BT-Drucksache 18/3208

a) zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Diana Golze, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 18/1949 - Bundesteilhabegesetz zügig vorlegen - Volle Teilhabe ohne Armut garantieren b) zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 18/977 - Fünf Jahre UN-Behindertenrechtskonvention - Sofortprogramm für Barrierefreiheit und gegen Diskriminierung c) zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Beate Müller-Gemmeke, Doris Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 18/2878 - Schluss mit Sonderwelten - Die inklusive Gesellschaft gemeinsam gestalten

Vom 13. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3208
18. Wahlperiode 13.11.2014
Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

a) zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Diana Golze,
Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 18/1949 –

Bundesteilhabegesetz zügig vorlegen – Volle Teilhabe ohne Armut
garantieren

b) zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Kerstin Andreae,
Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
– Drucksache 18/977 –

Fünf Jahre UN-Behindertenrechtskonvention – Sofortprogramm für
Barrierefreiheit und gegen Diskriminierung

c) zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Beate Müller-Gemmeke,
Doris Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
– Drucksache 18/2878 –

Schluss mit Sonderwelten – Die inklusive Gesellschaft gemeinsam
gestalten

Drucksache 18/3208 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
A. Problem
Zu Buchstabe a
Bei alleinlebenden Menschen mit Behinderungen wird dem Antrag zufolge deren
Vermögen auf die Finanzierung der Assistenz angerechnet, wenn es mehr als
2 600 Euro beträgt. Auch das erarbeitete Einkommen werde zu einem großen Teil
für die Assistenzleistung herangezogen. Auf diese Weise würden die Betroffenen
lebenslang auf ein Level knapp über dem Sozialhilfeniveau verwiesen. Die Regelun-
gen griffen auch für Ehegatten, Lebenspartnerinnen und -partner sowie unterhalts-
verpflichtete Familienangehörige.
Zu Buchstabe b
Trotz der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) durch
die Bundesrepublik Deutschland vor fünf Jahren sind nach Einschätzung der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wesentliche gesetzliche Regelungslücken bisher
nicht geschlossen.
Zu Buchstabe c
„Sonderwelten“ für Menschen mit Behinderung halten sich nach Analyse der An-
tragsteller entgegen aller politischen Bekenntnisse zum Aufbau einer inklusiven Ge-
sellschaft hartnäckig. So arbeiteten z. B. immer mehr Menschen mit Behinderungen
in Werkstätten für behinderte Menschen und auch im Bereich Wohnen dominierten
nach wie vor stationäre Angebote. Der größte Teil der finanziellen Mittel für Reha-
bilitationsmaßnahmen und zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen
fließe gegenwärtig in solche Sondereinrichtungen.

B. Lösung
Zu Buchstabe a
Die Fraktion DIE LINKE. fordert eine umfassende Reform in Form eines Bundes-
teilhabegesetzes, wonach u. a. die volle Teilhabe aller Menschen mit Behinderungen
gemäß der UN-BRK mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen ge-
währleistet werden solle. Flächendeckend müsse Barrierefreiheit geschaffen sowie
der Rechtsanspruch auf bedarfsgerechte, einkommens- und vermögensunabhängige
Teilhabeleistungen festgeschrieben werden. Bedürftigkeitsprüfungen seien abzu-
schaffen, behinderungsbedingte Nachteilsausgleiche dürften steuerrechtlich nicht als
Einkommen der Leistungsberechtigten bewertet werden.
Ablehnung des Antrags auf Drucksache 18/1949 mit den Stimmen der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei
Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Zu Buchstabe b
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert die Bundesregierung auf, das Be-
hindertengleichstellungsgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz so zu
überarbeiten, dass sie den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention ge-
recht werden. Insbesondere solle u. a. der Behinderungsbegriff des Behinderten-
gleichstellungsgesetzes an das der UN-BRK zugrunde liegende Verständnis von Be-
hinderung angepasst und im Sinne umfassender Barrierefreiheit das Recht auf Ver-
ständigung, Informationen und Bescheide in Leichter Sprache im BGG verankert
werden.
Ablehnung des Antrags auf Drucksache 18/977 mit den Stimmen der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE.
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Zu Buchstabe c
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert ferner, im geplanten Bundesteil-
habegesetz eine Vielzahl von Elementen zu berücksichtigen. Dazu gehöre, dass die

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3208
Leistungsberechtigten ein echtes Wunsch- und Wahlrecht erhielten. Mehrkostenvor-
behalte sollten gestrichen werden. Leistungsansprüche müssten sich am tatsächli-
chen Bedarf des jeweiligen Betroffenen orientieren und dürften nicht an einen Leis-
tungsort oder eine bestimmte Einrichtung gebunden sein.
Ablehnung des Antrags auf Drucksache 18/2878 mit den Stimmen der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE.
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

C. Alternativen
Zu den Buchstaben a bis c
Annahme der abgelehnten Anträge.

D. Kosten
Zu den Buchstaben a bis c
Genaue Kostenrechnungen wurden nicht angestellt.
Drucksache 18/3208 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
a) den Antrag auf Drucksache 18/1949 abzulehnen;
b) den Antrag auf Drucksache 18/977 abzulehnen;
c) den Antrag auf Drucksache 18/2878 abzulehnen.

