BT-Drucksache 18/3151

Von Anfang an beteiligen-Partizipationsrechte für Kinder und Jugendliche im demografischen Wandel stärken

Vom 12. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3151
18. Wahlperiode 12.11.2014
Antrag
der Abgeordneten Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Franziska
Brantner, Katja Dörner, Christian Kühn (Tübingen), Kordula Schulz-Asche, Özcan
Mutlu, Luise Amtsberg, Matthias Gastel, Kai Gehring, Maria Klein-Schmeink,
Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Elisabeth Scharfenberg, Ulle Schauws,
Dr. Harald Terpe, Markus Tressel, Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN

Von Anfang an beteiligen – Partizipationsrechte für Kinder und Jugendliche
im demografischen Wandel stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die demografische Entwicklung verändert die gesellschaftliche Zusammensetzung
in Deutschland. Kinder und Jugendliche stellen in der alternden Gesellschaft eine
quantitativ und relativ zur übrigen Bevölkerung kleiner werdende Gruppe. Um den
Ausgleich zwischen den Generationen zu bewahren, ist es zentral, die Interessen von
Kindern und Jugendlichen stärker zu berücksichtigen, sie artikulationsstark zu ma-
chen und ihre Mitwirkungs- und Partizipationsmöglichkeiten auszubauen und recht-
lich abzusichern. Der Gewährleistung der Rechte von Kindern und Jugendlichen –
wie sie die inzwischen 25 Jahre bestehende UN-Kinderrechtskonvention festschreibt
– kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. In einer genera-
tionengerechten Gesellschaft muss es Kindern und Jugendlichen möglich sein, ihre
Interessen auch selbstständig vertreten zu können. Frühe Beteiligung schärft den
Sinn fürs Gemeinwohl, stärkt Zusammenhalt und Generationendialog, fördert In-
tegration und Gerechtigkeit. Die Senkung des Wahlalters auf allen politischen Ebe-
nen ist dabei ein wichtiges Element. Gleichzeitig müssen Kinder und Jugendliche
dort beteiligt werden, wo sie direkt oder künftig betroffen sind. Mitbestimmung ist
ein Menschenrecht – das gilt auch für Kinder und Jugendliche.
Partizipation von Kindern und Jugendlichen findet häufig in ihrem direkten Leben-
sumfeld vor Ort statt, hier kristallisieren sich viele ihrer Anliegen: durch die Betei-
ligung an der Gestaltung und Erneuerung des Wohnumfeldes können sie ihre Anlie-
gen und Ideen einbringen und es kann eine kinder-, jugend- und familienfreundli-
chere Umgebung entstehen. Demokratische Entscheidungen – egal ob in Kita,
Schule, Jugendeinrichtung oder Wohnviertel – in die Kinder und Jugendliche einge-
bunden sind, haben eine breitere Akzeptanz und werden unter Beteiligung der Be-
troffenen in der Regel qualitativ besser. Kinder und Jugendliche werden als Exper-
tinnen und Experten in eigener Sache ernst genommen, werden in ihrer Persönlich-
keit gestärkt und entwickeln sich zu aktiven Bürgerinnen und Bürgern. Die positiven
Beteiligungsmöglichkeiten im Alltag sind Faktoren, die Eigeninitiative und Verant-
wortungsübernahme fördern. Dadurch können Kinder und Jugendliche besser mit

