BT-Drucksache 18/3763

Kontaminierte Kabinenluft in Verkehrsflugzeugen

Vom 14. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3763
18. Wahlperiode 14.01.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Markus Tressel, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden),
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kontaminierte Kabinenluft in Verkehrsflugzeugen

Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage (Bundestagsdruck-
sache 17/14437) der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Meldungen mit
kontaminierter Kabinenluft im Luftverkehr ergab einen sprunghaften Anstieg
von Meldungen mit kontaminierter Kabinenluft. Innerhalb eines Jahres vervier-
fachte sich die Zahl der gemeldeten Ereignisse. Es ist ein weiterer Beleg dafür,
dass Vorfälle mit kontaminierter Kabinenluft weitaus häufiger vorkommen, als
zunächst von der Bundesregierung in zahlreichen Antworten auf Kleine Anfra-
gen angegeben. Auch werden längst nicht alle Ereignisse, die den Bundesbehör-
den bekannt sind, offiziell gemeldet. Das bestätigte die Bundesregierung mit der
Antwort zu den Fragen 5 und 6 auf Bundestagsdrucksache 17/14437. Eine sta-
tistische Auswertung der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) zeigte
im Frühjahr 2014, dass die Zahl der untersuchten und den Behörden bekannten
Vorfälle im Vergleich zu den gemeldeten Fällen vergleichsweise gering ist.
Das Meldewesen gemäß Artikel 9 der Verordnung der EU VO (EU) 996/2010
funktioniert damit trotz aller Bemühungen der BFU weiterhin nur unzureichend,
auch weil viele Fälle dem Luftfahrt-Bundesamt (LBA) gemeldet werden und
nicht etwa der BFU. Eine umgehende Meldung ist nicht nur zu statistischen
Zwecken erforderlich. Sie ist allen voran Grundlage für weitere Untersuchun-
gen. Über den Zeitrahmen, wann Fälle gemeldet werden, gibt es keine exakte
Auskunft (vgl. Bundestagsdrucksache 18/222, Antwort zu Frage 10). Der Mel-
dezeitpunkt ist für die Untersuchung aber entscheidend. Die BFU bekommt aber
nur von einem Bruchteil der Fälle mit und stuft trotzdem viele dieser Fälle nach
eigenen Untersuchungen anders ein als das LBA (und die Airlines). Ein Beispiel
aus dem Jahr 2012: 201 Fälle mit kontaminierter Kabinenluft wurden dem LBA
gemeldet. Von 79 hat die BFU Kenntnis. Doch nur in 14 Fällen konnte eine
adäquate Untersuchung vorgenommen werden. Und dabei wurden acht schwere
Störungen festgestellt (vgl. ebd.), mit anderen Worten: In über 50 Prozent der
Fälle, in denen die BFU untersucht hat, kam sie zu anderen Ergebnissen als die
Airlines. Schwere Störungen sind Vorfälle, wo auch nicht das LBA sondern ex-
plizit die BFU zuständig ist. Im Umkehrschluss heißt es: 65 von 79 Fällen wur-
den der BFU nicht zeitnah übermittelt, um adäquat aufklären zu können.
Erfolgt eine Meldung verzögert oder nicht den Tatsachen entsprechend, wird
eine weitere Untersuchung von einer schweren Störung oder einem Unfall er-
heblich und nach Auffassung der Fragesteller teils vorsätzlich behindert. Bis-
lang hieß es bei der Bundesregierung: „Der Tatbestand einer schweren Störung
nach § 5 LuftVO lag nicht vor.“ (Bundestagsdrucksache 17/5371, Antwort zu
Frage 18). Das hat sich gemäß der jüngsten Zahlen geändert. Die Bundesregie-
rung spricht mittlerweile in der Antwort auf die jüngste Kleine Anfrage (Bun-