Berlin, den 12. November 2014

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales

Dr. Matthias Zimmer
Stellv. Vorsitzender

Dr. Astrid Freudenstein
Berichterstatterin

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3208
Bericht der Abgeordneten Dr. Astrid Freudenstein

I. Überweisung

1. Überweisung
Der Antrag auf Drucksache 18/1949 ist in der 46. Sitzung des Deutschen Bundestages am 3. Juli 2014 an den
Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Beratung sowie an den Innenausschuss, den Sportaus-
schuss, den Haushaltsausschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe und den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung zur Mitberatung überwiesen worden.
Der Antrag auf Drucksache 18/977 ist in der 27. Sitzung des Deutschen Bundestages am 4. April 2014 an den
Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Beratung sowie an den Innenausschuss, den Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und an
den Ausschuss für Tourismus zur Mitberatung überwiesen worden.
Der Antrag auf Drucksache 18/2878 ist in der 60. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Oktober 2014
an den Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Beratung sowie an den Innenausschuss, den
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, an den Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur,
den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und den Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung zur Mitberatung überwiesen worden.
2. Voten der mitberatenden Ausschüsse
Zu Buchstabe a
Der Innenausschuss, der Sportausschuss, der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und der Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung haben den Antrag auf Drucksache 18/1949 in ihren Sitzungen am 12. November
2014 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung empfohlen. Der
Haushaltsausschuss hat sich in seiner Sitzung am 16. Oktober 2014 mit der Vorlage befasst und mit den
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimment-
haltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung empfohlen.
Zu Buchstabe b
Der Innenausschuss, der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der Ausschuss für Men-
schenrechte und humanitäre Hilfe und der Ausschuss für Tourismus haben den Gesetzentwurf auf Druck-
sache 18/977 in ihren Sitzungen am 12. November 2014 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die
Ablehnung empfohlen.
Zu Buchstabe c
Der Innenausschuss, der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der Ausschuss für Ver-
kehr und digitale Infrastruktur, der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und
der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung haben den Antrag auf Drucksache
18/2878 in ihren Sitzungen am 12. November 2014 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung
des Antrags empfohlen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlagen

Zu Buchstabe a
Die Fraktion DIE LINKE. argumentiert, dass für die gleichberechtigte und volle Teilhabe am gesamtgesell-
schaftlichen Leben von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen in der Bundesrepublik
Deutschland erheblicher Handlungsbedarf bestehe. Das zeige die alltägliche Lebenssituation der betroffenen
Menschen. Diese seien immer noch mit erheblichen Benachteiligungen und strukturellen Diskriminierungen

Drucksache 18/3208 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
konfrontiert. Im Gegensatz dazu schreibe die seit fünf Jahren rechtsverbindliche UN-Behindertenrechtskon-
vention (UN-BRK) menschenrechtliche Ansprüche für Menschen mit Behinderungen und/oder chronischen
Erkrankungen fest. Diese Rechte würden jedoch unzureichend umgesetzt. Es fehlten sowohl angemessene Vor-
kehrungen im Einzelfall als auch gesamtgesellschaftlich geeignete Maßnahmen.
Als geeignete Maßnahme zur Verbesserung der Situation forderten Verbände und Betroffene ein Bundesteil-
habegesetz (BTHG), dessen Eckpunkte in der „Gemeinsamen Positionierung des Deutschen Behindertenrates,
der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und der Fachverbände für Menschen mit Behin-
derung zur Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes“ zusammengefasst würden.
Zu Buchstabe b
Die Fraktion BÜNDNIS 90 /DIE GRÜNEN begründet ihre Forderungen u. a. damit, dass der derzeit gültige
Behinderungsbegriff die Einschränkungen der Teilhabemöglichkeiten ausschließlich als Folge der individuel-
len Funktionsbeeinträchtigung betrachte. Die UN-BRK betone dagegen, dass die Teilhabebeeinträchtigung und
somit die Behinderung erst als Wechselbeziehung zwischen den individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten
einerseits und umwelt- und einstellungsbedingten Barrieren andererseits entstehe.
Das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes räume Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen sowie
sprachbehinderten Menschen das Recht auf für sie barrierefreie Kommunikation, barrierefreie Bescheide und
barrierefreies Informationsmaterial ein. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten stellten die üblichen Informa-
tions- und Kommunikationswege der Einrichtungen des Bundes aber ebenfalls Barrieren dar. Daher sei das
Recht auf Leichte Sprache notwendig.
Zu Buchstabe c
Das für diese Wahlperiode angekündigte Bundesteilhabegesetz bietet nach Feststellung der Antragsteller die
ideale Gelegenheit, bestehende Hemmnisse für echte Teilhabe im Teilhaberecht zu beseitigen. So existierten
gegenwärtig bundesweit über 100 verschiedene Verfahren, um bei Anspruch auf Leistungen der Eingliede-
rungshilfe den Bedarf zu ermitteln. Das habe u. a. zur Folge, dass sich der Umfang der bewilligten Leistungen
verändern könne, wenn Leistungsberechtigte umzögen. Da für ambulante Leistungen häufig die örtlichen, für
stationäre dagegen die überörtlichen Sozialhilfeträger zuständig seien, sei die Unsicherheit über eine Verände-
rung der bewilligten Leistungen größer, wenn Leistungen außerhalb von Einrichtungen erbracht würden, da
hier eine größere Zahl an Trägern involviert sei. Dadurch würden ambulante Angebote benachteiligt. Ein bun-
desweit einheitliches Verfahren zur Bedarfsermittlung würde es auch Menschen mit Unterstützungsbedarf er-
möglichen umzuziehen, ohne dass sie befürchten müssten, Leistungen zu verlieren.
Ferner werde das in § 9 SGB IX verankerte Wunsch- und Wahlrecht bisher gleich mehrfach eingeschränkt.
Das Bundesteilhabegesetz müsse ausschließen, dass Menschen mit Behinderungen gegen ihren Willen in einer
bestimmten Wohnform untergebracht werden könnten. Das Wunsch- und Wahlrecht werde auch dadurch ein-
geschränkt, dass die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für voll erwerbsgeminderte Menschen mit Be-
hinderungen auf WfbM bzw. Tagesförderstätten beschränkt seien.

