BT-Drucksache 18/3524

Entzug des Personalausweises bei Djihadisten

Vom 9. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3524
18. Wahlperiode 09.12.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Kerstin Kassner, Dr. Petra Sitte,
Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Entzug des Personalausweises bei Djihadisten

Die Bundesregierung drängt auf eine gesetzliche Möglichkeit, deutschen Staats-
bürgerinnen und Staatsbürgern neben dem Reisepass auch den Personalausweis
zu entziehen. Als Motiv wird vor allem das Ziel genannt, Islamisten, die sich der
Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) anschließen wollen, an der Ausreise
zu hindern. Ein Entwurf für eine Änderung des Personalausweisgesetzes sieht
vor, den Betroffenen kostenpflichtige Ersatzdokumente auszuhändigen, die
nicht zur Ausreise aus dem Bundesgebiet berechtigen (vgl. u. a. Regierungspres-
sekonferenz vom 26. November 2014). Damit soll vor allem verhindert werden,
dass die mutmaßlichen Djihadisten zunächst in Drittländer, wie etwa die Türkei,
reisen, für die kein Reisepass erforderlich ist, und von dort aus zum IS stoßen.
Die Ungültigkeitserklärung des Personalausweises, die ggf. per öffentlicher Zu-
stellung erfolgen soll, kann dann in den Verbund des Schengener Informations-
systems (SIS) eingestellt werden. Damit können auch Grenzbehörden der Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union (EU) erkennen, dass die betreffende Per-
son nicht über ein gültiges Dokument zur Ausreise verfügt.
Der Entzug des Personalausweises hat für die Betroffenen gravierende Auswir-
kungen, die weit darüber hinausgehen, nicht ins Ausland reisen zu können. Auch
im Inland muss bei vielfältigen Gelegenheiten ein Personalausweis vorgelegt
werden, von Vertragsabschlüssen bis hin zur Identifikation am Postschalter bei
der Entgegennahme von Sendungen, ggf. auch an der Supermarktkasse bei Be-
zahlung mit der Girocard. Legen die Betroffenen hier lediglich einen Ersatzaus-
weis vor, wird dies unweigerlich zu Nachfragen führen. Die geplante Maßnahme
hat daher ein hohes Stigmatisierungspotenzial. Die Fragestellerinnen und Frage-
steller begrüßen zwar die Absicht, die Rekrutierung für den IS aus Deutschland
bzw. der EU zu erschweren, sehen die geplante Maßnahme aber auch als erheb-
lichen Grundrechtseingriff, der einige Fragen aufwirft. Vor allem ist zu hinter-
fragen, ob es nicht weniger grundrechtsrelevante Alternativen gibt. So ist es
bereits nach geltender Gesetzeslage möglich, sowohl deutschen als auch
Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern die Ausreise zu untersagen (vgl. Ant-
wort der Bundesregierung zu Frage 16 auf Bundestagsdrucksache 17/14391).
Die Bundesregierung hat bereits eingeräumt, dass sie über die Anzahl dieser
Anordnungen „nur ausschnittsweise“ unterrichtet sei (Bundestagsdrucksache
18/2725). Hier müsste aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller zunächst
nachgebessert werden. Eine weitere zu prüfende Alternative wäre eine Erweite-
rung des SIS, in das Angaben über Ausreiseuntersagungen eingespeist werden
könnten.

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Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche konkreten Angaben kann die Bundesregierung zu der Frage machen,

inwiefern Deutsche, denen sowohl der Reisepass entzogen, als auch eine
Ausreiseuntersagung auferlegt wurde, dennoch ausreisen, um sich dem IS an-
zuschließen?
a) Um wie viele Personen handelt es sich (bitte für die Jahre 2012, 2013 und

2014 aufschlüsseln)?
b) Wie gestalten sich in diesen Fällen die Reisewege (bitte Land der Ausreise

sowie erstes Reiseziel außerhalb der EU mitteilen)?
2. Inwiefern geben welche Sicherheitsbehörden des Bundes den zuständigen

Landesbehörden Hinweise über Personen, bei denen nach Auffassung der
Bundessicherheitsbehörden die gesetzlichen Voraussetzungen für den Pass-
entzug und die Ausreiseuntersagung vorliegen?
a) Zu wie vielen Deutschen haben jeweils welche Bundessicherheitsbehör-

den in den Jahren 2012, 2013 und 2014 solche Hinweise erteilt?
b) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, inwiefern gegenüber

diesen Personen dann tatsächlich Maßnahmen zur Ausreiseverhinderung
getroffen worden sind?