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aversiven Reizen umgehen. Kinder aus benachteiligten sozialen Lagen profitieren
besonders stark davon, im jungen Alter beteiligt zu werden. Durch frühe Mitbestim-
mung, kann es ihnen gelingen, die Folgen sozialer Benachteiligung zu kompensie-
ren. Wer in frühen Jahren Partizipations- und Selbstwirksamkeitserfahrungen sam-
melt, beteiligt und engagiert sich zudem häufig auch im weiteren Lebenslauf.
Partizipation ist häufig vom Wohlwollen und Engagement der verantwortlichen Ak-
teure abhängig. Das führt zu großen Unterschieden hinsichtlich der Formen und der
Intensität der Beteiligung. Abhängig vom Beteiligungsgegenstand müssen flächen-
deckend repräsentative, punktuelle oder projektorientierte Beteiligungsformen für
Kinder und Jugendliche mit echten Mitwirkungsmöglichkeiten geschaffen werden.
Dabei ist es insbesondere wichtig, darauf hinzuwirken, dass das Bewusstsein für Be-
teiligungsmöglichkeiten und Partizipationsrechte bei sozial benachteiligten Kindern
und Jugendlichen geschärft wird. Partizipationsangebote sollen niemanden aus-
schließen, sondern durch adäquate Beteiligungsformen Teilhabe für alle schaffen –
unabhängig von Bildungsgrad oder sozialer Herkunft. Darum ist es von zentraler
Bedeutung, demokratische Werte und Rechte von klein an vermittelt zu bekommen
und erlebbar zu machen: in der Kindertagesstätte, der Schule und Jugendeinrichtung,
im Ausbildungsbetrieb oder an der Hochschule.
Die UN-Kinderrechtskonvention und die EU-Grundrechtecharta haben starke Parti-
zipationsrechte formuliert, deren Prinzipien jedoch in Deutschland nicht vollständig
umgesetzt sind. Deutschland ist bei den Kinderrechten ein Flickenteppich, der es von
dem Zufall des Geburtsortes abhängig macht, wie gut die Rechte eines Kindes ge-
währleistet sind. Obwohl die UN-Kinderrechtskonvention am 20.11.2014 ihr 25-jäh-
riges Jubiläum feiert, steht die verpflichtende Einbeziehung von Kindern und Ju-
gendlichen in alle sie betreffenden Entscheidungen noch immer aus. Zwar hat das
Sozialgesetzbuch VIII Beteiligungsrechte für Kinder und Jugendliche „an allen sie
betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe“ (§ 8) festgeschrieben, in
vielen Entscheidungs- und Planungsbereichen außerhalb der Kinder- und Jugend-
hilfe wird dies jedoch nicht berücksichtigt.
Auch wenn Partizipation und Mitbestimmung somit bereits in einigen Bereichen
rechtlich verankert sind, entsprechen die Beteiligungsmöglichkeiten junger Men-
schen in Deutschland weder den Standards der UN-Kinderrechtskonvention noch
der EU-Grundrechtecharta. Es fehlt eine weitergehende rechtsförmige Verankerung
mit klaren gesetzlichen Regelungen, eine Evaluation des Standes der Umsetzung be-
reits vorhandener Vorgaben sowie eine breit angelegte Informationskampagne zur
Bekanntmachung der (Partizipations-)Rechte von Kindern und Jugendlichen. So
sind die Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendbeteiligung, die im Rahmen des
Nationalen Aktionsplans für ein kindergerechtes Deutschland entwickelt wurden, in
der Praxis nicht angekommen. Daten über ihre Umsetzung existieren nicht.
Kinder- und Jugendpartizipation soll an allen Orten des Aufwachsens entwickelt und
sichergestellt werden. Gegenwärtig ist nicht zu erkennen, dass sich die Bundesregie-
rung des Themas annimmt, geschweige denn an einer kohärenten Strategie zur Rea-
lisierung von Beteiligungsrechten und Schaffung von Beteiligungsangeboten arbei-
tet. Schwarz-Rot hat bislang keine Initiativen ergriffen, um Kinder- und Jugendpar-
tizipation zu stärken. Der Bund muss gemeinsam mit den Ländern und Kommunen
eine Beteiligungsoffensive starten und einen Nationalen Aktionsplan zur altersge-
rechten Beteiligung von Kindern und Jugendlichen entwickeln, der die in der UN-
Kinderrechtskonvention und EU-Grundrechtecharta formulierten Partizipations-
rechte flächendeckend und bedarfsgerecht umsetzt. Das 25-jährige Jubiläum der
UN-Kinderrechtskonvention ist ein geeigneter Anlass, einen solchen Aktionsplan
auf den Weg zu bringen.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Kinderrechte im Grundgesetz klar-
stellt, Kinder als Träger eigenständiger Rechte definiert und ihre Beteili-
gungsrechte bei sie betreffenden Angelegenheiten konkretisiert;

