BT-Drucksache 18/3599

Suche nach dem Kriegsverbrecher Alois Brunner

Vom 17. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3599
18. Wahlperiode 17.12.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, Martina Renner,
Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Suche nach dem Kriegsverbrecher Alois Brunner

Das Simon Wiesenthal Center Jerusalem hat den als Kriegsverbrecher gesuchten
Alois Brunner mit der Begründung, Alois Brunner sei seit dem Jahr 2009 tot,
von seiner Suchliste genommen. Damit endet eine der längsten Suchen nach
einem Täter der NS-Vernichtungspolitik ohne den Täter zur Rechenschaft gezo-
gen zu haben.
Alois Brunner war ab dem Jahr 1938 Mitarbeiter der Zentralstelle für jüdische
Auswanderung in Wien und hier Stellvertreter des Leiters Adolf Eichmann. In
dieser Funktion und später auch aus der Berliner Zentrale des Eichmannreferats
heraus organisierte Alois Brunner die Verdrängung, später Deportation, Ghetto-
isierung und Vernichtung der Juden aus Wien, Berlin, Saloniki, Paris und ande-
ren Gebieten Frankreichs. Alois Brunner perfektionierte das System der Ent-
rechtung, Ausbeutung und Deportation der Juden und gilt neben Eichmann als
einer der wichtigsten Organisatoren des Vernichtungsprozesses. Das Simon
Wiesenthal Center macht Alois Brunner für die Ermordung von ca. 130 000 Jü-
dinnen und Juden verantwortlich.
Nach dem Jahr 1945 soll Alois Brunner bis 1954 unter dem Namen Alois
Schmaldienst in Essen gelebt haben und dann nach Syrien gegangen sein. Un-
klar ist, warum Alois Brunner in der Bundesrepublik Deutschland bis 1954 nicht
gefunden und festgenommen werden konnte bzw. mit welcher Intensität nach
ihm gefahndet wurde. In Syrien soll Alois Brunner für den dortigen Geheim-
dienst gearbeitet haben. In den achtziger Jahren hat Alois Brunner sich in meh-
reren Interviews mit deutschsprachigen Zeitungen ohne jede Reue zu seiner Ver-
gangenheit und seiner Beteiligung am Holocaust geäußert.
Im Jahr 1989 soll durch Vermittlung von Beate und Serge Klarsfeld von syri-
scher Seite erwogen worden sein, Alois Brunner an die DDR zu überstellen, um
ihm dort den Prozess zu machen. Durch das Ende der DDR im Jahr 1990 ist es
dazu nicht gekommen und es ist nicht bekannt, ob die Bundesregierung sich in
diesem Zusammenhang um eine Überstellung bemüht hat.
Immer wieder gab es Gerüchte, Alois Brunner hätte nach 1945 Kontakte zu
westlichen Nachrichtendiensten und auch zur Organisation Gehlen bzw. ihrem
Nachfolger, dem Bundesnachrichtendienst (BND), gehabt. Vonseiten der Bun-
desregierung wurden diese Kontakte bzw. eine Mitarbeit von Alois Brunner im
BND immer bestritten. Umfangreiche Akten zur Person Alois Brunners wurden
im BND laut Aktenlage zwischen 1994 und 1997 gelöscht (vgl. Neues Deutsch-
land vom 23. Juli 2011). In der Rest-BND-Akte zu Alois Brunner findet sich
dennoch u. a. der Hinweis, dass der ehemalige BND-Vizepräsident Volker

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Foertsch „persönliches Wissen“ habe, dass Alois Brunner „ehemaliger MA“
(Mitarbeiter) in Damaskus gewesen sei.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über den mutmaßlichen

Tod von Alois Brunner vor, und auf welche Quellen stützt sich die Bundes-
regierung bei diesen Erkenntnissen?

2. Wann und wo ist Alois Brunner nach Erkenntnissen der Bundesregierung
gestorben?

3. Wann hat die Bundesregierung erstmals vom Tod Alois Brunners erfahren?
4. Haben bundesdeutsche Behörden bzw. Ämter Auslieferungsersuchen für

Alois Brunner an die syrische Regierung gestellt?
Wenn ja, wann erstmals und wann zuletzt?

