BT-Drucksache 18/3769

Die Praxis der Abschiebungshaft und Fragen zum Haftvollzug

Vom 14. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3769
18. Wahlperiode 14.01.2015
Große Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, Petra Pau,
Martina Renner, Kersten Steinke, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und
der Fraktion DIE LINKE.

Die Praxis der Abschiebungshaft und Fragen zum Haftvollzug

Am 7. Juli 2011 beschloss der Deutsche Bundestag Gesetzesänderungen zur
Umsetzung der Richtlinie der Europäischen Union (EU) vom 16. Dezember
2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rück-
führung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (2008/115/EG). Einer der um-
strittensten Punkte war die Vorgabe in Artikel 16 Absatz 1 dieser Richtlinie, wo-
nach eine Inhaftierung von Abschiebungshäftlingen „grundsätzlich in speziellen
Hafteinrichtungen“ erfolgen muss. Nur für den Fall, dass „in einem Mitglied-
staat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden“ sind, ist ausnahms-
weise eine „Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten“ zulässig. Die gesetz-
liche Neuregelung erlaubt dementgegen – trotz der Kritik von Sachverständigen
und entgegen einer Stellungnahme der Europäischen Kommission (vgl. hierzu
die Vorbemerkung der Fragesteller und die Antwort der Bundesregierung zu den
Fragen 5, 6 und 10 auf Bundestagsdrucksache 17/10597) – eine Inhaftierung in
„normalen“ Haftanstalten bereits, wenn nur in dem entsprechenden Bundesland
keine speziellen Einrichtungen vorhanden sind (§ 62a Absatz 1 Satz 2 des Auf-
enthaltsgesetzes – AufenthG). Dieser Verstoß gegen das EU-Recht wurde vom
Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 17. Juli 2014 (C-473/13 und
C-514/13) beendet: Die föderale Struktur eines Mitgliedstaates entbindet diesen
danach nicht von der Verpflichtung, Abschiebungshäftlinge grundsätzlich in
einer speziellen Hafteinrichtung unterzubringen. Die Bundesregierung hatte
sich zuvor im November 2013 auf Anfrage geweigert, sich für eine Entlassung
der mutmaßlich zu Unrecht inhaftierten Abschiebungshaftgefangenen einzuset-
zen, obwohl zu diesem Zeitpunkt durch die Vorlageentscheidung des Bundes-
gerichtshofs an den EuGH deutlich geworden war, dass die deutsche Rechtslage
wahrscheinlich gegen EU-Recht verstößt (vgl. die Schriftlichen Fragen 11
und 12 der Abgeordneten Ulla Jelpke auf Bundestagsdrucksache 18/36). Der
Förderverein PRO ASYL e. V. nannte es in einer Pressemitteilung vom 17. Juli
2014 einen „Skandal, dass sehenden Auges jahrelang rechtswidrig inhaftiert
wurde“ und der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland forderte in derselben
Pressemitteilung, das Instrument der Abschiebungshaft grundlegend auf den
Prüfstand zu stellen und auf Alternativen zur Haft – statt auf teure Abschie-
bungseinrichtungen – zu setzen.
Die Fraktion DIE LINKE. fordert seit Langem die Abschaffung der Abschie-
bungshaft (vgl. z. B. den Antrag „Grundsätzliche Überprüfung der Abschie-
bungshaft, ihrer rechtlichen Grundlagen und der Inhaftierungspraxis in Deutsch-
land“ auf Bundestagsdrucksache 16/3537 vom 21. November 2006). Bereits im
Jahr 2006 gab es Schätzungen, wonach 30 bis 40 Prozent der Betroffenen zu Un-
recht inhaftiert werden und die Abschiebungshaft zu häufig, zu leichtfertig und

