BT-Drucksache 18/3589

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksachen 18/3246, 18/3583 - Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan

Vom 17. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3589
18. Wahlperiode 17.12.2014
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko,
Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu,
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 18/3246, 18/3583 –

Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz
Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung
der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Entgegen der öffentlich verlautbarten Abzugsankündigungen wird die
Bundeswehr nicht aus Afghanistan abgezogen. Ab Januar 2015 sollen unter
dem Mandatstitel Resolute Support Mission 850 Bundeswehrsoldatinnen
und -soldaten als Teil eines insgesamt 12.500 Soldatinnen und Soldaten
umfassenden NATO-geführten Einsatzes in Afghanistan stationiert sein.
Damit wird die Öffentlichkeit erneut getäuscht.

2. Zwar wird die Militäroperation Resolute Support offiziell als in erster Linie
Ausbildungsmission geführt, zugleich sind aber nur 10 bis 25 % der Solda-
ten als Ausbilder vorgesehen. 75 % bis 90 % werden als „Schützer und Un-
terstützer“ eingesetzt: Kämpfer, Funker, Sanitäter, Hubschrauberpiloten
zum Schutz der Ausbilder. De Facto ist Resolute Support eine Fortsetzung
des Kampfeinsatzes in Afghanistan.

3. Die jüngste Ausweitung des Einsatzbefehls für die US-Truppen in Afgha-
nistan 2015 durch den Geheimbeschluss des US-Präsidenten bedeutet, dass
US-Soldaten direkt in Kämpfe eingreifen werden, wenn sie von Taliban-
oder Al-Qaida-Kämpfern angegriffen werden. Dabei ist auch Luftunterstüt-
zung der afghanischen Streitkräfte mit US-Kampfjets, Bombern und
Drohnen ausdrücklich erlaubt. In dem bilateralen Sicherheitsabkommen
(BSA) zwischen den USA und Afghanistan wird auch der Einsatz des US-
Militärs im Rahmen der Terrorbekämpfung festgeschrieben. Statt Abzug
wird es weiterhin Bombardements, Todesdrohnen und Kampftruppen am

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Boden geben. Mit dem Operationskonzept der neuen Mission gehen zudem
die geheimen Kommandoaktionen von Spezialeinheiten weiter. Der vorlie-
gende Mandatstext gibt auf die Frage, ob, in welcher Größenordnung und
mit welchen eventuellen Aufgaben, auch deutsche Spezialkräfte in diese
Art der Kriegsführung einbezogen werden, keine Auskunft.

4. Im Gegensatz zu der noch im August 2014 auf der eigenen Homepage der
Bundesregierung betonten Erforderlichkeit einer UN-Resolution für die
ISAF-Nachfolge-Mission, will die Bundesregierung nun eine deutsche Be-
teiligung an Resolute Support ab 2015 nicht mehr auf Grundlage einer UN-
Resolution, sondern allein auf Basis der Zustimmung der afghanischen Re-
gierung durchführen. Damit treten für die Bundesregierung Gewohnheiten
internationalen Rechts offensichtlich hinter Bündnisdisziplin und eigene In-
teressenspolitik zurück.

5. Der ISAF-Einsatz ist – auch an seinen eigenen Ansprüchen gemessen –
gescheitert. Die Taliban sind nicht besiegt, noch nicht einmal zurückge-
drängt. In ländlichen Gebieten, seit diesem Jahr auch in der nördlichen
Provinz Kunduz, treten die Taliban immer öfter und zahlreicher im offenen
Gefecht gegen die Regierungstruppen an. Die Verluste der afghanischen
Sicherheitskräfte (ANSF) sind in den letzten zwei Jahren seit Beginn der
Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Militärs um
80 % und in den letzten 9 Monaten nochmals um 7 % gestiegen. Die An-
zahl der Selbstmordanschläge in den großen Städten stieg innerhalb nur ei-
nes Jahres um 68 %. Nur in Verhandlungen mit den Taliban für einen Waf-
fenstillstand kann ein erster Schritt hin zu einer friedvollen Zukunft began-
gen werden.

6. Mit den im Dezember 2010 erstmals und seitdem regelmäßig veröffentlich-
ten Berichten zum deutschen Einsatz in Afghanistan wurde bisher keine
kritische Bilanz gezogen. Bereits der Begriff „Fortschrittsbericht“ ist irre-
führend. Es gibt keinen Fortschritt. Nüchterne Zahlen aus den Informatio-
nen von UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan) be-
legen, dass die Bilanz von ISAF eine Bilanz des Scheiterns ist: Laut UN-
AMA-Bericht (Afghanistan Midyear Report 2014, Protection of Civilians
in Armed Conflict) wurden im 1. Halbjahr 2014 mit 1.208 doppelt so viele
Zivilisten durch Taliban und andere Aufständische getötet wie im ver-
gleichbaren Zeitraum 2009 (dem Jahr des ersten UNAMA-Berichts). Der
ISAF-Einsatz hat viele Opfer gekostet – ganz besonders zu beklagen sind
die Opfer in der afghanischen Zivilbevölkerung. In der ersten Jahreshälfte
2014 sind allein 4.853 zivile Opfer zu beklagen (1.564 Zivilisten wurden
getötet und 3.289 verletzt). Das ist eine Steigerung von 17 % bei den Getö-
teten und 28 % bei den Verletzten gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

