BT-Drucksache 18/3245

Qualitätssicherung im weltwärts-Programm

Vom 14. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3245
18. Wahlperiode 14.11.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Christine Buchholz, Wolfgang Gehrcke,
Annette Groth, Heike Hänsel, Dr. Rosemarie Hein, Andrej Hunko, Stefan Liebich,
Cornelia Möhring, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Qualitätssicherung im weltwärts-Programm

Im Jahr 2008 rief das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (BMZ) den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „welt-
wärts“ ins Leben. Das weltwärts-Programm soll junge Menschen an entwick-
lungspolitische Fragestellungen heranführen, ihnen einen Freiwilligendienst
unabhängig von ihrer finanziellen Lage ermöglichen und transkulturelle Ver-
ständigung und Bewusstseinsbildung im Sinne des „Globalen Lernens“ fördern.
Hierbei war von Anfang an problematisch, dass ausschließlich Freiwillige aus
Deutschland Zugang zu dem Programm hatten und es jungen Menschen aus den
Ländern des Südens verwehrt blieb, im Rahmen des weltwärts-Programms nach
Deutschland zu kommen, um einen beiderseitigen Austausch zu gewährleisten.
Der Beginn der Pilotphase zur Integration einer Süd-Nord-Komponente im Jahr
2013, die dies nun ermöglicht, war im Sinne eines gleichberechtigten und soli-
darischen Dialogs eine wichtige Korrekturmaßnahme, wie sie die Zivilgesell-
schaft seit Langem fordert.
Die Nachfrage nach den weltwärts-Freiwilligendiensten ist groß. So wurden
seit Beginn des Programms mehr als 20 000 junge Menschen zu Projekten in
mehr als 70 Länder entsandt. Eine im Jahr 2011 im Anschluss an die dreijährige
Pilotphase durchgeführte Evaluierung zog ein größtenteils positives Fazit,
stellte jedoch auch Nachholbedarf im Bereich Qualitätsstandards und Qualitäts-
sicherung fest. Sie konstatierte insbesondere erhebliche Unterschiede bei den
Entsendeorganisationen bezüglich der Qualität der Einsatzplätze sowie der pä-
dagogischen Betreuung. Außerdem erreichte das Programm hauptsächlich eine
sehr homogene Zielgruppe: Freiwillige mit Abitur und einer hohen sozialen
Herkunft. Bei den einreise- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen für interna-
tionale Freiwillige stellte die Evaluierung bei Partnerländern, die das weltwärts-
Programm nicht aktiv unterstützen, häufige Probleme bei der Beschaffung von
Arbeitsgenehmigungen und Visa fest: „In der Folge sehen sich die weltwärts-
Freiwilligen mit unklaren Aufenthaltsregelungen konfrontiert und sichern eigen-
ständig ihren Aufenthaltsstatus durch wiederholtes Aus- und Einreisen und
einem Touristenvisum ab.“ (vgl. Evaluierung des entwicklungspolitischen Frei-
willigendienstes „weltwärts“). Dieses Problem war jedoch bereits vor der Eva-
luierung bekannt; in den Antworten zu mehreren Kleinen Anfragen wurde wie-
derholt darauf hingewiesen (vgl. Bundestagsdrucksachen 16/10100, 16/12876,
17/9291, 17/12779). In der Vergangenheit verwies die Bundesregierung stets auf
die Verantwortung der Entsendeorganisationen für die Visumsbeschaffung und
erachtete es nicht für notwendig, eine übergreifende Lösung für das Problem zu
finden. Nach wie vor treten jedoch nicht alle Freiwilligen ihren Dienst mit gül-