Drucksache 18/3763 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
destagsdrucksache 18/222) von acht schweren Störungen – alleine für das Jahr
2012. Und es werden immer mehr. Denn in der Antwort auf die Kleine Anfrage
(Bundestagsdrucksache 17/14437) waren es „nur“ sieben.
In Artikel 23 der VO (EU) 996/2010 über die Untersuchung und Verhütung von
Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt heißt es: „Die Mitgliedstaaten legen
Regeln für Sanktionen bei Verstößen gegen diese Verordnung fest. Die vorgese-
henen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“
Neben dem bekannten Problem des Underreportings wurden gemäß der Antwort
auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/222 bei den Meldungen
qualitative Unterschiede festgestellt (Antwort zu den Fragen 8 und 9).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Fälle (fume-/smell-/odour-events) sind der Bundesregierung im

Zusammenhang mit in der Kabine und bzw. oder dem Cockpit vorkommen-
den Öldämpfen, Öl Dämpfen, Ölgeruch, Öl Geruch oder ähnlichem bekannt
(bitte einzeln pro Jahr für die letzten sieben Jahre auflisten)?
a) Wie viele Fälle davon sind in den letzten sieben Jahren als Störungen bei

deutschen Behörden (LBA, BFU) erfasst worden (bitte einzeln pro Jahr
auflisten)?

b) Wie viele Fälle davon sind in den letzten sieben Jahren als Störungen an
die Europäische Agentur für Flugsicherheit – EASA gemeldet und in der
Datenbank European Coordination Centre for Aircraft Incident Reporting
System (ECCAIRS) registriert worden?

c) Wie viele Fälle sind in den letzten sieben Jahren als schwere Störungen bei
deutschen Behörden erfasst worden (bitte einzeln pro Jahr auflisten)?

d) Wie viele Fälle davon sind in den letzten sieben Jahren als schwere Stö-
rungen an die EASA gemeldet und in der Datenbank ECCAIRS erfasst
worden?

e) Wie viele Fälle sind in den letzten sieben Jahren als Unfälle registriert
worden (bitte einzeln pro Jahr auflisten)?

f) Wie viele Fälle davon sind in den letzten sieben Jahren als Unfälle an die
EASA gemeldet und in der Datenbank ECCAIRS erfasst worden?

2. Wie viele Fälle sind insgesamt in den letzen sieben Jahren als Störung,
schwere Störung und Unfall in der Datenbank ECCAIRS erfasst worden
(bitte einzeln nach Jahr und klassifiziertem Ereignis auflisten)?

3. Gibt es bei Störungen, schweren Störungen und Unfällen Unterschiede hin-
sichtlich der Flugzeugmuster und der genutzten Triebwerke (Hersteller und
Zwei- bzw. Dreiwellentechnologie)?
Wenn ja, welche (bitte Vorkommnisse nach Flugzeugmuster und Triebwerk
– Hersteller und Zwei- bzw. Dreiwellentechnologie – auflisten)?

4. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung bei gemeldeten oder den Behör-
den anderweitig bekannten Fällen Unterschiede hinsichtlich der Fluggesell-
schaften?
Wenn ja, worauf sind diese zurückzuführen?

5. Wird nach Kenntnis der Bundesregierung jede Anwendung einer Sauerstoff-
maske durch das fliegende Personal als schwere Störung klassifiziert?
Wenn nein, warum nicht?
a) Ab wann rät die Bundesregierung zu einem Einsatz von Sauerstoff-

masken?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3763
b) Gibt es bei Untersuchungen eine Unterscheidung nach
aa) vorsorglicher Nutzung der Sauerstoffmaske,
bb) Nutzung der Sauerstoffmaske gemäß Verfahrensvorgabe, und
cc) notwendiger Nutzung der Sauerstoffmaske?
Wenn ja, welche Auswirkungen hat diese Unterscheidung zwischen den
drei Kategorien?
Hält die Bundesregierung die Unterscheidung für notwendig?

c) Sollten die Kategorien „vorsorglich“ und „gemäß Verfahrensvorgabe“
aus Sicht der Bundesregierung nicht notwendig sein, warum werden
dann Sauerstoffmasken von den Flugzeugführern eingesetzt?

6. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen das flugbeglei-
tende Personal auf die sogenannten smoke-hoods als Rauchschutzvorkeh-
rungen zurückgegriffen hat?
Ab wann rät die Bundesregierung zu einem solchen Einsatz von „smoke-
hoods“?

