BT-Drucksache 18/3770

Umsetzung der OSZE-Missionen und des Minsker Protokolls in der Ukraine

Vom 15. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3770
18. Wahlperiode 15.01.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Kunert, Annette Groth, Andrej Hunko, Stefan Liebich,
Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung der OSZE-Missionen und des Minsker Protokolls in der Ukraine

Durch den Ukraine-Konflikt hat die Organisation für Sicherheit und Zusammen-
arbeit in Europa (OSZE) eine politische Aufwertung erfahren. Im Zuge des Kon-
flikts auf der Krim und in der Ostukraine wurde die OSZE unter dem Schweizer
Vorsitz im Jahr 2014 zum wichtigsten multilateralen Akteur, der auf eine Ein-
stellung der militärischen Auseinandersetzungen abzielt und zwischen den Kon-
fliktparteien vermittelt. Das entscheidende Vermittlungsinstrument stellt die im
Mai 2014 ins Leben gerufene trilaterale Kontaktgruppe dar, in der die Repräsen-
tanten der Ukraine, Russlands und der OSZE zusammenarbeiten.
Die OSZE führt gegenwärtig zwei Missionen in der Ukraine durch: Im März
2014 mandatierte der Ständige Rat der OSZE eine zivile Sonderbeobachtungs-
mission (SMM) mit bis zu 500 Beobachterinnen und Beobachtern. Das Einsatz-
gebiet der SMM erstreckt sich über die gesamte Ukraine mit regionalen Schwer-
punkten. Durch die Präsenz der OSZE-Beobachtungsteams sollen Spannungen
in der Bevölkerung verringert und mit objektiven Lageberichten die Sicherheits-
lage stabilisiert werden. Hinzu kommt die Überwachung des am 4. September
2014 im belarussischen Minsk beschlossenen Waffenstillstandsprotokolls für
die Ostukraine.
Darüber hinaus beobachtet eine zweite OSZE-Mission den Verkehr an den
russisch-ukrainischen Grenzübergängen Gukovo und Donezk. Sie ist auf
russischem Territorium stationiert. In der Praxis konnte lediglich ein Kilometer
des rund 200 Kilometer langen Grenzabschnitts zum Konfliktgebiet überwacht
werden.
Die Waffenruhe in den ostukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk ist wei-
terhin brüchig, wenngleich die Intensität der Kämpfe zwischen den ukrainischen
Regierungstruppen bzw. Freiwilligenbataillonen und den aufständischen For-
mationen seit Beschluss des Minsker Protokolls insgesamt abgenommen hat und
die Waffen in der Praxis auch zeitweilig schwiegen. Bis auf einen im Dezember
2014 durchgeführten gegenseitigen Gefangenenaustausch konnten jedoch keine
wesentlichen weiteren Punkte des Minsker Protokolls und des Memorandums
über konkrete Maßnahmen für Fortschritte bei der politischen Konfliktbearbei-
tung umgesetzt werden. Die Festlegung der Kontaktlinie in dem Konfliktgebiet
ist nach wie vor nicht abgeschlossen, sodass der vereinbarte 30 Kilometer breite
Sicherheitskorridor nicht errichtet werden konnte. Der im Memorandum fest-
gelegte beiderseitige Abzug des militärischen Personals, der schweren Militär-
technik und die Räumung von Minenfeldern kommen ebenfalls nicht voran. Mit
dem turnusmäßigen Wechsel des OSZE-Vorsitzes zum Jahresbeginn 2015 von
der Schweiz zu Serbien und der bevorstehenden Übernahme des Vorsitzes im
Jahr 2016 durch Deutschland stellt sich die Frage, wie die Bundesregierung die

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Kontinuität der bisherigen Friedensbemühungen als Mitglied der OSZE-Troika
aus ehemaligem, aktuellem und künftigem Vorsitz konkret zu unterstützen ge-
denkt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele zivile Beobachterinnen und Beobachter der OSZE sind derzeit im

Rahmen der SMM in der Ukraine im Einsatz, und welche Zwischenbilanz
zieht die Bundesregierung aus ihrer bisherigen Beobachtungstätigkeit in den
Einsatzgebieten
a) Iwano-Frankiwsk, Lwiw und Tscherniwzi,
b) Dnipropetrowsk, Donezk und Luhansk,
c) Odessa und Cherson?

