BT-Drucksache 18/2879

Ökologischen Hochwasserschutz voranbringen

Vom 15. Oktober 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2879
18. Wahlperiode 15.10.2014
Antrag

der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Steffi Lemke, Annalena
Baerbock, Bärbel Höhn, Stephan Kühn (Dresden), Sylvia Kotting-Uhl, Oliver
Krischer, Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia Verlinden, Harald Ebner, Matthias
Gastel, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Claudia Roth (Augsburg), Markus
Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ökologischen Hochwasserschutz voranbringen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Verschärft durch den Ausbau der Flüsse und die Einengung der Überschwemmungs-
gebiete kam es in den letzten beiden Jahrzehnten gehäuft zu Flutereignissen in ver-
schiedenen Teilen Deutschlands mit erheblichen Gefährdungen und Schäden. In
Deutschland zeigt sich die Zunahme an Hochwasserereignissen unter anderem an
den sich häufenden „Jahrhunderthochwassern“ wie zum Beispiel die zwei Rhein-
hochwasser in den 90er-Jahren, an der Oder im Sommer 1997, an der Elbe im Som-
mer 2002, im Winter 2011 und Sommer 2013, im Alpenraum im Spätsommer 2005,
in Ostsachsen und im Erzgebirge im Sommer 2010, sowie an der Donau im Sommer
2013. Niederschläge führten 2013 aber auch weltweit zu vermehrten Hochwasserer-
eignissen, unter anderem in Australien, China, Indien, Indonesien, Kanada und den
Vereinigten Staaten, so dass die Rückversicherungsgesellschaft Munich RE das Jahr
2013 als Hochwasserjahr bezeichnete.

Verschiedene Entwicklungen – wie die Klimakatastrophe und die bisherige Fluss-
politik – führten hierzulande zu diesem gehäuften Auftreten von Hochwassersituati-
onen. Laut dem Jahresbericht 2013 der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser
kam es an der Elbe an mehreren Pegelpunkten zu historisch höchsten Wasserständen.
Die Schäden waren so immens, dass zur Beseitigung der Hochwasserfolgen ein Flut-
hilfefonds mit 8 Milliarden Euro aufgelegt wurde. Die finanziellen Hilfen waren und
sind notwendig. Bereits an vielen Stellen konnten so Schäden beseitigt werden und
dazu beitragen erfahrenes Leid zu lindern.

Zwar beteiligt sich der Bund im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesse-
rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) mit bis zu 80 Prozent an den
Kosten für Dämme oder Maßnahmen der Deichverstärkung (seit 1997 150 Millionen
Euro aus der GAK). Für Renaturierungen wurden aber weniger als die Hälfte ausge-
geben, und dass obwohl vorbeugende Maßnahmen zum Hochwasserschutz preiswer-
ter sind als Wiederaufbaukosten. So hat die Studie „Study on Economic and Social

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Benefits of Environmental Protection“ im Auftrag der EU ergeben, dass Klimafol-
genanpassungen wie ökologischer Hochwasserschutz einen hohen bis sehr hohen
Kosten-Nutzen-Faktor haben und ein investierter Euro zwischen 6 und 9 Euro an
Wiederaufbaukosten spart.

Obwohl die Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie der Europäischen Union die
Minderung der Hochwasserrisiken, also der Hochwassergefahren und der Schadens-
potentiale, in den Fokus nimmt, konzentriert sich der Hochwasserschutz in Deutsch-
land heute immer noch auf bauliche und technische Maßnahmen zur Abwehr auf-
laufender Hochwasserwellen, wie die Erhöhung von Deichen und Dämmen. Dies
kann in der Nähe von bestehenden Siedlungen, Gewerbegebieten und Industrieanla-
gen mit hohem Umweltschadenspotential sinnvoll, im Bereich von freien Flächen
aber fragwürdig sein. Denn die Begradigung, Vertiefung und Eindeichung von Flüs-
sen führt zu höheren Wasserscheiteln und so zu größeren und schnelleren Flutwel-
len. Auch der schlechte Zustand und die Zerstörung von Flussauen in Deutschland
begünstigen gefährliche Hochwasserereignisse. Verschärft wird die Situation noch
durch die Tatsache, dass der Klimawandel eine Zunahme an Extremwetterereignis-
sen mit sich bringt, wie etwa intensivere Niederschlagsereignisse. Starkregenereig-
nisse führen dann vermehrt zu Überflutungen und infolgedessen zu Bodenerosionen.
Davor warnt regelmäßig der Bericht des Weltklimarates (IPCC). Eine ganzheitliche
und nachhaltige Betrachtung des Gesamtsystems Fluss unter den Stichworten Kli-
mafolgenanpassung und Resilienz ist daher nötig.

