BT-Drucksache 18/2748

Maritime Ausbildung in Kooperation mit den Küstenländern neu ausrichten

Vom 8. Oktober 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2748
18. Wahlperiode 08.10.2014
Antrag
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Beate Walter-Rosenheimer, Harald Ebner,
Matthias Gastel, Oliver Krischer, Stephan Kühn (Dresden), Christian Kühn
(Tübingen), Steffi Lemke, Nicole Maisch, Peter Meiwald, Dr. Julia Verlinden und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Maritime Ausbildung in Kooperation mit den Küstenländern neu ausrichten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Anzahl der Studierenden im Studienfach Nautik und angrenzender Ausbildungs-
berufe nimmt seit einigen Jahren drastisch ab.1 Der Nachwuchsmangel macht sich
auch bei den Lotsen bemerkbar, die bis 2024 zu über einem Drittel in Rente gehen
werden.2 Die geringe Anzahl an Absolventen kann sich langfristig als Beschäfti-
gungsrisiko erweisen. Damit besteht das Risiko, eine langfristige und qualitativ hohe
Ausbildungsmöglichkeit in Deutschland auf Dauer nicht mehr aufrechterhalten zu
können. Es droht langfristig gar der Verlust maritimen Know-hows.

Noch in den Jahren 2006 bis 2008 gab es aufgrund des damaligen Booms in der
Seeverkehrswirtschaft einen sehr hohen Bedarf an Absolventen und Auszubilden-
den, inzwischen ist die Nachfrage wieder deutlich zurückgegangen. Die Hochschu-
len in Bremen, Elsfleth, Flensburg, Leer und Wismar haben anhaltend rückläufige
Studierendenzahlen. Andererseits wird in anderen Ländern der Welt auch professi-
onell ausgebildet, etwa die VR China oder die Seefahrernation Philippinen. In die-
sem weltweiten Wettbewerb in der international ausgerichteten Schifffahrt muss
Deutschland einen Weg finden, langfristig über die Qualität der Ausbildung zu über-
zeugen.

Durch die angespannte Situation in der Seeschifffahrt finden Studierende oder fertig
Ausgebildete immer weniger Möglichkeiten, an Bord Praxiserfahrung zu sammeln.
Aufgrund des verstärkten Kostendrucks, dem die Reeder ausgesetzt sind, werden
deutlich weniger Praktikumsplätze angeboten und es sinkt auf Seiten der Unterneh-
men die Bereitschaft der Übernahme oder Einstellung nach fertiger Lehre bzw. ab-
geschlossenem Studium.

Es besteht die Frage, inwieweit die Reeder zur Ausbildung ihrer Verantwortung für
den maritimen Standort Deutschland nachkommen und sich im Rahmen des Mariti-
men Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung oder etwa der neuen „Stiftung
Schifffahrtsstandort Deutschland“ stärker für eine bedarfsorientierte maritime Aus-
bildung und die Zukunft des maritimen Standorts langfristig engagieren müssen.

1 Vgl. www.radiobremen.de/nordwestradio/sendungen/nordwestradio_journal/wenigernautikstudenten102.html
2 Vgl. www.kn-online.de/Schleswig-Holstein/Aus-dem-Land/Den-Lotsen-an-der-Kueste-in-Schleswig-Holstein-geht-der-Nachwuchs-aus

Drucksache 18/2748 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Dabei müssen auch neue Ausbildungsmodelle, die in anderen Bereichen erfolgreich
sind und die auch mit den Unternehmen zusammen umsetzbar sind (z. B. duale Stu-
diengänge) einbezogen werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ein bedarfsorientiertes maritimes Ausbildungskonzept zusammen mit den
Küstenländern für eine nachhaltige Neuausrichtung der maritimen Ausbil-
dungsberufe zu erarbeiten und dem Bundestag bis zur Maritimen Konferenz
2015 ein Ergebnis vorzulegen,

2. bei den Küstenländern und der Seeverkehrswirtschaft darauf hinzuwirken,
dass die existierenden Ausbildungs- und Studiengänge evaluiert und gege-
benenfalls diese Angebote im Hinblick auf eine stärkere Verzahnung zwi-
schen Praxis und Hochschulausbildung durch duale Studiengänge überar-
beitet und ergänzt werden,

