BT-Drucksache 18/3692

Veränderungen in der Energiewirtschaft im Rahmen des Aktionsprogramms Klimaschutz 2020

Vom 5. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3692
18. Wahlperiode 05.01.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Oliver Krischer, Annalena Baerbock,
Matthias Gastel, Sylvia Kotting-Uhl, Stephan Kühn (Dresden), Steffi Lemke,
Nicole Maisch, Peter Meiwald, Markus Tressel, Dr. Julia Verlinden,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Veränderungen in der Energiewirtschaft im Rahmen des Aktionsprogramms
Klimaschutz 2020

Die Reduktion von CO2-Emissionen in der Energiewirtschaft ist einer der Eck-
pfeiler der deutschen Klimaschutzpolitik. Dennoch sind die Emissionen hier seit
dem Jahr 1995 um lediglich 5 Prozent und damit weniger als in allen anderen
Sektoren gefallen. Deshalb hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit, Dr. Barbara Hendricks, sich auch für eine Reduktion
der besonders klimaschädlichen Kohleverstromung eingesetzt. Infolge der
Beratungen zu dem von ihr angeregten „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“
hat der Bundesminister für Wirtschaft und Energie und SPD-Parteivorsitzende,
Sigmar Gabriel, sich dazu verpflichtet, im Sektor Energiewirtschaft bis zum Jahr
2020 gegenüber 2012 insgesamt ein Viertel der emittierten Treibhausgase einzu-
sparen.
Das am 3. Dezember 2014 vom Bundeskabinett beschlossene „Aktionspro-
gramm Klimaschutz 2020“ sowie der „Nationale Aktionsplan Energieeffizienz“
(NAPE) sollen das bereits im Jahr 2007 vom Bundeskabinett beschlossene CO2-
Einsparziel von minus 40 Prozent bis zum Jahr 2020 absichern. Demnach muss
die Bundesrepublik Deutschland im Zieljahr rund 200 Millionen Tonnen CO2
weniger ausstoßen als im Jahr 2012. Um diese „Klimaschutz-Lücke“ zu schlie-
ßen, wurden nun zusätzlich zu den bereits beschlossenen und verbuchten Reduk-
tionen weitere Maßnahmen angekündigt.
Schwerpunkte des alle Sektoren umfassenden Aktionsprogrammes sind die
Bereiche Energieeffizienz, Stromwirtschaft und ein klimafreundlicherer Ver-
kehrssektor. Insgesamt soll das Aktionsprogramm eine zusätzliche Minderung
von 62 bis 78 Millionen Tonnen CO2 bis zum Jahr 2020 nach sich ziehen. Hier-
bei ist umstritten, ob diese Summe ausreicht, um die „Klimaschutz-Lücke“ zu
schließen. Denn die „Sowieso-Maßnahmen“ (im Bereich der Energiewirtschaft
sind das Maßnahmen, „die also bei der Weiterentwicklung des Strommarkts in
jedem Fall umgesetzt werden sollen“, www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/
strommarkt-bundesregierung-sammelt-in-gruenbuch-vorschlaege-fuer-umbau-a-
999820.html, siehe auch Bundesumweltministerin, Dr. Barbara Hendricks,
Aktuelle Stunde am 4. Dezember 2014, www.dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/
18073.pdf) sind mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, weil z. B. eine maxi-
male Betriebsdauer von Kohlekraftwerken von 45 Jahren oder ein CO2-Preis
von 14 Euro je Tonne angenommen werden.

Drucksache 18/3692 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bestätigte nach dem Beschluss
des Aktionsprogrammes auf Nachfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
dass die Lücke größer ist und jene CO2-Reduktion, „die bis heute in einem
Umfang von circa 34 Millionen Tonnen noch nicht unterlegt ist […] in die Kapa-
zitätsreserve eingebracht wird.“ (Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel,
Befragung der Bundesregierung am 3. Dezember 2014, www.dipbt.bundestag.
de/doc/btp/18/18072.pdf). Über die genaue Ausgestaltung dieses Mechanismus
und die Höhe der damit möglichen Emissionsreduktion wird nach Aussage der
Bundesregierung im ersten Halbjahr 2015 im Rahmen des Weißbuchs Strom-
markt entschieden. Auch die weiteren Maßnahmen sollen mit Rechtsakten
untermauert werden – das Klimaschutzaktionsprogramm liefert derzeit nur Ab-
sichtserklärungen und Ankündigungen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Seit wann ist der Bundesregierung bekannt, dass die Klimaschutzlücke im

Kraftwerksbereich nicht nur – die öffentlich genannten – mindestens
22 Millionen Tonnen CO2 beträgt, sondern um 34 Millionen Tonnen CO2
größer ist?

2. Sind diese 34 Millionen Tonnen bereits in den 71 Millionen Tonnen Re-
duktionsmenge bis zum Jahr 2020 enthalten (2013 bis 2020 von 377 auf
306 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent)?