2. eine unabhängige Monitoringstelle zur Umsetzung der UN-Kinderrechts-
konvention einzurichten, die u. a. die Umsetzung des Art. 12 der Konven-
tion überwacht und von der Zivilgesellschaft begleitet wird. Dazu muss die
Datenbasis für eine kinderrechtsbasierte Berichterstattung sichergestellt
werden;

3. einen Gesetzentwurf vorzulegen, um das Wahlalter für Bundestags- und Eu-
ropawahlen auf 16 Jahre zu senken und analog auf die Bundesländer einzu-
wirken, für Kommunal- und Landtagswahlen das Wählen ab 16 Jahren zu
ermöglichen;

4. einen Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung aufzule-
gen, diesen mit konkreten termingebundenen und messbaren Zielen und
Vorgaben zu versehen und folgende Punkte darin aufzunehmen:
a) eine Informationskampagne, die Kinder und Jugendliche sowie Eltern

und Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Schulen über die
Rechte und Partizipationsmöglichkeiten sowie über Beschwerdemög-
lichkeiten von Kindern und Jugendlichen informiert,

b) die Umsetzung und Bekanntmachung der im Rahmen des Nationalen
Aktionsplans „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005–2010“ entwi-
ckelten Qualitätsstandards für die Beteiligung von Kindern und Jugend-
lichen,

c) Qualifizierungsangebote für die Unterstützung bei der Durchführung
von Beteiligungsprozessen, um Kindern und Jugendlichen Ansprech-
personen zur Verfügung zu stellen, mit Hilfe derer sie ihre Interessen in
Entscheidungsprozesse einbringen können. Darüber hinaus braucht es
eine Absicherung der Vernetzung über die kommunale Ebene hinaus,
um einen qualifizierten Austausch über den Bedarf nach Ansprechper-
sonen, die Jugendbeteiligung organisieren, sicherzustellen,

d) die Entwicklung und Bekanntmachung von Programmen, die gezielt so-
zial benachteiligte Kinder und Jugendliche ansprechen und sie zur Mit-
wirkung motivieren,

e) die Stärkung der politischen Bildung und Investitionen in nichtformale
Bildung durch Sicherung und Weiterentwicklung der Strukturen und
Arbeitsfelder der freien Träger der Jugendhilfe auf Bundesebene,

f) die Entwicklung eines Konzepts für ein funktionsfähiges Beschwerde-
managementsystem im Rahmen eines evaluierten Modellprojektes.
Dies beinhaltet die Schaffung von bedarfsgerechten Ombudsschaften in
der Kinder- und Jugendhilfe, die Einrichtung von unabhängigen Be-
schwerdestellen auf kommunaler Ebene und eine nationale Beschwer-
destelle für Kinderrechte. Die Aufgabe der nationalen Beschwerdestelle
sollte auch die Vernetzung und der Erfahrungsaustausch innerhalb
kommunaler Beschwerdestellen und Ombudsschaften sein. Sie soll in
engem Kontakt mit der unabhängigen Monitoringstelle stehen. Über
das Modellprojekt ist dem Deutschen Bundestag zu berichten;

5. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Kinder und Jugendliche in Ergänzung
zu den Personensorgeberechtigten, zu eigenständigen Leistungsberechtig-
ten im Sozialgesetzbuch VIII macht. Dies ist insbesondere für Leistungen
im Bereich der Hilfen zur Erziehung (§ 27 SGB VIII) und bei dem Recht

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auf Beratung ohne Kenntnis der Personensorgeberechtigten (§ 8 Absatz 3
SBG VIII) relevant;

6. die sich aus der Rücknahme des deutschen Vorbehaltes zu UN-Kinder-
rechtskonvention im Jahr 2010 ergebenden Gesetzesanpassungen im Auf-
enthalts- und Asylverfahrensgesetz vorzunehmen, um so die Teilhabemög-
lichkeiten für begleitete – aber insbesondere auch für unbegleitete – Flücht-
lingskinder zu erhöhen;

