BT-Drucksache 18/2897

Bestand an radioaktiven Abfällen und Herausforderungen bei der Lagerung

Vom 15. Oktober 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2897
18. Wahlperiode 15.10.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
Oliver Krischer, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald,
Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bestand an radioaktiven Abfällen und Herausforderungen bei der Lagerung

Am 7. März 2012 wurde durch eine Berichterstattung des „Norddeutschen
Rundfunks“ (NDR) bekannt, dass am Atomkraftwerksstandort Brunsbüttel ein
korrosionsgeschädigtes Fass bei einem Entleerungsvorgang zerstört wurde. Der
Brunsbüttel-Betreiber Vattenfall, der seit 2007 wiederholt wegen unsachgerech-
ter und intransparenter Informationspolitik im Zusammenhang mit Zwischen-
fällen in seinen Atomkraftwerken in die Schlagzeilen geraten war, musste aber-
mals einräumen, die zuständige Landesbehörde und die Öffentlichkeit zu spät
bzw. über mehrere Wochen hinweg gar nicht informiert zu haben.
Erste inhaltliche Angaben zu dem Vorgang seitens der Bundesregierung enthält
deren Antwort vom 16. März 2012 auf die Schriftliche Frage 105 der Abgeord-
neten Sylvia Kotting-Uhl auf Bundestagsdrucksache 17/9085. Laut dieser Ant-
wort wurde das betroffene Fass im Jahr 1981 in das Kavernenlager am Standort
Brunsbüttel eingelagert, im Dezember 2011 daraus entnommen und vor Ort in
eine Entleerungsanlage gegeben. Neben ersten Informationen zum Sachverhalt
der Korrosion des Fasses, zu den technischen Problemen bei der Fassentleerung
inklusive der Zerstörung des Fasses und zeitlichen Angaben enthält die o. g.
Antwort auch den Hinweis, dass die Bundesregierung eine mögliche bundes-
weite Relevanz der Problematik korrodierter Atommüllfässer nicht ausschließt.
Kurz nach dem ersten Fund in Brunsbüttel wurde auch der Fund eines rostigen
Atommüllfasses am Standort Neckarwestheim gemeldet (vgl. dpa-Meldung
vom 15. März 2012).
Zwischenzeitliche Entwicklungen lassen vermuten, dass es auch an anderen
Standorten Problemfässer bzw. -gebinde in nicht zu vernachlässigender Anzahl
geben dürfte. So beträgt die Anzahl kaputter Atommüllfässer in Brunsbüttel
mittlerweile bereits 102 (vgl. dpa-Meldung vom 9. Oktober 2014), und der Vor-
sitzende der Entsorgungskommission des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Michael Sailer, äußerte in einem dpa-
Interview vom 30. August 2014 den Verdacht, die Brunsbüttelfunde seien „nur
die Spitze vom Eisberg“.
Die Rostfassproblematik macht auch auf ein grundsätzliches Problem in
Deutschland aufmerksam: Es gibt keinen umfassenden offiziellen Überblick
über den gesamten deutschen Atommüllbestand. Aufgrund der Eigenheiten der
Bundesauftragsverwaltung, nach der in Deutschland die Atomaufsicht prakti-
ziert wird, ist Detailwissen oft auf verschiedene Länderbehörden verteilt. Zwei-
tens verschaffen selbst diese sich nicht immer Detailwissen, sondern lediglich
der Betreiber eines Interims-, Puffer- oder Zwischenlagers für Atommüll verfügt

Drucksache 18/2897 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
darüber (siehe hierzu beispielsweise die Schriftliche Anfrage zum Atommüll-
Zwischenlager Mitterteich auf Landtagsdrucksache 16/18281 des Bayerischen
Landtags vom 2. September 2013).
Diese Kleine Anfrage soll dazu dienen, als Anlassgeber für die Bundesatomauf-
sicht einen bundesweiten Überblick über die konkrete Atommüllsituation vor
Ort zu bekommen oder zumindest, ihm einen Schritt näher zu kommen. Eine
erste größere Initiative speziell zur Rostfassproblematik ergriff die Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdruck-
sache 17/9592. Sowohl die zwischenzeitlichen Entwicklungen bezüglich der
Rostfässer in Brunsbüttel, aber auch die in der Kommission „Lagerung hoch
radioaktiver Abfallstoffe“, die nach dem Standortauswahlgesetz eingerichtet
wurde, und von Umweltschutzverbänden und Bürgerinitiativen immer wieder
erhobene Forderung nach einem möglichst umfassenden offiziellen Atommüll-
bestandsbericht waren Anlass für diese umfassendere Kleine Anfrage.
Die folgenden Fragen beziehen sich u. a. auf alle Atomkraftwerksstandorte, an
denen schwach- und/oder mittelradioaktiver Atommüll zwischengelagert wird.
Hinzu kommen Fragen zu anderen Zwischenlagern und Landessammelstellen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Jeweils wie viele Castor-Behälter mit abgebrannten Brennelementen oder

verglasten Abfällen aus der Wiederaufarbeitung lagern derzeit in welchem
zentralen oder standortnahen Zwischenlagern, und jeweils seit wann (es wird
um den aktuellen Bestand gebeten, nicht den zum 31. Dezember 2013)?