7. Die realen Gesamtkosten des Afghanistan-Krieges belaufen sich laut An-
gaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)
(www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_01.c.356897.de) auf 17 bis 33
Milliarden Euro. Auch hier versuchte die Bundesregierung immer wieder
die Öffentlichkeit über die wahren Kosten zu täuschen. Allein beim ISAF-
Einsatz übersteigen nach Informationen der Bundesregierung in derer Ant-
wort auf die Kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache 17/14491) die wirkli-
chen Kosten jährlich die ursprünglich insgesamt veranschlagten. Bis 2013
sind beim ISAF-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan Mehrkosten von
insgesamt 872,3 Millionen Euro aufgelaufen. Lediglich in den beiden ers-
ten Jahren des Einsatzes (2002 und 2003) wurde das selbst gesetzte Budget
eingehalten. Seither überstiegen die realen Kosten regelmäßig die Schätz-
kosten – und das teilweise im dreistelligen Millionenbereich. Allein im Jahr
2010 kostete ISAF eine Viertelmilliarde Euro mehr als prognostiziert.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3589
8. Nach 35 Jahren Krieg und Bürgerkrieg sind die Menschen in Afghanistan

schwer traumatisiert, die Wirtschaft liegt am Boden und das politische Sys-
tem ist eines der Klientelwirtschaft und Korruption, die soziale Lage der
Bevölkerung ist dramatisch. Der NATO-Krieg der vergangenen 13 Jahre,
an dem Deutschland bis heute beteiligt ist, hat zu diesem Zustand wesent-
lich beigetragen.

9. In Afghanistan herrschen mitnichten demokratische Verhältnisse. Sowohl
die Regionalwahlen im April 2014 als auch die Präsidentschaftswahlen im
Mai 2014 stehen unter dem Verdacht massiver Wahlfälschungen. Die Ad-
ministration in Kabul und den Provinzen funktioniert nach dem Prinzip von
Willkür und Vetternwirtschaft. In großen Teilen des Landes herrschen Ge-
setzlosigkeit, Terror und Plünderungen, insbesondere durch regierungsnahe
Milizen und die Privatarmeen von nie entwaffneten Warlords, die immer
wieder auch mit den NATO-Streitkräften eng kooperieren.

10. Die wirtschaftliche Situation des Landes ist katastrophal. Nur der Opium-
anbau boomt. Seit Beginn der NATO-Intervention ist Afghanistan zum Ex-
portweltmeister für Opium aufgestiegen. Die Vereinten Nationen schätzen,
dass die Produktion 2014 mit etwa 6.400 Tonnen einen 17 %igen Anstieg
allein im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen hat. Afghanistan bleibt
damit der weltweit wichtigste Lieferant von Opium. Die wirtschaftliche
Entwicklung Afghanistans wird weiterhin nicht durch ein selbsttragendes
Wirtschaftswachstum, sondern nur durch die Zuflüsse aus der internationa-
len Gebergemeinschaft stimuliert, die Arbeitslosenquote unter der erwerbs-
fähigen Bevölkerung liegt bei über 50 %.

11. Die Menschenrechtslage ist auch in den von der afghanischen Regierung
beherrschten Gebieten des Landes desaströs. Afghanistan liegt im Human
Development Index, der Lebenserwartung, Lebensstandard und Bildung
misst, auf Platz 169 von 187 Ländern. Die Kindersterblichkeitsrate liegt
immer noch bei 10 %. Nur 25 % der Bevölkerung sind laut Weltbank al-
phabetisiert. Bei der ungleichen Entwicklung zwischen Männern und Frau-
en liegt Afghanistan laut Gender Inequality Index auf dem drittletzten Platz
der Welt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Bundeswehr unverzüglich, vollständig und ohne Vorbedingungen aus
Afghanistan abzuziehen und die Zusammenarbeit mit US-, NATO- oder
afghanischen Streitkräften und Sicherheitsbehörden zu beenden, demzufol-
ge die Zusage zur Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Resolute Sup-
port Mission zurückzuziehen,

2. insbesondere den Einsatz der geheimen und nicht kontrollierten Einheiten
des Kommando Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan zu beenden und ge-
genüber der afghanischen und der US-Regierung insbesondere auch auf die
sofortige Einstellung des Geheimkriegs von Spezialkommandos und Ge-
heimdiensten zu drängen,

3. im NATO-Rat dafür einzutreten, keine Entscheidungen zu treffen, die Mili-
täreinsätze in Afghanistan unterstützen und demzufolge die Militärmission
Resolute Support Mission zu beenden und keine anderen militärischen Fol-
gemissionen zu unterstützen,

4. die zivil-militärische Zusammenarbeit zu beenden und sich stattdessen auf
zivile Krisenbewältigung und Entwicklungszusammenarbeit zu konzentrie-
ren,

5. auch vor dem Hintergrund, dass in den vergangenen 13 Jahren mehr als
hunderttausend deutsche Soldaten in Afghanistan im Einsatz waren und ihr
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Drucksache 18/3589 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Leben riskierten und 54 getötet wurden, dem Bundestag eine umfassende
und kritische Bilanz von zwölf Jahren Krieg in Afghanistan und der deut-
schen Beteiligung daran vorzulegen,

6. sich in der UN dafür einzusetzen, dass ein neues, ausschließlich auf den
zivilen Wiederaufbau gerichtetes UN-Mandat für einen wirklichen Frie-
densprozess in Afghanistan beschlossen wird, in dem Friedensverhandlun-
gen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung begleitet wer-
den und dem zivilen Wiederaufbau des Landes eine nachhaltige Unterstüt-
zung angeboten wird.

Berlin, den 16. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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