III. Öffentliche Anhörung von Sachverständigen

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die Beratung des Antrags auf Drucksache 18/1949 in seiner 18. Sit-
zung am 24. September 2014 aufgenommen und die Durchführung einer öffentlichen Anhörung von Sachver-
ständigen beschlossen. Für den Antrag auf Drucksache 18/977 geschah dies in der 14. Sitzung am 4. Juni 2014;
für den Antrag auf Drucksache 18/2878 in der 22. Sitzung am 17. Oktober 2014. Die Anhörung zu allen drei
Anträgen fand in der 25. Sitzung am 10. November 2014 statt.
Die Teilnehmer der Anhörung haben schriftliche Stellungnahmen abgegeben, die in der Ausschussdrucksache
18(11)244 zusammengefasst sind.
Folgende Verbände, Institutionen und Einzelsachverständige haben an der Anhörung teilgenommen:
Deutscher Gewerkschaftsbund
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V.
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V.
Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
Sozialverband VdK Deutschland e. V.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/3208
Bundesvereinigung Lebenshilfe
Deutscher Landkreistag
Prof. Dr. Ulrich Becker
Prof. Dr. iur. Felix Welti
Nancy Poser
Prof. Dr. Lisa Pfahl
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hebt das geplante Bundesteilhabegesetz als eines der wichtigsten
sozialpolitischen Reformvorhaben der Bundesregierung hervor. Dieses Reformvorhaben dürfe nicht zu einer
verpassten Chance werden, sondern müsse zur Modernisierung des Teilhaberechts und zur besseren Zusam-
menarbeit der Sozialleistungsträger führen. Da das Vorhaben fachlich wie politisch sehr anspruchsvoll sei,
begrüßten DGB und Mitgliedsgewerkschaften den aktuell laufenden Konsultationsprozess des BMAS. Eine
„Verzögerung“ des Gesetzgebungsprozesses, wie im Antrag der Fraktion DIE LINKE. behauptet, stelle dieser
Konsultationsprozess nicht dar, sondern erfülle dessen Forderungen, dass die betroffenen Menschen und ihre
Verbände eng in den Gesetzgebungsprozess einbezogen werden sollten. Der DGB verbinde sein Engagement
in dem Konsultationsprozess aber mit der Erwartung, dass die Bundesregierung den Gesetzgebungsprozess bis
Mitte 2016 zum Abschluss bringe. Der Antrag auf Drucksache 18/1949 verweise zu Recht auf das Ziel, Men-
schen mit Behinderung mehr Wahlfreiheit zu geben. Der Antrag stelle dies richtigerweise auch in Zusammen-
hang mit der Bedürftigkeitsprüfung bei Eingliederungshilfeleistungen. In der Diskussion sei es, Fachleistungen
von der Hilfe zum Lebensunterhalt zu trennen, um die Wahlmöglichkeiten zu erhöhen. Der DGB unterstütze
diesen Weg. Dafür müssten aber bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen werden. Ferner sollten Leistungen
der Eingliederungshilfe künftig stärker als bislang – und perspektivisch vollständig – unabhängig von einer
Bedürftigkeitsprüfung erbracht werden. Behinderung dürfe nicht arm machen. Beim Abbau von Barrieren bei
der Einstellung von Menschen mit Behinderung hält der DGB es für notwendig, die Rechte und Ressourcen
der Schwerbehindertenvertretung in den Unternehmen zu verbessern sowie die Unternehmen stärker in die