2. Welche Atommülllager sind in Deutschland jeweils wo konkret vorhanden
(bitte jeweils mit Angabe des Typs wie Puffer-/Interims-/Zwischenlager,
Landessammelstelle etc.), seit jeweils wann sind sie in Betrieb, und wer ist
der verantwortliche Betreiber (erste Einlagerung)?

3. Jeweils welche Atommüllfässer, -gebinde etc. welchen genauen Typs und
Fassungsvermögens und mit welchem Inhalt befinden sich in den Atommüll-
lagern aktuell, jeweils seit wann genau, und von wem stammen sie (bitte für
jedes Lager eine vollständige tabellarische Übersicht in Anlehnung an Bun-
destagsdrucksache 17/9592, Antwort zu Frage 6; diese Frage bezieht sich auf
alle radioaktiven Abfälle außer abgebrannte Brennelemente und verglaste
Wiederaufarbeitungsabfälle)?

4. Mit jeweils welchen konkreten Maßnahmen und technischen Instrumenten
wurde in den Atommülllagern in den letzten Jahren der Zustand der einge-
lagerten Fässer, Gebinde etc. in welcher Regelmäßigkeit und wann zuletzt
faktisch überwacht (bitte differenzierte Angabe nach Ansätzen wie Video-
überwachung, Strahlenüberwachung, Stichprobenkontrollen etc.; es wird
nach den jeweils tatsächlich praktizierten Maßnahmen gefragt, nicht nur um
eine Beschreibung der Regelwerksgrundlagen gebeten)?

5. Welche meldepflichtigen Ereignisse oder sonst von den Betreibern gemelde-
ten Ereignisse gab es jeweils im Zusammenhang mit diesen Lagern und bzw.
oder ihrem Inventar (es wird um Aktualisierung der Antwort der Bundes-
regierung zu Frage 12 auf Bundestagsdrucksache 17/9592 gebeten)?

6. Welche aufsichtlichen Maßnahmen, Initiativen, Programme etc. wurden nach
Kenntnis der Bundesregierung nach dem ersten Rostfassbefund in Brunsbüt-
tel im Jahr 2012 jeweils konkret in welchem Bundesland gestartet, um der
Problematik verrosteter Atommüllfässer in den jeweiligen Atommülllagern
in diesem Bundesland nachzugehen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2897
7. Welche konkreten Ergebnisse haben diese aufsichtlichen Maßnahmen,
Initiativen, Programme etc. nach Kenntnis der Bundesregierung bis dato
jeweils erbracht?
Insbesondere wie viele Rost- bzw. Problemfässer und -gebinde wurden
dabei entdeckt?

8. Ist es mittlerweile möglich, für den gesamten deutschen Atommüllbestand
gebindescharf anzugeben, wie jeweils der Gebindezustand ist?
Falls nein, warum nicht, und welche Maßnahmen ergreift die Bundesregie-
rung, um dies bis wann zu ändern?
Falls ja, wie ist jeweils der Zustand welchen Gebindes (bitte mit Angabe des
Gebindealters, -inhalts und -verursachers/-eigentümers)?

9. Ist es mittlerweile zumindest möglich, für einen Teil des deutschen Atom-
müllbestands gebindescharf anzugeben, wie jeweils der Gebindezustand
ist?
Falls nein, warum nicht, und welche Maßnahmen ergreift die Bundesregie-
rung, um dies bis wann zu ändern?
Falls ja, wie ist jeweils der Zustand welchen Gebindes (bitte mit Angabe des
Gebindealters, -inhalts und -verursachers/-eigentümers)?

10. Welche Umkonditionierungsmaßnahmen für Rost- bzw. Problemfässer und
-gebinde sind jeweils an welchem Atommülllagerstandort möglich, und
welche Kapazitäten haben diese jeweiligen Konditionierungsanlagen?

11. Welche falschdeklarierten Abfälle wurden in den letzten zehn Jahren an
welchen Standorten in welchem Umfang durch welchen Anlass entdeckt?
Vom wem stammten die Abfälle jeweils, und was war jeweils ihre (falsche)
Deklaration und ihr tatsächlicher Gebindeinhalt?

12. Jeweils wo lagern welche der bereits angefallenen deutschen Abfälle und
Stoffe, die weder Konradgängig noch hochradioaktiv wärmeentwickelnd
sind, aber von der Bundesregierung als endzulagern bzw. vorsorglich als
endzulagern eingestuft werden (bitte mit jeweiliger Mengenangabe)?
Welchen geschätzten künftigen Mengenanfall an derartigen Abfällen bzw.
Stoffen erwartet die Bundesregierung jeweils bezogen auf welchen Abfall-
verursacher?

13. Jeweils welche jährlichen Kosten haben in den letzten zehn Jahren die Zwi-
schenlager verursacht, die vom Bund bzw. von bundeseigenen Unterneh-
men oder von vom Bund getragenen Einrichtungen betrieben verursacht
wurden (falls möglich, bitte nach Betriebskosten und Sonderaufwendungen
für Nachrüstmaßnahmen etc. differenzieren)?

Berlin, den 15. Oktober 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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