BT-Drucksache 18/323

Problematik anlassloser Polizeikontrollen und "racial profiling"

Vom 17. Januar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/323
18. Wahlperiode 17.01.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Petra Pau, Martina Renner,
Kersten Steinke, Frank Tempel, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Problematik anlassloser Polizeikontrollen und „racial profiling“

In der Öffentlichkeit wird wiederholt die Problematik erörtert, dass sich die Bun-
despolizei bei anlasslosen Kontrollen der Methode des „racial profiling“ be-
diene, also Menschen vorzugsweise aufgrund ihres Aussehens und ihrer (ange-
nommenen) ethnischen bzw. nationalen Herkunft kontrolliere. Eine solche Vor-
gehensweise ist, wie auch die Bundesregierung in Beantwortung von Kleinen
Anfragen der Fraktion DIE LINKE. eingeräumt hat, mit dem geltenden deut-
schen Recht unvereinbar (vgl. Bundestagsdrucksache 17/14569).
Dass diese Methode dennoch praktiziert wird, weist die Bundesregierung zu-
rück – und lässt sich auch nicht dadurch irritieren, dass das Oberverwaltungs-
gericht Koblenz ein solches „racial profiling“ durch einen Bundespolizisten aus-
drücklich für rechtswidrig erklärt hat und der betreffende Beamte selbst an-
gegeben hatte, er habe einen Reisenden „aufgrund seiner Hautfarbe“ kontrolliert
(Az. 7 A 10532/12.OVG).
Die Fragesteller sehen sich in ihrer Annahme, dass das Problem tatsächlich exis-
tiert und größere Dimensionen annimmt, auch durch Äußerungen des Chefs der
Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, bestätigt. Dieser wies
in einem Interview mit der „taz.die tageszeitung“ (29. Oktober 2013) die Vorhal-
tung, dass man „allein aufgrund seiner Hautfarbe ins Visier der Polizei geraten
kann“, nämlich keineswegs zurück, sondern verteidigte den Ansatz der Polizei,
„in dieser Form“ gegen illegale Zuwanderung vorzugehen, ausdrücklich. Für
den DPolG-Chef ist vielmehr die Politik verantwortlich: Wenn sie „diese Form“
der Polizeiarbeit nicht mehr wolle, „dann muss sie uns diesen Auftrag ent-
ziehen.“
Die Politik könne der Polizei aber nicht den Auftrag erteilen „und hinterher
sagen: ‚Igittigitt, das ist Rassismus.‘ “
Die Fragesteller teilen zwar nicht die implizite Annahme, Polizeibeamte seien
quasi zum „racial profiling“ verpflichtet, wenn „die Politik“ es so wolle. Polizis-
tinnen und Polizisten dürfen bzw. müssen rechtswidrige Befehle verweigern und
stehen insofern auch in eigener Verantwortung. Aufschlussreich sind die Äuße-
rungen des DPolG-Chefs gleichwohl, weil sie die von Kritikern bemängelte
Kontrollpraxis bestätigen.
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e. V. fordert von der Bundes-
regierung in einer Stellungnahme vom 29. Oktober 2013, die den Fragestellern
vorliegt: „Eine Anerkennung, dass Racial Profiling in Deutschland existiert und
Praxis der Polizeiarbeit in Deutschland ist, die es abzuschaffen gilt. Wenn selbst
Stimmen aus der Polizei diese Praxis öffentlich konstatieren können, kann die

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Bundesregierung das Problem nicht weiter leugnen.“ Dieser Haltung schließen
sich die Fragesteller ausdrücklich an.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Ansicht, es komme bei der Problematik

etwaiger anlassloser Polizeikontrollen und „racial profiling“ nicht auf „[p]er-
sönliche Empfindungen von Betroffenen“, also der möglichen Opfer solcher
Kontrollen, an (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11971, Antwort zu Frage 23),
und wie begründet sie ihre Haltung?

2. Versteht die Bundesregierung unter „racial profiling“ nur hoheitliche Maß-
nahmen, die „alleine“ aufgrund von Erscheinungsmerkmalen, die auf eine
vermeintliche Rasse oder die (ethnische) Herkunft bezogen sind, durchge-
führt werden, oder auch solche, bei denen solche Merkmale zentral bzw.
maßgeblich für die hoheitlichen Maßnahmen sind, und wie begründet sie ihre
Position?

3. Schließt die Bundesregierung aus, dass die Bundespolizei in Anwendung an-
lassloser Kontrollen nach einer Profilbildung vorgeht, bei denen ethnische
und äußerlich erkennbare Merkmale, wenn schon nicht, wie sie in ihrer Vor-
bemerkung auf Bundestagsdrucksache 17/14569 angibt, eine ausschließli-
che, aber womöglich doch eine zentrale Rolle spielen, und wenn ja, wie be-
gründet sie dies?