Pflicht zu nehmen, behinderten Menschen eine Chance zu geben.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) unterstützt das Ziel, Menschen mit
Behinderung eine gleichberechtigte Teilhabe, Selbstbestimmung und Entfaltung zu ermöglichen. Die Ziele der
Anträge der Bundestagsfraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE, wie z. B. die Rechte
und Wahlfreiheit von Menschen mit Behinderung zu stärken, Barrierefreiheit voranzubringen und bei der Wei-
terentwicklung der Eingliederungshilfe die Personenzentrierung der Leistungen zu schärfen, seien richtig. Im
Vordergrund müsse dabei vor allem stehen, das Recht auf Selbstbestimmung durch die Schaffung von Wahl-
möglichkeiten der Betroffenen zwischen verschiedenen Angeboten zu stärken. In der Eingliederungshilfe für
behinderte Menschen müssten Verbesserungen für die Leistungsberechtigten durch eine personenzentrierte
Hilfegewährung und eine intensivere Hilfeplanung erreicht werden, die aber nicht zu Leistungsausweitungen
führen dürften, für deren Finanzierung keine Mittel zur Verfügung stünden. Bei einer Reform seien die Wech-
selwirkungen zu den Leistungen anderer Sozialleistungsträger genau zu berücksichtigen und zusätzliche finan-
zielle Belastungen zu vermeiden. Es dürfe keine neuen „Verschiebebahnhöfe“ in Richtung der Sozialversiche-
rungen geben. Die Leistungen in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) seien gesamtgesell-
schaftliche Aufgaben, deren Finanzierung künftig vollständig durch Steuern und nicht mehr – auch nicht teil-
weise – durch die Sozialversicherungsträger erfolgen müsse. Entscheidend sei es, den Übergang von Beschäf-
tigten in WfbM in den ersten Arbeitsmarkt deutlich stärker zu fördern. Zukünftig müsse in allen Bundesländern
die Möglichkeit eines Budgets für Arbeit genutzt werden. Gleichzeitig müssten Maßnahmen gefördert werden,
die dazu beitrügen, Unternehmen, die Menschen mit Behinderung einstellen wollten, besser über Förder- und
Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren. Unterstützungsleistungen müssten mit möglichst wenig Büro-
kratie für die Unternehmen verbunden sein. Die in den Anträgen von DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN aufgeführten Vorschläge führten zu Kostensteigerungen, für die keine akzeptablen Finanzierungs-
vorschläge gemacht würden.
Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) begrüßt ohne Einschrän-
kung die Zielsetzung, Menschen mit und ohne Handicaps ein gemeinsames Leben und Wohnen zu ermögli-
chen. Dies schließe eine gleichberechtigte Teilhabe älterer und physisch oder kognitiv eingeschränkter Men-
schen in allen Lebensbereichen ein. Im Bereich des Wohnungsneubaus sei das Ziel eines verbindlichen barri-
erefreien Standards im Rahmen der derzeitigen Regelungen in den Bauordnungen der Länder richtig und wirt-
schaftlich angemessen. Auch eine Verminderung von Barrieren im Gebäudebestand anlässlich von Moderni-
sierungen sowie im Fall besonderer Bedarfe sei sinnvoll und technisch umsetzbar. Für die meisten Menschen