5. Lagen der Bundesregierung seit dem Jahr 1949 Kenntnisse, Hinweise oder
Informationen zum Aufenthaltsort des gesuchten Kriegsverbrechers Alois
Brunner vor, und wenn ja, welche Kenntnisse, Hinweise oder Informatio-
nen lagen ihr wann vor, und wie wurden sie im Sinne der Ergreifung von
Alois Brunner genutzt?

6. Wann und wie oft konferierte nach Kenntnis der Bundesregierung Reinhard
Gehlen, der Leiter der Organisation Gehlen und erster Präsident des BND,
mit Konrad Adenauers Kanzleramtschef Hans Globke über Alois Brunner,
und welchen Inhalt hatten diese Gespräche konkret?

7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Rolle Reinhard
Gehlens oder anderer Mitarbeiter der Organisation Gehlen bzw. des BND
im Fall Alois Brunner, insbesondere bei dessen Flucht nach Syrien?

8. Ist Alois Brunner 1954 zuerst nach Saudi Arabien geflüchtet oder nach
Ägypten, und wann kam er nach Kenntnis der Bundesregierung auf wel-
chen Wegen und mit wessen Wissen und Unterstützung genau nach Syrien?

9. Hatte Alois Brunner nach Kenntnis der Bundesregierung noch andere Alias-
namen als Alois Schmaldienst und Georg Fischer, und wenn ja, welche
waren dies?

10. Welche deutschen Sicherheitsbehörden haben zu welchem Zeitpunkt nach
Alois Brunner gefahndet bzw. versucht, Erkenntnisse über ihn zu erlangen?

11. Welche nationalen und internationalen Haftbefehle gegen Alois Brunner
existierten, und in welcher Form unterstützten die Bundesregierung oder
deutsche Sicherheitsbehörden die jeweiligen Justizbehörden (bitte nach
Datum des Haftbefehls, ausstellender Justizbehörde, Art der Unterstützung
aufschlüsseln)?

12. Gab es Bitten anderer Staaten an die Bundesregierung, bei der Suche nach
Alois Brunner behilflich zu sein, wann gab es solche Bitten, und wenn ja,
von wem und wie ist die Bundesregierung mit diesen Bitten jeweils aus wel-
chen Gründen umgegangen?

13. Welche in- und ausländischen Auslieferungsgesuche im Falle Alois
Brunner existierten nach Kenntnis der Bundesregierung?

14. Gab es seitens der Bundesregierung Gespräche mit der syrischen Regierung,
nachdem bekannt wurde, dass sich Alois Brunner möglicherweise in Syrien
aufhalte, wann wurden diese Gespräche gegebenenfalls geführt, und wel-
ches Ergebnis hatten sie?

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15. War es der damaligen Bundesregierung bekannt, dass 1989 über eine Aus-
lieferung Alois Brunners von Syrien in die DDR verhandelt wurde, und hat
die Bundesregierung an diese Verhandlungen nach dem 3. Oktober 1990 in
irgendeiner Art angeknüpft?
Wenn ja, wie, und wenn nein, warum nicht?

16. Gab es nach Kenntnissen der Bundesregierung einen Kontakt bzw. eine Ar-
beitsbeziehung von Alois Brunner zu einem deutschen Nachrichtendienst,
oder hat es vonseiten deutscher Nachrichtendienste eine Schutzfunktion ge-
genüber der Person Alois Brunner gegeben, die eine Ergreifung und An-
klage Alois Brunners als Kriegsverbrecher verhinderte?

17. Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung Kontakte ausländischer Nach-
richtendienste zu Alois Brunner, die diesen möglicherweise vor einer Ent-
tarnung und Festnahme geschützt haben, und welche Dienste hatten nach
Kenntnis der Bundesregierung Kontakte zu Alois Brunner?

18. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Identität eines ehema-
ligen deutschen Geheimagenten im Nahen Osten, der laut „SPIEGEL
ONLINE“ vom 1. Dezember 2014 (www.spiegel.de/politik/ausland/nazi-
verbrechen-alois-brunner-stellvertreter-eichmanns-ist-tot-a-1005980.html#)
die Information gegeben haben soll, dass Alois Brunner seit 2009 tot ist?

19. Für welche deutsche Behörde hat nach Kenntnis der Bundesregierung der
ehemalige deutsche Geheimagent im Nahen Osten (www.spiegel.de/politik/
ausland/nazi-verbrechen-alois-brunner-stellvertreter-eichmanns-ist-tot-a-
1005980.html#) gearbeitet (bitte unter Angabe der Dienstorte und Dienst-
zeiträume)?

