BT-Drucksache 18/3613

zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 18/1482 - Hunger bekämpfen, Recht auf Nahrung stärken

Vom 18. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3613
18. Wahlperiode 18.12.2014
Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 18/1482 –

Hunger bekämpfen, Recht auf Nahrung stärken

A. Problem
Laut Welthungerindex der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Ver-
einten Nationen (FAO) müssen gegenwärtig immer noch 842 Millionen Menschen
Hunger leiden. Die Gesamtentwicklung der Nahrungsmittelversorgung zeigt zwar
regionale Verbesserungen auf, beispielsweise in Südostasien und Lateinamerika, be-
legt aber zugleich auch regionale Verschlechterungen, beispielsweise in Subsahara-
Afrika.

Während der Weltagrarbericht einen Kurswechsel hin zur ökologischen Landwirt-
schaft empfehle, setze die Bundesregierung nach Auffassung der Antragsteller nach
wie vor auf das Modell einer agrarindustriellen Landwirtschaft und auf eine globale
Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion in den Entwicklungsländern.

Unter Beibehaltung eines weitestgehend nicht regulierten Welthandels solle die
Landwirtschaft nach diesem Modell durch einen globalen Technologietransfer wei-
ter modernisiert werden. Die Bundesregierung spreche sich dabei für den weitflächi-
gen Einsatz von mineralischem Dünger und die Verwendung von kommerziellem
Saatgut aus.

Sie propagiere Public-Private-Partnership-(PPP)-Projekte wie die German Food
Partnership (GFP) und die G8 New Alliance, obwohl die bisherigen Erfahrungen
gezeigt hätten, dass damit gerade die Kleinproduzentinnen und Kleinproduzenten in
eine Negativspirale aus Abhängigkeit und Schulden gerieten.

Nach Auffassung der Antragsteller sind es gerade die Kleinbäuerinnen und Klein-
bauern, die Kleinfischerinnen und Kleinfischer sowie die Pastoralistinnen und Pas-
toralisten, die die Ernährung eines Großteils der Weltbevölkerung sicherstellen und
damit zugleich wertvolle Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung schaffen.

Die Antragsteller sehen die eigentliche Herausforderung bei der Hungerbekämpfung
weniger in der Steigerung der Produktionsmengen, sondern mehr in der Gewährleis-
tung einer gerechteren Verteilung. Es gehe im Kern darum, den Zugang der ärmeren
und mittellosen Bevölkerung zu nährstoffreichen, vitamin- und mineralhaltigen

Drucksache 18/3613 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Nahrungsmitteln sicherzustellen. Dazu müssten in den Entwicklungsländern vor al-
lem lokale Infrastrukturen und soziale Sicherungssysteme aufgebaut werden. Zudem
sei der Zugang zu Land, Saatgut und Wasser sicherzustellen.

Die Antrag stellende Fraktion fordert die Bundesregierung dazu auf, dem Leitbild
der Ernährungssouveränität und dem Recht auf Nahrung folgend, die Fähigkeit zur
Selbstversorgung zum Schwerpunkt ihrer Entwicklungspolitik zu machen und die
Mittel für eine agrarökologische ländliche Entwicklung zur Stärkung der kleinbäu-
erlichen Strukturen in den Entwicklungsländern deutlich zu erhöhen. Sie solle sich
zudem für eine Stärkung der Landrechte von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und
gegen Landgrabbing einsetzen.

Darüber hinaus fordern die Antragsteller, auf der EU-Ebene den Import von Futter-
mitteln aus Drittstaaten zu reduzieren, die Subventionierung von Exporten in Ent-
wicklungsländern ersatzlos abzuschaffen und den Import von Biomasse zu untersa-
gen. Schließlich sollen die Verhandlungen über Freihandels- und Wirtschaftspart-
nerschaftsabkommen gestoppt werden.

B. Lösung
Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN.

C. Alternativen
Annahme des Antrags.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Wurden nicht erörtert.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3613
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag auf Drucksache 18/1482 abzulehnen.