Drucksache 18/3769 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
zu lange angeordnet wird (ebd., S. 3). Im Januar 2014 wies die Fraktion DIE
LINKE. in einer Kleinen Anfrage darauf hin, dass nach den Einschätzungen und
empirischen Auswertungen des Rechtsanwalts Peter Fahlbusch davon ausge-
gangen werden muss, dass eine Vielzahl von Abschiebungshäftlingen zu Un-
recht in Haft genommen oder zu lange ihrer Freiheit beraubt wird: Fast die
Hälfte der von ihm vor Gericht vertretenen 868 Personen musste wegen Rechts-
verstößen entlassen werden, 421 von ihnen befanden sich 11 860 Tage rechts-
widrig in Haft, im Durchschnitt 28 Tage, was Peter Fahlbusch als ein „rechtstaat-
liches Desaster“ bezeichnete (vgl. Vorbemerkung der Fragesteller auf Bundes-
tagsdrucksache 18/249).
Ein möglichst detaillierter Überblick über die Praxis der Abschiebungshaft
sollte nicht zuletzt angesichts der vielen rechtswidrigen Abschiebungshaftfälle
auch im Interesse der Bundesregierung sein. Aus Sicht der Fragesteller ist es be-
fremdlich, dass die Bundesregierung trotz mehrfacher Nachfragen in den letzten
Jahren keinerlei Angaben zur Zahl der Abschiebungsinhaftierungen durch die
Bundespolizei machen kann oder will – dies betrifft vor allem die Zahl der im
Rahmen des Dublin-Verfahrens inhaftierten Personen (vgl. z. B. Bundestags-
drucksache 18/2256, Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 22).
Dass es in diesem Bereich keinerlei statistische Auswertung zur Kontrolle gibt,
obwohl es um den schwerwiegenden Eingriff in die Freiheitsrechte strafrecht-
lich unschuldiger Personen geht, ist nicht akzeptabel. Im April 2014 erklärte
der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Dr. Ole
Schröder, auf die Frage nach zumindest ungefähren Einschätzungen fachkundi-
ger Bediensteter der Bundespolizei zum Umfang von Inhaftierungen bei Kon-
trollen aufgegriffener Personen wegen Verdachts der unerlaubten Einreise bzw.
des unerlaubten Aufenthalts (Bundestagsdrucksache 18/1128, Antwort der Bun-
desregierung auf die Schriftliche Frage 28), dass „weder die Bundespolizei noch
die Bundesregierung […] Schätzungen zum Umgang der Beantragung von Haft
oder zu deren Anordnung durch die zuständigen Gerichte“ abgäben. Das Ergeb-
nis ist, dass keinerlei offizielle Angaben, nicht einmal Einschätzungen dazu vor-
liegen, in welchem Umfang z. B. Schutz suchende Flüchtlinge in Deutschland
nach ihrer unerlaubten Einreise inhaftiert werden und in vielen Fällen dies zu
Unrecht geschieht. Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälte und Fachverbände
schätzten, dass „Dublin-Fälle“ etwa 60 bis 80 Prozent aller Abschiebungshaft-
fälle ausmachen (vgl. Vorbemerkung der Fragesteller auf Bundestagsdrucksache
18/249).
Allerdings gibt es seit Mitte des Jahres 2014 infolge einer Entscheidung des
Bundesgerichtshofs kaum noch Inhaftierungen im Rahmen des Dublin-Verfah-
rens. Im März 2014 hatte die Abgeordnete Ulla Jelpke die Bundesregierung im
Rahmen der Schriftlichen Frage 5 auf Bundestagsdrucksache 18/886 mit der
Rechtsauffassung konfrontiert, dass Inhaftierungen im Überstellungsverfahren
nach Inkrafttreten der Dublin-III-Verordnung grundsätzlich unzulässig sein
dürften, weil es an der von der Verordnung geforderten gesetzlichen Normierung
objektiver Kriterien zur Feststellung einer erheblichen Fluchtgefahr fehle, und
nach Konsequenzen gefragt. Die Bundesregierung erklärte, sie prüfe noch den
gesetzlichen Umsetzungsbedarf, nationale Regelungen würden jedoch – so die
Begründung – „ausnahmeweise nicht verdrängt, wenn diese notwendig sind, um
der [Dublin-]Verordnung zu ihrer Wirksamkeit zu verhelfen“. Die einzig rich-
tige Konsequenz wäre jedoch gewesen, alle Schutzsuchende, die mit der
Begründung einer erheblichen Fluchtgefahr in Dublin-Haft genommen worden
waren (und das sind nahezu alle), sofort zu entlassen, wie es die Parlamenta-
rierin in einer Pressemitteilung vom 25. März 2014 gefordert hatte.
Erneut war eine höchstrichterliche Entscheidung erforderlich, um den Skandal
rechtswidriger Inhaftierungen zu beenden: Am 26. Juni 2014 befand der Bun-
desgerichtshof (BGH, Beschluss V ZB 31/14), dass die Gesetzeslage in
