BT-Drucksache 18/3548

Menschenrechte in Mexiko schützen, Verhandlungen zum Sicherheitsabkommen aussetzen

Vom 17. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3548
18. Wahlperiode 17.12.2014
Antrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Michael Leutert, Wolfgang Gehrcke, Jan Korte,
Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Da delen, Dr. Diether Dehm, Annette
Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Stefan Liebich,
Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich und der
Fraktion DIE LINKE.

Menschenrechte in Mexiko schützen,
Verhandlungen zum Sicherheitsabkommen aussetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Am 26. September 2014 wurden 43 Lehramtsstudenten in Iguala im südmexi-
kanischen Bundesstaat Guerrero verschleppt und mutmaßlich ermordet. Die jun-
gen Menschen waren auf dem Weg zu einer Spendensammlung, um die Teil-
nahme an einer Demonstration zum Gedenken an ein Massaker an Studierenden
1968 in Mexiko-Stadt zu finanzieren. Nach den bislang bekannt gewordenen
Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden waren an dem mutmaßlichen Verbre-
chen bewaffnete staatliche Kräfte, politische Funktionäre und kriminelle Ban-
den beteiligt. Inzwischen sind Massengräber mit verscharrten Körpern sowie
verbrannte Leichen gefunden worden. Der Generalstaatsanwalt Mexikos geht
davon aus, dass es sich bei den verbrannten Leichen um die Überreste der Stu-
denten handelt, bisher ist erst die Identität eines Studenten nachgewiesen wor-
den.

2. Das mutmaßliche Massaker von Iguala reiht sich in eine Serie von schweren
Gewalttaten – unter maßgeblicher Beteiligung von Polizei- und Militärkräften –
ein, die sich auch gegen Aktivisten und Aktivistinnen sozialer Bewegungen, ge-
gen Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger sowie kritische Journalis-
tinnen und Journalisten richten. Drei Monate zuvor hatte die Polizei 21 Jugend-
liche in der Ortschaft Tlatlaya im Bundesstat México erschossen. Die Recher-
chen von US-Medien und die Aussage eines Augenzeugen enthüllten, dass es
sich um extralegale Hinrichtungen gehandelt hatte und die Opfer nicht, wie Ver-
treter des Landes und der Stadt erklärt hatten, Kriminelle waren. Am 12. Okto-
ber 2014 wurde ein deutscher Austauschstudent von der Polizei angeschossen
und verletzt. Am 17. Oktober wurde im Norden des Landes ein führender Twit-
teraktivist ermordet, der die Öffentlichkeit über die Gewalt und über die Kom-
plizenschaft zwischen Regierungsverantwortlichen und organisiertem Verbre-
chen informiert hatte.

3. Nach Angaben international renommierter Menschenrechtsorganisationen – un-
ter anderem Amnesty International (AI) – wendet die mexikanische Polizei
nachweislich Foltermethoden an. Ein Bericht von AI von Anfang September
2014 verweist darauf, dass die mexikanische Menschenrechtskommission im
Jahr 2013 einen Anstieg von Folterfällen um 600 Prozent verzeichnet hat, dass
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

Drucksache 18/3548 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

nur sieben Urteile gegen Folterer aus Polizei oder Militär gefällt wurden und
weitreichende Straflosigkeit herrscht und dass 64 Prozent der Mexikanerinnen
und Mexikaner Angst vor Folter im Polizeigewahrsam haben.

4. In dieser Situation treten die Verhandlungen der Bundesregierung mit der me-
xikanischen Staatsführung über ein Sicherheitsabkommen in die Endphase. Die
bilaterale sicherheitspolitische Vereinbarung soll voraussichtlich bis Ende 2014
von den beiden beteiligten Regierungen unterzeichnet und im Jahr 2015 vom
Deutschen Bundestag beschlossen werden. Spätestens angesichts der jüngsten
Entwicklungen in Mexiko ist dieses Abkommen neu zu bewerten, da sich die
Pflicht für bundesdeutsche Behörden ergibt, unter bestimmten Bedingungen
personenbezogene Daten an mexikanische Behörden weiterzureichen. Aus die-
sem Grund fordern zahlreiche mexikanische und deutsche Menschenrechtsgrup-
pen von der Bundesregierung, zu diesem Zeitpunkt kein solches Sicherheitsab-
kommen mit Mexiko abzuschließen.

5. Die überbordende Gewalt in Mexiko steht im Zusammenhang mit der wirt-
schaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes während der letzten 20 Jahre.
Dieser Zeitraum war maßgeblich geprägt von der Implementierung der Freihan-
delsabkommen mit den USA (NAFTA) und der Europäischen Union. Sie rich-
tete die mexikanische Volkswirtschaft auf eine einseitige Exportorientierung aus
und machte sie dadurch in hohem Maße verwundbar. So wurde Mexiko wie
kaum ein anderes Land des Südens von der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise
in den USA und in der EU getroffen. Die Armutsquote blieb selbst in Jahren des
Wirtschaftswachstums konstant hoch und stieg sogar von 45 auf über 50 Pro-
zent. Im Verhältnis zur EU wuchs das Handelsdefizit Mexikos bis 2013 auf rund
10 Mrd. Euro jährlich an. Hinzu kommt eine Zunahme von Arbeitskämpfen, bei
denen die beteiligten Arbeiterinnen und Arbeiter staatlicher Repression ausge-
setzt sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Verhandlungen über das geplante Sicherheitsabkommen mit Mexiko vorerst
auszusetzen;

den bisherigen Stand des Verhandlungstextes zu veröffentlichen und weitere
Schritte unter der Einbeziehung des mexikanischen und des deutschen Parla-
mentes und von Menschenrechtsorganisationen transparent zu gestalten;

Mexiko bei der Aufklärung der Verschleppung und mutmaßlichen Ermordung
der 43 Studenten in Guerrero jede Unterstützung anzubieten;

Menschenrechtsverteidiger zu schützen und die Leitlinien der Europäischen
Union zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern (2008) umzusetzen;

zur Verbesserungen der organisatorischen Ausstattung von Menschenrechtsver-
teidigern einen Koordinator für Menschenrechte in der deutschen Botschaft in
Mexiko-Stadt durch Haushaltsmittel (Einzelplan 05) i. H. v. 126 000 Euro zu
schaffen;

sich bei Verhandlungen auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass bei Ver-
einbarungen und Verträgen, darunter bei der aktuellen Neufassung des Freihan-
delsabkommens, die menschenrechtliche und soziale Situation in Mexiko ver-
bindliche und sanktionsbewehrte Berücksichtigung findet.

Berlin, den 16. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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