3. geeignete Maßnahmen zur Steigerung der Bereitschaft der Reeder, Auszu-
bildende und Praktikanten einzustellen zu prüfen und dem Bundestag über
das Ergebnis bis zur Maritimen Konferenz 2015 zu berichten,

4. durch eine Anpassung des Flaggenrechtsgesetzes die Verwendungsmög-
lichkeiten der Ausbildungsfördermittel, die durch die Stiftung Schifffahrts-
standort Deutschland verwaltet werden, zu erweitern, insbesondere Praktika
für Studienanfänger auch auf Schiffen unter europäischer Flagge zu ermög-
lichen,

5. den finanziellen und rechtlichen Rahmen der Ausbildungsförderung
(Schifffahrtsbeihilfen) zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen, die
optimalen Voraussetzungen für Ausbildung im maritimen Bereich zu schaf-
fen und dem Bundestag über die Ergebnisse bis zur Maritimen Konferenz
2015 zu berichten,

6. der bestehenden Unterbeschäftigung und dem dadurch verstärkt drohenden
Nachwuchsmangel bei den See- und Hafenlotsen durch geeignete Maßnah-
men wie einer Anpassung des Seelotsgesetzes entgegenzuwirken, weitere
Maßnahmen zu prüfen und dem Bundestag bis zur Maritimen Konferenz
2015 über das Ergebnis zu berichten,

7. die Bedingungen der deutschen Flagge dienstleistungsorientiert zu verän-
dern und nach Verhandlungen mit den Küstenländern bis spätestens Ende
2016 die bisher zerstreuten Zuständigkeiten bei Bund, Ländern und Kom-
munen im Rahmen der Eintragung eines Schiffes in das Schiffsregister bzw.
beim Wechsel der Flagge eines Schiffes in das deutsche Register so zusam-
menzuführen, dass ein Reeder nur noch eine Stelle zur Registrierung kon-
taktieren muss und die neue Anlaufstelle für die deutsche Flagge dienstleis-
tungsorientiert errichtet wird.

Berlin, den 7. Oktober 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2748
Begründung

Zu 1.: Die Krise in der deutschen Seeschifffahrt muss jetzt dazu genutzt werden, die maritime Ausbildung neu
auszurichten und die vielseitigen Ausbildungswege und -möglichkeiten optimal zu verzahnen und auf den ak-
tuellen Bedarf anzupassen. Dabei muss das bisherige hohe Ausbildungsniveau gesichert werden. Die maritimen
Berufe und ihre Ausbildungsmöglichkeiten müssen besser in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden.

Bund und Länder müssen sich aufgrund der verfassungsrechtlichen Aufgabenteilung im Bildungs- und Hoch-
schulbereich über die Neuausrichtung der maritimen Ausbildungsberufe verständigen, um den Bereich zu-
kunftsfähig auszurichten. Dabei müssen sie verstärkt kooperieren und Konzepte zur Zukunft der maritimen
Ausbildung erarbeiten.

Für die Ausbildung von Seeleuten gelten international vereinbarte Regelungen, die national übernommen wer-
den (z. B. sog. STCW-Übereinkommen 1978, Seearbeitsübereinkommen 2006). Dadurch ist eine internationale
Vergleichbarkeit der Seefahrtausbildung möglich.

An fünf Hochschulen kann in Deutschland ein Abschluss erlangt werden, der für das Fahren auf Hoher See
befähigt. Außerdem gibt es weitere nautische und technische Ausbildungsmöglichkeiten (etwa die Schiffsme-
chanikerausbildung) und Kombinationsmöglichkeiten der Ausbildungsgänge, die das Ausbildungssystem
komplettieren und durchlässig gestalten. Dadurch führen mehrere Wege zum seemännischen Patent sowie zu
nautisch-technischen Berufen in der Seeschifffahrt.

Zu 2.: Für beide Seiten, sowohl Absolventen als auch Reeder, erscheint ein duales Studium als zielführendste
Lösung, praxisnahe Ausbildung anzubieten. Dieser Weg sollte daher vermehrt als Ausweg aus der Ausbil-
dungskrise gewählt werden, um Theorie und Praxis optimal zu verzahnen und um die gegenseitige Verantwor-
tung von Auszubildendem und Ausbildungsbetrieb zu erhöhen und damit das Ergebnis und die Qualität der
Ausbildung zu verbessern. Die aktuellen Ausbildungs- und Studiengänge müssen dabei erfasst und evaluiert
werden.