Deutschland den Vorgaben des EU-Rechts nicht entspricht, dies sei auch so „ein-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3769
deutig“ (Rn. 27), dass eine Vorlage an den EuGH zur Klärung dieser Frage nicht
erforderlich sei. Das Gericht weiter: „Die Folge dessen ist allerdings, dass nach
der gegenwärtigen Gesetzeslage in der Bundesrepublik Deutschland die Haft zur
Sicherung von Überstellungsverfahren nach Artikel 28 der Dublin-III-Verord-
nung nicht auf Fluchtgefahr bzw. Entziehungsabsicht des Betroffenen gestützt
werden kann“ (Rn. 27). In der Folge mussten nahezu alle Dublin-Häftlinge in
Deutschland entlassen werden, in Zuständigkeit des Bundes waren es 31 Per-
sonen (Bundestagdrucksache 18/2256, Antwort der Bundesregierung auf die
Schriftliche Frage 22). Die Bundesregierung erklärte auf Anfrage, die Entschei-
dung des BGH habe „Rechtsklarheit“ geschaffen, mit dem Gesetz zur Neube-
stimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung würden die erforder-
lichen Rechtsgrundlagen geschaffen (Bundestagdrucksache 18/2256, Antwort
der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 21).
Nach einer Länderabfrage der „taz.die tageszeitung“ vom 23. Juli 2014 („Tür an
Tür mit Kriminellen“) befanden sich nach den Entscheidungen des EuGH und
des BGH Mitte Juli 2014 bundesweit „nur“ noch insgesamt 90 Personen in Ab-
schiebungshaft. Die Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband
Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V., der Förderverein PRO
ASYL e. V. und der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland forderten die Innen-
minister des Bundes und der Länder in einem offenen Brief vom 10. Dezember
2014 dazu auf, den „historischen Tiefstand bei der Abschiebungshaft“ zu nut-
zen, um die verbliebenen, teuren Abschiebungshafteinrichtungen zu schließen
und Alternativen zur Zwangsmaßnahme Haft zu entwickeln. Immer noch sei
„ein erheblicher Teil der Haftbeschlüsse fehlerhaft“. Dabei diene der erhebliche
Eingriff in die Grundrechte, verbunden mit gravierenden psychischen und
physischen Folgen für die Betroffenen, der bloßen Sicherung einer Verwaltungs-
maßnahme. Die Planungen der Bundesregierung enthielten „ausufernde Krite-
rien“ zur Inhaftierung Schutzsuchender im Dublin-Verfahren.
Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. zum Thema Abschiebungshaft (vgl. Bundestagsdrucksache 17/10597)
geht unter anderem hervor, dass die Zahl der Abschiebungshäftlinge in den Jah-
ren 2008 bis 2011 von 8 805 auf 6 466 Personen gesunken ist, die Zahl der in-
haftierten Minderjährigen reduzierte sich von 214 auf 61 (Antwort der Bundes-
regierung auf die Große Anfrage zu Frage 46). Ein Viertel aller Haftfälle im Jahr
2011 dauerten länger als sechs Wochen (Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage zu Frage 53). Nur acht Bundesländer (es fehlten maßgebliche
Flächenländer) konnten differenzierte Angaben zur Dublin-Haft machen (Ant-
wort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zu Frage 64). Acht Bundes-
länder nutzten zum damaligen Zeitpunkt verbotenerweise herkömmliche Haft-
anstalten für die Abschiebungshaft, darunter die wichtigen Flächenländer Nord-
rhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern (Antwort der Bundes-
regierung auf die Große Anfrage zu den Fragen 38, 45, 61). Im Jahr 2011 ging
etwa einem Drittel aller Abschiebungen eine Haft voraus (nur zwölf Länder
gaben hierzu Auskunft), 2008 waren es demgegenüber noch 44 Prozent (Ant-
wort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zu Frage 55). Die Rück-
führungsrichtlinie der EU (2008/115/EG) sieht einen Vorrang „freiwilliger“
Ausreisen (Erwägungsgrund 10, Artikel 7) und die Anwendung von Zwangs-
maßnahmen und eine Abschiebungshaft nur als „letztes Mittel“ (Artikel 8 Ab-
satz 4) vor. Mehrere Bundesländer gehen inzwischen Kooperationen ein, um ge-
meinsam spezielle Abschiebungshafteinrichtungen zu nutzen (vgl. taz.die
tageszeitung vom 23. Juli 2014, „Tür an Tür mit Kriminellen“).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Personen befanden sich nach Länderangaben zu den Stichtagen

