BT-Drucksache 18/3953

Auswirkungen der Umstrukturierung des deutschen Vattenfall-Konzerns auf die Entsorgungsverpflichtungen seiner Atomkraftwerke-Betreibergesellschaften

Vom 4. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3953
18. Wahlperiode 04.02.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Matthias Gastel,
Bärbel Höhn, Oliver Krischer, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke,
Peter Meiwald, Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auswirkungen der Umstrukturierung des deutschen Vattenfall-Konzerns auf die
Entsorgungsverpflichtungen seiner Atomkraftwerke-Betreibergesellschaften

In Deutschland sind die Betreiber von Atomkraftwerken (AKW) verpflichtet,
für den AKW-Rückbau und die Entsorgung ihrer radioaktiven Abfälle Rückstel-
lungen zu bilden. Ob sie ihren Verpflichtungen in der Realität allerdings dauer-
haft verlässlich und in vollem Umfang nachkommen können und wollen, ist aus
Sicht der Fragesteller fraglich. Während kritische Expertinnen und Experten,
Umweltschutzverbände, Anti-Atom-Initiativen und die Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN schon länger auf ein reales Ausfallrisiko und damit verbundene
Milliardengefahren für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler hinweisen, woll-
ten die AKW-Betreiber und die Bundesregierung das System bislang nicht än-
dern.
Seit dem 11. Mai 2014 hat sich die Sachlage jedoch drastisch geändert. Nach
einem Bericht des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“ und weiterer Medien
entstanden Überlegungen der Energiekonzerne RWE AG, E.ON Energie
Deutschland GmbH und EnBW Energie Baden-Württemberg AG, ihre noch
laufenden und abgeschalteten Atomkraftwerke nebst Atommüll und Rückstel-
lungen komplett in eine Art staatliche „AKW-Bad-Bank“ bzw. Stiftung zu über-
tragen, um sich auf einen Schlag von allen weiteren Pflichten zu befreien. Im
Gegenzug wollen die Konzerne auf Schadensersatzklagen gegen den Atomaus-
stieg verzichten.
Die Energiekonzerne haben seit einiger Zeit mit erheblichen wirtschaftlichen
Schwierigkeiten zu kämpfen. Beispiel RWE: Erstmals seit Jahrzehnten schreibt
der Konzern rote Zahlen. Im Jahr 2014 standen den etwa 10 Mrd. Euro Rück-
stellungen für den AKW-Rückbau Schulden in Höhe von etwa 30 Mrd. Euro
gegenüber. Hinzu kommt aus Sicht der Fragesteller ein fehlendes Geschäfts-
modell für die Zukunft einschließlich fehlender Finanzmittel für dringend not-
wendige Zukunftsinvestitionen. Deshalb gibt es Zweifel, ob die Rückstellungen
nicht nur ausreichend, sondern auch werthaltig sind. Angesichts der Umbrüche
im Energiemarkt ist nicht ausgeschlossen, dass die Werthaltigkeit von Assets,
etwa Kraftwerke, Netze o. Ä., in die die Rückstellungen investiert wurden und
die noch vor kurzem erhebliche Werte darstellten, deutlich sinkt.
Der deutsche Vattenfall-Konzern strebt derzeit eine größere Umstrukturierung
an, die laut Medienberichten mit einer Veräußerung seiner Braunkohlesparte
verbunden sein wird (vgl. hierzu beispielsweise den Onlineartikel „Konzern gibt
sich neue Struktur – Vattenfall gliedert Braunkohle aus“ auf www.n-tv.de vom
15. Januar 2015). Vor dem Hintergrund dieser Umstrukturierung stellen sich zu

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den aus Sicht der Fragesteller nicht auszuschließenden damit verbundenen Aus-
wirkungen auf die Entsorgungsverpflichtungen der Atomkraftwerke-Betreiber-
gesellschaften des Vattenfall-Konzerns erhebliche Fragen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche vertraglichen Verpflichtungen bestehen nach Kenntnis der Bundes-

regierung derzeit zwischen den AKW-Betreibergesellschaften „Kernkraft-
werk Brunsbüttel GmbH & Co. oHG“ und „Kernkraftwerk Krümmel GmbH
& Co. oHG“ auf der einen Seite und welchen anderen Unternehmen bzw. Tei-
len des deutschen Vattenfall-Konzerns auf der anderen Seite sowie zwischen
letzteren untereinander, die für eine Nachschusspflicht dieser anderen Unter-
nehmen bzw. Konzernteile sorgen, wenn die beiden o. g. Betreibergesell-
schaften ihren finanziellen Verpflichtungen bei der nuklearen Entsorgung
nicht mehr in vollem Umfang nachkommen können sollten?