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tigem Jahresvisum an (vgl. FAKT. Das MDR-Magazin vom 26. Juni 2012,
www.youtube.com/watch?v=WET0dw xHIk8). Auch die Sicherheit der Frei-
willigen und die Qualität der Betreuung stehen hier in der Kritik. Das weltwärts-
Programm ist nach wie vor nicht in der Lage, die Qualität aller Dienste zu ge-
währleisten.
Im Anschluss an die Evaluierung leitete die Bundesregierung einen umfassen-
den Follow-Up-Prozess ein, in den sie auch Vertreterinnen und Vertreter ver-
schiedener am weltwärts-Programm beteiligter Organisationen einbezog. Es ist
zu begrüßen, dass aus dieser partnerschaftlichen Zusammenarbeit unter ande-
rem aktualisierte Leitlinien und neue Maßnahmen zur Qualitätssicherung her-
vorgingen. So konstituierte sich im Jahr 2013 ein Programmsteuerungsaus-
schuss, dem das BMZ, die Koordinierungsstelle des weltwärts-Programms und
Vertreterinnen und Vertreter von Entsendeorganisationen und Rückkehrvereini-
gungen angehören und dem verschiedene Arbeitskreise zuarbeiten. Eine weitere
Neuerung sind die sogenannten Qualitätsverbünde, Zusammenschlüsse von Ent-
sendeorganisationen, die dem BMZ und dem Arbeitskreis „Qualität“ Bericht
erstatten. Die Umsetzung erfolgte bisher jedoch nur schleppend; so hat die Bun-
desregierung die neue Ombudsperson für die Engagement Global GmbH, die als
neutrale Anlaufstelle für mögliche Streitfälle fungieren soll, erst im September
2014 bestellt. Bezüglich der Umsetzung des Follow-Up-Prozesses und darüber
hinausgehenden Nachbesserungsbedarfs bestehen weiterhin offene Fragen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung die Erfahrungen aus dem ersten Zyklus

der Pilotphase der Süd-Nord-Komponente?
2. Sind der Bundesregierung Schwierigkeiten bei der Vor- und Nachbereitung

des Dienstes, bei den Sprachkenntnissen und der Unterkunft der Freiwilligen,
beim Auswahlverfahren oder bei der Verlässlichkeit der Partnerstrukturen
bekannt?
Wenn ja, welche?

3. Wie viele Freiwillige gehen derzeit jährlich über die Nord-Süd-Komponente
in Partnerländer (bitte nach Jahren, Partnerländern und Entsendungen auf-
listen)?

4. Wie viele Freiwillige werden im Rahmen der Süd-Nord-Komponente im ers-
ten und zweiten Zyklus einen Freiwilligendienst in Deutschland absolvieren,
und welche Anzahl von Freiwilligen wird mittel- bis langfristig in dieser
Komponente angestrebt?

5. Welche finanziellen Mittel wurden bzw. werden in den Jahren 2013 bis 2015
für die Süd-Nord-Komponente vom BMZ bereitgestellt (bitte nach Jahren
und jeweiligem Verwendungszweck aufschlüsseln)?

6. Funktioniert die Abwicklung der Fördermittel in der Süd-Nord-Komponente
genau spiegelverkehrt zur Nord-Süd-Komponente (bitte begründen)?

7. Wie sind nach Kenntnis der Bundesregierung die entsendenden Partnerorga-
nisationen finanziell und administrativ in die Bereitstellung der Bundesmittel
eingebunden (bitte einzeln aufschlüsseln)?

8. Existiert nach Kenntnis der Bundesregierung bezüglich der Süd-Nord-Kom-
ponente ein aktualisierter oder gesonderter Leitfaden zur Mittelverwendung
und Mittelabrechnung (seit Stand März 2011) für das weltwärts-Programm,
oder ist ein solcher geplant (wenn ja, bitte beifügen)?
Wenn nein, warum nicht?

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9. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung einer Studie der Uni-
versität Heidelberg, nach der die Visumsbeschaffung für die Freiwilligen
aus Schwellen- und Entwicklungsländern oft „ausgesprochen schwierig bis
unmöglich ist“ (vgl. sechs+sechzig vom 18. Juni 2014, www.magazin66.
de/2014/06/experten-fordern-freiwilligenvisum-fuer-auslaender/)?

10. Plant die Bundesregierung die Einführung eines Freiwilligenvisums, um fi-
nanzielle Hürden und Probleme bei der Genehmigung für Süd-Nord-Frei-
willige zu beseitigen?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, ab wann, und mit welchen Voraussetzungen?

11. Wie plant die Bundesregierung, auf die anhaltenden Probleme bei der Vi-
sumsbeschaffung zu reagieren?

12. Wird der Peer-to-Peer-Ansatz, der eine Begegnung von Nord-Süd- und
Süd-Nord-Freiwilligen zum Ziel hat, im Rahmen der Süd-Nord-Kompo-
nente bereits umgesetzt, und wenn ja, durch welche Maßnahmen?
Wenn nein, wann, und durch welche Maßnahmen ist dies geplant?