Berlin, den 17. Dezember 2014

Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Dagmar G. Wöhrl
Vorsitzende
Peter Stein
Berichterstatter

Dr. Sascha Raabe
Berichterstatter

Niema Movassat
Berichterstatter

Uwe Kekeritz
Berichterstatter
Drucksache 18/3613 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bericht der Abgeordneten Peter Stein, Dr. Sascha Raabe, Niema Movassat und
Uwe Kekeritz

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat die Vorlage auf Drucksache 18/1482 in seiner 57. Sitzung am 9. Oktober 2014
beraten und an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur federführenden Bera-
tung und an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft und den Ausschuss für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Mit dem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, dem Leitbild der Ernährungssouveränität folgend, die
Fähigkeit zur Selbstversorgung zum obersten Ziel ihrer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zu machen.
Dementsprechend solle sie den Weltagrarbericht unterzeichnen und dessen Empfehlungen bezüglich einer
Neuorientierung der Agrarpolitik und Agrarforschung hin zu einer agroökologischen Landwirtschaft umsetzen.
Danach müsse der Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen (GMOs) in der Entwicklungszusammen-
arbeit (EZ) ganz verboten werden.
Es gelte vor allem, die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und andere marginalisierten Gruppen als EZ-Partner
zu fördern, die Mittel für ländliche Entwicklung zu erhöhen und die lokalen Strukturen in den EZ-Partnerlän-
dern zu stärken. Insbesondere sollen in den EZ-Partnerländern Initiativen zum Aufbau kollektiver Strukturen
wie Produktions- und Vertriebsgenossenschaften unterstützt werden.
Im Rahmen des Aufbaus von eigenständigen landwirtschaftlichen Strukturen in den Entwicklungsländern sol-
len die Landrechte von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern gestärkt, lokale Märkte gefördert und jede Form von
Landgrabbing beendet werden. Dazu sollen Monitoring-Stellen in den jeweiligen Botschaften eingerichtet und
die Verträge der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) mit ihren Geschäftspartnern
offengelegt werden.
Ergänzend dazu sollen regulative Maßnahmen zur Beendigung von Nahrungsmittelspekulationen ergriffen, der
Import von Futtermitteln und Agrotreibstoffen aus Drittstaaten reduziert, der von Biomasse verboten und Ex-
portfördersubventionen ersatzlos abgeschafft werden.
Darüber hinaus wird von den Antragstellern eine radikale Kehrtwende in der internationalen Handelspolitik
gefordert. Entsprechend soll sich die Bundesregierung in der EU für den Stopp der Verhandlungen über Frei-
handels- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen einsetzen.
Stattdessen solle die Bundesregierung das Committee on World Food Security (CFS) als das bisher demokra-
tischste und partizipativste globale Gremium für Ernährungssicherungsfragen stärken und gegenüber anderen
Organisationen wie der Welthandelsorganisation (WTO) aufwerten.
Die Bundesregierung wird ferner aufgefordert, dafür zu werben, dass innerhalb der EU eine Beschwerdestelle
eingerichtet wird, bei der Drittstaaten Klagen einbringen können, wenn sie ihr Recht auf Ernährungssicherung
durch die EU verletzt sehen.
Mit Rücksicht auf nachweislich negative Erfahrungen mit PPP-Projekten soll die Partnerschaft in der „German
Food Partnership (GFP)“ ausgesetzt und kritisch evaluiert und die in der „G8 New Alliance“ beendet werden.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft hat die Vorlage auf Drucksache 18/1482 in seiner 24.
Sitzung am 17. Dezember 2014 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Antrag abzu-
lehnen.
Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat die Vorlage auf Drucksache 18/1482 in seiner
24. Sitzung am 17. Dezember 2014 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3613
SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Antrag abzu-
lehnen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat die Vorlage auf Drucksache
18/1482 in seiner 13. Sitzung am 4. Juni 2014 und in seiner 24. Sitzung am 17. Dezember 2014 beraten und
empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE
LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Antrag abzulehnen.