20. Trifft nach Kenntnis der Bundesregierung der Bericht des „FOCUS“ vom
6. Dezember 2014 zu (www.focus.de/politik/deutschland/begraben-in-
syrien-deutscher-ex-polizist-klaerte-tod-des-ns-verbrechers-alois-brunner-
auf_id_4326640.html), nach dem es sich nicht um einen Geheimdienstmit-
arbeiter, sondern um einen ehemaligen Mitarbeiter des Bundeskriminal-
amtes (BKA) handeln soll?

21. Hatte besagter deutscher Geheimagent bzw. der ehemalige BKA-Mitarbei-
ter nach Kenntnissen der Bundesregierung Kontakte zu Alois Brunner, und
waren diese Kontakte dienstlicher Art?

22. Bei welcher Bundesbehörde liegen nach Kenntnis der Bundesregierung
Meldungen des besagten Geheimagenten bzw. BKA-Beamten zu Alois
Brunner vor (bitte unter Angabe der Behörde und der Daten der Meldun-
gen)?

23. Hat der deutsche Geheimagent bzw. der ehemalige BKA-Mitarbeiter sich
nach Kenntnis der Bundesregierung mit seinem Wissen an seine Dienst-
stelle gewandt, und welche Maßnahmen wurden von dieser gegebenenfalls
zu welchem Zeitpunkt daraufhin unternommen (bitte unter Angabe des je-
weiligen Datums)?

24. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, inwieweit der ehemalige
SS-Sturmbannführer Dr. Wilhelm Beisner, der als Waffenhändler in Damas-
kus tätig war, Kontakte zu Alois Brunner pflegte, und wenn ja, welche sind
dies?

25. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der ehemalige SS-Sturmbann-
führer Dr. Wilhelm Beisner für den BND tätig war?
Wenn ja, in welchem Zeitraum war Dr. Wilhelm Beisner in welcher Funk-
tion und mit welchen Aufgaben für den BND tätig?

Drucksache 18/3599 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Trifft es zu, dass Dr. Wilhelm Beisner als V-Mann unter dem Decknamen
Bertram für den BND aktiv war?

26. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die engen geschäftlichen Kon-
takte von Alois Brunner mit Franz Rademacher (DIE WELT vom 21. Au-
gust 2011 „Warum tilgte der BND die Akte des Eichmann-Helfers?“), dem
ehemaligen SS-Obersturmführer und Judenreferenten des Auswärtigen
Amtes, und wenn ja, welche sind dies?

27. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der ehemalige SS-Obersturm-
bannführer Franz Rademacher für den BND tätig war?
Wenn ja, in welchem Zeitraum war Franz Rademacher in welcher Funktion
und mit welchen Aufgaben für den BND tätig?

28. Ist der Bundesregierung bekannt, ob Hans-Joachim Rechenberg, der ehe-
malige Pressereferent in Joseph Goebbels’ Reichsministerium für Volks-
aufklärung und Propaganda, in der Nachkriegszeit in seiner Funktion als
V-Mann des BND in Syrien Kontakt zu Alois Brunner gehabt hat oder
Kenntnis über dessen Aufenthaltsort hatte und inwieweit er diese Informa-
tionen im BND weitergab?

29. Wie viele Akten liegen nach Kenntnis der Bundesregierung beim BND und/
oder beim Bundesarchiv zur Person Alois Brunner noch vor, und wurden
bzw. werden diese Akten auch von der Unabhängigen Historikerkom-
mission zur Aufarbeitung der Geschichte des BND bzw. der Organisation
Gehlen gesichtet?

30. Haben sich durch Recherchen im Zusammenhang der Arbeit der Unabhän-
gigen Historikerkommission neue Erkenntnisse oder Akten zur Person
Alois Brunner oder mit seiner Person im Zusammenhang stehenden Vor-
gängen gefunden, und was ist gegebenenfalls der Inhalt dieser Akten?

31. Wie bewertet die Bundesregierung die Aktennotiz in der Rest-BND-Akte
zu Alois Brunner, wonach der ehemalige BND-Vizepräsident Volker
Foertsch „persönliches Wissen“ habe, dass Alois Brunner „ehemaliger
MA“ in Damaskus gewesen sei?

