BT-Drucksache 18/3576

Brennelementefabrik Lingen und AREVA

Vom 16. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3576
18. Wahlperiode 16.12.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Ralph
Lenkert, Kerstin Kassner und der Fraktion DIE LINKE.

Brennelementefabrik Lingen und AREVA

In Lingen produziert die Advanced Nuclear Fuels GmbH (ANF) Brennelemente
für den weltweiten Einsatz in Atomkraftwerken. Die frühere Siemens-Anlage
gehört heute zum französischen Staatskonzern AREVA. Der Betrieb der Anlage
ist nicht vom Atomausstieg betroffen und darf ohne Befristung dauerhaft fortge-
setzt werden. Nach der Katastrophe von Fukushima wurden in Deutschland acht
Atomkraftwerke (AKW) stillgelegt. Sieben dieser AKWs waren laut eigner
Aussage der ANF bis dahin Kunden bei der ANF Lingen. Der Umsatz der ANF
Lingen soll demnach um 40 Prozent eingebrochen sein. Das Unternehmen kün-
digte Kurzarbeit an, AREVA reagierte mit Stellenkürzungen in Deutschland,
auch am Standort Lingen (vgl. www.lingen.de/Newsmeldungen/wirtschaft_
aktuell/areva_hat_erfolgreich_umstrukturiert.html).
Als eine Reaktion auf die Kundenverluste in Deutschland hat ANF nach Medi-
enberichten die Herstellung von Brennelementen mit einer Beimischung von
Gadoliniumoxid aufgenommen: „Neben einer Anpassung der Brennelement-
kapazitäten können voraussichtlich ab dem vierten Quartal 2014 sogenannte
Gadolinium-Tabletten für Europa und China gefertigt werden.“ Außerdem heißt
es: „Ein weiteres Geschäftsfeld, das sich aus den abgeschalteten oder noch
abzuschaltenden Kernkraftwerken akquiriert hat, ist das Zurückholen noch fri-
scher Brennelemente.“ (vgl. www.noz.de/lokales/lingen/artikel/464819/anf-in-
lingen-akquiriert-neue-geschaftsfelder).
Diese Beimischung eines Seltene-Erden-Metalls soll offenbar höhere Abbrände
bei den Brennelementen ermöglichen. „Gadolinium wird in Form von Gadolini-
umoxid in modernen Brennelementen als abbrennbares Absorbermaterial ver-
wendet, das nach einem Brennelementewechsel zu Beginn des Betriebszyklus die
durch einen Überschuss an Kernbrennstoff entstehende zu hohe Reaktivität des
Reaktors begrenzt. Mit zunehmendem Abbrand der Brennelemente wird auch
das Gadolinium abgebaut.“ (vgl. www.institut-seltene-erden.org/gadolinium-gd-
ordnungszahl-64/).
In einer Presseerklärung berichtet der niedersächsische Umweltminister Stefan
Wenzel über technische Probleme in der Uranfabrik Lingen: „Dabei wurde im
Rahmen einer wiederkehrenden Prüfung ein Riss im Ofenrohr des Drehrohr-
ofens im Bereich der Trockenkonversion entdeckt. Als Ursache dafür wird ein
Alterungseffekt angenommen. Das betroffene Bauteil soll ausgetauscht werden.
Der Drehrohrofen steht zurzeit still und kann erst nach der Reparatur wieder in
Betrieb genommen werden. Zum anderen war ein Riss in einer Stahlbetonkon-
sole unterhalb eines Dachträgers aufgetreten, der ebenfalls meldepflichtig war.
Grund dafür war eine falsch ausgeführte Bewehrung. Der Vorgang wird weiter
untersucht. Bezüglich einer falschen Assemblierung von Brennelementen, die

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wegen des Atomausstiegs nicht zum Einsatz kamen, wird der Bund um eine Ein-
schätzung gebeten.“ (vgl. www.umwelt.niedersachsen.de/aktuelles/
pressemitteilungen/brennelementefabrik-in-lingen-besichtigt--129061.html).
In den letzten Monaten und Wochen haben sich die Hinweise verdichtet, dass die
AREVA als Mutterkonzern der ANF erhebliche wirtschaftliche Probleme hat,
die auch auf die Katastrophe von Fukushima und den damit einhergehenden
Auftragsrückgängen zurückgeführt werden. Außerdem werden als Gründe die
erheblichen Bauverzögerungen und damit verbundene Kostenexplosionen bei
den beiden AKW-Neubauten in Olkiluoto (Finnland) und Flamaville (Frank-
reich) genannt (vgl. www.nzz.ch/wirtschaft/atomkonzern-areva-am-abgrund-
1.18429919).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hoch ist derzeit die genehmigte Menge von angereichertem Uran, mit

der maximal pro Jahr auf dem Gelände der Brennelementefabrik Lingen
hantiert werden darf?

2. Was genau ist nach Kenntnis der Bundesregierung gemeint, wenn von der
ANF davon gesprochen wird, dass es eine „Anpassung der Brennelement-
kapazitäten“ gegeben habe bzw. vorgenommen werden soll?

3. Von welchen Atomkraftwerken hat die ANF dort nicht mehr benötigte fri-
sche Brennelemente zurückgenommen, um wie viele Brennelemente je
AKW handelte es sich dabei, und bis wann soll diese Rückholung insgesamt
abgeschlossen sein?

4. Wie viele Uranbrennelemente (BE) jeweils für Siedewasser- bzw. Druck-
wasserreaktoren (SWR bzw. DWR) können pro Jahr maximal bei der ANF
hergestellt werden, und wie hoch war die Jahresproduktion seit 2009 je-
weils (bitte Anzahl BE für SWR und DWR angeben)?

