BT-Drucksache 18/2942

Möglicher Einfluss von Interessenvertretern auf die Anwendung des Personenbeförderungsrechts in Deutschland

Vom 15. Oktober 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2942
18. Wahlperiode 15.10.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Matthias Gastel, Tabea Rößner,
Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Möglicher Einfluss von Interessenvertretern auf die Anwendung des
Personenbeförderungsrechts in Deutschland

Der Deutsche Bundestag hat am 12. Oktober 2012 mit Zustimmung des Bundes-
rates vom 2. November 2012 das Recht der Personenbeförderung novelliert. Das
Gesetz passte damit das Personenbeförderungsrecht an die europarechtlichen
Rahmenbedingungen, die durch die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Euro-
päischen Parlaments und des Rates vorgegeben wurden, an. In diesem Zuge
wurde auch das Instrument der „allgemeinen Vorschrift“ im Sinne von Artikel 3
Absatz 2 der EU-Verordnung in das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) auf-
genommen. Allgemeine Vorschriften erlauben, einen Ausgleich für von den zu-
ständigen Behörden festgelegte Höchsttarife in Höhe des dadurch entstehenden
Einnahmenverlustes zu gewähren. Das PBefG kennt weiter einen Vorrang so-
genannter eigenwirtschaftlicher Verkehre. Als eigenwirtschaftlich gelten neben
vollständig aus Fahrgelderlösen finanzierten Verkehren lediglich auch die Ver-
kehre, für die Zuschüsse ausschließlich aus allgemeinen Vorschriften gewährt
werden. Jegliche spezifischen Ausgleichsleistungen sowie ausschließlichen
Rechte dürfen dagegen nur im Rahmen von sogenannten öffentlichen Dienst-
leistungsaufträgen gewährt werden.
Im Gesetzgebungsprozess warb der Bundesverband Deutscher Omnibusunter-
nehmen e. V. (bdo), ein Verband privater Omnibusunternehmen, dafür, dass die
für die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zuständi-
gen Behörden verpflichtet werden sollten, Verkehre vorrangig durch allgemeine
Vorschriften zu finanzieren. Der Gesetzgeber hat sich damals mit der Frage be-
fasst und sich gegen die Aufnahme eines derartigen Vorranges entschieden. Der
Wortlaut des PBefG kennt einen solchen Vorrang ebenso wenig wie die Ver-
ordnung (EG) Nr. 1370/2007. In der Begründung zum Änderungsentwurf des
Gesetzentwurfs wird dies in der Begründung zum Wortlaut des § 13a PBefG er-
läutert (Bundestagsdrucksache 17/10857, S. 20):
„Hinsichtlich der Anwendung verbundener Beförderungstarife und -bedingun-
gen wird vorausgesetzt, dass die zuständige Behörde Ausgleichszahlungen in
einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag oder auf der Grundlage von allgemei-
nen Vorschriften nach Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007
vorsieht. Diese Regelung ersetzt die bisherige Regelung von § 39 Absatz 2
Satz 2 PBefG, einen Ausgleich für die Versagung eines an sich genehmigungs-
fähigen Tarifs zu gewähren, wenn dies aus Gründen des öffentlichen Verkehrs-
interesses oder des Gemeinwohls geboten war.“
Möglicherweise unter dem Einfluss des genannten Verbandes vertritt nun das
Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) anscheinend
eine gegenläufige Meinung, wie aus einem Schreiben des Parlamentarischen

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Staatssekretärs beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur,
Enak Ferlemann, vom 11. August 2014 an den Arbeitskreis Öffentlicher Per-
sonenverkehr (AK ÖPV) hervorgeht.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist es zutreffend, dass die Länder für die Anwendung der Regelungen des

Personenbeförderungsgesetzes auf den ÖPNV zuständig sind?
2. Ist es zutreffend, dass der Bund u. a. für die Erörterung von Fragen der An-

wendung des Personenbeförderungsrechts einen Ausschuss, den Bund-Län-
der-Fachausschuss Straßenpersonenverkehr (BLFA Straßenpersonenver-
kehr), einlädt, insbesondere um eine einheitliche Rechtsanwendung sicher-
zustellen?

3. Stimmt die Information, dass sich dieser BLFA Straßenpersonenverkehr in
zwei Sitzungen im Sommer und Herbst 2013 mit der Auslegung des novel-
lierten PBefG befasst und Leitlinien herausgegeben hat, u. a. an alle Geneh-
migungsbehörden im ÖPNV, daneben auch an den bdo?

4. Ist es zutreffend, dass der BLFA Straßenpersonenverkehr sich mit der Frage
einer Rechtspflicht zum vorrangigen Erlass allgemeiner Vorschriften zur
Sicherung der Eigenwirtschaftlichkeit befasst hat?
Wenn ja, zu welchem Ergebnis kam der BLFA Straßenpersonenverkehr
diesbezüglich?