3. Hat die Bundesregierung Grund zur Annahme, die zuständigen Ordnungsbe-
hörden würden Deutschen, bei denen seitens der Sicherheitsbehörden des
Bundes oder der Länder konkrete Hinweise dafür vorliegen, dass sie sich der
Terrorgruppe IS anschließen wollen, den Reisepass nicht entziehen bzw.
keine Ausreiseuntersagung auferlegen, und wenn ja, welche Zahlen kann sie
hierzu mitteilen?

4. Ist die Bundesregierung bestrebt, von den Ländern künftig umfassende An-
gaben über Maßnahmen im Zusammenhang mit Ausreiseuntersagungen bzw.
Passentziehungen zu erhalten, und wenn ja, welche Initiativen hat sie hierzu
ergriffen oder will sie noch ergreifen, und wie haben sich die Länder bislang
hierzu positioniert?
Wenn nein, warum nicht?
Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Gemeinsamen Zentren
zur Terrorismusabwehr und zur Extremismus- und Terrorismusabwehr
(GTAZ und GETZ)?

5. Gründet die angekündigte Gesetzesinitiative der Bundesregierung aus-
schließlich auf den Zahlen und Tatsachen, auf die in den vorangegangenen
Fragen abgestellt wurde?
a) Wenn ja, inwiefern hält sie auf dieser Grundlage eine Maßnahme wie den

Entzug des Personalausweises für verhältnismäßig?
b) Wenn nein, auf welche weiteren konkreten Zahlen und Tatsachen gründet

sie die angekündigte Gesetzesinitiative?
6. Aufgrund welcher (ggf. weiteren) Umstände sind nach Auffassung der Bun-

desregierung die bestehenden Instrumente des Passentzugs und der Ausreise-
untersagung nicht ausreichend?

7. In welchen Datenbanken wird eine Ausreiseuntersagung vermerkt, und wel-
che deutschen Behörden haben hierauf jeweils Zugriff?
Erfolgt nach Kenntnis der Bundesregierung die Erfassung von Maßnahmen
zur Ausreiseverhinderung im polizeilichen Grenzfahndungsbestand zu
100 Prozent, und wenn nein, wie hoch ist die Quote von Nichterfassungen,
was sind die Gründe hierfür, und welche Initiativen werden unternommen,
um diese Erfassungslücke zu schließen?

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8. In welchem Umfang werden die Dokumente von Personen, die Deutschland
in Richtung eines Drittlandes verlassen (per Schiff oder Flugzeug), von den
deutschen Grenzbehörden auf ihre Gültigkeit überprüft (die Angaben bitte
soweit möglich auf deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, Unions-
bürgerinnen und Unionsbürger sowie Bürgerinnen und Bürger von Dritt-
staaten aufgliedern)?
a) Zu welchem (ggf. geschätzten) Anteil werden die Dokumente mit dem

polizeilichen Grenzfahndungsbestand abgeglichen?
b) Zu welchem (ggf. geschätzten) Anteil werden die Dokumente mit weite-

ren Datenbanken abgeglichen, und welche sind dies?
9. Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung rechtliche Hindernisse, die

einem vollständigen Abgleich der Reisedokumente jeweils deutscher
Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, Unionsbürgerinnen und Unionsbürger
sowie Drittstaatsangehörigen bei der Ausreise aus Deutschland in ein Dritt-
land mit dem polizeilichen Grenzfahndungsbestand entgegenstehen (bitte
ggf. erläutern)?
a) Welche Verzögerungen bei der Grenzabwicklung bzw. beim Reisever-

kehr wären nach Kenntnis der Bundesregierung zu erwarten, wenn die
deutschen Grenzbehörden in 100 Prozent der Ausreisen eine elektroni-
sche Gültigkeitsprüfung und einen Abgleich mit dem polizeilichen
Grenzfahndungsbestand vornehmen würden?

b) Welche weiteren Gründe sprechen ggf. dagegen, eine solche 100-Pro-
zent-Prüfung verpflichtend einzuführen?

