BT-Drucksache 18/2881

Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen

Vom 15. Oktober 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2881
18. Wahlperiode 15.10.2014
Antrag
der Abgeordneten Ulle Schauws, Tabea Rößner, Katja Dörner, Claudia Roth
(Augsburg), Dr. Franziska Brantner, Kai Gehring, Maria Klein-Schmeink,
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Doris Wagner,
Beate Walter-Rosenheimer und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes sagt klar: „Männer und Frauen sind gleichbe-
rechtigt.“ Seit 1994, seit 20 Jahren, heißt es weiter: „Der Staat fördert die tatsächliche
Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die
Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Die Bundesregierung steht somit in der
Verantwortung, auch bei öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen und öffentlich
geförderten Kulturprojekten die Gleichstellung von Frauen zu unterstützen und dafür
die notwendigen Grundlagen zu schaffen.
Die letzte umfangreiche Studie „Frauen in Kunst und Kultur II“, die der Deutsche
Kulturrat für die Kultusministerkonferenz erarbeitet hat, umfasst den Zeitraum von
1995 bis 2000 und untersucht den Anteil weiblicher Kreativer an der individuellen
Künstlerförderung sowie die Besetzung von Leitungsfunktionen an Kultureinrich-
tungen durch Frauen.
Diese Studie belegt, dass im erfassten Zeitraum nur 3 Prozent der Intendanzen an
Staats- und Landestheatern mit Frauen besetzt waren. Lediglich jedes vierte Kunst-
museum und 27 Prozent der Filmförderinstitutionen wurden von einer Frau geleitet.
In Bereichen der klassischen Musik war der Frauenanteil insgesamt am niedrigsten:
So lag beispielsweise der Frauenanteil unter den DirigentInnen bei nur 1 bis 2 Pro-
zentpunkten. Auch die finanzielle und soziale Situation der freiberuflichen Bilden-
den Künstlerinnen wurde insgesamt schlechter bewertet als die der männlichen Kol-
legen. Beispielsweise gingen nur 32 Prozent der Preise und Stipendien an Bildende
Künstlerinnen. Insgesamt ist im Betrachtungszeitraum 1995 bis 2000 keine nennens-
werte Steigerung der Partizipation von Frauen an den Führungspositionen in der
Kultur zu erkennen.
Über das Jahr 2000 hinaus existieren bis auf die jährlichen Veröffentlichungen der
Durchschnittseinkommen der bei der KSK versicherten KünstlerInnen und Publizis-
tInnen keine umfassenden länderübergreifenden Erhebungen zur Situation von
Frauen in allen Sparten des Kulturbetriebs.
Jedoch zeigen aktuellere Einzelstudien und Medienberichterstattungen über Gleich-
stellung im Kulturbetrieb, dass sich die Missstände in den letzten Jahren nicht we-
sentlich verbessert haben. Trotz einer steigenden Anzahl von Frauen in künstleri-
schen Studiengängen sind bis heute Frauen in allen künstlerischen Sparten nicht im

Drucksache 18/2881 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
gleichen Maße vertreten wie ihre männlichen Kollegen. Aktuell macht beispiels-
weise ein Aufruf von Pro Quote Regie deutlich, wie stark die Misstände im Filmbe-
reich sind. Hier ist vor allem auch der durch Bundesmittel geförderte Filmförder-
fonds, auch wenn die Auswahl der geförderten Porjekte durch eine Jury erfolgt, be-
troffen: 2013 waren z. B. von 115 geförderten Projekten nur 13 von Regisseurinnen.
Demnach habe der DFFF von 62,5 Mio. Euro lediglich knapp 6 Mio. an Regisseu-
rinnen vergeben. Ähnliche Missstände bestehen im Bereich der Theaterregie. Beim
Berliner Theatertreffen wurden beispielsweise in den letzen 14 Jahren nur 17 von
140 der Theateraufführungen von Regisseurinnen inszeniert.
Auch die finanzielle Situation von Künstlerinnen ist nach Angaben der Künstlerso-
zialkasse im Jahr 2013 nicht gleichgestellt. Männliche Künstler und Publizisten hat-
ten mit 21 427 Euro ein wesentlich höheres durchschnittliches Jahreseinkommen, als
ihre weiblichen Kolleginnen mit 15 955 Euro.
Die berufliche Benachteiligung von Frauen ist nicht nur ungerecht, den Kulturbe-
trieben geht damit kreatives Potential verloren. Trotz der dokumentierten Missstände
erfolgte von politischer Seite jedoch bis heute keine nennenswerte Initiative zur För-
derung der Geschlechtergerechtigkeit und Verbesserung der Situation weiblicher
Kulturschaffender. Symptomatisch für das fehlende Problembewusstsein seitens der
Bundesregierung ist der Mangel an aktuellen statistischen Daten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

1. durch die Auflage einer Studie zur Situation von Frauen im Kulturbetrieb
die bisher vorliegenden Dokumentationen „Kunst und Kultur von Frauen“
sowie „Frauen in Kunst und Kultur II 1995 bis 2000“ des Deutschen Kul-
turrates fortzusetzen, zu aktualisieren und um Handlungsempfehlungen für
geeignete Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen im Kulturbetrieb zu
ergänzen;