32. Wurde dem Hinweis über das „persönliche Wissen“ des ehemaligen BND-
Vizepräsidenten Volker Foertsch entsprechend nachgegangen?
Wenn ja, wann ist dies in welcher Form und mit welchem Ergebnis gesche-
hen?
Wenn nein, warum nicht?

33. Befindet sich im BND-Archiv noch das Tonband über ein Gespräch
Reinhard Gehlens mit dem ehemaligen Abgeordneten Dr. Rudolf Vogel
(CDU), das am 12. September 1960 stattfand (Neues Deutschland vom
23. Juli 2011), und konnte dessen Inhalt mittlerweile geprüft werden?
Wenn ja, welchen Inhalt hatte das Gespräch?
Wenn nein, was ist aus welchen Gründen wann mit dem Tonband geschehen,
und wer trägt dafür die Verantwortung?

34. Konnten auch die Filmaufnahmen aus der BND-Akte zu Alois Brunner aus-
gewertet werden, und wenn ja, welche Erkenntnisse, insbesondere über
Dr. Rudolf Vogel und über dessen mutmaßliche Rolle als Fluchthelfer von
Alois Brunner (FAZ.net vom 9. Februar 2013, ZEIT ONLINE vom 6. April
2006), ließen sich daraus gewinnen?

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35. Trifft es zu, dass der Waffenhändler K.-H. S., mit dem Alois Brunner auf
einem Foto in Damaskus zu sehen ist, für den BND tätig war (ARD vom
7. Oktober 2013 „Nazis im BND. Neuer Dienst und alte Kameraden“) und
dass seine BND-Akte angeblich bis zum Jahr 2035 geschlossen bleibt?
Wenn ja,
a) in welchem Zeitraum war K.-H. S. in welcher Form für den BND tätig,
b) warum bleibt die Akte bis zum Jahr 2035 verschlossen?
Wenn nein, was stimmt dann?

36. War Alois Brunner nach Kenntnis der Bundesregierung in Waffengeschäfte
verwickelt?
Wenn ja, in welcher Form?

37. Liegen nach Kenntnis der Bundesregierung Akten beim Bundesamt für Ver-
fassungsschutz (BfV) zur Person Alois Brunner vor, und wenn ja, wie viele
sind dies, und wurden bzw. werden diese Akten auch von der Unabhängigen
Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des BfV gesichtet?

38. Existieren Akten zu Alois Brunner oder Hinweise auf ihn in Akten des Aus-
wärtigen Amtes oder anderer Ministerien und Behörden, und wenn ja,
a) wo in jeweils welchem Umfang (bitte nach laufenden Metern angeben),
b) wurden diese Akten bereits von Historikern oder Mitarbeitern der jewei-

ligen Ministerien und Behörden ausgewertet oder ist dies zumindest ge-
plant,

c) welchen Inhalt haben die Akten, und geht aus ihnen hervor, seit wann die
Bundesregierung Kenntnis von Alois Brunners Aufenthaltsort hatte?

39. Existierten Akten zu Alois Brunner oder Hinweise auf ihn in Akten des
Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR, und wenn ja,
a) in welchem Umfang (bitte nach laufenden Metern angeben),
b) wurden sie bereits ausgewertet,
c) welchen Inhalt haben die Akten?

40. Haben die Bundesregierung oder deutsche Sicherheitsbehörden bzw. damit
von deutschen Stellen Beauftragte mit Alois Brunner im Rahmen des Eich-
mann-Prozesses Kontakt aufgenommen oder wurden von Alois Brunner
kontaktiert?
Wenn ja, durch wen geschah eine solche Kontaktaufnahme, zu welchem
Zeitpunkt, auf welche Art und mit welchem Ziel und Ergebnis?

41. Kann die Bundesregierung den Inhalt von MfS-Akten bestätigen, aus denen
hervorgeht, dass Alois Brunner angeboten habe, in die Bundesrepublik
Deutschland zu kommen, um sich dort zu stellen und zugunsten seines ehe-
maligen Vorgesetzten und Freundes Adolf Eichmann auszusagen, die Bun-
desregierung dies jedoch abgelehnt habe (ARD vom 7. Oktober 2013)?
Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung dies aus heutiger Sicht?

Berlin, den 17. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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