10. Was unternimmt die Bundesregierung, um künftig im SIS-Verbund auch
Ausreiseuntersagungen speichern zu lassen?
Welchen weiteren Anpassungsbedarf sieht sie beim SIS, und welche Initia-
tiven hat sie hierzu ggf. ergriffen, mit jeweils welchen Reaktionen?
Inwiefern stellen die bestehenden Möglichkeiten des SIS und dessen ggf.
von der Bundesregierung angestrebten Änderungen aus ihrer Sicht eine Al-
ternative zum angestrebten Entzug des Personalausweises dar?

11. Welche Initiativen haben nach Kenntnis der Bundesregierung andere Mit-
gliedstaaten bzw. die Europäische Kommission bzgl. der Anpassung des
SIS bzw. eines koordinierten Vorgehens beim Entzug von Personalauswei-
sen bzw. vergleichbarer Dokumente ergriffen?
Welche Alternativen hierzu (mit dem Zweck der Unterbindung von Aus-
reisen) wurden vorgelegt, und wie positioniert sich die Bundesregierung zu
diesen (bitte begründen)?

12. Wie gestaltet sich aus Sicht der Bundesregierung der rechtliche Rahmen
hinsichtlich des Abgleichs von Reisedokumenten mit dem SIS?
Ist es nach derzeitiger Rechtslage zulässig, sämtliche Reisedokumente von
Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern unter Abgleich mit dem SIS auf ihre
Gültigkeit zu überprüfen?

13. Zu welchen Ergebnissen kam die Bundesregierung bei ihren Überlegungen,
ob bzw. inwieweit Änderungen beim Schengener Grenzkodex notwendig
sind (vgl. Bundestagsdrucksache 18/2429), und welche Initiativen hat sie
ergriffen (mit jeweils welchen Reaktionen) bzw. will sie noch ergreifen?

14. Inwiefern werden nach Kenntnis der Bundesregierung die Personalausweise
deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger von den Grenzbehörden der
anderen Mitgliedstaaten der EU überprüft, wenn die deutschen Staatsbürge-
rinnen bzw. Staatsbürger von dort aus in ein Drittland reisen, und inwiefern
greifen diese dabei auf SIS zu (auf dem Land-, See- oder Luftweg)?

Drucksache 18/3524 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
15. Verfügen nach Kenntnis der Bundesregierung die Grenzbehörden an sämt-
lichen Grenzübergängen der Union zu Drittländern über die Möglichkeit,
die Reisedokumente elektronisch zu überprüfen?

16. Inwiefern ist es nach derzeitiger Rechtslage möglich, den Grenzsicherungs-
behörden der Unionsländer Angaben zu deutschen Staatsbürgerinnen und
Staatsbürgern zu übermitteln, gegen die in Deutschland Maßnahmen zur
Ausreiseverhinderung ergriffen wurden, um diesen Grenzsicherungsbehör-
den zu ermöglichen, die Ausreise dieser Personen in Drittländer zu verhin-
dern?
a) Inwiefern wird von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht (bitte mög-

lichst Zahlen für die Jahre 2012, 2013 und 2014 angeben)?
b) Inwiefern hat die Bundesregierung eine Ausweitung der rechtlichen

Möglichkeiten für eine solche Übermittlung geprüft, und zu welchen
Schlussfolgerungen kam sie dabei?

17. Inwiefern sieht die Bundesregierung besondere Defizite bei der Umsetzung
von Ausreiseuntersagungen gegen Unionsbürgerinnen und Unionsbürger
von deutschen Häfen oder Flughäfen aus, und welche Schlussfolgerungen
zieht sie hieraus?