Drucksache 18/3208 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
sei ein sogenannter barrierearmer Standard in der Praxis jedoch vollkommen ausreichend. Allerdings gelte
auch hier das wirtschaftliche Primat. Eine verbindliche Anwendung des barrierefreien Standards bei Bestands-
bauten dürfe aber keinesfalls erfolgen. Entsprechende Anpassungen seien häufig aus baulich technischen Grün-
den nicht herstellbar. Barrierefreie Zugänge zu Gebäuden seien zwar grundsätzlich richtig. Es sei jedoch nicht
notwendig, 100 Prozent der Wohnungen barrierefrei auszustatten. Ferner dürfe ein barrierefreier Standard we-
der direkt noch indirekt – zum Beispiel über Kopplung an andere Förderprogramme – für den Bestand vorge-
geben werden, wenn dieser wirtschaftlich nicht umsetzbar sei. Entsprechend dürften Maßnahmen zur Barrie-
refreiheit auf keinen Fall als verbindliches Vergabekriterium in die Programme zum Stadtumbau, zum Denk-
malschutz Ost und „Soziale Stadt“ aufgenommen werden.
Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge fordert, dass ein über die Reform der Eingliede-
rungshilfe hinausgehendes Bundesteilhabegesetz in jedem Fall u. a. folgende Eckpunkte haben solle: die Wei-
terentwicklung des Behinderungsbegriffs im SGB IX (und anderer Gesetze) im Lichte der UN-Behinderten-
rechtskonvention; der Auf- und Ausbau eines inklusiven Sozialraums u. a. durch Schaffung von Barrierefrei-
heit, örtlicher Teilhabeplanung und Inklusion als Querschnittsaufgabe verankert; trägerübergreifende Bedarfs-
ermittlung und Hilfeplanung von Leistungen zur Teilhabe durch einen federführenden Leistungsträger unter
Beteiligung der anderen Leistungsträger. Die Bedarfsermittlung müsse anhand einheitlicher Verfahrenskrite-
rien durchgeführt, der Anspruch des Leistungsberechtigten auf eine trägerübergreifende Hilfeplanung einge-
führt werden. Ferner müsse das persönliche Budget auch für Pflegeleistungen nach dem SGB XI ausgebaut
und Zuverdienstprojekte flächendeckend aufgebaut werden. Nötig sei auch die Stärkung der Selbstbestimmung
durch Einführung eines Bundesteilhabegeldes.
Bei den vorliegenden Anträgen begrüße man die Bestrebungen, sicherstellen zu wollen, dass von vornherein
ein gutes Teilhaberecht für Menschen mit Behinderungen in dieser Legislaturperiode erarbeitet werde. Die
Reform der Eingliederungshilfe und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) seien wich-
tige Vorhaben, um die Teilhabe aller Menschen zu stärken. Eine solche Reform könne auch die Leistungsfä-
higkeit der Leistungsträger nachhaltig sichern helfen. Der Deutsche Verein gebe allerdings zu bedenken, dass
die Bestrebungen den wichtigen, angelaufenen Reformprozess zur Erarbeitung eines solchen Gesetzeswerkes
nicht verzögern, sondern unterstützend flankieren sollten. Der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales
koordinierte Beteiligungsprozess sei ein wichtiger Schritt, Bestandteile einer notwendigen Reform partizipativ
zu erarbeiten.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe unterstützt die in den Anträgen zum Ausdruck gebrachte Forde-
rung nach zügiger Erarbeitung des Bundesteilhabegesetzes. Substantielle Veränderungen zur Verbesserung der
Lage behinderter Menschen in Deutschland seien dringend erforderlich. Über konzeptionelle Grundfragen der
künftigen Bedarfsermittlung, Leistungsbewilligung und Leistungserbringung müsse Klarheit geschaffen wer-
den. Eine Überarbeitung zentraler Normen des SGB IX sei hierzu unabdingbar. Die abstrakte Formulierung
eines Rechtsanspruchs auf bedarfsgerechte Teilhabeleistungen allein werde den Betroffenen nicht weiterhelfen.
Eine inklusive Gesellschaft könne nur auf der Basis einer sozial und inklusiv ausgestalteten Infrastruktur er-
reicht werden. Der Schaffung von Barrierefreiheit und dem Abbau von Diskriminierungen komme dabei eine
herausragende Bedeutung zu. Ebenso wie das Bundesteilhabegesetz und die Reform des SGB IX müsse daher
die Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsgesetzes und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgeset-
zes zügig angegangen werden.
Der Sozialverband VdK Deutschland (VdK) drückt die Erwartung aus, dass noch in dieser Legislaturperiode
ein neues Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderungen geschaffen wird und unterstützt die Forde-
rung, dass das Ziel der Reform der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen die Schaffung eines modernen
Teilhaberechts auf der Basis des Gedankens des Nachteilsausgleichs sein müsse. Inhaltlich müsse zumindest
ein Zuwachs an Teilhabe- und Entscheidungsmöglichkeiten nach den Vorgaben der UN-Behindertenrechts-
konvention im Vergleich zum bisherigen Recht erfolgen. Die notwendige finanzielle Entlastung der Kommu-
nen dürfe nicht durch Leistungsverschlechterungen oder verschärfte Anrechnung von Einkommen und Vermö-
gen der Menschen mit Behinderungen oder ihrer Angehörigen erfolgen, sondern müsse durch die im Fiskalpakt
und Koalitionsvertrag zugesagte finanzielle Beteiligung des Bundes sichergestellt werden. Eine Reform, die
sich nur darauf beschränke, die Länder und Kommunen finanziell zu entlasten bzw. den Ausgabenanstieg bei
der Eingliederungshilfe zu begrenzen, lehne der VdK ab. Die Eingliederungshilfe müsse aus der Sozialhilfe
herausgelöst werden. Dabei dürfe die Weiterentwicklung des SGB IX nicht von dem Reformprozess in der
Eingliederungshilfe abgekoppelt werden. Es dürfe kein „Reha-Sonderrecht“ für wesentlich behinderte Men-
schen geschaffen werden. Demzufolge müsse das Bundesteilhabegesetz Teil eines novellierten SGB IX sein.
Des Weiteren müssten die Teilhabeleistungen der neuen Eingliederungshilfe unabhängig von Art und Ursache