30. Juni 2012, 30. Juni 2013, 30. Juni 2014 (hilfsweise jeweils zum 31. De-

Drucksache 18/3769 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
zember) und zum letzten aktuellen Zeitpunkt in Abschiebungshaft (bitte nach
Bundesländern, Geschlecht und Altersgruppen in der Gliederung bis 16 Jahre,
16 bis 17 Jahre, 18 bis 59 Jahre, 60 Jahre und älter auflisten und zudem nach
Haft im Abschiebungs- bzw. im Dublin-Überstellungsverfahren unterschei-
den, soweit möglich)?

2. Wie viele Personen waren nach Länderangaben in den Jahren 2012, 2013,
2014 bzw. im Jahr 2015 (soweit vorliegend) in Abschiebungshaft (bitte nach
Bundesländern, Geschlecht und Altersgruppen in der Gliederung bis 16 Jahre,
16 bis 17 Jahre, 18 bis 59 Jahre, 60 Jahre und älter auflisten und zudem nach
Haft im Abschiebungs- bzw. im Dublin-Überstellungsverfahren unterschei-
den, soweit möglich; bitte auch kenntlich machen, wie viele dieser Personen
in speziellen Abschiebungshafteinrichtungen bzw. in herkömmlichen Justiz-
vollzugsanstalten bzw. in anderen Einrichtungen inhaftiert waren; bitte wei-
terhin angeben, wie viele besonders schutzbedürftige Personen – Schwan-
gere, Minderjährige, Ältere, Behinderte usw. – in Haft waren)?

3. Welche Staatsangehörigkeiten hatten nach Länderangaben die in den Jahren
2012, 2013, 2014 und 2015 in Abschiebungshaft befindlichen Personen (bitte
nach den zehn wichtigsten Staatsangehörigkeiten und Bundesländern diffe-
renzieren)?

4. Welche Abschiebungshafteinrichtungen an welchen Standorten gibt es nach
Kenntnis der Bundesregierung in den einzelnen Bundesländern (bitte auch
Angaben zu deren maximaler Belegungszahl, Betreibern und etwaigen Be-
sonderheiten machen), und welche speziellen Vollzugsregelungen gelten
nach Länderangaben in diesen Einrichtungen, etwa in Bezug auf Einschluss-
zeiten, Besuchsregelungen (Zeiten, Häufigkeit usw.), Nutzung von privaten
Mobiltelefonen, sonstigen Kommunikationsmöglichkeiten, Tragen privater
Kleidung, eigener Essenszubereitung, Beschäftigungs- und/oder Freizeit-
möglichkeiten usw.?

5. Welche konkreten Konsequenzen (Rundschreiben, Anweisungen, Bespre-
chungen, Schließungen, Neu- oder Umbauten von Hafteinrichtungen, Ent-
lassungen, Verlegungen, Entschädigungen von Abschiebungshäftlingen in
welcher Zahl usw.) gab es in den einzelnen Bundesländern infolge der Ent-
scheidungen des BGH vom 26. Juni 2014 bzw. des EuGH vom 17. Juli 2014
(siehe Vorbemerkung)?

6. Welche Absprachen, Pläne und konkrete Vereinbarungen zwischen den ein-
zelnen Bundesländern gibt es nach Länderangaben zur bundesländerüber-
greifenden Nutzung von Abschiebungshafteinrichtungen, in welchem Um-
fang und unter welchen Bedingungen (Kostenerstattung usw.) wird hiervon
Gebrauch gemacht, wie wird mit Beeinträchtigungen für in anderen Bundes-
ländern Inhaftierte umgegangen (Herauslösung aus dem bekannten Umfeld,
längere Anfahrtswege für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und Ver-
wandte und Bekannte usw.), und inwieweit werden diese Umstände auch bei
der Frage der Verhältnismäßigkeit der Beantragung von Abschiebungshaft
berücksichtigt?

7. In welchen Abschiebungshafteinrichtungen werden nach Länderangaben
einzelne Aufgaben oder der Betrieb dieser Einrichtungen durch private Un-
ternehmen in welchem Umfang, seit wann, und unter welchen Bedingungen
(Kosten, Personal, Kontrollen usw.) wahrgenommen?

