BT-Drucksache 18/3948

Barrierefreiheit beim Bahnprojekt "Stuttgart 21"

Vom 4. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3948
18. Wahlperiode 04.02.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Harald Ebner,
Tabea Rößner, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Barrierefreiheit beim Bahnprojekt „Stuttgart 21“

Das Thema „Barrierefreiheit“ wird immer stärker zu einer der zentralen Fragen
der Mobilität und der sozialen Teilhabe aller Menschen. An den Anforderungen
für Barrierefreiheit muss sich auch das Projekt „Stuttgart 21“ messen lassen.
Menschen mit Behinderung – seien es Mobilitäts-, Hör- oder Seheinschränkun-
gen – müssen sich sicher und auf kurzen Wegen zwischen den geplanten Tief-
bahnsteigen, der Bahnhofshalle sowie den S- und Stadtbahnsteigen bewegen
können. Daraus ergeben sich zahlreiche Anforderungen an den neuen Stuttgarter
Hauptbahnhof. Die Wege sollten beispielsweise rollstuhltauglich und breit
genug sein, so dass auch Begegnungsverkehr möglich ist. Außerdem müssen
ausreichend Aufzüge vorhanden sein. Da es sich um einen unterirdischen Tief-
bahnhof handelt, ist der Notfallplan im Falle einer Evakuierung von besonderer
Bedeutung.
Die Deutsche Bahn AG hatte bei der „Dimensionierung der Fußgängeranlagen“
für den neuen Tiefbahnhof ein Betriebsprogramm mit 32 Zügen pro Stunde zu-
grunde gelegt (Anhörungsverfahren zum Planfeststellungsabschnitt – PFA –
1.3., Stellungnahme des Vorhabenträgers zur „Kritik an der Leistungsfähigkeit“,
S. 25). Dies zeigt, dass die Fußgängeranlagen unterdimensioniert sind, weil in
Spitzenzeiten bis zu 42 Züge pro Stunde geplant sind (Hinweis: Ob diese Anzahl
von Zügen verkehrlich bewältigt werden kann, ist nicht Gegenstand dieser
Kleinen Anfrage). Außerdem reduzierte die Deutsche Bahn AG die vor-
gegebene Qualität von Stufe C auf Stufe D, so dass eine um 75 Prozent höhere
Personendichte auf den Bahnsteigen zugelassen wird. Neben Rolltreppen und
Fluchttreppenhäusern gibt es Engpässe, welche oft nur 2,05 Meter breit sind
(www.wikireal.info/wiki/Stuttgart_21/Personenzugänge). Selbst für Menschen
ohne Behinderung oder anderweitiger Bewegungseinschränkung stellen diese
Engpässe Gefahren- und Stauquellen dar. Die sechsfach über dem Sollwert
liegende Gleisneigung am Tiefbahnhof bedeutet für Rollstuhlfahrerinnen und
Rollstuhlfahrer eine beachtliche Barriere, da sie beim Ein- und Ausrollen aus
dem Zug ein erhebliches Quergefälle bewältigen müssen.
Neben dem geplanten neuen Hauptbahnhof weist auch der geplante Fern-
bahnhof am Flughafen absehbare Mängel bezüglich der Barrierefreiheit auf.
Die Bahnsteige sind 27 Meter unter dem Geländeniveau geplant, und die
Erschließung soll ausschließlich mittels Aufzügen und Festtreppen erfolgen.
Im Brandfall sind Feuerwehraufzüge vorgesehen, welche nicht der Eigen-
rettung von Personen dienen. An der Station „Flughafen/Messe“ beträgt die
Bahnsteighöhe für S-Bahnen 96 Zentimeter, für den Regional- und Fernverkehr
soll sie jedoch auf 76 Zentimeter reduziert werden (www.bahnprojekt-stuttgart-

Drucksache 18/3948 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
ulm.de/details/s21-neuordnung-bahnknoten-stuttgart/die-bauabschnitte-pfa/
filderbereich-mit-flughafenanbindung/). Die Bahnsteighöhen ermöglichen im
Normalfall einen barrierefreien Einstieg in die Züge, aber wenn im Störungsfall
eine S-Bahn auf ein höher liegendes Gleis ausweichen muss oder ein Fernzug
auf ein tiefer liegendes, so ist der barrierefreie Zugang nicht mehr gewährleistet.
Zusätzlich zu den Anforderungen an das gesamte Projekt „Stuttgart 21“ nach der
geplanten Fertigstellung sind auch während des Umbaus behindertengerechte
Maßnahmen zu berücksichtigen. Es sollte beispielsweise barrierefrei erreich-
bare Toilettenanlagen geben sowie behindertengerechte Feuerschutztüren. Auch
Behelfswege müssen sicher sein, und für sehbehinderte Menschen ist die Lärm-
entwicklung so gering zu halten, dass Lautsprecheransagen verständlich blei-
ben. Durch die aktuellen Bauarbeiten im Stuttgarter Hauptbahnhof haben sich
zahlreiche Wege bereits erheblich verlängert. Zwischen der Bahnhofshalle und
dem S-Bahnsteig gibt es nur einen einzigen Aufzug. Alle anderen Wege von der
Bahnhofshalle zum S-Bahnsteig sind deutlich länger und überwiegend mit
Treppen versehen, so dass sich oft lange Schlangen von Menschen vor dem
Aufzug bilden. Besonders für Menschen mit Mobilitätseinschränkung ist das
problematisch und kann dazu führen, dass Anschlusszüge verpasst werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwieweit wurden nach Kenntnis der Bundesregierung Behindertenverbände

in die Planungen von „Stuttgart 21“ eingebunden?
2. Wurde bei der Einbindung von Behindertenverbänden in Planungen von

„Stuttgart 21“ in allen Punkten Einigkeit erzielt?
Falls nein, in welchen wurde Einigkeit erzielt, in welchen Punkten besteht
noch Dissens?

3. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die Fußgängeranlagen auf ein
Betriebsprogramm von 32 Zügen pro Stunde ausgelegt sind, obwohl in
Spitzenzeiten bis zu 42 Züge pro Stunde geplant sind, und welche Schluss-
folgerungen zieht die Bundesregierung hieraus?

4. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass aus
Brandschutzgründen auf den Bahnsteigen zusätzliche Treppen und Aufzüge
geplant werden (www.wikireal.info/wiki/Stuttgart_21/Personenzugänge/
Entfluchtung), ohne dass die Bahnsteige insgesamt breiter werden sollen, und
welche Konsequenzen zieht sie aus dieser Verengung der Bahnsteige?

5. Wie viele rollstuhlgeeignete Wege gibt es nach Kenntnis der Bundesregie-
rung vom geplanten Tiefbahnhof zu
a) den S-Bahn-Steigen,
b) zu den Stadtbahnsteigen,
und wie lang sind diese Wege (Angabe in Metern)?

6. Wird bei einer Doppelbelegung eines Gleises nach Kenntnis der Bundesre-
gierung sichergestellt, dass die Züge in den im Fahrplan ausgewiesenen
Bahnsteigabschnitten halten?
Wenn ja, wie wird dies sichergestellt?
Wenn nein, wann und wo wird nach Kenntnis der Bundesregierung der
geänderte Bahnsteigabschnitt angezeigt und angesagt?

7. Über welchen Weg/welche Wege erfolgt nach Kenntnis der Bundesregierung
bei einem Notfall die Evakuierung von Menschen im Rollstuhl im geplanten
Hauptbahnhof, und sind diese Menschen dabei auf fremde Hilfe durch
Rettungskräfte angewiesen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3948
8. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung im Evakuierungsfall im Haupt-
bahnhof Maßnahmen, die eine Eigenrettung für Menschen mit einge-
schränkter Mobilität ermöglichen?
Falls ja, welche sind das?
Falls nein, warum nicht?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, im Verteilersteg C im
Hauptbahnhof einen kurzen, niveaugleichen Verbindungsgang zur benach-
barten Stadtbahnhaltestelle zu erstellen und so für ausreichend Redundanz
im Störungsfall zu sorgen, statt ausschließlich vertikale Verbindungen zum
Geländeniveau zu erstellen?

10. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung vor dem Hintergrund der sechs-
fach überhöhten Gleisneigung am geplanten Tiefbahnhof ein barrierefreier
Ein- und Ausstieg in die Züge für Rollstullfahrerinnen und Rollstullfahrer
gewährleistet?

11. Über welchen Weg/welche Wege erfolgt nach Kenntnis der Bundesregie-
rung bei einem Notfall die Evakuierung von Menschen im Rollstuhl im
geplanten Filderbahnhof, und sind diese Menschen dabei auf fremde Hilfe
durch Rettungskräfte angewiesen?

12. Für wie viele Menschen im Rollstuhl gibt es nach Kenntnis der Bundes-
regierung im Brandfall im Filderbahnhof Schutzbereiche, falls sich die
Personen nicht selbst retten können und auf Rettungskräfte warten müssen?
a) Wo liegen diese Schutzbereiche?
b) Wie viele Minuten/Stunden besteht die Möglichkeit, dort zu warten,

wenn die Schutzbereiche mit der maximal möglichen Personenanzahl
belegt sind?

13. Hält es die Bundesregierung für sinnvoll und notwendig, dass für Menschen
mit Mobilitätseinschränkung am geplanten Flughafenbahnhof die Möglich-
keit zur Eigenrettung im Brandfall besteht, und welche Konsequenzen zieht
die Bundesregierung daraus?

14. Wie wird nach Kenntnis der Bundesregierung beim Filderbahnhof ein
barrierefreies Ein- und Aussteigen in die Züge gewährleistet, wenn in
Störungsfällen Fernzüge auf den tiefer liegenden Gleisen und S-Bahnen auf
den höher liegenden Gleisen halten müssen?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die verschiedenen möglichen Varianten
beim Filderbahnhof (Antragstrasse, Filderbahnhof-Plus, Führung der Gäu-
bahnzüge über Vaihingen zum Hauptbahnhof mit Umsteigemöglichkeit in
Richtung Flughafen/Messe, drittes Gleis für die Gäubahnzüge in der bis-
herigen S-Bahnstation am Flughafen) bezüglich der Barrierefreiheit und der
Sicherheit und der Länge der Wegstrecken für Menschen mit Mobilitätsein-
schränkung?

Berlin, den 3. Februar 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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