4. Inwiefern erlaubt das äußere Erscheinungsbild eines Menschen nach Auffas-
sung der Bundesregierung Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit, dass der
Betreffende illegal nach Deutschland eingereist ist?

5. Inwiefern hat sich die Bundesregierung damit auseinandergesetzt, dass der
Vorsitzende der DPolG die Zurückweisung von „racial profiling“ durch das
Oberverwaltungsgericht Koblenz als „schöngeistige Rechtspflege“ bezeich-
net hat, und inwiefern wurde dabei die Möglichkeit erörtert, dass er damit die
Haltung zahlreicher in der DPolG organisierter Polizistinnen und Polizisten
vertreten könnte, und zu welchen Schlüssen kam sie dabei?

6. Hält es die Bundesregierung für plausibel, dass die Haltung des Vorsitzenden
der DPolG, illegale Zuwanderung werde „in dieser Form“, also wie aus der
Fragestellung im Interview ersichtlich, allein aufgrund der Hautfarbe der
kontrollierten Personen, „erfolgreich“ bekämpft, auch der Haltung und Pra-
xis zahlreicher Polizistinnen und Polizisten entspricht, und welche Schluss-
folgerungen zieht sie aus der Aussage des DPolG-Vorsitzenden?

7. Hält es die Bundesregierung für ein Zeichen für die „erfolgreiche Arbeit der
Bundespolizei bei der Bekämpfung der illegalen Migration“, wenn im
Rahmen von 466 664 anlasslosen Kontrollen im Jahr 2012 in 3 757 Fällen
(0,07 Prozent) ein Verdacht auf illegale Einreise oder illegalen Aufenthalt
festgestellt wurde (vgl. Bundestagsdrucksache 17/14569), insbesondere vor
dem Hintergrund, dass es sich bei den festgestellten Personen auch um Asyl-
suchende handeln könnte, die entweder noch keinen Antrag gestellt haben
oder auf der Durchreise in einen anderen EU-Staat sind?

8. In welchem Umfang hat die Bundespolizei im gesamten Jahr 2013 von
§ 22 Absatz 1a, § 23 Absatz 1 und § 44 Absatz 2 des Bundespolizeigesetzes
(BPolG) Gebrauch gemacht (bitte nach Grenzgebieten, Inland und Flughäfen
differenzieren)?

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9. In welchem Umfang wurden im genannten Zeitraum bei anlasslosen Befra-
gungen und Kontrollen der Bundespolizei Verstöße welcher Art festgestellt
(bitte die Zahl der Befragungen und der Feststellungen von Straftaten oder
Fahndungsmeldungen ins Verhältnis setzen und nach Grenzen, Inland und
Flughäfen differenzieren), und wie viele Feststellungen betrafen die Tatbe-
stände unerlaubter Aufenthalt/unerlaubte Einreise und weitere Verstöße ge-
gen das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz?

10. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Untersuchungen zu der Frage,
inwieweit die Durchführung anlassloser Kontrollen, die sich inhaltlich und
in der Ausführung in erster Linie an „ausländisch aussehende“ Personen
richten, rassistische Haltungen und Wahrnehmungsmuster bei den beteilig-
ten Vollzugsbeamten bestätigt, bestärkt oder diese Durchführung gar ursäch-
lich für das Entstehen rassistischer Haltungen und Wahrnehmungsmuster
ist, und wenn nicht, wird sie hierzu geeignete soziologische Untersuchungen
initiieren und finanzieren?

11. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Untersuchungen zu der Frage,
inwieweit die Durchführung anlassloser Kontrollen, die sich inhaltlich und
in der Ausführung in erster Linie an „ausländisch aussehende“ Personen
richten, rassistische Haltungen und Wahrnehmungsmuster in der Bevölke-
rung bestätigt, bestärkt oder ursächlich für deren Entstehen ist, und wenn
nicht, wird sie hierzu geeignete soziologische Untersuchungen initiieren?

12. Welche Maßnahmen könnten aus Sicht der Bundesregierung geeignet sein,
um festzustellen, wie verbreitet in der täglichen Anwendungspraxis des
§ 22 Absatz 1a BPolG „racial profiling“ bei der Bundespolizei tatsächlich
ist, und inwiefern will sie diese umsetzen?

13. Wie bewertet die Bundesregierung insbesondere den Einsatz eines Be-
richtsbogens, auf dem die eingesetzten Bundespolizisten für jeden Anhalte-
und Kontrollvorgang festhalten, was genau am äußeren Erscheinungsbild
einer Person ausschlaggebend für eine anlasslose Kontrolle war und auf
dem zugleich die Ergebnisse der Kontrollen festgehalten werden?

Berlin, den 17. Januar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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