8. Welche Kenntnisse haben die Bundesländer zu den Rechtsgrundlagen bzw.
der Art der beantragten bzw. der vollzogenen Abschiebungshaft (z. B. Siche-
rungs- oder Vorbereitungshaft, Haft vor Abschiebung oder Haft vor Überstel-
lung im Dublin-Verfahren; bitte nach Bundesländern und den Jahren 2012,
2013, 2014 und 2015 differenzieren)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3769
9. Welche Kenntnisse oder Einschätzungen der Bundesländer gibt es zu der
Anzahl der in den Jahren 2012, 2013, 2014 und 2015 gestellten Abschie-
bungshaftanträge bzw. dazu, wie viele dieser Anträge von den Gerichten
zurückgewiesen bzw. wie viele im Verlauf der Haft wieder aufgehoben
wurden (bitte nach Jahren und Bundesländern differenziert und in absolu-
ten und relativen Zahlen angeben und, soweit möglich, nach Haft vor einer
Abschiebung bzw. vor einer Überstellung differenzieren)?

10. Mit welchen Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Rundschreiben usw. wird
die Abschiebungshaft in den einzelnen Bundesländern nach Länderangaben
geregelt (bitte nach Bundesländern differenzieren)?

11. Wie viele Personen befanden sich nach Länderangaben in den Jahren 2012,
2013, 2014 und 2015 für wie lange in Abschiebungs- bzw. Überstellungs-
haft (bitte differenzieren, auch nach Bundesländern, Geschlecht, über bzw.
unter 18 Jahre alt und Zeitdauer: bis zu zwei Wochen, zwei bis sechs Wo-
chen, sechs Wochen bis drei Monate, drei bis sechs Monate, sechs bis zwölf
Monate, zwölf bis 15 Monate, 15 bis 18 Monate), bei welchen Staatsange-
hörigkeiten sind besonders lange Haftzeiten festzustellen, und welche
Gründe gibt es hierfür?

12. Wie viele Personen in Abschiebungshaft wurden nach Länderangaben wie-
der entlassen, welche Kenntnisse oder Einschätzungen liegen zu den Grün-
den hierfür vor (z. B. freiwillige Ausreise, richterliche Anordnung, Än-
derung der Sachlage usw.; bitte nach Jahren, seit dem Jahr 2012, Bundes-
ländern und Haft im Abschiebungs- bzw. Dublin-Überstellungsverfahren
differenzieren), und in Bezug auf welche Staatsangehörigkeiten sind welche
Besonderheiten festzustellen?

13. Wie vielen Abschiebungen bzw. Überstellungen (bitte differenzieren) ging
nach Länderangaben in den Jahren 2012, 2013, 2014 und 2015 eine Ab-
schiebungs- bzw. Überstellungshaft voraus (bitte nach Jahren und Bundes-
ländern und den fünf wichtigsten Staatsangehörigkeiten auflisten und in ab-
soluten und relativen Zahlen angeben)?

14. Welche Geldbeträge wurden nach Länderangaben seit dem Jahr 2012 von
Abschiebungshäftlingen zur Begleichung der Kosten für die Abschiebungs-
haft bzw. für Abschiebungen einbehalten (bitte nach Jahren und Bundeslän-
dern sowie Kosten für Haft bzw. Abschiebung differenziert auflisten), wel-
che Geldbeträge wurden im Nachhinein eingenommen, etwa im Rahmen
späterer Wiedereinreisen, und welche Regelungen gelten diesbezüglich (zur
Kostenbegleichung als Bedingung einer Wiedereinreise: Ausnahmerege-
lungen, Fristen usw.)?

15. Wie hoch waren nach Länderangaben seit dem Jahr 2012 die Anzahl und der
Anteil derjenigen Abschiebungshäftlinge, die direkt im Anschluss an eine
Strafhaft in Abschiebungshaft genommen wurden, und wie viele Personen
wurden direkt im Anschluss an eine Strafhaft abgeschoben (bitte jeweils
nach Jahren und Bundesländern differenziert auflisten)?

16. Wie werden nach Länderangaben die Vorgaben des Artikels 17 der EU-
Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG (im Folgenden: EU-Rückführungs-
richtlinie) zur Inhaftnahme von Minderjährigen und Familien konkret um-
gesetzt, welche Regelungen, Anweisungen, Rundschreiben, Modelle usw.
gibt es diesbezüglich (bitte differenziert nach den einzelnen Bundesländern
beantworten und Änderungen gegenüber der Antwort auf die Große An-
frage aus dem Jahr 2012 – Bundestagsdrucksache 17/10597, Frage 34 –
kenntlich machen), wann liegt z. B. ein „äußerster Fall“ vor, in dem eine In-
haftierung ausnahmsweise zulässig ist, als was wird eine „kürzestmögliche
angemessene Dauer“ angesehen, welche Höchstdauern gibt es, welche ge-
sonderten Unterbringungen für Familien gibt es, wie wird ein „angemesse-
nes Maß an Privatsphäre gewährleistet“, wie und in welchem Umfang wer-