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/3208
der Behinderung und dem Alter des Leistungsberechtigten weiterhin nach dem Bedarfsdeckungsprinzip er-
bracht werden, so dass keine Leistungslücken entstünden. Der VdK unterstütze zudem die Forderung, dass die
Leistungen der Eingliederungshilfe einkommens- und vermögensunabhängig erbracht werden.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe betont, dass sie sich seit langem für die Herstellung eines inklusiven und
barrierefreien Gemeinwesens einsetze. Barrierefreiheit betreffe viele Lebensbereiche und bedürfe daher einer
gesetzgeberischen Gesamtstrategie. Daher befürworte die Lebenshilfe nicht nur Änderungen im BGG, sondern
auch in anderen Gesetzen, z. B. im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Zudem sei die Überprüfung
von Fachgesetzen zur Barrierefreiheit z. B. im Verkehrsbereich, in Veraltungsnormen, im SGB I etc. erforder-
lich. Daher begrüße man die Forderung der Fraktion DIE LINKE, den Abbau bestehender baulicher und kom-
munikativer Barrieren mit einem Investitionsprogramm voranzutreiben. Hierbei sei der bislang stark vernach-
lässigte Bereich der Nutzung von Leichter Sprache zur Schaffung von Barrierefreiheit besonders zu berück-
sichtigen. Barrierefreiheit müsse strukturell entwickelt und in der Umsetzung begleitet werden. Dabei seien die
Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände als Expertinnen und Experten in eigener Sache qualifiziert
einzubeziehen. Damit das gelinge, brauche es eine dauerhafte „Adresse für Barrierefreiheit”. Hierzu schlage
die Lebenshilfe eine unabhängige Fachstelle/Agentur für Barrierefreiheit vor. Zustimmung gebe es zudem für
zahlreiche Forderungen in den beiden Anträgen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Der Deutsche Landkreistag unterstütze seit Jahrzehnten die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Men-
schen. Als Leistungsträger, insbesondere für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, sowie in ihrer
Verantwortung für das Gemeinwesen vor Ort gewährleisteten sie ein großes Leistungsspektrum. Mit Brutto-
ausgaben in Höhe von 15,57 Mrd. Euro (2013) für ca. 700 000 Leistungsempfänger sei die Eingliederungshilfe
die stärkste Hilfeart des SGB XII. Raum für kostenträchtige Leistungsausweitungen werde nicht gesehen. Viel-
mehr bedürfe es stärkerer Steuerungsmöglichkeiten für die Leistungsträger. Des Weiteren könnten Verbesse-
rungen für die Leistungsberechtigten durch eine personenzentrierte Hilfegewährung und eine intensivere Hil-
feplanung erreicht werden.
Der Sachverständige Prof. Dr. iur. Felix Welti drückt seine Hoffnung aus, dass am Beginn der 18. Wahlpe-
riode die Chance zu einer Strukturreform der Teilhabeleistungen bestehe, die länger Bestand haben könne als
Stückwerk an einzelnen Leistungsgesetzen. Das SGB IX werde dreizehn Jahre alt – es brauche jetzt „richtige
Zähne“, damit seine Ziele erreicht werden könnten. Es gehe darum, dass Recht auf Ent-Hinderung durchzuset-
zen. Über den richtigen Weg dahin sei eine gründliche und ehrliche Diskussion angezeigt, die nicht nur von
den Vertretern der Fachverwaltungen geführt werden solle. Durch das SGB IX und durch die Zustimmung zur
Behindertenrechtskonvention habe der Gesetzgeber klare Ziele aufgestellt. Mit welchen Mitteln und Instru-
menten diese erreicht werden sollten, bedürfe der Klärung. Hierzu seien die behinderten Menschen als Experten
in eigener Sache zu hören. Die Wissenschaften sollten Erkenntnisse aufzeigen und Lösungen vorschlagen. Ge-
setzgebung und Verwaltung müssen Entscheidungen treffen.
Die Sachverständige Nancy Poser führt aus, dass der Antrag auf Drucksache 18/1949 die Dringlichkeit der
Vorlage eines Bundesteilhabegesetzes unterstreiche. Dieses sei notwendig, um die in der UN-BRK für Men-
schen mit Behinderung konkretisierten Menschenrechte vollumfänglich garantieren zu können. Wer auf 24h-
Assistenz angewiesen sei, könne die in dem Antrag geschilderten Umstände bestätigen. Die derzeitige Geset-
zeslage bedinge, dass sie – obwohl über Abitur und abgeschlossenes Hochschulstudium verfügend sowie als
Richterin berufstätig – niemals auf demselben sozialen Niveau leben dürfe, wie nichtbehinderten Kollegen und
dies allein aufgrund der Behinderung und des damit verbundenen Assistenzbedarfs: Sie dürfe kein Barvermö-
gen über 2 600 Euro ansparen. Dies sei ohnehin kaum möglich, da von allen Einkünften über der Freigrenze
ebenfalls bis zu 40 Prozent für die Assistenz einzusetzen seien. Mangels eigener Ersparnisse müsse sie für
Reparaturen oder Urlaube stets um die Unterstützung der Eltern bitten – als erwachsene Frau. Zwar dürfe sie
über selbstgenutztes, angemessenes Wohneigentum verfügen, aber selbst hier werde ihr eine gleichberechtigte
Zukunftsplanung verwehrt. Wollte sie in einem neu zu bauenden Haus vorsichtshalber ein Kinderzimmer ein-
planen, wäre das Haus zu groß, um noch als Schonvermögen zu gelten. Auch ein kleines Appartement als
Vermietungsobjekt zur Alterssicherung zu kaufen, bleibe verwehrt.
Unerträglich werde die Situation, wenn es um Partnerschaft und Familienplanung gehe. Als Außenstehen-der
vermöge man sich kaum vorzustellen, welche Anstrengungen und Entbehrungen das Zusammensein mit einem
schwerstbehinderten Partner dem gesunden Partner abverlange. Ihr Partner könne mit ihr sehr viele Dinge nicht
zusammen erleben. Fahre man weg, müsse stets eine Assistentin begleiten. Im Restaurant müsse er ihr Essen
klein schneiden, beim Spazierengehen ihre Jacke an- und ausziehen etc. Sie sei auch in der Partnerschaft immer
auf Hilfe angewiesen, auf die des Partners und der Assistenz.

