BT-Drucksache 18/3464

Europäische Polizeioperation Mos Maiorum

Vom 3. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3464
18. Wahlperiode 03.12.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Andrej Hunko, Martina Renner, Frank Tempel,
Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Europäische Polizeioperation Mos Maiorum

Mit der Operation „Mos Maiorum“ vom 12. bis 26. Oktober 2014 setzten die
Mitgliedstaaten des Schengenraums (mit Ausnahme der Schweiz) eine Reihe so
genannter Europäischer Polizeioperationen fort, die der Bekämpfung unerlaub-
ter Migration dienen sollen. Ziel der Operation sei es, die Kapazitäten von
Schleuser-Netzwerken zu schwächen; der Fokus liege dabei auf dem illegalen
Grenzübertritt. Ein weiteres Ziel sei die Sammlung von Informationen für
Lageeinschätzungen und zur Ermittlung der Hauptrouten und der Vorgehens-
weise von kriminellen Netzwerken, die Menschen in das Territorium der
Europäischen Union schmuggeln (Ratsdokument 11671/14, veröffentlicht durch
www.statewatch.org). Dass die „sekundäre Migration“ lediglich als weiteres
Ermittlungsziel in der Definition der Operationsziele auftaucht, bedeutet eine
neue Ausrichtung der „Europäischen Polizeioperation“, die bislang in erster
Linie auf die als Sekundärmigration bezeichnete Weiterreise von unerlaubt ein-
gereisten Migrantinnen und Migranten nach dem Grenzübertritt zielte (vgl. Bun-
destagsdrucksache 18/939). Verstörend ist nach Ansicht der Fragesteller, dass
im zitierten Ratsdokument das Stellen eines Asylantrags als zu erfassender „Mo-
dus Operandi“ der unerlaubten Einreise bzw. des Einschleusens bezeichnet
wird; damit wird in einem EU-Dokument suggeriert, dass das durch EU-Richt-
linien garantierte Recht auf Asylsuche lediglich eine Vorgehensweise kriminel-
ler Netzwerke zum Einschleusen illegaler Migrantinnen und Migranten sei.
Im Rahmen der Operation sollen von den Teilnahmestaaten umfassende Daten
zu unerlaubt eingereisten Migrantinnen und Migranten erhoben und an die Zen-
tralstelle bei der italienischen Grenzpolizei weitergeleitet werden. Die Daten
werden für Feststellungen an den Außengrenzen der Europäischen Union und
für die so genannte Sekundärmigration getrennt erhoben. Eine Präsentation der
Ergebnisse soll in den zuständigen EU-Gremien am 11. bzw. 12. Dezember 2014
erfolgen.
In der Kritik stehen die Europäischen Polizeioperationen unter anderem wegen
der im Inland auch jenseits des grenznahen Raums durchgeführten Polizeikon-
trollen in Zügen und auf Durchgangsstraßen. „Da werden gezielt Menschen
nach ihrem Aussehen herausgezogen“, wird eine Vertreterin des Bayerischen
Flüchtlingsrates in der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ zitiert („Die fragwürdige
Jagd auf Flüchtlinge“, 16. Oktober 2014). Diese Methode des „racial profiling“
wird von menschen- und flüchtlingsrechtspolitischen Gruppen regelmäßig kri-
tisiert (u. a. Deutsches Institut für Menschenrechte 2013, „racial profiling –
Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizei-
gesetz“). Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz hatte zuletzt festgestellt,
dass es zumindest für Kontrollen durch die Bundespolizei auf rein inländischen

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Bahnverbindungen keine Rechtsgrundlage gibt, soweit diese im Zusammenhang
mit der Bekämpfung unerlaubter Einreise stehen sollen. Die Bundespolizei be-
ruft sich bei diesen Kontrollen auf § 22 Absatz 1a des Bundespolizeigesetzes
(BPolG), der die Befugnis zur Personenkontrolle für die Verhinderung oder Un-
terbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet enthält. Das Verwaltungs-
gericht Koblenz hatte argumentiert, diese Norm könne sich nur auf den grenz-
überschreitenden Bahnverkehr beziehen (1 K 294/14.KO), weil im rein inländi-
schen Bahnverkehr gar keine Einreise stattfindet.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In welchem Maß wurde die Bundespolizei im Rahmen der Operation „Mos

Maiorum“ mit zusätzlichem Personal unterstützt, und woher wurde dieses
zusätzliche Personal ggf. mobilisiert?
Wie viele Personenstunden hat die Bundespolizei im Zeitraum absolviert,
und inwiefern weicht diese Zahl vom sonst üblichen Durchschnitt ab?