Drucksache 18/3769 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
den Freizeitbeschäftigungen und Spielmöglichkeiten oder ein „Zugang zur
Bildung“ gewährleistet, wie wird dem Vorrang des Kindeswohls bei der In-
haftierung Minderjähriger Rechnung getragen, und wie sind entsprechende
Einrichtungen beschaffen, die zur Berücksichtigung der altersgemäßen Be-
dürfnisse von Kindern in der Lage sind?

17. Wie wird nach Länderangaben Artikel 10 der EU-Rückführungsrichtlinie in
der Praxis umgesetzt, welche Regelungen, Anweisungen, Rundschreiben,
Modelle usw. gibt es diesbezüglich, welche „geeigneten Stellen“ werden in
den Bundesländern zur Unterstützung von unbegleiteten Minderjährigen
beteiligt, wie wird die Berücksichtigung des Kindeswohls in diesem Zusam-
menhang näher konkretisiert, und inwieweit beinhaltet die Vergewisserung
nach Artikel 10 Absatz 2 der EU-Rückführungsrichtlinie auch eine Prüfung,
ob die Übergabe an ein Mitglied der Familie, einen Vormund oder eine „ge-
eignete Aufnahmeeinrichtung“ im Rückkehrstaat dem Kindeswohl ent-
spricht (bitte nach den einzelnen Bundesländern differenziert beantworten
und Änderungen gegenüber der Antwort auf die Große Anfrage aus dem Jahr
2012 – Bundestagsdrucksache 17/10597, Frage 36 – kenntlich machen)?

18. Wie wird nach Länderangaben Artikel 16 Absatz 3 der EU-Rückführungs-
richtlinie in der Praxis umgesetzt, welche Regelungen, Anweisungen,
Rundschreiben, Modelle usw. gibt es diesbezüglich, insbesondere auch zur
Situation von traumatisierten Personen entsprechend Artikel 3 Nummer 9
der EU-Rückführungsrichtlinie (bitte nach den einzelnen Bundesländern
differenziert darstellen)?

19. Welche Regelungen bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung in den
Bundesländern zu den Geldbeträgen („Handgeld“), die den Betroffenen in
Abschiebungshaft bzw. bei der Abschiebung belassen bzw. nach einer Ab-
schiebung ausgehändigt werden, um z. B. die Weiterfahrt vom Flughafen an
den Herkunftsort oder erste Übernachtungen und Verpflegungen zu ermög-
lichen, und welche sonstigen Regelungen bestehen zu Gepäck und anderen
Dingen, die im Rahmen einer Abschiebung mitgenommen werden dürfen
(bitte differenziert nach den einzelnen Bundesländern beantworten)?

20. Welche Länderangaben liegen zum Umfang bzw. der Inanspruchnahme
ärztlicher bzw. psychotherapeutischer Behandlungen in Abschiebungshaft
seit dem Jahr 2012 vor (bitte nach Bundesländern und, soweit möglich, nach
Jahren differenzieren)?

21. Welche Formen der (kostenlosen) Rechtsvertretung, Rechtsberatung, Infor-
mation und sozialen Betreuung gibt es in den Abschiebungshafteinrichtun-
gen nach Länderangaben (bitte differenziert nach den einzelnen Bundeslän-
dern beantworten und Änderungen gegenüber der Antwort auf die Große
Anfrage aus dem Jahr 2012 – Bundestagsdrucksache 17/10597, Fragen 59
und 60 – kenntlich machen)?

22. Welche Länderangaben gibt es zu den Kosten der Abschiebungshaft (bitte
nach Bundesländern, Haftanstalten und Jahren – seit dem Jahr 2012 – diffe-
renzieren und durchschnittliche tägliche Kosten der Abschiebungshaft pro
Person – Tagessatz – und Gesamtkosten im Jahr angeben; diese, soweit
möglich, bitte auch nach Personal-, Dolmetscher-, Sach- bzw. Gebäudekos-
ten usw. differenzieren), und welche Landesregelungen gibt es dazu, welche
Kosten im Rahmen der Abschiebungshaft in welcher Höhe nach § 66
AufenthG in Rechnung gestellt werden?