Zu 3.: Seit mehreren Jahren ist ein Mangel an Praktikumsplätzen an Bord deutscher Schiffe feststellbar.
Dadurch kann der Einstieg in das Studium, aber auch in die Praxisphase nach dem Studium scheitern. Damit
Auszubildende/Studierende sowie Absolventen auf ein verbessertes Angebot zurückgreifen können, müssen
Bund und Länder die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft bzw. die Bildungs- und Hochschullandschaft
anpassen.

Zu 4.: Eine Änderung der Zweckbindung der Mittel der Stiftung Schifffahrtsstandort Deutschland ist nur durch
eine Änderung des Flaggenrechtsgesetzes (FlRG) zu erreichen. Erst zu Beginn des Jahres 2013 hatten der Bund
und die Reeder die Stiftung gegründet, mit dem Ziel, die Ausbildung stärker zu fördern. Bisher sind jedoch
Praktikumsplätze an Bord der Schiffe nicht förderfähig und scheinen daher für Arbeitgeber weniger attraktiv.

Zu 5.: Im Rahmen des Maritimen Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung hat die Bundesregierung den
Reedern als Ausgleich für höhere Belastungen finanzielle Beihilfen zugesichert, wenn sie weiter am Standort
Deutschland festhalten. Diese Maßnahmen sind nochmals zu überprüfen und gegebenenfalls bezüglich ver-
bindlicher Regelungen zur Verlängerung einer Ausbildungsbeihilfe anzupassen.

Zu 6.: Über 35 Prozent der 850 deutschen Lotsen werden bis Ende 2024 in Rente gehen. Bis spätestens dahin
ist der Nachwuchs für die scheidenden See- und Hafenlotsen nicht gesichert. Vor allem die stets rückläufigen
Zahlen an Fachhochschulabsolventen bereiten der an der Küste wichtigen Berufsgruppe große Sorgen. Hier
müssen Lösungen gefunden werden, um das Lotswesen langfristig zu sichern.

Zu 7.: Die Ausgestaltung der Regelungen der deutschen Flagge hat auch direkte bzw. indirekte Auswirkungen
auf die Beschäftigungs- und Ausbildungssituation an Bord der Schiffe. So gilt beim Fahren unter deutscher
Flagge auch die deutsche Schiffsbesetzungsverordnung, wonach eine bestimmte Anzahl an höherrangigen
Crewmitgliedern deutscher oder EU-Nationalität besetzt werden müssen. Dadurch steigen die Personalkosten
der Reeder als Bestandteil der Schiffsbetriebskosten deutlich. Hilfreich wären hier Lösungsansätze, die die
Absolventen deutscher Hochschulen, Auszubildender und die Interessen deutscher Reeder ausgleicht.

Um die Bedingungen der deutschen Flagge zu verbessern, bedarf es weiterer Vorteile und Attraktivitätssteige-
rungen. Eine optimale Ausgestaltung der Flaggenkriterien heißt auch, den Aufwand zur Registrierung eines
Schiffes möglichst gering zu halten. Die Bedingungen der deutschen Flagge müssen daher dringend verändert
Drucksache 18/2748 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
werden. Bisher müssen Reeder mindestens zwölf verschiedene Behörden kontaktieren, um ein Schiff zu regist-
rieren. In der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zählt die Bundes-
regierung folgende zu kontaktierende Stellen auf, deren Zuständigkeiten bei Bund, Ländern und Kommunen
liegen: das Amtsgericht, das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, die Berufsgenossenschaft für
Transport und Verkehrswirtschaft, die Bundesnetzagentur, das Seemannsamt, den Hafenärztlichen Dienst so-
wie das Finanzamt, die Agentur für Arbeit, die Arbeitsschutzbehörde, die Rentenversicherung und das Auslän-
deramt und bei Bedarf eine deutsche Auslandsvertretung.3

Dies ist im Vergleich zu vielen anderen Flaggenstaaten nicht mehr zeitgemäß und bedarf dringender Änderung.
Die Koordinierung der beteiligten Bundesministerien untereinander sowie der Länder sind daher sicherzustel-
len.

3 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 17/7208, S. 1 f

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