2. Inwiefern bzw. wo wurden von der Bundespolizei anlässlich von „Mos Ma-
iorum“ auch „Schwerpunktmaßnahmen“ definiert, und welcher Art waren
diese?

3. Welche „anlassbezogene Verstärkungen und temporäre, gemeinsame Ein-
satzmaßnahmen“, die nach Aussage der Bundesregierung „bei Bedarf“ er-
folgen können, wurden definiert und umgesetzt (Plenarprotokoll 18/56)?

4. Inwiefern und in welchem Umfang wurden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung auch Kräfte der Polizeien der Länder in Maßnahmen im Rahmen von
„Mos Maiorum“ einbezogen?

5. Inwiefern war auch der im Bundesministerium des Innern angesiedelte In-
spekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder mit „Mos Maiorum“ be-
fasst?

6. Wie sah nach Kenntnis der Bundesregierung konkret die Unterstützung
der koordinierenden italienischen Stelle durch die Europäische Agentur
FRONTEX aus, und inwiefern waren deutsche Beamte bei FRONTEX in
diesbezügliche Aktivitäten involviert?

7. Inwiefern betrafen Hinweise der italienischen Ratspräsidentschaft auch den
Umgang mit Medien hinsichtlich der Operation „Mos Maiorum“?

8. Welche weiteren Hinweise wurden durch die italienische Ratspräsident-
schaft den Mitgliedstaaten „zeitnah“ übermittelt?

9. Welche weiteren EU-Agenturen und EU-Einrichtungen waren nach Kennt-
nis der Bundesregierung an der gemeinsamen Operation „Mos Maiorum“
beteiligt, und mit welchen Beiträgen?

10. Hat die Bundespolizei mit den gewonnenen Daten ergänzend zur zentralen
Auswertung durch die federführende italienische Behörde eine eigene na-
tionale Auswertung erstellt, und was war die zentrale Fragestellung dieser
Auswertung und was die zentralen Ergebnisse?

11. Wie viele Migrantinnen und Migranten wurden im Rahmen der Operation
„Mos Maiorum“ in Deutschland festgestellt und mittels der Auswertebögen
an die italienische Koordinationsstelle gemeldet, und
a) welche Verkehrsmittel wurden von diesen Personen in welchen quantita-

tiven Anteilen genutzt,
b) wie viele wurden im grenznahen Raum (30-km-Zone, Flughäfen, See-

häfen), und wie viele im Inland festgestellt (bitte auch Teilangaben),
c) welche Nationalität hatten die festgestellten Personen,

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d) wie viele dieser Personen hatten nach Kenntnis der Bundesregierung als
Zielland nicht die Bundesrepublik Deutschland (bitte nach den erfassten
Zielländern auflisten inkl. der Zahl von fehlenden Angaben zum Ziel-
land),

e) wie viele der Feststellungen wurden nach Vorliegen entsprechender An-
haltspunkte mit Menschenschmuggel in Verbindung gebracht,

f) wie viele der festgestellten Personen führten gefälschte oder verfälschte
Dokumente mit sich (bitte nach Dokumententyp auflisten),

g) wie viele der festgestellten Personen wurden als asylsuchend erfasst
(bitte nach den zehn häufigsten Herkunftsländern auflisten und Gesamt-
zahl angeben), und

h) welche Angaben zu den verausgabten Mitteln für die Einreise in die Eu-
ropäische Union wurden gemacht (bitte soweit möglich, niedrigste und
höchste Werte sowie den Durchschnittswert angeben)?

12. Welche Vorgaben (Kennzahlen zur Zahl kontrollierter Personen, Zielgruppe
von Kontrollen, Zielvereinbarungen für Organisationseinheiten, mündliche
Anweisungen o. Ä.) gab es für die Beamtinnen und Beamten der Bundes-
polizei während der Operation „Mos Maiorum“ (bitte möglichst detailliert
angeben und auch angeben, inwieweit sich solche Vorgaben auf bestimmte
vorab definierte Räume bzw. Bahnstrecken bzw. Autobahnabschnitte bezo-
gen haben), und wie viele Kontrollen auf Basis der § 22 Absatz 1a bzw. § 23
Absatz 1 Nummer 3 BPolG bzw. anderer Rechtsgrundlagen wurden durch-
geführt?