3. Wie erklärt die Bundesregierung, dass dieser Sachverhalt im vom Bundes-
kabinett am 3. Dezember 2014 beschlossenen Aktionsprogramm Klima-
schutz weder dargestellt, noch mit Maßnahmen unterlegt ist?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die von Bundeswirtschafts-
minister Sigmar Gabriel am 3. Dezember 2014 genannte CO2-Minderungs-
lücke von 34 Millionen Tonnen CO2 im Kraftwerkspark bis zum Jahr 2020
zu den bereits vorher genannten 22 Millionen Tonnen CO2 hinzugezählt
werden muss, folglich also zusätzliche Anstrengungen für eine Reduzierung
von 56 Millionen Tonnen CO2 bis zum Jahr 2020 erforderlich sind?

5. Durch welche Maßnahmen ist die verbleibende „Sowieso-Reduktion“ von
rund 37 Millionen Tonnen CO2 nach Kenntnis der Bundesregierung unter-
legt, und wie groß schätzt die Bundesregierung hierbei die verbleibende
Prognoseunsicherheit?

6. Plant die Bundesregierung zur Erreichung der angekündigten 22 Millionen
Tonnen CO2-Reduktion und für die Reduktion der „noch nicht geschafften“
34 Millionen Tonnen CO2 unterschiedliche Instrumente, und wenn ja, wa-
rum, und welche?

7. Schließt die Bundesregierung aus, dass es neben der Reduktion von 22 Mil-
lionen Tonnen CO2 sowie den 34 Millionen Tonnen „noch nicht geschaff-
ten“ CO2-Reduktionen im Kraftwerkspark weitere Maßnahmen bis zum
Jahr 2020 geben wird?

8. Soll die CO2-Minderung im Kraftwerkspark durch eine Reduktion der Koh-
leverstromung erbracht werden oder durch Maßnahmen im gesamten
Stromsektor (falls ja, durch welche)?

9. Wie viel CO2 darf die Energiewirtschaft im Jahr 2020 nach Auffassung der
Bundesregierung – und mit Blick auf das Ziel von minus 40 Prozent –
maximal ausstoßen (bitte in Millionen Tonnen pro Jahr angeben)?

10. Wie definiert die Bundesregierung den Begriff Energiewirtschaft in ihrem
Aktionsprogramm?

11. Beinhaltet der im Rahmen der anvisierten CO2-Reduktion im Kraftwerks-
bereich gemachte Vorschlag auch Industriekraftwerke?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3692
12. Wie errechnen sich auf Grundlage des Projektionsberichtes 2013 Prognosen
für das Jahr 2020, wonach sich aus dem Sektor Energiewirtschaft 306 Mil-
lionen Tonnen CO2-Emissionen ergeben, und mit welchen konkreten Maß-
nahmen ist diese „Mit-Maßnahmen-Reduktion“ unterlegt?

13. Hat die Bundesregierung zusätzlich zum Projektionsbericht 2013 weitere
Gutachten über die Emissionen im Jahr 2020 erstellen lassen, und wenn ja,
gab es dabei vom Projektionsbericht abweichende Ergebnisse?

14. Wie genau soll die am 3. Dezember 2014 von Bundeswirtschaftsminister
Sigmar Gabriel genannte CO2-Obergrenze für den Kraftwerkspark aus-
gestaltet und rechtlich verankert werden, und wann genau wird die Bundes-
regierung ein entsprechendes Gesetz vorlegen?

15. Prüft oder hat die Bundesregierung geprüft, ob eine nationale CO2-Ober-
grenze für den Kraftwerkspark rechtlich zulässig ist, und wenn ja, wie, und
mit welchem Ergebnis?

16. Hat die Bundesregierung weitere Instrumente, wie CO2-Grenzwerte für ein-
zelne Erzeugungsunternehmen oder auch bezogen auf die verschiedenen
Kraftwerksflotten rechtlich geprüft, und wenn ja, wie, und mit welchen Er-
gebnissen?
Wenn nein, warum nicht?

17. Prüft die Bundesregierung, ähnlich dem ersten Atomausstieg, eine vertrag-
liche Lösung mit den Energiekonzernen zu wählen, um eine CO2-Reduktion
im Kraftwerkspark im Einvernehmen mit den beteiligten Konzernen zu er-
zielen, und wenn nein, warum nicht?

18. Warum wird die besonders klimaschädliche Braunkohle im Klimaaktions-
programm der Bundesregierung nicht explizit genannt?

19. Wie viele Kraftwerke über 10 Megawatt sind derzeit zur Stilllegung bei der
Bundesnetzagentur angemeldet, und welche Menge an CO2-Reduktion
würde sich durch eine komplette Stilllegung ergeben (bitte auf Grundlage
der Kraftwerksauslastung im Jahr 2013 angeben)?