23. Welche Länderangaben liegen zu den Kosten des Abschiebungsverfahrens
im Allgemeinen vor (bitte so differenziert wie möglich und nach Jahren
differenziert – seit dem Jahr 2012 – angeben, und z. B. Transportkosten,
Botschaftsvorführungen, Passbeschaffung, Sicherheitsbegleitung bei Ab-
schiebungen usw. anführen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/3769
24. Wie viele Personen in der Abschiebungshaft kamen seit dem Jahr 2012 nach
Länderangaben durch Fremdeinwirkung bzw. eigenes Handeln zu Schaden
oder nahmen sich das Leben (bitte nach Jahren und Bundesländern und, so-
weit möglich, nach konkreter Handlung und Datum differenzieren)?

25. Wie viele Personen wurden seit dem Jahr 2012 nach Länderangaben bzw.
ergänzender Kenntnis der Bundesregierung im Rahmen des Dublin-Über-
stellungsverfahrens in Haft genommen (bitte nach Jahren und Bundeslän-
dern differenziert antworten und, soweit vorhanden, weitere Angaben zur
Dauer der Inhaftierung, zur genauen Rechtsgrundlage, zu den fünf wichtigs-
ten Staatsangehörigkeiten bzw. Zielstaaten, zum Anteil der Minderjährigen,
zu Entlassungen und Gründen hierzu usw. machen), und wie vielen Über-
stellungen ging eine Inhaftierung voraus (bitte nach Jahren seit dem Jahr
2010 differenzieren)?

26. Welche Begründung hat die Bundesregierung dafür, dass die Bundespolizei
zu ihrer Tätigkeit umfangreiche statistische Angaben erhebt und aufbereitet,
aber ausgerechnet zur besonders grundrechtssensiblen Praxis der Inhaftie-
rung von Schutzsuchenden, insbesondere im Rahmen des Dublin-Verfah-
rens, über keinerlei statistische Angaben verfügt und hierzu nicht einmal
Einschätzungen vornehmen kann oder will (bitte begründet ausführen), und
welche Kenntnisse und Einschätzungen zu diesem Themenbereich liegen
ihr nach Befragung entsprechend fachkundiger Bediensteter der Bundes-
polizei überhaupt vor?

27. Welche Initiativen beabsichtigt die Bundesregierung oder hat sie gegebe-
nenfalls bereits unternommen, um zu Unrecht in Abschiebungshaft inhaf-
tierte Personen zu entschädigen oder eine Entschädigung zu veranlassen,
insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung in ihrem
Gesetzentwurf in § 62a Absatz 1 Satz 2 AufenthG die Grundlage für unions-
rechtswidrige Inhaftierungen in regulären Haftanstalten in den Bundeslän-
dern geschaffen hat, obwohl nach Auffassung der Fragesteller die Unverein-
barkeit dieser Regelung mit dem EU-Recht bereits zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens ersichtlich sein musste und vor dem Hintergrund, dass die
Bundesregierung bereits im März 2014 durch eine parlamentarische An-
frage auf die generelle Rechtswidrigkeit von Inhaftierungen im Dublin-Ver-
fahren mit der Begründung einer Fluchtgefahr nach Inkrafttreten der Dub-
lin-III-Verordnung hingewiesen worden war (siehe Vorbemerkung; bitte be-
gründen, insbesondere wenn die Bundesregierung diesbezüglich keine ei-
gene Verantwortung und auch keine zumindest moralische Verpflichtung
sehen sollte), welche Initiativen in den Bundesländern gibt es nach Kenntnis
der Bundesregierung hierzu, wie viele entsprechende Verfahren sind auf
Betreiben von Betroffenen anhängig, und welche Gerichtsentscheidungen
liegen hierzu gegebenenfalls bereits vor?

28. Welchen Umfang bzw. Anteil hatten nach Einschätzung fachkundiger Be-
diensteter der Bundespolizei bzw. des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge Inhaftierungen mit der Begründung einer Fluchtgefahr bzw.
Entziehungsabsicht an allen Inhaftierungen im Dublin-Verfahren, bevor der
Bundesgerichtshof diese im Juni 2014 für rechtswidrig erachtete (bitte zu-
mindest eine ungefähre Einschätzungen geben), in welchem Umfang, auf
welcher Rechtsgrundlage und mit welchen Begründungen fanden bzw. fin-
den nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs noch Inhaftierungen im Rah-
men des Überstellungsverfahrens statt, und welche Angaben können die
Bundesländer hierzu gegebenenfalls machen?