5. An welche Atomkraftwerke gingen jeweils pro Jahr seit 2009 und bis ein-
schließlich 2014 die hergestellten Brennelemente, und wie viele Brennele-
mente gingen jeweils an diese AKW (bitte aufgeschlüsselt nach SWR und
DWR angeben)?

6. Welche Maßnahmen haben nach Kenntnis der Bundesregierung dazu ge-
führt, dass die ANF die deutschen Kundenverluste nach der Katastrophe
von Fukushima in etwa kompensieren konnte, und wie hat sich die Kunden-
struktur seitdem verändert (bitte aufgeschlüsselt nach neuen Kunden bzw.
AKWs, erhöhte BE-Lieferungen an bisherige Kunden oder andere Maßnah-
men angeben)?

7. Erreicht die ANF nach Kenntnis der Bundesregierung in den Geschäftsjah-
ren nach Fukushima inzwischen wieder einen Jahres-Umsatz in der Höhe
von vor Fukushima?

8. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Auslastung der ANF
in den Jahren 2013 und 2014 gemessen an der Kapazität der Anlage und ge-
messen an den Jahren 2009 und 2010?

9. Wie hoch waren die Gewinnabführungen der ANF Lingen in den Jahren
2009 bis heute jeweils in Richtung an den Mutterkonzern?

10. Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, ob die ANF der Muttergesell-
schaft AREVA oder anderen Tochtergesellschaften der AREVA Kredite zur
Verfügung gestellt hat?
Wenn ja, in welcher Höhe?

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11. Wann hat die ANF Lingen mit dem Einsatz von Gadoliniumoxid begonnen,
und welche technischen Veränderungen mussten dafür am Standort Lingen
vorgenommen werden?

12. Welche Genehmigungen auf welcher Rechtsgrundlage mussten dafür von
welchem Ministerium erteilt werden, und wann sind diese jeweils erteilt
worden?

13. Welche Veränderungen hinsichtlich Strahlenschutz, Arbeitsschutz oder
sonstiger Schutzvorschriften mit Bezug auf die Gesundheit der Beschäftig-
ten oder der Bevölkerung sind durch den Einsatz des Gadoliniumoxid ein-
getreten?

14. Aus welchen Gründen ergibt sich aus dem Einsatz von Gadoliniumoxid in
den Brennelementen nach Kenntnis der Bundesregierung ein verbesserter
Absatz für die ANF?

15. Welche Vorteile bringt dieses Material gegenüber herkömmlichen Brenn-
elementen im Reaktoreinsatz?

16. Wie sind Brennelemente mit Gadoliniumoxid im Grundsatz aufgebaut, und
wie hoch je Pellet und je Brennelement ist der Anteil von Uran, dessen An-
reicherung mit Uran 235 und des Anteils von Gadoliniumoxid?

17. Werden Brennelemente mit Gadoliniumoxid in Deutschland eingesetzt?
Wenn ja, seit wann werden sie eingesetzt (erstmaliger Einsatz im Reaktor),
von welchen Herstellern, in welchen Atomkraftwerken und jeweils wie
viele Brennelemente?
Wenn nein, hat die Bundesregierung Kenntnis, warum nicht?

18. Hat der Einsatz von Gadoliniumoxid in den Brennelementen nach dem
Reaktoreinsatz Auswirkungen auf das Abklingverhalten und auf die weitere
Zwischenlagerung in Castorbehältern oder der Endlagerung?
Wenn ja, welche?
Wenn nein, warum nicht?

19. Wie viele Beschäftigte hatte die ANF Lingen nach Kenntnis der Bundes-
regierung jeweils in den Jahren 2010 bis heute?

20. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die wirtschaftliche Situa-
tion der AREVA insgesamt und hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf
die Geschäftsbereiche in Erlangen und Lingen?

21. Welchen Stellenwert hat nach Kenntnissen der Bundesregierung die ANF
Lingen im Rahmen der weltweiten Brennelementeproduktion von AREVA
insgesamt, und sieht die Bundesregierung Risiken, dass es zu einer Verlage-
rung der Produktion vom Standort Lingen zu anderen Brennelementefabri-
ken der AREVA im Ausland kommen könnte?

22. Was genau erfolgt im Bereich der Trockenkonversion bei der Herstellung
von Brennelementen, und welche Probleme und Risiken sind mit dem Riss
im Ofenrohr des Drehrohrofens verbunden?

23. Ist der Austausch des Ofenrohrs inzwischen erfolgt und der Bereich der
Trockenkonversion wieder in Betrieb, bzw. bis wann soll das erfolgen?

24. Welche Auswirkungen auf den Gesamtbetrieb hatte oder hat die Stilllegung
der Trockenkonversion?

25. Welche Bedeutung hat der Riss in einer Stahlbetonkonsole unterhalb eines
Dachträgers, und warum ist dieser meldepflichtig?

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26. Welche Ergebnisse zum Riss in einer Stahlbetonkonsole unterhalb eines
Dachträgers haben die weiteren Untersuchungen gebracht, bzw. bis wann
werden diese erwartet?

27. Für welche AKWs waren die falsch assemblierten Brennelemente aus der
ANF Lingen bestimmt, was genau wurde falsch gemacht, wo bzw. von wem
ist der Fehler bemerkt worden, und wie schätzt die Bundesregierung diesen
Vorgang ein?

28. Plant die Bundesregierung den Atomausstieg auch auf die Brennelemente-
fabrik in Lingen auszuweiten und den Betrieb zu befristen?
Wenn ja, in welcher Weise soll das erfolgen?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 16. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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