2. Jeweils wann enden diese vertraglichen Verpflichtungen nach Kenntnis der
Bundesregierung nach derzeitigem Stand, und welche davon können nach
Kenntnis der Bundesregierung ohne behördliche Zustimmung beendet bzw.
aufgelöst werden?

3. Welche dieser vertraglichen Verpflichtungen werden nach Kenntnis der Bun-
desregierung von den aktuellen Umstrukturierungsabsichten des deutschen
Vattenfall-Konzerns voraussichtlich betroffen sein, und inwiefern und sollen
welche Verpflichtungen im Zuge der Umstrukturierung auf welche neuen
Konzernteile übergehen?

4. Welche sonstigen Veränderungen hinsichtlich der nuklearen Entsorgungs-
rückstellungen für die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel erwartet
die Bundesregierung aufgrund der geplanten Umstrukturierung?

5. Sind der Bundesregierung die Rückstellungen für die AKW Brunsbüttel und
Krümmel im Jahr 2013 und 2014 bekannt, bzw. kennt sie die Gründe, warum
mit Stand 29. Januar 2015 der jüngste Geschäftsbericht für das Jahr 2012 im
Unternehmensregister veröffentlicht wurde?

6. Welcher Regelungsbedarf hinsichtlich der nuklearen Entsorgungsrückstel-
lungen für die AKW Krümmel und Brunsbüttel ergibt sich aufgrund der Um-
strukturierung auf Bundesebene (bitte vollständige Angabe mit Angabe der
beteiligten Bundesressorts)?
Inwiefern kommt die Bundesregierung ihm nach, und seit wann?

7. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung für das AKW Brokdorf, an dem
Vattenfall eine Minderheitsbeteiligung von 20 Prozent hält, bestimmte Ver-
pflichtungen für Vattenfall gegenüber E.ON bezüglich der nuklearen Ent-
sorgungsverpflichtungen des AKW Brokdorf – vor dem Hintergrund, dass
die entsprechenden Entsorgungsrückstellungen durch Vollkonsolidierung
bei E.ON in der Bilanz ausgewiesen werden (vgl. Bundestagsdrucksache
17/8526, Antwort zu Frage 18), und falls ja, welche?
Ergibt sich aufgrund der Vattenfall-Umstrukturierung nach Kenntnis der
Bundesregierung diesbezüglicher Veränderungsbedarf und/oder Handlungs-
bedarf, und falls ja, welcher?

8. Welche Gespräche hat die Bundesregierung aufgrund der Umstrukturie-
rungspläne
a) mit dem Vattenfall-Konzern und
b) der schwedischen Regierung

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geführt, um eine Gewährleistung der nuklearen Finanzierungsverantwor-
tung des Vattenfall-Konzerns auch im Zuge und nach der Umstrukturierung
zu erreichen (bitte vollständige Angabe aller Gespräche mit Datum und
Ebene, d. h. Ministerebene, Hausleitungsebene oder Fachebene)?
Welche künftigen derartigen Gespräche sind für wann geplant (bitte analoge
vollständige Angabe)?

9. Kommen aus Sicht der Bundesregierung aufgrund der mittlerweile rechts-
kräftigen Aufhebung der Genehmigung für das Standortzwischenlager
Brunsbüttel auf die Betreibergesellschaft des AKW Brunsbüttel nennens-
werte zusätzliche Entsorgungskosten zu?
Falls ja, schätzungsweise in welcher Größenordnung?

10. Bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung trotz der Kündigung des
Gewinnabführungsvertrages und Beherrschungsvertrages zwischen dem
deutschen Vattenfall-Konzern und der schwedischen Konzernmuttergesell-
schaft Vattenfall AB im Jahr 2012 (vgl. hierzu beispielsweise Artikel
„Vattenfalls heimlicher Ausstieg“ im Handelsblatt vom 19. Mai 2014) an-
derweitige Verträge zwischen der schwedischen Vattenfall AB und dem
deutschen Vattenfall-Konzern, die in dem Fall, dass die deutschen Vatten-
fall-Gesellschaften ihren nuklearen Entsorgungsverpflichtungen finanziell
nicht mehr nachkommen können sollten, eine Rechtsgrundlage für eine
Heranziehung der Vattenfall AB darstellen könnten (bitte jeweils mit An-
gabe der wesentlichen Eckdaten, insbesondere Geltungsdauer und Künd-
barkeitsregelungen)?

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob der Vattenfall-
Konzern ein vorzeitiges Ausscheiden aus der sogenannten Solidarvereinba-
rung zwischen den vier großen Energiekonzernen anstrebt (vgl. hierzu Bun-
destagsdrucksache 17/8526, Antwort zu den Fragen 2 bis 5)?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wann Vattenfall den
Antrag auf Stilllegung und Abbau des AKW Krümmel einreichen will?

13. Wäre es aus Sicht der Bundesregierung sinnvoll, in der noch zu erteilenden
ersten Stilllegungs- und Abbaugenehmigung für das AKW Brunsbüttel
Auflagen analog zu den auf Bundestagsdrucksache 17/8526, Antwort zu
Frage 12, genannten für die AKW Würgassen und Stade zu erlassen (bitte
mit Begründung)?
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob dies vonseiten
der schleswig-holsteinischen atomrechtlichen Genehmigungs- und Auf-
sichtsbehörde bereits geplant ist?

14. Ist es möglich, für die noch bis zum Inkrafttreten der ersten Stilllegungs-
und Abbaugenehmigung weiterhin geltenden Betriebsgenehmigungen der
AKW Brunsbüttel und Krümmel nachträgliche Auflagen analog zu den in
der Anlage zu Bundestagsdrucksache 17/7777 genannten entschädigungs-
frei zu erlassen (laut vorgenannter Quelle in Verbindung mit Bundestags-
drucksache 17/8526, Antwort zu Frage 11, existieren bislang keine derar-
tigen Auflagen in den Betriebsgenehmigungen der AKW Brunsbüttel und
Krümmel)?

15. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Swedbank-Analysten Ing-
var Matsson, „die neue Struktur könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich
Vattenfall entgegen früherer Pläne nicht völlig aus Deutschland zurück-
ziehen wolle“ (vgl. Onlineartikel „Konzern gibt sich neue Struktur – Vatten-
fall gliedert Braunkohle aus“, www.n-tv.de vom 15. Januar 2015)?

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16. Ungefähr wie viel ist nach Kenntnis der Bundesregierung der deutsche Vat-
tenfall-Braunkohle-Bereich nach Schätzung der Bundesregierung wert?
Hat die Bundesregierung hierzu außerdem nicht nur Schätzungen, sondern
darüber hinausgehende konkrete, aber nicht offenlegungsfähige Erkennt-
nisse, die ihr eine präzise ökonomische Analyse etwaiger Folgen und haus-
halterischer Risiken für den Bund aufgrund der Umstrukturierung erlauben?

17. Verfolgt der Vattenfall-Konzern mit der Umstrukturierung nach Einschät-
zung der Bundesregierung auch die Absicht, die bestehenden konzerninter-
nen (Mit-)Verpflichtungen bei der nuklearen Entsorgung auf die beiden
o. g. Betreibergesellschaften der AKW Krümmel und Brunsbüttel zu kon-
zentrieren bzw. letztere diesbezüglich gegenüber anderen Konzernteilen
stärker zu isolieren etc.?

18. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung dazu vor, ob es derartige
Absichten, wie sie in Frage 17 adressiert wurden,
a) gibt oder
b) nicht gibt?
Liegen ihr hierzu insbesondere auch gesicherte Erkenntnisse vor?

Berlin, den 3. Februar 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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