BT-Drucksache 18/3498

Kritik an Ausstellungen der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung"

Vom 2. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3498
18. Wahlperiode 02.12.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, Jan Korte, Sevim Dağdelen,
Kerstin Kassner, Petra Pau, Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE.

Kritik an Ausstellungen der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“

Die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ präsentiert derzeit im Deut-
schen Historischen Museum (DHM) Berlin die Ausstellung „Twice a Stranger“,
die von der Produktionsfirma „Anemon Productions“ erstellt wurde. Besonders
dessen erster Teil zu den Bevölkerungsverschiebungen in Ostmitteleuropa nach
dem Zweiten Weltkrieg hat eine Kontroverse zwischen dem Wissenschaftlichen
Beirat und dem Direktor der Stiftung ausgelöst, in deren Folge auf die Ausstel-
lung dieses ersten Teils verzichtet wurde. Er ist aber auf der Homepage von Ane-
mon Productions zu sehen. Darin werden die Todesopfer unter den ausgesiedelten
Deutschen auf 2,1 Millionen beziffert, an anderer Stelle ausgeführt, die Zahlen
„gehen in die Millionen“. Weiter wird von interviewten Historikern ausgeführt,
die deutsche Bevölkerung sei in diesen Gebieten im Sommer 1945 „sichtbar“
geworden „visible“. In der deutschen Untertitelung heißt es, sie sei „sehr expo-
niert“ gewesen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) kommentiert
dazu, es dürfte für Schulklassen schon wissenswert sein, „was bis dahin geschah“,
und ebenfalls, „dass die Deutschen schon zuvor, sagen wir: zwischen Herbst
1939 und Frühjahr 1945, in Polen und der Tschechoslowakei ‚sichtbar‘ waren“
(FAZ, 15. November 2014). Nach Kenntnis der Fragesteller waren Deutsche in
diesem Zeitraum auch an „sehr exponierter“ Stelle in der Region aktiv.
Doch auf die Vorgeschichte der Nazi-Verbrechen in Polen und der besetzten
ČSSR wird in dieser Ausstellung in keiner Weise eingegangen. Die Fragesteller
sehen darin, angesichts der Tatsache, dass die Stiftung ihre Aufgaben „in staat-
licher Verantwortung“ (so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine
Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/1356) erfüllen soll, einen politischen
Skandal.
Bei einer zweiten Ausstellung handelt es sich um eine sogenannte Werkstatt-
schau, die erste Einblicke in die geplante Dauerausstellung der Stiftung geben
sollte. Der wissenschaftliche Beirat hatte beschlossen, die Aussiedlung der
Deutschen solle „ein“ Schwerpunkt sein, im Werkstattbericht wird sie nun als
„der“ Schwerpunkt ausgegeben.
Den vorliegenden Medienberichten ist derzeit nicht eindeutig zu entnehmen, in-
wiefern oder ob überhaupt der wissenschaftliche Beirat sowie der Stiftungsrat
über die Anschaffung von „Twice a Stranger“ und die veränderte Schwerpunkt-
setzung informiert worden waren. Nach Angaben der „FAZ“ stand der wissen-
schaftliche Beirat aber „kurz davor“, dem Direktor für Kultur und Medien, Prof.
Dr. Manfred Kittel, das Misstrauen auszusprechen. Nach einem Krisengespräch
mit der Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesre-
gierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, wurde in den Medien über Prof.
Dr. Manfred Kittels Ablösung berichtet; erfolgt ist diese bislang indes nicht.