2. auf Grundlage der Ergebnisse gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um in den
entsprechenden Bereichen des Kulturbetriebs die Chancengleichheit von
Frauen zu gewährleisten und eine paritätische Besetzung zu erreichen;

3. die Förderkriterien für den Etat des Kapitels 5 des Einzelplans 04 aufzuneh-
men:

bei den finanzierten oder bezuschussten Institutionen oder Projektträ-
gern eine geschlechterparitätische Vergabe von Führungspositionen,
Intendanzen, Stipendien und Werksaufträgen sowie bei der Besetzung
von Orchestern und bei Ausstellungen von Werken zeitgenössischer
Künstlerinnen und Künstler festzulegen, soweit eine anderweitige Ge-
schlechterverteilung nicht durch klare künstlerische Vorgaben, wie bei
der Besetzung von Theater- und Filmrollen oder Tanz- und Gesangsen-
sembles, zu begründen ist,

bei der Besetzung von Jurys zur Auswahl von Preisen, Förderprogram-
men, Institutionen, Projekten und Veranstaltungen die Chancengleich-
heit von Frauen zu gewährleisten und eine paritätische Besetzung zu
erreichen,

bei der Vergabe von Förderprojekten und Preisen durch Jurys auf Viel-
falt zu achten und eine paritätische Geschlechterverteilung zu errei-
chen. Wenn davon abgewichen wird, ist dies nachvollziehbar zu be-
gründen;

4. bei den Ländern und Kommunen darauf hinzuwirken, ebensolche Förder-
kriterien zu etablieren.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2881
Berlin, den 14. Oktober 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Ob bei der Film- und Theaterregie, der Orchesterleitung, unter den Komponierenden, in Galerien oder Museen
– Männer sind auch im Kulturbetrieb wie in vielen anderen Branchen des deutschen Arbeitsmarktes traditionell
und sichtbar in der Mehrheit. Dies gilt sowohl für verwaltende Führungspositionen des Kulturbetriebs als auch
für Schöpfer neuer Werke im staatlich geförderten Raum von Museen, Theatern, Konzerthäusern sowie im
Film- und Fernsehbereich. Je höher Gehalt, Ansehen oder Funktion einer Stelle, desto geringer ist der Frauen-
anteil im Kulturbetrieb. In Führungspositionen von Kultureinrichtungen sind Frauen nach wie vor unterreprä-
sentiert. Dieses Missverhältnis verweist auf strukturelle Schranken beim Zugang ins Berufsleben für Frauen
im Kulturbetrieb, die aufgehoben werden müssen.

Bislang sieht die Bundesregierung jedoch ihre Verantwortung für die Gleichstellung von Frauen im Kulturbe-
trieb nicht beim Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, sondern beim Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend.

Aus dem Kulturetat der Beauftragten für Kultur und Medien werden seither keine Maßnahmen zur gezielten
Förderung von Künstlerinnen unterstützt. Kein Ministerium kennt jedoch die branchenspezifischen Arbeitsbe-
dingungen des Kulturbetriebs auf Bundesebene besser als die Beauftragte für Kultur und Medien. Bei einem
Querschnittthema wie Gleichstellung ist selbstverständlich neben dem Ministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend auch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien als Fachressort in der Pflicht, durch die
Vergabe von Projekt- und Forschungsmitteln im Kulturbereich, Grundlagen zur Gleichstellung von Frauen in
Kunst und Kultur zu schaffen.

Deshalb muss die Geschlechterperspektive in der Kulturpolitik und insbesondere im Bereich der Kunst- und
Kulturförderung stärker berücksichtigt werden. Dafür werden als ersten Schritt aktuelle umfassende Statistiken
zur Lage der Frauen im Kulturbetrieb benötigt. Ein geschlechtsspezifisches Wissen über die sozialen Rahmen-
bedingungen der Kunstschaffenden, die Besetzung von Führungspositionen und Gremien sowie die Vergabe
von Stipendien und anderen Fördermaßnahmen, sind notwendige Grundlagen für kulturpolitische Entschei-
dungen. Ein detaillierter Überblick auf die Situation von Frauen in den einzelnen Sparten kann zudem Hinweise
liefern, inwiefern Chancengerechtigkeit für Künstlerinnen in den unterschiedlichen Bereichen durch politische
Maßnahmen erhöht werden kann.

Kunst- und kulturschaffende Frauen sollen unsere Gesellschaft gleichermaßen durch ihre Kreativität bereichern
können. Dafür müssen sie die gleichen Chancen erhalten wie ihre männlichen Kollegen, um ihr künstlerisches
Schaffen öffentlich sichtbar zu machen. Diskriminierung kann und darf nicht mit künstlerischer Freiheit ge-
rechtfertigt werden. Eine geschlechtersensible Kulturpolitik ist dringend erforderlich, um die Potentiale von
Künstlerinnen adäquat fördern zu können.

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