Die Fraktion DIE LINKE. begründet ihren Antrag mit dem Eindruck, dass von der Bundesregierung unter
dem Deckmantel der Hungerbekämpfung andere Ziele verfolgt werden sollten, nämlich die Erschließung neuer
Märkte für deutsche Unternehmen wie BASF, Bayer oder SAP. Man glaube nicht an die Illusion einer Win-
Win-Situation, in der auf der einen Seite der Hunger der Unternehmen nach Profit und auf der anderen Seite
der Hunger der Menschen nach Nahrung befriedigt werden könne. Eine nachhaltige Bekämpfung des Hungers
setze in erster Linie den Aufbau von stabilen lokalen Strukturen der Erzeugung von, der Verarbeitung von und
des Handels mit Lebensmitteln in den Schwellen- und Entwicklungsländern voraus. Ein erster Schritt dazu
bestünde darin, die EU-Agrarsubventionen abzubauen, die Verhandlungen der Wirtschaftspartnerschaftsab-
kommen (EPA) und EU-Fischereiabkommen zu stoppen, mit denen eine nachhaltige Entwicklung der Länder
des Südens verhindert werde. Darüber hinaus gehe es darum, den Export des westlichen Agrarmodells, ver-
bunden mit der Verbreitung mineralischer Düngemittel, kommerziellen Saatgutes und der Einbindung der
Kleinbauern in mehrstufige globale Wertschöpfungsketten, zu stoppen. Eine Politik nach diesem Modell führe
letztlich zu Verschuldung und Abhängigkeit. Da diese Form der Landwirtschaft nur 30 Prozent der Nahrungs-
mittel produziere, aber 70 Prozent der eingesetzten Energie verbrauche, stelle sie in ökologischer Hinsicht eine
Katastrophe dar. Notwendig sei eine radikale Umkehr der globalen Agrarpolitik, denn laut der Ernährungs-
und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) könne genug Nahrung für 12 bis 14 Milliarden
Menschen produziert werden. Die Bekämpfung des Hungers sei mehr eine Frage der gerechten Verteilung von
Nahrungsmitteln.
Die Fraktion der CDU/CSU räumt ein, dass der Antrag einige Punkte enthalte, denen man durchaus zustim-
men könne, etwa die Unterstützung des von der Bundesregierung angekündigten EZ-Schwerpunktes der Hun-
gerbekämpfung. Es gebe aber zu viele Punkte, die man ablehnen müsse, etwa die Forderung nach einem sofor-
tigen Stopp der Verhandlungen zu Freihandelsabkommen. Darum werde man den Antrag insgesamt ablehnen.
Die Fraktion der SPD schließt sich der Einschätzung der Fraktion der CDU/CSU an. Man teile die Auffas-
sung, dass es sinnvoll sei, die ländliche Entwicklung und Kleinbauern zu stärken. Entwicklungsländern müsse
aber auch die Chance eingeräumt werden, durch Wertschöpfung am Welthandel teilnehmen zu können. Mit
dem so erwirtschafteten Geld könne man dort, wo keine Selbstversorgung möglich sei, Lebensmittel aus Nach-
barländern importieren. Diese Option sei in den Antrag nicht klar aufgenommen worden. Zudem könne man
nicht einfach einen Verhandlungsstopp bei den Freihandelsabkommen fordern, ohne zu sagen, in welche Rich-
tung es dann weitergehen solle. Darum werde man den Antrag insgesamt ablehnen.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklärt, der Antrag enthalte viele gute Punkte, denen man durch-
aus zustimmen könne. Dazu zähle beispielsweise die Forderung nach Ernährungssouveränität und die Förde-
rung von Kleinbauern. Problematisch finde man das geforderte Importverbot von Biomasse. Man selbst plä-
diere für eine Bindung der Importe an strenge Menschenrechts-, Sozial- und Umweltkriterien. Dazu gehöre,
dass die Regierung eines Herkunftslandes nachweisen müsse, dass die Ernährung der eigenen Bevölkerung
gesichert sei und gleichzeitig genügend Flächen unter Umweltschutz stünden. Sei das gewährleistet, könne der
Export von Biomasse zur Energiegewinnung sehr wohl sinnvoll sein. Bis zur Einhaltung dieser Standards und
ihrer Überprüfung könne ein Moratorium eingeführt werden. Auch an das Thema Nahrungsmittelspekulationen
müsse man differenzierter herangehen, denn Termingeschäfte dienten der Absicherung der Geschäfte der Bau-
ern. Weil aber vieles im Antrag unscharf und missverständlich formuliert sei, werde man sich enthalten.
Drucksache 18/3613 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Berlin, den 17. Dezember 2014

Peter Stein
Berichterstatter

Dr. Sascha Raabe
Berichterstatter

Niema Movassat
Berichterstatter

Uwe Kekeritz
Berichterstatter

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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