7. bei allen Bau- und Wohnumfeldmaßnahmen die Kinder und Jugendliche
betreffen, ihr Wohl und kindgerechte Lebensbedingungen als einen Ge-
sichtspunkt zu verankern, der vorrangig zu berücksichtigen ist, und dies im
§ 1 des Baugesetzbuches zu verankern. In § 4b des Baugesetzbuches sollen
kinder- und jugendgerechte Beteiligungsverfahren und Verantwortlichkei-
ten in der Kommune aufgenommen werden;

8. die Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Bauleitplanung durch eine
Präzisierung der Planungsleitlinien und der Festsetzungsmöglichkeiten
nach der Baunutzungsverordnung, wie z. B. für Jugendplätze und Naturer-
fahrungsräume, zu stärken;

9. die Kinder- und Jugendbeteiligung in der Regionalentwicklung, im Rahmen
der Ausgestaltung des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwick-
lung des ländlichen Raums (ELER) sowie in allen Programmen des Bundes
für Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung, insbesondere in der Städte-
bauförderung, vorzusehen und zu fördern;

10. „Jugendverbände“ in die Aufzählung der relevanten Akteurinnen und Ak-
teure bei der Erarbeitung der integrierten ländlichen Entwicklung (ILEKs)
in den Rahmenplan der „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Ag-
rarstruktur und des Küstenschutzes“ aufzunehmen;

11. auf die Bundesländer einzuwirken,
a) die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden Be-

langen nach dem Vorbild der Gemeindeordnung Schleswig-Holsteins
festzuschreiben. Dazu gehören auch altersangemessene Verfahren;

b) ein Verbandsklagerecht für anerkannte Kinder- und Jugendverbände
einzuführen, mit deren Hilfe die Verbände die Beteiligung der Kinder
und Jugendlichen gegenüber der Kommune einfordern können;

c) Beteiligung zum tragenden Leitprinzip aller Bildungseinrichtungen zu
erheben. Das umfasst:
verbindliche Demokratie- und Teilhabekonzepte für Kindertages-

stätten in den Kindertagesstättengesetzen, wie sie auch für die
Vergabe von Betriebserlaubnissen im Bundeskinderschutzgesetz
vorgesehen sind, die Förderung von flächendeckenden Qualifizie-
rungsmaßnahmen für Fachkräfte sowie von Modellprojekten wie
die „Kinderstube der Demokratie“;

Demokratisierung der Schulkultur. Hierzu gehört es Vielfalt als
Wert zu erfahren und anzuerkennen. Darüber hinaus müssen Ler-
nen durch Engagement, Probewahlen an Schulen (parallel zu Eu-
ropa-, Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahlen), selbstver-
antwortete Lernzeiten in Ganztagsschulen und der Einbezug außer-
schulischer Akteure in den Schulalltag stärker gefördert werden.
Bundesprogramme wie „Lernen vor Ort“ müssen wieder aufgegrif-
fen und Bildungslandschaften darüber zu Beteiligungslandschaften
weiterentwickelt werden;

Stärkung der SchülerInnenvertretungen, indem Ressourcen zur
Verfügung gestellt und Mitspracherechtsnormen verbrieft werden;

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stärkere Berücksichtigung politischer Bildung und Partizipation im
Rahmenlehrplan.

Berlin, den 11. November 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Kinder und Jugendliche sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft. Die grüne Bundestagsfraktion
hat daher bereits in der vergangenen Legislatur einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Kinderrechte im Grund-
gesetz vorgelegt (Bundestagsdrucksache 17/11650), der klarstellt, dass Kinder ein Recht auf Förderung ihrer
Entwicklung und auf Schutz vor Gefährdungen für ihr Wohl haben. Bei allen Planungen und Entscheidungen,
die ihre Rechte berühren, muss ihr Wohl besonders berücksichtigt werden. Ebenso müssen Kinder dann immer
auch selbst beteiligt werden.