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Der Direktor steht schon seit langem in der Kritik. Die Fraktion DIE LINKE.
hatte in einer Kleinen Anfrage bereits vor über vier Jahren (Bundestagsdruck-
sache 17/1356) zusammengefasst: Prof. Dr. Manfred Kittel schrieb in seinen
Arbeiten von „einer zweiten geistigen Vertreibung der Vertriebenen“ aus der Er-
innerungskultur, er warf den Alliierten einen „Weltanschauungskrieg“ gegen
Deutschland vor, er stellte die These auf, mit der juristischen Aufarbeitung der
NS-Verbrechen seien „auch noch die letzten Residuen des deutschen National-
gefühls verloren gegangen“. Aus Sicht der Fragesteller waren damit geschichts-
revisionistische Umdeutungen in dem Sinne, Deutsche als bloße Opfer des
Zweiten Weltkrieges, nicht aber als Täter zu zeigen, programmiert.
Mit der Ablösung Prof. Dr. Manfred Kittels wäre aber das Grundproblem nicht
beseitigt. Es ist auch zu fragen, warum der Stiftungsrat und wissenschaftliche
Beirat die Anschaffung der kritisierten Ausstellung nicht verhindern konnten.
Im Stiftungsrat verfügt der Bund der Vertriebenen über sechs Vertreter, damit ist
er mit Abstand die größte Organisation im Stiftungsrat. Die Fragesteller haben
die Geschichtspolitik des Vertriebenenverbundes schon mehrfach als revisionis-
tisch und geschichtsklitternd kritisiert.
Zu hinterfragen ist die Effektivität, mit der der Stiftungsrat die Arbeit der Stif-
tung kontrollieren kann und will sowie die Stellung des wissenschaftlichen
Beirates und der Schwerpunkt, den die Dauerausstellung haben soll.
Die Vorgänge um die beiden Ausstellungen bestätigen die Fragesteller in ihrer
Auffassung, dass die Stiftung ihrem offiziellen Auftrag – vor allem der Versöh-
nung – nicht gerecht wird. Wegen der Mitgliedschaft bestimmter Politiker im
Stiftungsrat – derzeit insbesondere A. T. als Stellvertreter – hat der Zentralrat der
Juden nach Information der Fragesteller seit Beginn der Stiftungsarbeit seine
Mitarbeit dort ausgesetzt. Auch der Zentralrat der Sinti und Roma ist nicht im
Stiftungsrat vertreten.
Die Stiftung erhält jedes Jahr 2,5 Mio. Euro Förderung, aber ihr wichtigstes Pro-
jekt kommt kaum voran: Die Bauarbeiten im Deutschlandhaus, wo das Doku-
mentationszentrum entstehen soll, haben im Jahr 2013 begonnen, damals wurde
die Einweihung für das Jahr 2015 angekündigt. Mittlerweile wird von der Stif-
tung gegenüber den Fragestellern als voraussichtlicher Eröffnungstermin aber
das Jahr 2017 genannt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wer hat nach Kenntnis der Bundesregierung die Initiative zur Anschaffung

der Ausstellung „Twice a Tragedy“ ergriffen, und wer hat die Entscheidung
getroffen?

2. Mit welchen Gremien sowie ggf. externen Beratern ist nach Kenntnis der
Bundesregierung die Anschaffung dieser Ausstellung erörtert worden?

3. Inwiefern war der wissenschaftliche Beirat nach Kenntnis der Bundesregie-
rung im Vorfeld über die Anschaffung unterrichtet worden, und welche
Reaktionen gab es daraufhin?

4. Inwiefern war der Stiftungsrat im Vorfeld über die Anschaffung der Ausstel-
lung unterrichtet worden, und welche Reaktionen gab es daraufhin?

5. Welche Kompetenzen haben nach Kenntnis der Bundesregierung der Wissen-
schaftliche Beirat sowie der Stiftungsrat jeweils bezüglich der Konzipierung
sowie Ankauf oder Anleihe von Ausstellungen?
Inwiefern haben sie ein Vetorecht?

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6. Welche Kosten waren nach Kenntnis der Bundesregierung bislang mit der
Anschaffung der Ausstellung verbunden, und welche weiteren Kosten ent-
stehen ggf. noch (bitte die wichtigsten Kostenpunkte anführen)?
Wurde sie angekauft oder ausgeliehen, und wenn Letzteres, für welchen
Zeitraum?

7. Entspricht es der Auffassung der Bundesregierung von „staatlicher Verant-
wortung“, in einer Ausstellung zwar die Umsiedlung der deutschen Bevöl-
kerung nach 1945 darzustellen, aber mit keinem Wort auf die Vorgeschichte,
namentlich die NS-Verbrechen, einzugehen?
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dieser Darstellung in der genannten Ausstellung?

8. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Behauptung in der Ausstellung, es habe über zwei Millionen Todes-
opfer unter den ausgesiedelten Deutschen gegeben, vor dem Hintergrund,
dass diese Zahlen von seriösen Historikern für nicht haltbar gehalten wer-
den und diese von rund 600 000 Toten ausgehen (www.dhm.de)?

9. Hat sich die Bundesregierung bzw. die Staatsministerin bei der Bundeskanz-
lerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika
Grütters, mit den anderen Stiftungsratsmitgliedern sowie mit dem wissen-
schaftlichen Beirat die Frage erörtert, ob der Direktorposten der Stiftung
neu besetzt werden sollte, und wenn ja, welche konkreten und grundsätzli-
chen Positionen wurden bei diesen Erörterungen geäußert?
Welche Position vertritt die Bundesregierung in dieser Frage?
Ist nach Einschätzung der Bundesregierung, die Ablösung von Prof. Dr.
Manfred Kittel als Direktor zu erwarten?

10. Hat es Ankündigungen von Mitgliedern des Stiftungsrates oder des Wissen-
schaftlichen Beirates, zurückzutreten, gegeben, falls Prof. Dr. Manfred Kittel
Direktor bleibt, und wenn ja, von jeweils wie vielen und von welchen Mit-
gliedern?

11. Wer hat nach Kenntnis der Bundesregierung entschieden, im DHM eine
Werkausstellung mit Einblicken in die künftige Dauerausstellung zu zeigen?

12. Inwiefern waren der Stiftungsrat und nach Kenntnis der Bundesregierung
der Wissenschaftliche Beirat in diese Entscheidung sowie in die Gestaltung
der Werkschau eingebunden, und welche Reaktionen gab es von ihrer Seite?

13. Wer hat nach Kenntnis der Bundesregierung entschieden, die Umsiedlung
der Deutschen solle „der“ Schwerpunkt der künftigen Daueraustellungen
sein, statt „ein“ Schwerpunkt?

14. Welche Kosten sind nach Kenntnis der Bundesregierung in diesem Zusam-
menhang angefallen, und wer genau war für die Inhalte und Gestaltung die-
ser Werkschau zuständig?

15. Inwiefern war diese Entscheidung mit dem Stiftungsrat sowie nach Kennt-
nis der Bundesregierung dem Wissenschaftlichen Beirat abgesprochen, und
welche Reaktionen gab es von diesen?

16. Ist diese Entscheidung nach Kenntnis der Bundesregierung weiterhin gültig,
und wenn ja, mit welcher Begründung?

17. Inwiefern sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die Arbeitsstruk-
turen und ggf. die Satzung der Stiftung zu überarbeiten, um künftig eine
effektivere Einbindung von Wissenschaftlichem Beirat und Stiftungsrat in
Entscheidungen der Geschäftsführung sicherzustellen, und zu verhindern,
dass derart strittige Ausstellungen angeschafft werden?

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18. Welche weiteren Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den ge-
schilderten Vorfällen?

19. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherigen konkreten Arbeitsergeb-
nisse der Stiftung (bitte jeweils einzeln aufzählen) und die Verwendung der
Bundesförderung, insbesondere vor dem Hintergrund der Realisierung der
zukünftigen Dauerausstellung und den Verzögerungen bei den Bauarbeiten
zum Dokumentationszentrum?

20. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesministers für
Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt, eine deutsche Stiftung
habe „sich natürlich vor allem mit der Hauptvertreibung der Sudetendeut-
schen, der Schlesier et cetera zu kümmern“ (Deutschlandfunk, 22. Novem-
ber 2014)?

21. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Bundesministers
für Ernährung und Landwirtschaft, bei der umstrittenen Formulierung (Aus-
siedlung der Deutschen als „ein“ oder „der“ Schwerpunkt) gehe es lediglich
um „Halbsätzlichkeiten“ bzw. „wissenschaftliches Klein-Klein“ (Deutsch-
landfunk, 22. November 2014)?

Berlin, den 1. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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