage erfolgt die militärische und wehrtechnische Zusam-
menarbeit der Bundesregierung mit den Streitkräften Armeniens, und wel-
che Maßnahmen und Projekte sind im Rahmen dieser Zusammenarbeit in
den nächsten Jahren geplant?

8. Welchen Beitrag hat die Bundesregierung seit 2008 zur Ausstattung und
Ausbildung der Streitkräfte Armeniens geleistet (bitte nach Jahren und Maß-
nahmen aufschlüsseln)?

9. In welchem Umfang hat die Bundesregierung seit 2008 den Export von Rüs-
tungsgütern der Ausfuhrliste Teil 1 A an Armenien genehmigt, und welche
Kriegswaffen der Kriegswaffenliste B wurden tatsächlich in diesem Zeit-
raum an diesen Staat geliefert (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

10. In welchem Umfang, wann und wo hat die Bundeswehr der armenischen
Armee Uniformen und andere Materialien zur Verfügung gestellt
(www.deutschlandfunk.de/bundeswehrrueckzug-beraten-statt-kaempfen-
in-afghanistan.724.de.html?dram:article_id=298702)?

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Tod von zwei arme-
nischen Soldaten an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze im Bereich
der Exklave Nachitschewan vom 5. Juni 2014 (www.asbarez.com/123801/
2-armenian-soldiers-killed-on-nakhichevan-border/)?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Beschuss eines
OSZE-Beobachterteams (OSZE – Organisation für Sicherheit und Zusam-
menarbeit in Europa) an der Kontaktlinie zwischen Bergkarabach und
Kernaserbaidschan vom 10. Juni 2014 (www.asbarez.com/123939/azeri-
snipers-fire-shots-ahead-of-osce-monitoring-mission/)?

13. Welche Veranstaltungen zum 100. Jahrestag des Beginns des Völkermordes
an den Armenierinnen und Armeniern führt die Bundesregierung im Zeit-
raum 2015 bis 2016 in Eigenregie durch (bitte entsprechend der Jahre nach
Ressort, Veranstaltung, Ort und finanziellen Kosten einschl. der Haushalts-
titel, aus denen die Kosten gedeckt werden, auflisten)?
a) An welchen dieser Veranstaltungen wird die Bundeskanzlerin, Dr. Angela

Merkel, teilnehmen?
b) Welche Bundesminister werden an den entsprechenden Gedenkveran-

staltungen teilnehmen?

Drucksache 18/3970 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
c) An welchen Veranstaltungen wird nach Kenntnis der Bundesregierung
der Bundespräsident, Joachim Gauck, teilnehmen?

14. Welche Veranstaltungen zum 100. Jahrestag des Beginns des Völkermordes
an den Armenierinnen und Armeniern führt die Bundesregierung im Aus-
land im Zeitraum 2015 bis 2016 in Eigenregie durch (bitte entsprechend der
Jahre nach Ressort, Veranstaltung, Ort und finanziellen Kosten einschließ-
lich der Haushaltstitel, aus denen die Kosten gedeckt werden, auflisten)?
a) An welchen Veranstaltungen wird die Bundeskanzlerin teilnehmen?
b) Welche Bundesminister werden an den entsprechenden Gedenkveran-

staltungen teilnehmen?
c) An welchen Veranstaltungen wird nach Kenntnis der Bundesregierung

der Bundespräsident teilnehmen?
15. In welcher Höhe stellt die Bundesregierung finanzielle Mittel für eigene

Veranstaltungen im Rahmen des Gedenkens an den Völkermord an den Ar-
menierinnen und Armeniern in den Jahren 2015 und 2016 zur Verfügung
(bitte entsprechend nach In- und Ausland nach Jahren getrennt angeben)?

16. Welche Organisationen (Nichtregierungsorganisationen, staatliche Institu-
tionen, Museen etc.) fördert die Bundesregierung bezüglich welcher Veran-
staltungen mit finanziellen Mitteln für das Gedenken an den Völkermord an
den Armenierinnen und Armeniern in den Jahren 2015 und 2016 (bitte ent-
sprechend den Jahren nach Datum, Organisation und finanziellen Mitteln
auflisten)?

17. Wie viele Mittel stellen nach Kenntnis der Bundesregierung die Bundes-
länder dem Gedenken in den Jahren 2015 und 2016 anlässlich des Völker-
mordes an den Armenierinnen und Armeniern zur Verfügung (bitte entspre-
chend der Bundesländer nach Jahren auflisten)?

18. Welche Publikationen planen Dienststellen des Bundesministeriums der
Verteidigung anlässlich des Gedenkens an den Völkermord an den Arme-
nierinnen und Armeniern?

19. Wie hoch sind die Mittel der Bundeszentrale für politische Bildung, die für
die Jahre 2015 und 2016 anlässlich des 100. Jahrestages des Beginns des
Völkermords an den Armenierinnen und Armeniern eingesetzt werden
sollen?
a) Wie ist die inhaltliche Ausrichtung dieser Veranstaltungen der Bundes-

zentrale für politische Bildung geplant?
b) Welche Veranstaltungen werden durch die Bundeszentrale für politische

Bildung zu diesem Themenbereich durchgeführt?
c) Werden im Rahmen dieser Veranstaltungen auch friedenspolitische und

antimilitaristische Organisationen in den Veranstaltungen beteiligt, und
wenn ja, welche?

20. Betrachtet die Bundesregierung die Verständigung zwischen der Türkei und
Armenien über den Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern als
einen wichtigen Aspekt für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union?
Falls ja, wie könnte eine solche Einigung zwischen beiden Ländern aus
Sicht der Bundesregierung konkret aussehen?

21. Was unternimmt die Bundesregierung, um die Verdienste der historischen
deutschen Persönlichkeiten zu würdigen, die sich seinerzeit für die bedroh-
ten osmanischen Armenierinnen und Armeniern eingesetzt bzw. politische
Aufklärung über ihr Schicksal eingefordert haben?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3970
22. Welche Anerkennungsmöglichkeiten bezüglich historischer Tatsachen ha-
ben nach Kenntnis der Bundesregierung die türkische Regierung sowie die
Große Nationalversammlung der Türkei, und welche historischen Präze-
denzfälle sind der Bundesregierung dazu bekannt?

23. Sollte nach Ansicht der Bundesregierung eine gemeinsame Veranstaltung
des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung im Deutschen Bun-
destag stattfinden, um an den Genozid an den Armenierinnen und Arme-
niern in angemessener Weise zu erinnern?

24. Teilt die Bundesregierung die „von türkischer Seite als einseitig proarme-
nisch [perzipierte] Haltung“, dass die Arbeit des Lepsiushauses in Potsdam
einseitig proarmenisch ist, was „in der Konzeption bisheriger Veranstaltun-
gen und Veröffentlichungen des Fördervereins Lepsiushaus Potsdam e. V.
zum Ausdruck“ kommt (Bundestagsdrucksache 18/3722)?
a) Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Beschäftigung mit dem

Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern eine „proarmenische
Haltung“ darstellt?

b) Welche Konsequenzen und Schlussfolgerungen zieht die Bundesregie-
rung aus der ggf. „einseitig proarmenisch perzipierten Haltung“ des Lep-
siushauses?

c) Plant die Bundesregierung ein neues Format für die Aufarbeitung und
Beschäftigung mit dem Völkermord an den Armenierinnen und Arme-
niern?

Berlin, den 2. Februar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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