Kinder und Jugendliche können und wollen ihre Gegenwart und Zukunft entscheidend mitgestalten. Die Studie
„Kinder- und Jugendpartizipation in Deutschland“ von 2005 kommt zu dem Ergebnis: „Um die Partizipation
von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist es (noch) nicht gut bestellt.“ Daran hat sich leider bis heute
kaum etwas geändert. Zusätzlich führt die demografische Entwicklung in Deutschland dazu, dass Kinder und
Jugendliche als gesellschaftliche Gruppe absolut und relativ kleiner werden. Umso wichtiger ist es, ihnen echte
Mitwirkungsmöglichkeiten möglichst früh vertraut zu machen und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Die Vereinten Nationen haben in der UN-Kinderrechtskonvention die Rechte von Minderjährigen auf Schutz,
Förderung und Partizipation verbrieft. Die UN-Kinderrechtskonvention ist trotz der vielen Erfolge, die durch
sie erzielt wurden, auch nach ihrem nun 25-jährigem Bestehen in Deutschland nicht vollständig umgesetzt.
Anfang 2010 hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung beschlossen, ihre – primär aufenthalts- und
asylverfahrensrechtliche Aspekte betreffende – Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurück-
zunehmen. Dies war ein richtiger, aber auch ein überfälliger Schritt. Die Bundesregierung lehnt es aber bis
heute ab, die sich aus dieser Rücknahme des deutschen Vorbehalts ergebenden bundesrechtlichen Konsequen-
zen zu ziehen, und diese Rücknahme auch durch Gesetzesanpassungen insbesondere im Aufenthalts- und Asyl-
verfahrensgesetz nachzuvollziehen (vgl. BT-Drs. 17/2138). Dabei widerspricht das geltende Recht in wichtigen
Punkten der UN-Kinderrechtskonvention. Bis heute ermöglichen es diese Gesetze z. B. die Einreise von Flücht-
lingskindern zu verhindern oder ihre Bildungsmöglichkeiten bzw. den Zugang zur Gesundheitsversorgung ein-
zuschränken. Um die Teilhaberechte der in Deutschland lebenden Kinder und Jugendliche zu verbessern, müs-
sen daher die gesetzlichen Vorschriften geändert werden, damit die sich aus der UN-Kinderrechtskonvention
ergebenden Rechte nicht mehr eingeschränkt sind.

Eine unabhängige Monitoringstelle, wie sie für die meisten völkerrechtlichen Abkommen bereits üblich ist,
muss künftig die Umsetzung der UN-Kinderrechte überwachen und konstruktiv-kritisch kommentieren. Dies
hat auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes in seinen concluding observations wiederholt von
Deutschland gefordert. Eine Beteiligungsoffensive von Bund und Ländern im Rahmen eines Nationalen Akti-
onsplans zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen muss die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
vorantreiben, begleiten und evaluieren.

Partizipation braucht verbindliche Qualitätsstandards. Darum müssen die bereits im Rahmen des Nationalen
Aktionsplans „Für ein Kindergerechtes Deutschland 2005–2010“ entwickelten Qualitätskriterien bekannt ge-
macht und angewendet werden: Projekte, Programme und Verfahren müssen jungen Menschen tatsächliche
Entscheidungsbefugnisse garantieren, sie müssen transparent und nachhaltig sein, möglichst mit eigenen Res-
sourcen und mit zeitnahen Rückkopplungsprozessen verbunden sein.

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Jugendliche sind Trägerinnen und Träger eigener demokratischer Grundrechte, die gewährleistet und deren
tatsächliche Umsetzung gefördert werden müssen. Der nachhaltigste und elementarste Weg zu einer stärkeren
Partizipation und zu einer breiteren politischen Teilhabe in einer Demokratie ist das Wahlrecht. Auch dazu hat
die grüne Bundestagsfraktion bereits mehrere Gesetzentwürfe vorgelegt (Bundestagsdrucksachen 17/13257,
17/13238). Ein frühes Wahlrecht ist ein klares Signal unserer Gesellschaft an die junge Generation, dass sie
von zentralen politischen Zukunftsentscheidungen nicht weiterhin ausgeschlossen wird. Eine Reihe von Bun-
desländern (Brandenburg, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein) haben bereits die Konsequenzen gezogen
und in ihren Wahlgesetzen die Beteiligung von Jugendlichen bei Landtagswahlen ab Vollendung des 16. Le-
bensjahres ermöglicht.