2. In welchem Umfang ist gegenwärtig die Bundesrepublik Deutschland mit
zivilen Beobachterinnen und Beobachtern an der SMM beteiligt, und in
welchen Orten bzw. Regionen der Ukraine kommen diese zum Einsatz (bitte
nach Anzahl und Einsatzorten auflisten)?

3. Welche Erkenntnisse konnte die Bundesregierung aus der Arbeit der SMM
bzw. aus anderen Informationsquellen – ggf. auch nachrichtendienstlicher
Herkunft – gewinnen, ob und in welchem Umfang bewaffnete paramilitäri-
sche Formationen im Einsatzgebiet der SMM als polizeiliche Ordnungskräfte
auftreten, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, und in welchen
Regionen oder Städten ist dies ggf. festzustellen?

4. Wie viele zivile Beobachterinnen und Beobachter nehmen derzeit an der
kürzlich verlängerten OSZE-Grenzbeobachtungsmission an den zwei russi-
schen Grenzkontrollpunkten Gukovo und Donezk teil, und wie sieht nach
Kenntnis der Bundesregierung der aktuelle Diskussions- und Verhandlungs-
stand zur Ausweitung ihrer Aktivitäten auf den gesamten Grenzverlauf
zwischen Russland und den ostukrainischen Konfliktgebieten aus?

5. Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung gegenwärtig die
Arbeit der zivilen OSZE-Grenzbeobachtungsmission?

6. Welchen personellen, logistischen und technischen Aufwand würde eine
Ausweitung der zivilen OSZE-Grenzbeobachtungsmission auf die gesamte
ukrainisch-russische Staatsgrenze nach Einschätzung der Bundesregierung
mit sich bringen, und welchen Beitrag wäre die Bundesregierung ggf. bereit,
hierfür zu übernehmen?

7. In welchem Umfang und in welchem Zeitraum kamen darüber hinaus nach
Kenntnis der Bundesregierung seit Konfliktbeginn auch Beobachterinnen
und Beobachter aus Mitgliedsländern der OSZE nach dem Wiener Dokument
in der Ukraine zum Einsatz?

8. Worin bestanden die konkreten Aufgaben der Beobachterinnen und Beobach-
ter, die sich nach dem Wiener Dokument in der Ukraine bislang aufhielten,
und mit wie viel Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat sich die Bundesrepu-
blik Deutschland daran beteiligt?

9. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die militärischen Aktivi-
täten in den zuletzt von bewaffneten Auseinandersetzungen am stärksten be-
troffenen Gebieten um den Flughafen Donezk, die Stadt Debalzewe, nördlich
der Stadt Luhansk und nordöstlich der Stadt Mariupol entwickelt, und seit
wann bzw. in welchem Zeitraum seit Vereinbarung des Waffenstillstands
konnte tatsächlich eine Einstellung der militärischen Auseinandersetzungen
erreicht werden?

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10. Welche Erkenntnisse – ggf. auch nachrichtendienstlicher Herkunft – hat die
Bundesregierung über die aktuellen militärischen Kräfteverhältnisse und
Ausstattung der Konfliktparteien mit konventionellen Waffensystemen in
dem Konfliktgebiet
a) hinsichtlich der aktuellen Personalstärke und Ausstattung der regulären

ukrainischen Streitkräfte mit konventionellen Waffensystemen,
b) hinsichtlich der aktuellen Personalstärke und Ausstattung der ukraini-

schen Freiwilligenbataillone bzw. ukrainischen paramilitärischen For-
mationen mit konventionellen Waffensystemen,

c) hinsichtlich der aktuellen Personalstärke und Ausstattung der aufstän-
dischen Formationen mit konventionellen Waffensystemen?