Auf diese Entwicklungen fehlt seit 2005 eine kohärente bundespolitische Reaktion.
Eine proaktive und an Klimafolgenanpassung und Schadensprävention orientierte
nationale Hochwasserstrategie ist lange überfällig. Um der präventiven Minderung
der Hochwasserrisiken und Schadenspotentiale Rechnung zu tragen und alte Fehler
zu vermeiden muss jetzt ein Programm auf den Weg gebracht werden, bei dem der
langfristig wirtschaftliche und ökologische Hochwasserschutz im Mittelpunkt der
gemeinsamen Anstrengungen von Bund und Ländern steht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, in enger Zusammen-
arbeit mit den Ländern:

a) ein nationales Programm „Ökologischer Hochwasserschutz“ aufzulegen,
das unter anderem folgende zentrale Maßnahmen umfasst:
i) vermehrte Ausweisung von Retentionsräumen, wie Hochwasservorrang-,

Überschwemmungs- oder Risikogebieten,

ii) die Rückverlegung von Deichen,

iii) Verbesserung des Wasserrückhalts in der Landschaft,

b) ein Auenschutzprogramm aufzulegen, mit dem die Revitalisierung von
Auen und der Wasserrückhalt in der Landschaft vorangetrieben wird,

c) dafür zu sorgen, den technischen Hochwasserschutz auf das notwendige
Maß zum Schutz bestehender Siedlungen zu begrenzen,

d) die Finanzierung für den ökologischen Hochwasserschutz verlässlich zu ge-
stalten und Mittel in ausreichender Höhe im Bundeshaushalt einzustellen,

e) ökologische Aufgaben in die Reform der Arbeit der Wasser- und Schiff-
fahrtsverwaltung zu integrieren und diese Behörde zu einer bundesweiten
Koordinationsstelle für ökologischen Hochwasserschutz auszubauen,

f) die Flächenversiegelung zu reduzieren, die Flächennutzung den zunehmen-
den Hochwasserereignissen anzupassen und so die Ausweisung von Neu-
baugebieten in Überflutungsgebieten einzuschränken,

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g) die Versickerungspotentiale des Bodens durch die Förderung der ökologi-
schen Landnutzung zu erhöhen.

Berlin, den 14. Oktober 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Viele AnwohnerInnen von Flüssen sind von Überflutungen und Hochwasser existentiell betroffen. Aktuellen
Zahlen einer Studie der EU-Kommission zur Folge kam es in dem Zeitraum von 2002 bis 2013 in der EU zu
363 Hochwasser- und Flutereignissen. Diese verursachten einen Schaden von rund 150 Mrd. Euro und hatten
Evakuierungen von 1,7 Millionen Menschen zur Folge. In dem genannten Zeitraum verloren rund 1 000 Men-
schen ihr Leben auf tragische Weise in den Fluten. Neben unmittelbaren Gefahren für Gesundheit und Leben
in direktem Zusammenhang mit dem Extremwetterereignis bestehen auch mittelbare Gefahren für die Men-
schen in den von Hochwasser betroffenen Gebieten, wie etwa die Verunreinigung von Wasser durch geflutete
Öl- oder Chemikalientanks oder Kläranlagen oder durch Mikroorganismen, die Infektionen auslösen können.
Hinzu kommen psychische Beeinträchtigungen aufgrund der traumatisierenden Ereignisse, die oft noch lange
nachwirken und für die Betroffenen eine erhebliche Belastung darstellen.

Auch die finanziellen Schäden sind enorm. Allein das Elbe-Hochwasser 2002 führte zu einem finanziellen
Schaden von mehr als 9 Milliarden Euro und der Fluthilfefonds für das Hochwasser 2013 wurde mit 8 Mrd.
Euro ausgestattet.

Der schlechte Zustand und die Zerstörung von Flussauen in Deutschland begünstigen gefährliche Hochwasse-
rereignisse. Aktuell sind 83 Prozent der Biotoptypen von Flüssen und Auen existentiell gefährdet, nur 10 Pro-
zent der Flussauen in Deutschland werden im Auenzustandsbericht 2009 des Bundesamtes für Naturschutz als
sehr gering oder gering verändert klassifiziert. Weiterhin fehlt eine Stelle für die länderübergreifende und in-
ternationale Koordination von Hochwasserschutzmaßnahmen.

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