13. Gab es vonseiten der koordinierenden Stelle in Italien bzw. von FRONTEX
Anregungen oder Wünsche hinsichtlich der operativen und strategischen
Ausrichtung der deutschen Kontrolltätigkeit im Rahmen der Operation
„Mos Maiorum“, und wenn ja, welche?

14. Welche Schlussfolgerungen für die operative Tätigkeit der Bundespolizei
wurden aus den in den vergangenen Jahren durchgeführten Europäischen
Polizeioperationen konkret gezogen, und inwieweit wurden die Ergebnisse
der Operationen in die nationalen strategischen Planungen und Entschei-
dungen einbezogen?

15. In welchem Umfang wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im Rah-
men von „Mos Maiorum“ Kontrollen an Abschnitten der EU-Außengrenze
oder an land-, luft- oder seeseitigen Grenzkontrollstellen über den Regel-
betrieb hinaus durchgeführt und bzw. oder diese Abschnitte bzw. Kontroll-
stellen in die Datenauswertung einbezogen (bitte nach Teilnahmestaaten
und Abschnitten bzw. Stellen auflisten)?

16. Inwieweit waren von Kontroll- oder Erhebungsmaßnahmen an Grenzab-
schnitten und Grenzkontrollstellen auch solche betroffen, an denen Bundes-
beamtinnen und Bundesbeamte im Rahmen von FRONTEX-Operationen
oder im Rahmen bilateraler Zusammenarbeit Dienst tun, und welche waren
dies im Einzelnen?

17. Sind oder waren die Erkenntnisse und Ergebnisse der Operation „Mos Ma-
iorum“ Gegenstand von Beratungen oder der Berichterstattung im Gemein-
samen Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASiM), und
welche Behörden und Einrichtungen werden außerdem über die Durchfüh-
rung und Ergebnisse dieser und ähnlicher Operationen unterrichtet?

18. Welche weiteren Europäischen Polizeioperationen sind derzeit für die Jahre
2014 und 2015 bereits in Planung oder jedenfalls angekündigt, unter wessen
Federführung werden sie voraussichtlich stehen, und in welchem Maße
wird sich die Bundespolizei an diesen Operationen beteiligen (bitte ver-

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gleichbare Operationen und andere Kooperationsformen auch für die euro-
päischen Polizeinetzwerke RAILPOL, AIRPOL, TISPOL angeben, soweit
deren Tätigkeit sich auf den Phänomenbereich „irreguläre“ Migration be-
zieht)?

19. Welche konkretisierenden Regelungen, Erlasse, Anweisungen, Rundschrei-
ben oder Ähnliches bestehen auf Bundesebene bzw. nach Kenntnis der
Bundesregierung auf Landesebene, mit denen im Sinne des EU-Rechts
bzw. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Vorgaben zu po-
lizeilichen Kontrollen und Befragungen zur Aufdeckung illegaler Einreisen
bzw. illegalen Aufenthalts an EU-Binnengrenzen, im grenznahen Raum
bzw. auch im übrigen Bundesgebiet (bitte differenzieren) gemacht werden
(bitte im Original beifügen oder in den entscheidenden Stellen im Wortlaut
zitieren; bitte einen aktualisierten Stand im Vergleich zur Bundestagsdruck-
sache 18/939 angeben, auch hinsichtlich der dort angekündigten Aktuali-
sierung der „Bestimmungen zur grenzpolizeilichen Aufgabenwahrneh-
mung“)?

20. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen hat die Bundesregierung
hinsichtlich der Kontrollen auf Zugstrecken ohne Anbindung an den Grenz-
verkehr aus dem in der Vorbemerkung der Fragesteller zitierten Urteil des
Verwaltungsgerichts Koblenz gezogen, und welche genauen rechtlichen
Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus
diesem Urteil, mit dem eine Vielzahl derzeitiger Personenkontrollen bzw.
Personenbefragungen auf rein inländischen Bahnstrecken für rechtswidrig
erklärt wird?

21. Wurde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz Berufung einge-
legt, bzw. ist dies beabsichtigt, und wenn ja, mit welcher Begründung?

22. Welche Regelungen des BPolG sind von dem Vertragsverletzungsverfahren
der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland
unter Nummer 2014/4130 („Non-compliance of German Bundespolizei
Gesetz with Art 20 and 21[a] of Regulation [EC] No 562/2006 [Schengen
Borders Code]“) betroffen, was wird von der Kommission konkret moniert,
und welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung aus diesem Vorgang?

Berlin, den 2. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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