11. Welche militärischen Konfliktparteien haben in welchem Umfang seit Be-
ginn des bewaffneten Konflikts in der Donbass-Region nach Kenntnis der
Bundesregierung auch bezahlte Söldner aus dem Ausland oder Angehörige
von privaten Sicherheitsfirmen für die militärischen Auseinandersetzungen
rekrutiert (bitte möglichst nach Konfliktpartei bzw. Formation, Söldneran-
zahl und Herkunftsland auflisten)?

12. Welche Erkenntnisse – ggf. auch nachrichtendienstlicher Herkunft – hat die
Bundesregierung über die Kommandostrukturen bzw. Befehlskette inner-
halb der ukrainischen Freiwilligenbataillone bzw. ukrainischen paramilitä-
rischen Formationen in dem Konfliktgebiet, und inwieweit fand hierbei
nach Kenntnis der Bundesregierung in der Vergangenheit insbesondere auch
ein koordiniertes militärisches Zusammenwirken mit den regulären ukraini-
schen Streitkräften statt?

13. Welche Erkenntnisse – ggf. auch nachrichtendienstlicher Herkunft – hat die
Bundesregierung über die Kommandostrukturen/Befehlskette innerhalb der
bewaffneten aufständischen Formationen in den abtrünnigen Donbass-Ge-
bieten, und inwieweit haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die
aufständischen Formationen in der Vergangenheit untereinander vernetzt
und ihr militärisches Vorgehen koordiniert?

14. Welche militärisch aktiven, aufständischen Formationen sind der Bundes-
regierung in den abtrünnigen Donbass-Gebieten bekannt, und worin unter-
scheiden sich diese nach Kenntnis der Bundesregierung ggf. hinsichtlich
ihrer politischen Zielsetzungen?

15. Wie haben nach Kenntnis der Bundesregierung die überwiegend pro-rus-
sisch orientierten militärischen Formationen auf die Ausrufung einer eige-
nen „Volksrepublik Stachanow“ der Don-Kosaken in dem Konfliktgebiet
reagiert, bzw. wie hat sich seitdem das Verhältnis zwischen den prorussisch
orientierten militärischen Formationen und den militärischen Formationen
der Don-Kosaken entwickelt (vgl. Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL,
Nr. 51, S. 96 bis 98)?

16. Welche Zugangsmöglichkeiten haben nach Kenntnis der Bundesregierung
die Beobachtungsteams der OSZE gegenwärtig zu den von den ukraini-
schen Streitkräften bzw. ukrainischen Freiwilligenbataillonen militärisch
kontrollierten Gebieten in der Konfliktregion, und welche Erkenntnisse hat
die Bundesregierung ggf. über die aktuelle Sicherheitslage der unbewaff-
neten OSZE-Beobachtungsteams?

17. Welche Zugangsmöglichkeiten haben nach Kenntnis der Bundesregierung
die Beobachtungsteams der OSZE gegenwärtig zu den von den bewaffneten
aufständischen Formationen militärisch kontrollierten Gebieten in der Don-
bass-Region, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung ggf. über
die aktuelle Sicherheitslage der unbewaffneten OSZE-Beobachtungsteams?

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18. Wie sieht laut Memorandum vom 19. September 2014 der aktuelle Stand bei
der Festlegung des Verlaufs der Kontaktlinie zwischen den militärischen
Konfliktparteien aus, und an welchen Abschnitten konnte die Kontaktlinie
bereits definiert werden (bitte näher erläutern oder topografisch darstellen)?

19. Wie viele militärische Gefangene und andere gesetzwidrig festgehaltene
Personen wurden gemäß Punkt 5 des Minsker Protokolls nach Kenntnis der
Bundesregierung bei dem Gefangenenaustausch im Dezember 2014 frei-
gelassen, und wie viele Personen werden ggf. immer noch von wem fest-
gehalten (vgl. Antwort zu Frage 22 auf Bundestagsdrucksache 18/3476)?

20. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die humanitäre und
menschenrechtliche Situation der vormals oder aktuell gefangen gehaltenen
Personen, und wie beurteilt die Bundesregierung insbesondere die Einhal-
tung des humanitären Kriegsvölkerrechts durch die militärischen Konflikt-
parteien in den umkämpften Gebieten und im Umgang mit gefangen ge-
nommenen Personen (bitte getrennt nach Konfliktpartei näher erläutern)?

21. Wie viele der bei dem Gefangenenaustausch freigekommenen Personen
sind nach Kenntnis der Bundesregierung als Angehörige von militärischen
bzw. paramilitärischen Formationen (Kombattanten) einzustufen, und wie
viele Zivilisten und Zivilistinnen wurden ggf. bei dem Gefangenenaus-
tausch ebenfalls freigelassen (bitte möglichst nach Anzahl, Konfliktpartei
und Kombattant bzw. Nichtkombattant auflisten)?

22. Wie viele der gegenwärtig noch gefangenen bzw. gesetzwidrig festgehalte-
nen Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung als Angehörige von
militärischen bzw. paramilitärischen Formationen (Kombattanten) einzu-
stufen, und wie viele Zivilisten und Zivilistinnen befinden sich ggf. unter
den gegenwärtig noch festgehaltenen Personen (bitte möglichst nach An-
zahl, Konfliktpartei und Kombattant bzw. Nichtkombattant auflisten)?

23. In welchem Umfang wurde nach Kenntnis der Bundesregierung gemäß
Punkt 10 des Minsker Protokolls damit begonnen, ungesetzlich bewaffnete
Kräfte, militärisches Gerät sowie Kämpfer und Söldner aus dem Territorium
der Ukraine abzuziehen, und über welche Möglichkeiten verfügt die OSZE
im Rahmen ihres aktuellen Mandatsauftrags, diesen Abzug in der Praxis
tatsächlich zu überprüfen?

24. In welchem Umfang und in welchen Regionen des Konfliktgebiets wurde
nach Kenntnis der Bundesregierung mit der humanitären Minenräumung
begonnen, und über welche Möglichkeiten verfügt die OSZE im Rahmen
ihres aktuellen Mandatsauftrags, den Minenräumungsprozess in der Praxis
tatsächlich zu überprüfen?

25. Wie sieht nach Kenntnis der Bundesregierung der aktuelle Stand bei der
unter Punkt 7 des Minsker Protokolls vereinbarten Fortführung eines
„Inklusiven Nationalen Dialogs“ in der Ukraine aus, und welche Dialog-
partnerinnen und Dialogpartner sollen nach Kenntnis der Bundesregierung
daran teilnehmen und sich über welche konkreten Schwerpunktthemen ver-
ständigen?

26. Welche konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Lage der
Bevölkerung und zum wirtschaftlichen Wiederaufbau der von schweren
Zerstörungen betroffenen Donbass-Region hat die ukrainische Regierung
gemäß den Punkten 8 und 11 des Minsker Protokolls bereits durchgeführt,
und wie haben sich diese Maßnahmen bislang ausgewirkt (vgl. Antwort zu
Frage 22 auf Bundestagsdrucksache 18/3476)?

27. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über aktuelle Entwicklungen
in der Frage eines eigenen Sonderstatusgesetzes für die abtrünnigen Don-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3770
bass-Gebiete gemäß Punkt 3 des Minsker Protokolls, und welche Stand-
punkte vertreten gegenwärtig die Konfliktparteien in dieser Frage?

28. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Pläne des amtieren-
den serbischen OSZE-Vorsitzes zur weiteren Implementierung des Minsker
Protokolls und des Memorandums, und mit welchen konkreten Aktivitäten
gedenkt die Bundesregierung diese Bemühungen zu unterstützen?

29. Welche eigenen Initiativen beabsichtigt die Bundesregierung mit Blick auf
die deutsche Übernahme des OSZE-Vorsitzes im Jahr 2016 in ihrer Eigen-
schaft als Mitglied der OSZE-Troika vorzubereiten, um die Sicherheitslage
in dem Konfliktgebiet zu stabilisieren und zur Demobilisierung der mili-
tärischen Konfliktparteien beizutragen?

Berlin, den 15. Januar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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