Drucksache 18/3208 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Trotz dieser Umstände gebe es Menschen, die aus Liebe diese Umstände auf sich nähmen. Wenn sie jedoch
den nächsten Schritt gehen möchten, ein Zusammenleben auszuprobieren oder gar zu heiraten, müssten sie ihr
komplettes Vermögen bis auf 614 Euro für die Assistenzleistungen des behinderten Partners hergeben. Die
jetzige Gesetzeslage würde von ihrem Partner verlangen, dass er sein Haus verkaufe und das Geld in ihre
Assistenz stecke, sobald sie beide eine Bedarfsgemeinschaft wären, also zusammen wohnten. Wenn sie sich
nach zwei Jahren trennen würden, wäre der Partner arm – weil er versucht habe, eine Beziehung mit einer
schwerbehinderten Frau zu führen. Ehe und Familie würden durch diese Regelungen faktisch unmöglich ge-
macht.
Die Sachverständige Prof. Dr. Lisa Pfahl führt u. a. aus, dass in den beiden vorliegenden Anträgen der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sinnvolle und notwendige Vorschläge zur Verbesserung der Situation be-
hinderter Menschen in Deutschland gemacht würden: Vom Abbau von Barrieren über den gezielten, schritt-
weisen Rückbau von Sondereinrichtungen, den Aufbau eines Budgets für Arbeit bis hin zu tagesstrukturieren-
den Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen, die nicht erwerbstätig sein könnten oder wollten und dar-
über hinaus. Sie unterstütze die inhaltlichen Forderungen der beiden Anträge.
Die anhaltende Segregation von Menschen mit Behinderungen in Schule, beruflicher Bildung und Arbeitsmarkt
führe in Deutschland zu einer besonders hohen Anzahl an beschäftigungslosen erwerbsfähigen Erwachsenen
und stelle eine maßgebliche Ursache sowohl von Armut von behinderten Menschen als auch von finanzieller
und sozialer Abhängigkeit dar. Dies sei besonders auffällig im Vergleich mit anderen europäischen Staaten,
die den Ausbau einer inklusiven Gesellschaft schon weiter vorangetrieben hätten. Insbesondere der Antrag auf
Drucksache 18/2878) beschreibe naheliegende und wichtige Maßnahmen, die in den Bereichen Bildung, Arbeit
und Freizeit dringend notwendig seien, um zügig die Ungleichbehandlungen von Menschen mit Behinderungen
zu reduzieren.
Aus arbeitssoziologischer Perspektive seien alle Maßnahmen zu begrüßen, die einem dauerhaften Verbleib in
Sondereinrichtungen entgegen wirkten. Im Mittelpunkt der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen müsse daher
der enorme Zuwachs an Werkstattplätzen in den vergangenen zehn Jahren stehen. Hier werde deutlich, dass
gegenwärtig eine behindertenpolitische ‚Einbahnstraße’ erhalten werde, die in den wenigsten Fällen zum Über-
gang in den ersten Arbeitsmarkt führe.
Weitere Einzelheiten der Stellungnahmen sind der Materialzusammenstellung auf Drucksache 18(11)244 so-
wie dem Protokoll der Anhörung zu entnehmen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den Antrag auf Drucksache 18/1949 in seiner 26. Sitzung am
12. November 2014 abschließend beraten und dem Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung empfohlen.
Ferner hat der Ausschuss für Arbeit und Soziales den Antrag auf Drucksache 18/977 in seiner 26. Sitzung
am 12. November 2014 abschließend beraten und dem Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Ablehnung empfohlen.
Darüber hinaus hat der Ausschuss für Arbeit und Soziales den Antrag auf Drucksache 18/2871 in seiner
26. Sitzung am 12. November 2014 abschließend beraten und dem Deutschen Bundestag mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN die Ablehnung empfohlen.
Die Fraktion der CDU/CSU erklärte, dass die Koalition auf Qualität und Beteiligung setze – auch bei der
Erarbeitung des Bundesteilhabegesetzes. Die Betroffenen hätten diesen Weg in der Anhörung bestätigt. Eine
Beschleunigung wäre für die Beteiligung kontraproduktiv. Zudem herrschten in Deutschland keine unhaltbaren
Zustände bei der Teilhabe behinderter Menschen, wenn auch Verbesserungen nötig seien. Die Fraktion sehe
allerdings keinen Grund für eine Ausweitung der Leistungsberechtigten und neue Entscheidungsstellen. Man