Im Sinne der Generationengerechtigkeit muss dafür gesorgt werden, dass auch die nachwachsenden Generati-
onen noch die politischen Gestaltungsspielräume haben werden, um ihre Umwelt zu gestalten. Dazu ist das
Erlernen und Praktizieren von Partizipation unerlässlich. Mit der Herabsetzung des Wahlalters wird den Ju-
gendlichen Vertrauen in ihr Urteilsvermögen und ihre politische Willensbildung zugestanden und sie in ihrer
Beteiligung gestärkt und ermutigt.

Demokratie muss gelebt, um gelernt und gelernt, um gelebt zu werden. Deshalb ist es so wichtig, Kindertages-
stätten und Schulen als Orte der Gemeinschaft, miteinander zu gestalten. Eine Gesellschaft der mündigen Bür-
gerinnen und Bürger setzt mündige Kinder und Jugendliche voraus. Die Erziehung und Bildung zur Mündigkeit
ist deshalb eine zentrale Aufgabe von Bildungsinstitutionen. Mitsprache fördert Teilhabe und Identifikation.
Sie stärkt die Eigenverantwortung, das Selbstbewusstsein und das soziale Miteinander. Wirkungsvolle Beteili-
gungsmöglichkeiten müssen deshalb in allen Kindertagesstätten und Schulen geschaffen werden. Vor allem
auch deshalb, weil sie die Chance haben, alle Kinder und Jugendliche zu erreichen und für Demokratie zu
gewinnen – unabhängig von ihrer Herkunft und den ökonomischen Möglichkeiten ihrer Eltern. Die Förderung
von Demokratie-Lernen ist deshalb eine der zentralen Aufgaben hinsichtlich der Weiterentwicklung unseres
Bildungssystems.

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei der Gestaltung des Gemeinwesens kann zu einer kinder-,
jugend- und familienfreundlicheren Umgebung führen. Mehr Partizipation stärkt außerdem die Verbundenheit
und Identifikation junger Menschen mit ihrem Wohnort. Die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention muss
deshalb auch im Baugesetzbuch ihren Niederschlag finden. So ist gemäß Artikel 3 der UN-Kinderrechtskon-
vention bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu
berücksichtigen ist. Dies ist insbesondere bei Abwägungsentscheidungen im Planungsrecht von Bedeutung.
Daher sollten die Planungsleitlinien in § 1 Absatz 5 BauGB um die Formulierung „sowie für kindgerechte
Lebensbedingungen zu sorgen“ erweitert werden. In Absatz 6 ist eine Formulierung in Anlehnung an Artikel
3 der UN-Kinderrechtskonvention zu ergänzen. Bei den Festsetzungsmöglichkeiten der Bebauungspläne reicht
die undifferenzierte Kategorie „Spielplätze“ nicht aus. Es fehlt die explizite Nennung von Kinderspielplätzen
und Jugendplätzen. Auch Naturerfahrungsräume, also Grünflächen im besiedelten Bereich, auf denen sich Na-
tur frei entwickeln kann und die sich als „wilde“ Spielräume für Kinder und Jugendliche eignen, fehlen im
Gesetzbuch. Eine entsprechende Erweiterung des § 9 Absatz 1 Nummer 15 würde Rechtsunsicherheiten vor-
beugen. Darüber hinaus müsste eine solche Änderung auch in der Planzeichenverordnung nachvollzogen wer-
den.