7. Gibt es bei gemeldeten oder den Behörden anderweitig bekannten Fällen
unterschiedlich praktizierte Meldewege der einzelnen Fluggesellschaften
(über technische Abteilung, Pilot, Flugbegleiter o. Ä.)?
Wenn ja, welche?

8. Wie viele Fälle sind gar nicht auf Grundlage des von der BFU akzeptierten,
in der Regel ausschließlichen Meldeverfahrens durch eine Abteilung eines
Luftfahrtunternehmens, sondern durch die nach § 5 der Luftverkehrsord-
nung (LuftVO) vorgeschriebenen Piloten von der Bundesbehörde erfasst
worden?
Inwieweit verstößt diese Meldepraxis nach Auffassung der Bundesregie-
rung gegen Artikel 9 der VO (EU) 996/2010 (bitte ausführlich begründen)?

9. Wie viele fume-/smell-/odour-events sind der BFU bekannt, die nicht offi-
ziell registriert sind, weil sie nicht ordnungsgemäß gemeldet worden sind
(bitte einzeln pro Jahr auflisten)?

10. Wie viele Fälle sind nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit bei der
Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (BG Verkehr)
aufgrund gesundheitlicher Beschwerden wegen Vorkommnissen mit konta-
minierter Kabinenluft anhängig (wenn möglich bitte ebenfalls nach Jahren
auflisten)?

11. Wie genau funktioniert nach Kenntnis der Bundesregierung im Einzelfall
bei den der BG Verkehr bekannten Fällen die Kommunikation mit den
Bundesbehörden (LBA, BFU, Bundesinstitut für Risikobewertung, Um-
weltbundesamt)?
Gibt es hier einen standardisierten Meldeprozess?

12. Was genau hat die Bundesregierung getan, um Artikel 23 der VO (EU) 996/
2010 umzusetzen?

13. Wird im Sinne der Durchführung des Artikels 23 VO (EU) 996/2010 der
§ 43 LuftVO in Verbindung mit § 5 LuftVO angewendet?

14. Findet damit das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) gemäß § 63
des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) in Verbindung mit § 36 OWiG vollstän-
dig Anwendung, wonach gemäß § 30 OWiG bei Vorsatz bis zu 10 Mio. Euro
Bußgeld gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen erlassen
werden können?

Drucksache 18/3763 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
15. Richten sich mögliche Sanktionen gemäß § 5 LuftVO gegen den verant-
wortlichen Flugzeugführer (PIC), der diese Meldung abzugeben hat oder
gegen das Luftfahrtunternehmen?
a) Was sehen die Sanktionen im Falle eines Verstoßes gegen den PIC vor?
b) Was sehen die Sanktionen im Falle eines Verstoßes für das Luftfahrtun-

ternhemen vor?
16. Wodurch sieht die Bundesregierung eine wirksame, verhältnismäßige und

abschreckende Wirkung gewährleistet?
17. In wie vielen Fällen wurde bislang eine Sanktion verhängt (bitte einzeln

nach Jahren und Höhe der Sanktionen sowie Tatbeständen und Unterneh-
men auflisten)?

18. Hat die Bundesregierung über die unmittelbar geltende Regelung in Arti-
kel 23 VO (EU) 996/2010 hinaus weitere, interne Verwaltungsanweisungen
zur Sanktionierung von Verstößen gegen selbige Verordnung bzw. den § 5
der LuftVO erlassen?

19. Welche Behörde ist mit der Sanktionierung gemäß Artikel 23 VO (EU) 996/
2010 betraut?
a) Werden Störungen gemäß der LuftVO durch das LBA sanktioniert, und

werden schwere Störungen und Unfälle analog zur LuftVO durch die
BFU sanktioniert?
Wenn schwere Störungen und Unfälle nicht durch die BFU sanktioniert
werden, inwieweit sieht die Bundesregierung darin einen Verstoß gegen
Artikel 23 der VO (EU) 996/2010 (bitte ausführlich begründen)?

b) Welche Abteilung (wenn möglich: Referatsbezeichnung) ist in den ein-
zelnen Behörden mit der Durchsetzung von Sanktionen zuständig?

c) Wie ist deren entsprechende Personalausstattung, deren akademischer
Hintergrund, und sieht die Bundesregierung diese als ausreichend an?

Berlin, den 14. Januar 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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