20. Welche Kraftwerke (bitte Benennung der Blöcke) mit jeweils welchen zu
erwartenden CO2-Emissionen gehen in den nächsten Jahren nach Kenntnis
der Bundesregierung noch ans Netz, und welche davon sind in welchem
Umfang in die Annahmen der Minderungsprojektion für das Jahr 2020 ein-
geflossen?

21. Steht die Bundesregierung weiter zur Aussage von Bundeswirtschaftsminister
Sigmar Gabriel, dass fossile Kraftwerke mit „mindestens 22 Millionen
Tonnen CO2“ (Interview mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel
im SPIEGEL, www.spiegel.de/spiegel/vorab/klimagase-gabriel-will-22-
millionen-tonnen-co2-reduzieren-a-1004403.html) zur Erreichung des
40-Prozent-Ziels beitragen müssen, und wenn ja, wird sie die entsprechende
Passage im Aktionsprogramm (Unter Punkt 4.3.2 des Aktionsprogrammes
werden glatt „22 Mio. t CO2-Äq.“ als zu erreichender Zielwert angegeben.)
revidieren, und wenn nein, warum nicht?

22. Wird nach derzeitigen Diskussionen in der Bundesregierung das Gesetz
bzw. Legislativpaket über das zukünftige Strommarktdesign, welches nach
Aussage von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auch die Rege-
lungen über die 22 Millionen Tonnen extra zu erbringende sowie die 34 Mil-
lionen Tonnen „noch nicht geschafften“ CO2-Reduktionen beinhalten wird,
dem Bundesrat als Zustimmungs- oder Einspruchsgesetz zugeleitet?

Drucksache 18/3692 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
23. Plant die Bundesregierung die Einführung einer Kapazitätsreserve, wie in
der Befragung der Bundesregierung am 3. Dezember 2014 von Bundes-
minister Gabriel angekündigt, und wenn ja, in welchem Umfang und ent-
lang welcher Kriterien?

24. Hat die Bundesregierung gutachterlich prüfen lassen, ob ordnungspolitische
Auflagen für Kohlekraftwerke über einer gewissen Altersgrenze, z. B.
45 Jahren, möglich sind, und wenn ja, sind die Gutachten öffentlich ein-
sehbar?
Wenn nein, warum nicht?
Und wie will die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Kraftwerke – wie
im Aktionsprogramm angenommen – altersbedingt vom Netz gehen?

25. Hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Ziele des Aktions-
programms Klimaschutz 2020 an der Notwendigkeit der Aufschließung
neuer Tagebaue fest (vgl. Schreiben des Bundeswirtschaftsministers Sigmar
Gabriel an den schwedischen Premierminister Stefan Löfven vom 13. Ok-
tober 2014 www.altinget.se), und falls ja, wie soll die dadurch zusätzlich zu
fördernde Menge an Braunkohle verstromt werden, ohne die deutschen
Klimaziele weiter zu gefährden?

26. Geht die Bundesregierung davon aus, dass zur Erreichung der Klimaziele
im Jahr 2050 ein Ende der Braunkohleverstromung bis spätestens zur Mitte
des Jahrhunderts notwendig ist, und wenn nein, wie will sie das Erreichen
der Klimaziele sicherstellen?
Wenn ja geht die Bundesregierung davon aus, dass der europäische Emis-
sionshandel allein dafür ausreichend ist?

27. Hält die Bundesregierung Zwangsumsiedlungen für die Erschließung neuer
Tagebaue für verfassungskonform, wenn zeitgleich die Kohleverstromung
ausläuft?

28. Plant die Bundesregierung, eine Novelle des Bundesberggesetzes vorzule-
gen, in der es auch Veränderungen hinsichtlich der Möglichkeit von neuen
Tagebauen geben wird, und wenn ja, bis wann, und welche konkreten Op-
tionen werden von der Bundesregierung rechtlich geprüft?

29. Ist es Auffassung der Bundesregierung, dass das Ziel einer 40-Prozent-
Emissionsreduktion bis zum Jahr 2020 nur flankiert von einem „schnell und
effektiv wirkenden Marktstabilitätsmechanismus im EU-ETS“ sicherge-
stellt werden kann, und wenn ja, welche zusätzlichen Anstrengungen wird
sie unternehmen, wenn es nicht gelingt, diesen Mechanismus noch vor dem
Jahr 2020 in Kraft zu setzten?

30. Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung insbesondere die polni-
sche Regierung von einem ambitionierteren Emissionshandel überzeugen,
um auf EU-Ebene bei einer ETS-Reform schneller voranschreiten zu kön-
nen?

31. Hält die Bundesregierung im Hinblick auf die bevorstehende Novelle des
Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes am gesetzlich verankerten Ziel von
25 Prozent Kraft-Wärme-Kopplungsanteil bis zum Jahr 2020 fest, und wenn
ja, mit welche konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung dies er-
reichen?

Berlin, den 5. Januar 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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