Kinder und Jugendliche sind intensive Nutzer ihrer Städte und Gemeinden. Sie sind von vielen Planungen und
Bauvorhaben direkt betroffen. Die üblichen Informationsverfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung wie zum Bei-
spiel die Möglichkeit der Einsichtnahme in Planungsunterlagen, die Auslage in Schaukästen oder Veröffentli-
chungen im Amtsblatt werden Minderjährigen jedoch nicht gerecht. Bebauungspläne müssen der Verantwor-
tung gegenüber zukünftigen Generationen und den sozialen Bedürfnissen von jungen Menschen gerecht wer-
den. Soll die Planung diesem Anspruch gerecht werden, muss sie altersgerechte Information und Partizipati-
onsangebote unterbreiten. Besonders auf dem Land, ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels
Jugendbeteiligung ein entscheidender Faktor, der stabile Regionen von schrumpfenden unterscheidet. Kinder
und Jugendliche müssen daher strukturell und frühzeitig in die Regionalentwicklung einbezogen werden. Pro-
jekte lokaler Aktionsgruppen (LAGs) im Rahmen des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung
des ländlichen Raums (ELER) widmen sich häufig auch der Lebenswelt Jugendlicher und der Jugendbeteili-
gung auf dem Land. Nur in wenigen LAGs sind Jugendliche jedoch selbst an der Planung, Ausgestaltung und
Durchführung der Projekte zur Regionalentwicklung beteiligt. Die nationale Umsetzung des ELER-Fonds liegt
in den Händen der Bundesregierung, die mehr strukturelle Jugendbeteiligung in der Partnerschaftsvereinbarung

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festsetzen und so Kindern und Jugendlichen das Werkzeug in die Hand geben kann, selbst ihre Zukunft und
die ihrer Umgebung mitzugestalten.

Auch innerhalb des Rahmenplans der nationalen „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“, die auch zur Ko-Finanzierung von ELER-Maßnahmen herangezogen wird, muss sich
diese strukturelle Jugendbeteiligung widerspiegeln, indem „Jugendverbände“ in die Aufzählung der relevanten
Akteurinnen und Akteure bei der Erarbeitung der integrierten ländlichen Entwicklung (ILEKs) in den Rahmen-
plan aufgenommen werden. Zur Stärkung der Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen kann die Ge-
meindeordnung Schleswig-Holsteins als Vorbild dienen. Nach § 47f (1) „muss [die Gemeinde] bei Planungen
und Vorhaben, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren, diese in angemessener Weise betei-
ligen.“ Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Beteiligungspflicht konkret darzustellen, um größere Rechts-
klarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der unbestimmten Rechtsbegriffe zu erreichen. Möglich wäre dieses
beispielsweise durch die Aufnahme von Regelbeispielen in den Gesetzestext. Ein Rechtsgutachten des Wis-
senschaftlichen Dienstes des Landtages Schleswig-Holstein vom 23.09.2008 zum § 47f GO hat hier eine Reihe
von Vorschlägen unterbreitet. Das gilt auch für die Frage eines möglichen Individualrechtsschutzes in Bezug
auf die Beteiligungsrechte.

Im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe und den Jugendamtsverwaltungen sind Ombudsschaften wichtige
Instrumente zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen. Ombudsschaft dient dem Ziel, struktu-
relle Machthierarchien und -asymmetrien auszugleichen und eine gerechte Einigung bei Streitfragen zu errei-
chen. Gerade in der Kinder- und Jugendhilfe besteht zwischen Fachkräften und Klienten oft ein solches struk-
turelles Ungleichgewicht. Aufbauend auf den guten Erfahrungen bereits bestehender ombudsschaftlicher
Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe, die in den letzten Jahren entstanden sind, sollen flächendeckend
weitere Initiativen etabliert werden, um so Kindern und ihren Familien die Durchsetzung ihrer Rechte zu er-
leichtern. Da Ombudsschaften im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe aufgrund ihres spezifischen Charakters
nicht in der Lage sind, das breite Feld möglicher Beschwerden aus anderen (Rechts-)Bereichen abzudecken,
umfasst ein umfassendes Beschwerdemanagementsystem daneben auch kommunale und nationale Beschwer-
destellen zu denen Kinder und Jugendliche unmittelbar Zugang haben.

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