5. Ist es zutreffend, dass sich der Parlamentarische Staatssekretär beim Bun-
desminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Enak Ferlemann, mit
einem Schreiben vom 11. August 2014 an die Vorsitzende des AK ÖPV
gewendet hat und in diesem Zusammenhang ausführte, dass allgemeine
Vorschriften „Vorrang“ gemäß § 8a Absatz 1 PBefG genießen würden und
in diesen Fällen „das Ermessen des Aufgabenträger so stark eingeschränkt
sei, dass eine allgemeine Vorschrift zu erlassen ist“?

6. Wurde vor Versand dieses Schreibens der BLFA Straßenpersonenverkehr
konsultiert?
Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Wenn nein, warum nicht?

7. Warum wurde das Schreiben an den AK ÖPV gerichtet?
8. Welche Zuständigkeiten hat der AK ÖPV in Fragen der Auslegung des

Rechtsrahmens des öffentlichen Personenverkehrs im Sinne einer bundes-
einheitlichen Rechtsanwendung, und wie grenzt sich diese Zuständigkeit
von den verkehrsgewerberechtlichen Aspekten ab, die diesbezüglich im
BLFA Straßenpersonenverkehr beraten und abgestimmt werden?

9. Worauf beruhte die neue Auffassung vom Parlamentarischen Staatssekretär
Enak Ferlemann?
Gibt es vorbereitende Untersuchungen aus dem BMVI oder unabhängige
rechtsgutachterliche Stellungnahmen?

10. Soweit dies der Fall ist, wurden diese veröffentlicht, wurden diese den
Mitgliedern des BLFA Straßenpersonenverkehr bzw. des AK ÖPV zur Ver-
fügung gestellt, oder wurden diese in den betreffenden Gremien erörtert?
Wenn diese nicht veröffentlicht, übermittelt oder erörtert wurden, warum
nicht?
Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass für eine Rechts-
frage, die im Interesse einer bundesweit einheitlichen Rechtsanwendung

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von den dafür zuständigen Behörden einheitlich beurteilt werden müsste,
die Schlussformel „Ich wäre Ihnen daher verbunden, wenn Sie meine Aus-
führungen an die Genehmigungsbehörden und Aufgabenträger weitergeben
und unterstützen würden“ im Schreiben vom Parlamentarischen Staatssekre-
tär Enak Ferlemann vom 11. August 2014 sehr ungewöhnlich ausfällt?
Welche Unterstützung erwartet der Parlamentarische Staatssekretär Enak
Ferlemann konkret von dem Adressaten?

11. Ist der Bundesregierung bekannt, dass Landesverbände des bdo das Schrei-
ben des Parlamentarischen Staatssekretärs mit einem Rundschreiben ver-
breiten und die darin beschriebene angebliche Rechtspflicht zum Erlass all-
gemeiner Vorschriften zur Sicherung der Eigenwirtschaftlichkeit als „ver-
bindliche Rechtsauffassung“ bezeichnen?

12. Ist die Bundesregierung auch der Auffassung, dass die Rechtsauffassung
verbindlich ist, und wenn ja, inwieweit, und für wen?

13. Ist es zutreffend, wie die Bundesgeschäftsführerin des bdo in einem Rund-
schreiben vom 17. September 2014 ausführt, dass „zahlreiche Gespräche
mit der Fachabteilung des BMVI, Minister Dobrindt, seinen Staatssekre-
tärInnen“ stattgefunden hätten?
Wenn ja, mit welchen Abteilungen bzw. Bediensteten des BMVI hat der bdo
zu welchen Terminen gesprochen?

14. Welche Gespräche fanden seit dem Inkrafttreten des novellierten PBefG am
1. Januar 2013 zwischen dem BMVI und dem bdo statt?

15. Wo, an welchen konkreten Terminen und mit welchem Teilnehmerkreis aus
dem BMVI wurde die Thematik eines möglichen Vorrangs allgemeiner Vor-
schriften erörtert?

16. Inwieweit ist es im BMVI üblich, dass Interessenvertreter in vergleichbarem
Umfang die Möglichkeit gegeben wird, die „Rechtsauffassung“ des BMVI
zu beeinflussen (so das Zitat aus dem Schreiben der Bundesgeschäftsfüh-
rerin des bdo)?

17. Gibt es weitere Beispiele aus den vergangenen Jahren, in denen konkret In-
teressenvertreter in vergleichbarer Intensität die Möglichkeit gegeben wurde,
auf die Rechtsauffassung des BMVI einzuwirken?
Wenn ja, in welchen konkreten Fällen?
Inwieweit hatte dies Einfluss auf die Rechtsanwendung?
Wenn nein, warum wurde dann im konkreten Fall dem bdo diese Möglich-
keit eingeräumt?

Berlin, den 15. Oktober 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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