18. In welchen Mitgliedstaaten sind nach Kenntnis der Bundesregierung eben-
falls Initiativen ergriffen worden, Personalausweise entweder zu markieren
oder einzuziehen, um die betreffenden Personen an der Ausreise aus der EU
zu hindern, und was sehen diese Initiativen jeweils vor?

19. Inwiefern hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, ob der Entzug
des Personalausweises bzw. dessen Ungültigkeitserklärung potenzielle
Djihadisten tatsächlich am Verlassen des Landes hindern kann, bzw. diese
dann andere Wege finden werden?

20. Nach welchen Kriterien urteilen die Sicherheitsbehörden darüber, ob eine
Person konkrete Absichten hat, Deutschland zu verlassen, um sich einer
ausländischen terroristischen Vereinigung anzuschließen?
Hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, diese Kriterien beson-
ders eng zu fassen, wenn es letztlich darum geht, den Behörden einen Aus-
weisentzug nahezulegen?

21. Inwiefern hat die Bundesregierung den Aspekt einer möglicherweise stig-
matisierenden Wirkung reflektiert, der von einem Personalausweis-Ersatz-
dokument ausgehen kann, und zu welchen Schlussfolgerungen ist sie dabei
gekommen?

22. Welche weiteren Alternativen hat die Bundesregierung geprüft, um Perso-
nen, die sich aus Deutschland oder der EU heraus dem IS anschließen wol-
len, an einer Ausreise zu hindern?

23. Inwiefern soll sich die Gestaltung und Beschriftung des vorgesehenen Er-
satzdokumentes von herkömmlichen Personalausweisen bzw. von Ersatz-
papieren, wie sie etwa von deutschen Konsulaten im Ausland bei Ausweis-
verlust ausgegeben werden, unterscheiden (falls vorhanden, bitte ein Mo-
dell beifügen)?

24. Sollen Personen, denen der Personalausweis entzogen wird, nach den Vor-
stellungen der Bundesregierung verpflichtet werden, ein Ersatzdokument zu
beantragen, um ihrer Ausweispflicht nach § 1 des Personalausweisgesetzes
nachzukommen, oder soll die Ausweispflicht in diesem Fall aufgehoben
werden?
a) Hält es die Bundesregierung für angemessen, die Kosten für die Ausstel-

lung eines Ersatzdokumentes den betreffenden Personen aufzuerlegen,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3524
angesichts des Umstandes, dass diese den Entzug des Personalausweises
weder selbst veranlasst haben noch dieser von einem Gericht angeordnet
worden ist (bitte begründen)?

b) Inwiefern treffen Medienberichte (Rundfunk Berlin-Brandenburg vom
26. November 2014 „De Maizière will Jihadisten bis zu anderthalb Jahre
Personalausweis entziehen“) zu, nach denen der Entzug des Personalaus-
weises auf maximal 18 Monate befristet werden soll?
Sofern diese zutreffen, wie begründet die Bundesregierung diese Frist?
Bedeutet dies, dass die betreffenden Personen nach Ablauf der Frist wie-
der einen Personalausweis erhalten, mit dem sie ausreisen können, auch
wenn sie weiterhin im Verdacht stehen, sich djihadistischen Terrororga-
nisationen anschließen zu wollen?
Soll nach Ablauf der Befristung, ggf. mit einem gewissen zeitlichen Ab-
stand, ein erneuter Entzug möglich sein?

c) Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung bislang Regelungen zur Ent-
schädigung von Personen, die vor Gericht die Rechtswidrigkeit eines
Passentzuges bzw. einer Ausreiseuntersagung feststellen lassen und die
finanzielle Verluste geltend machen, beispielsweise weil sie nicht zu
wichtigen Geschäftsverhandlungen oder Vorstellungsterminen reisen
konnten?
Wie bewertet sie die Notwendigkeit, in Zusammenhang mit der ange-
strebten Änderung des Personalausweisgesetzes eine solche Entschädi-
gungsregelung ausdrücklich klarzustellen?

Berlin, den 8. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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