13. Mit welchen entsendenden Partnerorganisationen im Globalen Süden ar-
beitet die Engagement Global GmbH momentan für die Süd-Nord-Kompo-
nente zusammen, und in welchen Ländern sind diese angesiedelt (bitte ein-
zeln aufschlüsseln)?

14. Nach welchen Kriterien wurden die Partnerorganisationen und Partner-
länder für die Pilotphase der Süd-Nord-Komponente ausgewählt?

15. Inwiefern arbeitet bzw. arbeitete die Bundesregierung bei der Ausge-
staltung der Süd-Nord-Komponente mit zivilen Akteuren, wie z. B. dem
„Zugvögel e. V.“, zusammen, die bereits Erfahrung mit der Organisation
von Süd-Nord-Freiwilligendiensten in Deutschland haben?

16. Wurden die „Terms of Reference“ für die Evaluierung im Anschluss an die
dreijährige Pilotphase bereits abschließend erarbeitet, und wenn ja, welche
Kriterien beinhalten diese?
Wenn nein, warum nicht, und wann soll dies erfolgen?

17. Welche weiteren Mechanismen zur Qualitätssicherung plant die Bundesre-
gierung für die Süd-Nord-Komponente?

18. Wie weit ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Entwicklung des Mo-
nitoring- und Qualitätssicherungssystems für Engagement Global vorange-
schritten, die für das Jahr 2014 geplant war (wenn bisher nichts erarbeitet
wurde, bitte begründen, warum nicht)?
Welche Aspekte werden hierbei berücksichtigt?

19. Wie viele Sitzungen des Programmsteuerungsausschusses (PSA) fanden
seit der konstituierenden Sitzung im April 2013 statt, und mit welchen The-
men hat sich der Ausschuss bei diesen Sitzungen befasst?

20. Bezüglich welcher Fragestellungen hat der PSA bisher den Arbeitskreis
(AK) „Qualität“ konsultiert, und welche waren die Vorschläge und Kriti-
ken, die der AK dem PSA in seinen bisherigen Berichten unterbreitet hat?

21. Nach welchem Verfahren melden die Qualitätsverbünde Richtlinienver-
stöße an die Koordinierungsstelle des weltwärts-Programms oder an das
BMZ?

22. Sind der Koordinierungsstelle des weltwärts-Programms oder dem BMZ
bereits Richtlinienverstöße durch die Qualitätsverbünde bekannt geworden,
und wenn ja, welche Verbünde und Organisationen waren davon betroffen?

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23. Wurden gegebenenfalls Entsendeorganisationen aus den Qualitätsverbün-
den ausgeschlossen?
Wenn ja, welche, und warum genau?

24. Gab es Fälle, in denen das BMZ die Kooperation mit Entsendeorganisatio-
nen im Rahmen des weltwärts-Programms aufgrund von Regelverstößen
beendet hat?
Wenn ja,
a) welche Organisationen waren davon betroffen,
b) gegen welche Richtlinien richteten sich diese Verstöße?
Wenn nein,
c) warum nicht, angesichts der auch den Fragestellern gegenüber vorgetra-

genen Vorwürfe, die gegen manche Entsendeorganisationen im Raum
stehen?

d) welche Auflagen werden gemacht, und wie wird die Einhaltung dieser
nachgehalten und kontrolliert?

25. Welche Qualitätsverbünde existieren momentan, und welche Entsendeorga-
nisationen sind in diesen zusammengeschlossen?

26. Aus welchen Gründen waren im Jahr 2013 noch 240 Organisationen als
Entsendeorganisationen anerkannt (vgl. Dokumentation des Follow-Up-
Prozesses 2012–2013), wenn auf der Webseite aktuell jedoch lediglich rund
180 als aktive Entsendeorganisationen aufgeführt werden?
Wie ist dieser Rücklauf zu erklären?

27. Wurde bereits von der Option Gebrauch gemacht, Entsendeorganisationen
in Einzelfällen, in denen Freiwillige ohne ausreichendes Visum den Freiwil-
ligendienst angetreten haben, aus dem Programm auszuschließen?
Wenn ja, welche Organisationen betrifft dies?
Wenn nein, warum nicht?