29. Welche Kenntnisse oder Einschätzungen hat die Bundesregierung oder ha-
ben fachkundige Bedienstete der ihr untergeordneten Bundesbehörden
dazu, wie viele Dublin-Verfahren (in absoluten – notfalls geschätzten – Zah-
len und anteilig an allen Dublin-Verfahren) betrieben werden, ohne dass die

Drucksache 18/3769 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Betroffenen an die zuständige Aufnahmeeinrichtung weitergeleitet werden,
etwa weil sie nach einem Aufgriff wegen des Verdachts der unerlaubten
Einreise bzw. des unerlaubten Aufenthalts inhaftiert wurden und eine Asyl-
antragstellung unter diesen Umständen nicht mehr zur Entlassung führen
muss oder weil kein Asylantrag gestellt wurde (bitte ausführen)?

30. Was entgegnet die Bundesregierung dem Vorhalt, dass die geplante gesetz-
liche Normierung der erheblichen Fluchtgefahr für Inhaftierungen im Dub-
lin-Verfahren in § 2 Absatz 15 i. V. m. § 2 Absatz 14 AufenthG-Entwurf
(Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neubestimmung des Bleiberechts
und der Aufenthaltsbeendigung) so umfassend ist (z. B. wenn Betroffene
ein anderes Mitgliedsland vor Abschluss eines laufenden Asylverfahrens
verlassen haben und ihn den Umständen nach auch nicht wieder aufsuchen
wollen oder wenn erhebliche Geldbeträge für Schleuser aufgewandt wur-
den, was angesichts fehlender legaler Einreisemöglichkeiten regelmäßig der
Fall ist), dass die Inhaftierung Schutzsuchender im Rahmen des Dublin-Ver-
fahrens nahezu immer möglich würde, obwohl die Dublin-III-Verordnung
regelt, dass eine Haft nicht allein deshalb erfolgen darf, weil Personen um
Schutz nachsuchen und dem Dublin-Verfahren unterliegen (vgl. Erwägungs-
grund 20 und Artikel 28 Absatz 1 der Dublin-III-Verordnung)?

31. Inwieweit wird sich die Bundesregierung vor dem Hintergrund der men-
schenrechtlichen Kritik an der Abschiebungshaft, den damit verbundenen
enormen Belastungen für die Betroffenen und zugleich hohen Kosten für
den Staat sowie der zuletzt deutlich zurückgegangenen Bedeutung der
Abschiebungshaft als Mittel zur Durchsetzung der Ausreisepflicht für eine
Abschaffung der Abschiebungshaft einsetzen bzw. zumindest dafür, dass
Alternativen zur Abschiebungshaft systematisch geprüft und bevorzugt an-
gewandt werden müssen (bitte ausführlich begründen)?

32. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Position der einzelnen Bun-
desländer zu der Frage nach einer generellen Abschaffung der Abschie-
bungshaft und verstärkten Entwicklung von Alternativen hierzu, vor dem
Hintergrund der Vielzahl rechtswidriger Abschiebungsinhaftierungen in der
Vergangenheit (vgl. Vorbemerkung der Fragesteller auf Bundestagsdruck-
sache 18/249), der hohen Kosten der Abschiebungshaft – auch im Verhältnis
zur zurückgehenden Zahl entsprechender Fälle –, der erheblichen Grund-
rechtsrelevanz und der Frage der Verhältnismäßigkeit einer Inhaftierung zur
Durchsetzung einer Verwaltungsmaßnahme usw.?

33. Welche Überlegungen, Initiativen, Konzepte, Weisungen oder andere Vor-
gaben gibt es nach Angaben der Bundesländer zur Vermeidung der Abschie-
bungshaft (z. B. Meldeauflagen, Förderung und Unterstützung der freiwilli-
gen Rückkehr), und welche praktischen Probleme und Folgerungen ergeben
sich aus Sicht der Bundesländer aus den zuletzt deutlich gesunkenen Fall-
zahlen, und wie lässt sich beispielsweise eine gute psychosoziale Betreu-
ung, Sprachmittlung usw. für Inhaftierte in Abschiebungshaft auch bei
geringen Fallzahlen aufrechterhalten, und sind die Kosten der Aufrecht-
erhaltung eigener Haftanstalten bei geringen Fallzahlen zu rechtfertigen
(bitte nach Bundesländern differenziert antworten)?

Berlin, den 13. Januar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.