müsse stattdessen für eine bessere Koordinierung sorgen und Hilfen wie aus einer Hand anbieten. Zudem setz-
ten die Oppositionsfraktionen stark auf finanzielle Mehrausgaben. Die CDU/CSU-Fraktion wolle dagegen
keine neue Ausgabendynamik. Man wolle ein starkes Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen schaffen, eine
Personenzentrierung bei den Teilhabeleistungen und ein Vereinfachung des Wechsels von den Werkstätten für
behinderte Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt beispielsweise durch eine Fixierung des Budgets für Arbeit.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/3208
Zudem sei es wichtig, tragfähige Reformkonzepte zu erarbeiten, die auch bei den Bundesländern Zustimmung
fänden.
Die Fraktion der SPD wies darauf hin, dass die Koalition bereits mit Hochdruck am Bundesteilhabegesetz
arbeite. Die Beteiligung der Betroffenen daran werde von allen Seiten als vorbildlich anerkannt. Mit dem Bun-
desteilhabegesetz solle der Schritt heraus aus der Fürsorge vollzogen werden. Man sei sich u. a. darin einig,
dass es Änderungen bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen geben solle. Die Schaffung eines
Bundesteilhabegesetzes sei ein Quantensprung, aber auch ein komplexes Vorhaben, das sich auf mehrere Ge-
setzbücher erstrecke und von dem auch die Bundesländer betroffen seien. Man wolle das Wunsch- und Wahl-
recht der Betroffenen stärken und das Prinzip, das Geld folgt dem Menschen, in der Förderung umsetzen. Auch
müsse die Durchlässigkeit von den Werkstätten für behinderte Menschen hin zum ersten Arbeitsmarkt größer
werden. Die Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben sollten gestärkt werden u. a. m. All das erfordere
große und komplexe Schritte – und Zeit. Eile würde zudem den Beteiligungsprozess konterkarieren. Daher
werde man den Anträgen der Opposition nicht zustimmen.
Die Fraktion DIE LINKE. forderte, dass das Bundesteilhabegesetz zügig vorgelegt werden müsse. Die Dis-
kussion seit der Unterschrift der Bundesrepublik Deutschland unter die UN-Behindertenrechtskonvention dau-
ere bereits fünf Jahre. U. a. müsse sich bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf die Finanzie-
rung der Assistenz für schwerbehinderte Menschen etwas Grundlegendes ändern. Die Schilderungen in der
Anhörung hätten noch einmal eindringlich gezeigt, dass sogar Menschen mit Assistenzbedarf in gut bezahlten
Berufen andernfalls ein Leben lang nicht aus dem Sozialhilfebereich herauskämen. Auch ein Mehrkostenvor-
behalt, wie von der Koalition für das Bundesteilhabegesetz diskutiert, sei nicht akzeptabel, da er wichtige Än-
derungen verhindern würde. Menschenrechte dürften nicht unter Kostenvorbehalt stehen.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erkannte an, dass ein Bundesteilhabegesetz eine komplexe
Rechtsmaterie darstelle. Die Lösung beispielsweise der Schnittstellenproblematik erfordere Zeit. Aber die Bun-
desregierung zeige bereits eine Tendenz, auch Änderungen außerhalb des Bundesteilhabegesetzes im Bereich
der Teilhabe abzuwehren. Darauf ziele einer der Anträge, der unstrittige Verbesserungen in BGG und AGG
anstrebe. Dazu gehörten das Recht auf Verständigung in Leichter Sprache; die Verweigerung angemessener
Vorkehrungen solle Diskriminierungstatbestand werden u. a. m. Im Übrigen setze sich die Fraktion insbeson-
dere für das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen ein. Der ambulante Bereich müsse unbedingt gestärkt
werden. Trotzdem lehne man aber keineswegs alle stationären Einrichtungen ab. Nötig sei aber ein Transfor-
mationsprozess dieser Einrichtungen, damit sie Teil einer inklusiven Gesellschaft werden könnten. Dem Antrag
der Fraktion DIE LINKE. stimme man zwar in wesentlichen Forderungen, wie der nach Nichtanrechnung von
Einkommen und Vermögen auf die Finanzierung der Assistenz, zu. Wegen anderer Punkte und Unklarheiten
werde sich die Fraktion aber der Stimme enthalten.

Berlin, den 12. November 2014

Dr. Astrid Freudenstein
Berichterstatterin

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