28. Sind dem BMZ oder der Koordinierungsstelle des weltwärts-Programms
Fälle bekannt geworden, in denen Freiwillige
a) ohne gültiges Visum entsandt wurden,
b) keinen Mentor oder keine Mentorin oder keinen Notfallkontakt im Ein-

satzland hatten,
c) kein festes Projekt im Einsatzland vorfanden,
d) inadäquat mit Unterkunft und Nahrung versorgt wurden,
e) von polizeilicher Verfolgung bedroht waren?

29. Wenn ja, welche Maßnahmen wurden ergriffen, um eventuelle Missstände
zu beseitigen?
Wenn nein, warum nicht?

30. Welche Mechanismen sieht die Bundesregierung im Falle eines Streitfalls
zwischen Freiwilligen und Entsendeorganisationen vor?

31. Prüft die Bundesregierung die Einführung weiterer Maßnahmen zur Quali-
tätssicherung oder zur Notfallhilfe für Freiwillige, um die Sicherheit und
das Wohlergehen der Freiwilligen im Fall eines Versagens der Entsendeor-
ganisation gewährleisten zu können?

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32. Sind der Bundesregierung Praktiken bekannt, durch die direkte bzw. indi-
rekte Spenden von Freiwilligen, die über den Betrag von 150 Euro pro Frei-
willigenmonat hinausgehen, als Eigenanteil ausgewiesen oder direkt an die
Freiwilligen oder Einsatzstellen ausgezahlt werden?
Wie stellt das BMZ sicher, dass solche Spenden als Drittmittel angegeben
werden?

33. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass das Einbringen von Spenden-
mitteln durch die Freiwilligen von den Entsendeorganisationen nicht als
Bedingung für die Teilnahme am Freiwilligendienst ausgewiesen bzw.
praktiziert wird?

34. Wie genau stellt die Bundesregierung sicher, dass weltwärts-Freiwillige ent-
sprechend den Grundsätzen des weltwärts-Programms keine Tätigkeiten in
den Einsatzländern verrichten, die vollwertige Arbeitsplätze ersetzen?
Anhand welcher Kriterien beurteilt die Bundesregierung dies?

35. Welche Fortschritte wurden bei der Diversifizierung von Zielgruppen er-
reicht?
Wie haben sich seit Beginn der dreijährigen Pilotphase zur Zielgruppenan-
sprache die Anzahl und der Anteil von Freiwilligen
a) mit Behinderung,
b) mit laufender oder abgeschlossener Berufsausbildung,
c) nichtdeutscher Staatsbürgerschaft mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht bzw.

mit Migrationshintergrund
entwickelt?

36. Mit welchen Organisationen arbeitet das weltwärts-Programm als Brücken-
organisation zu diesen Zielgruppen zusammen, und welche finanziellen
Mittel wurden für die Pilotphase bereitgestellt (bitte einzeln nach Jahren
aufschlüsseln)?

37. Aus welchen Gründen wurde nach Information der Fragesteller auf eine ge-
zielte Ansprache weiterer Zielgruppen, wie junge Erwachsene aus einkom-
mensschwachen Familien oder mit Haupt- oder Realschulabschluss, ver-
zichtet, und inwiefern plant die Bundesregierung, die Maßnahmen zur
Diversifizierung im weltwärts-Programm auf weitere Zielgruppen zu er-
weitern?

38. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der „schlechten Da-
tengrundlage zur Situation der jungen Männer und Frauen in den Freiwilli-
gendiensten“ (vgl. Dokumentation des Follow-Up-Prozesses 2012–2013),
und plant sie die Erarbeitung einer Strategie, wie Gender-Mainstreaming im
Programm verankert werden kann, wie im Genderbericht empfohlen?

39. Inwiefern sieht die vor- und nachbereitende Betreuung von weltwärts-Frei-
willigen vor, dass diese mittels „Critical Whiteness“-Trainingsmaßnahmen,
insbesondere bei Entsendungen nach Afrika, auf ihre Entsendung vorberei-
tet werden bzw. die Erfahrungen mittels dieses Ansatzes nachbereitend
reflektiert werden?

Berlin, den 14. November 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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